Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2614 07. 09. 2017 1Eingegangen: 07. 09. 2017 / Ausgegeben: 20. 10. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat sie über die Forderung der Nürtinger Ortsgruppe des Naturschutzbundes Deutschland, die Welsbestände in den Wernauer Baggerseen gezielt zu dezimieren, um das mehr als 32 Hektar große Gebiet attraktiver für Wasservögel zu machen? 2. Wie bewertet sie diese Forderung? 3. Inwiefern kann ihrer Rechtsauffassung nach aus § 3 der Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Naturschutzgebiet „Wernauer Baggerseen“ vom 5. Juni 1981 ein Vorrang des Vogelschutzes vor dem Fischartenschutz abgeleitet werden? 4. Welche Methodik hat das Regierungspräsidium der zweitägigen Kontrollbefischung im Oktober 2016 zugrunde gelegt? 5. Welche Ergebnisse hat die Kontrollbefischung gebracht? 6. Inwiefern kann diese punktuelle Kontrollbefischung als repräsentativ für ein mehr als 32 Hektar großes Gewässerareal betrachtet werden? 7. Wie definiert das Regierungspräsidium im Zusammenhang mit den Wernauer Baggerseen einen „gesunden Fischbestand“? 8. Inwieweit teilt sie die Auffassung, dass ein gesunder Raubfischbestand durch die damit einhergehende Weißfischreduktion einer Eutrophierung von Gewässern vorbeugen kann? Kleine Anfrage des Abg. Andreas Glück FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Naturschutz unter und oberhalb der Wasseroberfläche an den Wernauer Baggerseen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2614 2 9. Welche Erkenntnisse hat sie über die Vorwürfe der Nürtinger Ortsgruppe des Naturschutzbundes Deutschland, Anglerinnen und Angler würden an den Wernauer Baggerseen Nistplätze von Wasservögeln stören? 10. Welche Auffassung vertreten die örtlichen Behörden diesbezüglich? 07. 09. 2017 Glück FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 Nr. Z(26)-0141.5/197F beantwortet das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat sie über die Forderung der Nürtinger Ortsgruppe des Naturschutzbundes Deutschland, die Welsbestände in den Wernauer Baggerseen gezielt zu dezimieren, um das mehr als 32 Hektar große Gebiet attraktiver für Wasservögel zu machen? Zu 1.: Bei der Pflege und Entwicklung des Naturschutzgebietes „Wernauer Baggerseen“ arbeitet das Regierungspräsidium Stuttgart seit vielen Jahren erfolgreich und eng mit der Nürtinger Ortsgruppe des Naturschutzbund Deutschland (NABU) Landesverband Baden-Württemberg e. V. zusammen. Es besteht ein Betreuungsvertrag. Dem NABU Landesverband Baden-Württemberg e. V., vor Ort vertreten durch den NABU – Kreisverband Esslingen e. V., wurden aufgrund von § 63 Abs. 1 Naturschutzgesetz (NatSchG) und aus Gründen des allgemeinen Wohls im Interesse des Naturschutzes ab 1. Januar 2017 erneut die Betreuung der zwei Naturschutzgebiete „Wernauer Baggerseen“ und „Neckarwasen“ im Landkreis Esslingen über - tragen. Die Anregungen der Schutzgebietsbetreuer sind bekannt und wurden gemeinsam erörtert. 2. Wie bewertet sie diese Forderung? Zu 2.: Die Anregungen wurden aufgegriffen und eine Kontrollbefischung durchgeführt (s. u.), zusätzliche Befischungen für 2017 sind geplant. Des Weiteren führt das Regierungspräsidium Stuttgart im Großen See im Zeitraum August bis Oktober 2017 Strukturverbesserungsmaßnahmen durch. Alle Maßnahmen sind mit dem Eigentümer und Vertretern der das Gebiet betreuenden NABU-Ortsgruppe abgestimmt . 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2614 3. Inwiefern kann ihrer Rechtsauffassung nach aus § 3 der Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Naturschutzgebiet „Wernauer Baggerseen“ vom 5. Juni 1981 ein Vorrang des Vogelschutzes vor dem Fischartenschutz abgeleitet werden? Zu 3.: Schutzzweck des Naturschutzgebiets nach der Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart als höhere Naturschutzbehörde und als obere Jagdbehörde über das Naturschutzgebiet „Wernauer Baggerseen“ vom 5. Juni 1981 ist unter anderem die Erhaltung eines wertvollen Lebensraums für wildlebende Tiere und Pflanzen (§ 3 c). Besonders hervorgehoben wird zudem unter § 3 d die Erhaltung eines überregional