Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2622 11. 09. 2017 1Eingegangen: 11. 09. 2017 / Ausgegeben: 24. 10. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie hoch genau sind ihrer Kenntnis nach die Gesamtkosten für die infolge des Bahnprojekts erforderliche Umsiedlung der Mauereidechsen aus Stuttgart- Untertürkheim in die Feuerbacher Heide? 2. Wie viele Individuen werden im Zuge dessen umgesiedelt? 3. Von welcher verantwortlichen Stelle und zu welchem Zeitpunkt wurde die Entscheidung zugunsten der Feuerbacher Heide ihrer Kenntnis nach getroffen? 4. Welche möglichen alternativen Zielhabitate wurden ihrer Kenntnis nach vor der Umsiedlung der Mauereidechsen innerhalb und außerhalb der Landeshauptstadt Stuttgart geprüft? 5. Aus welchen naturschutzfachlichen und rechtlichen Gründen ging die Entscheidung ihrer Kenntnis nach zugunsten der Feuerbacher Heide aus bzw. gegen die geprüften Alternativstandorte? 6. Welche Gründe wurden gegen eine Verbringung der Mauereidechsen in ein mutmaßlich kostengünstigeres Habitat außerhalb des Stuttgarter Stadtgebiets angeführt, zum Beispiel auf der nahe am Fundort gelegenen Gemarkung der Stadt Esslingen? 7. Inwiefern sind die Neuansiedlung der Mauereidechsen und die dafür erforder - lichen baulichen Veränderungen im Zielhabitat zum Zeitpunkt des Beginns dieser Arbeiten im Juni 2017 ihrer Auffassung nach mit dem damals geltenden Planfeststellungsbeschluss vom 16. Mai 2017 (nicht mit dem nachträglichen Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 24. Juli 2017) und mit den §§ 3 und 4 der Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Naturschutzgebiet „Feuerbacher Heide-Dickenberg“ vom 2. September 2002 vereinbar gewesen? Kleine Anfrage der Abg. Gabriele Reich-Gutjahr FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Untertürkheimer Mauereidechsen in der Feuerbacher Heide Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2622 2 8. Wie wird sich die Neuansiedlung der Mauereidechsen auf die bisherige Beweidung des Gebiets durch Schafe und andere Schutz- und Pflegemaßnahmen auswirken? 9. Wie bewertet sie die Kritik von Fachleuten, wonach ein Großteil der Eidech - senpopulation die Umsiedlung aufgrund des damit verbundenen Stresses ohnedies nicht überleben wird? 10. Wie bewertet sie die Kritik, das neue Habitat der Mauereidechsen in der Feuerbacher Heide, die im städtischen Klimaatlas dezidiert als geschütztes Kaltluft -Erzeugungsgebiet ausgewiesen ist, sei für Reptilien aufgrund der mikroklimatischen Verhältnisse weitgehend ungeeignet? 11. 09. 2017 Reich-Gutjahr FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 Nr. 72-0141.5/44 beantwortet das Ministe - rium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch genau sind ihrer Kenntnis nach die Gesamtkosten für die infolge des Bahnprojekts erforderliche Umsiedlung der Mauereidechsen aus Stuttgart- Untertürkheim in die Feuerbacher Heide? Auf die Feuerbacher Heide werden Mauereidechsen umgesiedelt, die im Rahmen des 10. und 12. Planänderungsverfahren zum Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.6 a des Projekts Stuttgart 21 aus Bereichen in Ober- und Untertürkheim zur Vermeidung artenschutzrechtlicher Konflikte entnommen werden müssen. Die Maßnahme ist noch nicht abgeschlossen, daher können gegenwärtig noch keine Kos - tenangaben gemacht werden. 2. Wie viele Individuen werden im Zuge dessen umgesiedelt? Bislang wurden 390 adulte und 450 juvenile Mauereidechsen umgesetzt; die Umsiedlung wird 2018 fortgesetzt. Die Feuerbacher Heide kann aufgrund ihrer Größe und Habitateignung noch weitere Mauereidechsen aufnehmen. Der vom Eisenbahnbundesamt (EBA) erlassene Planfeststellungsbeschluss weist vor diesem Hintergrund ein Potenzial für die Verbringung von insgesamt 1.060 Mauereidechsen auf. Aus diesem Grund ist vorgesehen, dass im Zuge der 12. Planänderung des PFA 1.6 a im kommenden Jahr weitere Tiere auf die Feuerbacher Heide umgesiedelt werden. 3. Von welcher verantwortlichen Stelle und zu welchem Zeitpunkt wurde die Entscheidung zugunsten der Feuerbacher Heide ihrer Kenntnis nach getroffen? Die Genehmigung zur Umsiedlung resultiert aus den Änderungsplanfeststellungsbeschlüssen zur 10. Planänderung im PFA 1.6 a vom 24. Juli 2017 und zur 12. Plan - änderung im PFA 1.6 a vom 26. Juli 2017. Genehmigungsbehörde ist das Eisenbahnbundesamt . Die Beschlüsse können im Internet unter folgenden Links eingesehen werden: https://www.eba.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/PF/Beschluesse/ Baden_W/51_Stg21_PFA_1_6a_10_Pae.html sowie https://www.eba.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/PF/Beschluesse/ Baden_W/51_S21_PFA_1_6a_12_Pae.html. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2622 4. Welche möglichen alternativen Zielhabitate wurden ihrer Kenntnis nach vor der Umsiedlung der Mauereidechsen innerhalb und außerhalb der Landeshauptstadt Stuttgart geprüft? 5. Aus welchen naturschutzfachlichen und rechtlichen Gründen ging die Entscheidung ihrer Kenntnis nach zugunsten der Feuerbacher Heide aus bzw. gegen die geprüften Alternativstandorte? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Deutsche Bahn – Projekt Stuttgart–Ulm GmbH (DB PSU) als Vorhabenträgerin hat nach eigenen Angaben rund 200 bahneigene Flächen und Flächen Dritter innerhalb und außerhalb des Stadtgebietes Stuttgart auf ihre Eignung zur Verbringung von Mauereidechsen der Stuttgarter Population geprüft. Die untersuchten Flächen waren jedoch wegen artenschutzrechtlicher Konflikte, unzureichender Habitateignung, technischer Schwierigkeiten