bedeutsamen Rastplatzes für feuchtgebundene Vogelarten. Die besondere Bedeutung des Gebietes für die feuchtgebundenen Vogelarten wird unterstrichen durch die Tatsache, dass das Naturschutzgebiet Bestandteil des Vogelschutzgebietes Nr. 7322-401 „Grienwiesen und Wernauer Baggerseen“ und somit aufgrund seiner Vogelwelt Bestandteil des Europäischen Netzes Natura 2000 ist. Eine landesweite Bedeutung für Fischarten kann dem Gebiet demgegenüber nicht zugeschrieben werden. Gleichwohl zielt die Pflege und Entwicklung des Gebietes auch darauf ab, das ökologische Gleichgewicht der Stillgewässer mitsamt der zugehörigen Fischfauna nachhaltig zu verbessern. Die Abwägung zwischen Vogel- und Fischartenschutz wurde in der Verordnung vom 5. Juni 1981 unter § 5 geregelt, wonach die Fischerei zu Kontrollzwecken außerhalb der Röhrichtzonen in der Zeit vom 15. Juli bis 15. September eines jeden Jahres an höchstens 15 Tagen erlaubt ist. 4. Welche Methodik hat das Regierungspräsidium der zweitägigen Kontrollbefischung im Oktober 2016 zugrunde gelegt? Zu 4.: Am 25. und 26. Oktober 2016 fand eine Kontrollbefischung in Form einer Elektrobefischung im See 1 und See 2 durch das Regierungspräsidium Stuttgart statt. 5. Welche Ergebnisse hat die Kontrollbefischung gebracht? Zu 5.: Im großen See wurden 160 Fische verteilt auf neun Arten gefangen. Die häufigs - ten Arten waren Rotauge, Rotfeder, Sonnenbarsch, Hecht und Barsch. Der Anteil an Barschen hat, wie Vergleichsbefischungen von 1994 zeigen, abgenommen, der der Hechte dagegen zugenommen. Die Größenverteilung war 1994 ausgewogener . Weißfische wie Rotauge und Rotfeder kamen damals noch mit bis zu 30 cm Länge vor. Aktuell entfallen ca. 60 % der gefangenen Fische auf die Längenklasse bis 10 cm und nur 16,3 % auf die Längenklasse bis 20 cm. Größere Fische konnten nur vereinzelt bei den Arten Hecht, Aal, Karpfen und Wels nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu 1994 wurden keine Brachsen und Zander mehr gefangen . Im kleinen See wurden 336 Fische verteilt auf sieben Arten gefangen. Die häu - figste Art war der Barsch, gefolgt von Sonnenbarsch und Rotauge. Dort entfielen 97,7 % der gefangenen Fische auf die Längenklasse bis 10 cm und nur 0,9 % auf die Längenklasse bis 20 cm. Größere Fische fanden sich nur vereinzelt von den Fischarten Hecht, Wels und Graskarpfen. Im großen See wurde ein Wels mit einer Länge von 200 cm, im kleinen See wurden drei Welse mit 70 cm, 90 cm und 200 cm gesichtet. Die Elektrobefischung zeigte, dass, um einen gesunden, artenreichen und ausgewogenen Fischbestand im Naturschutzgebiet herzustellen, zusätzlich Fischunterstände eingebracht und die Befischung auf große Hechte und Welse intensiviert werden sollte. Aber auch andere Prädatoren, wie der Kormoran, können den Fischbestand eines Sees maßgeblich beeinflussen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2614 4 Regelmäßige Elektrobefischungen erscheinen derzeit nicht erforderlich. Allerdings ist geplant, die nicht einheimischen Arten Sonnenbarsch und Graskarpfen zu entnehmen und den Bestand der adulten Räuber (insbesondere der Welse) in beiden Seen zu reduzieren. Hierfür wird voraussichtlich noch in 2017 eine weitere einmalige Elektrobefischung durch das Regierungspräsidium Stuttgart im Großen und Kleinen See (je 1 Tag pro See) erfolgen. 6. Inwiefern kann diese punktuelle Kontrollbefischung als repräsentativ für ein mehr als 32 Hektar großes Gewässerareal betrachtet werden? Zu 6.: Eine Kontrollbefischung der Uferzone mittels Elektrofischerei liefert kein repräsentatives Ergebnis für die Erfassung des Fischbestands eines 32 ha großen Sees. Bei der Elektrofischerei werden nur Fische in einem Umkreis von 2 bis 3 m um die Anode erfasst. Fische in mehr als 2 m Wassertiefe können selbst bei entsprechender Sichttiefe in der Regel nicht nachgewiesen werden. Die Elektrofischerei wird üblicherweise in kleinen bis mittleren Fließgewässern zur Bestandserfassung eingesetzt. Beim Einsatz in der Uferzone von Seen erlaubt sie einen Einblick in das vorhandene Fischartenspektrum und sofern, wie im vorliegenden Fall, zahlreiche Individuen gefangen werden, einen Einblick in die Längen- bzw. Altersverteilung einzelner Fischarten. Da 1994 auch die gleiche Befischungsmethode gewählt wurde, lässt dies Vergleiche mit dem aktuellen Bestand zu. 7. Wie definiert das Regierungspräsidium im Zusammenhang mit den Wernauer Baggerseen einen „gesunden Fischbestand“? Zu 7.: Ein gesunder und ausgewogener Fischbestand besteht aus einheimischen, naturraumtypischen Fischarten, die entsprechend der Größe und Beschaffenheit des Gewässers geeignete Lebensbedingungen vorfinden. In einem ausgewogenen Fischbestand sind die vorhandenen Arten in allen Längen- bzw. Altersklassen vorhanden und können sich natürlich fortpflanzen. Zwar setzt sich der Fischbestand der Wernauer Baggerseen mit Ausnahme des Sonnenbarsches und des Graskarpfens aus einheimischen, naturraumtypischen Fischarten zusammen und diese können sich auch natürlich fortpflanzen. Die im Fischbestand vorhandenen Arten sind jedoch nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis der Längen- bzw. Altersklassen anzutreffen. In den Wernauer Baggerseen sind, wie die Befischung zeigt, Fische ab 10 cm Länge bei den Fischarten Barsch, Rotauge, Rotfeder stark unterrepräsentiert. Dies kann nicht allein den wenigen großen Hechten und Welsen angelastet werden, sondern dürfte auch der großen Kormorankolonie im Naturschutzgebiet geschuldet sein. Durch das Einbringen von Fischunterständen in die Gewässer wird versucht , die Bestandssituation zu verbessern. Mit einem Raubfischanteil bis zu 19 % sind die Raubfischbestände der Wernauer Baggerseen nicht überhöht. Daher geht es dort nicht um die generelle Reduzierung des Raubfischbestandes, sondern um die Entnahme großer und alter Raub - fische, die für die natürliche Reproduktion oft nur noch eine untergeordnete Rolle spielen und bei den bisher vom Naturschutz eingeräumten 15 Angeltagen nur in geringer Zahl gefangen und entnommen werden konnten. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2614 8. Inwieweit teilt sie die Auffassung, dass ein gesunder Raubfischbestand durch die damit einhergehende Weißfischreduktion einer Eutrophierung von Gewässern vorbeugen kann? Zu 8.: Bei einem eutrophen See kann zwischen einem makrophyten-dominierten und einem algen-dominierten Zustand unterschieden werden. Im ersten Fall bestimmen Unterwasserpflanzen und klares Wasser das Bild. Im zweiten Fall sind es Algenblüten und trübes Wasser. Nach Absterben der Algenmassen kann es zu Sauerstoffzehrung und Beeinträchtigungen der Wasserqualität im Gewässer kommen . Für die Gewässerökologie ist der makrophyten-dominierte Zustand daher vorteilhafter. Im Nahrungsnetz eines Sees reduziert der Raubfischbestand den Weißfischbestand und dieser das Zooplankton. Das Zooplankton verringert durch Fraß das Phytoplankton. Ein großer Raubfischbestand, der den Weißfischbestand stark dezimiert , bewirkt, dass mehr Zooplankter überleben, die die aufkommenden Algenblüten besser in Schach halten. Insofern kann ein großer Raubfischbestand dazu beitragen, den ökologisch vorteilhaften, makrophyten-dominierten Zustand eines Sees zu erhalten. Der Eutrophierungsgrad des Gewässers wird dadurch jedoch nicht verbessert. Dies geschieht allein durch Reduzierung des Nährstoffeintrags. 9. Welche Erkenntnisse hat sie über die Vorwürfe der Nürtinger Ortsgruppe des Naturschutzbundes Deutschland, Anglerinnen und Angler würden an den Wernauer Baggerseen Nistplätze von Wasservögeln stören? Zu 9.: Bekannt sind Vorwürfe einzelner Personen. Die Schutzgebietsbetreuer des NABU, die das Gebiet und seine Beeinträchtigungen bestens einschätzen können, haben sich gegenüber dem Regierungspräsidium Stuttgart und der Presse von diesen Vorwürfen distanziert (siehe Anlagen). 10. Welche Auffassung vertreten die örtlichen Behörden diesbezüglich? Zu 10.: Die Zusammenarbeit mit den berechtigten Anglerinnen und Anglern ist gut. Es wird aktuell keine Erfordernis weiterer über die Verordnung hinausgehender Regulierungen gesehen. Hauk Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2614 6 7 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2614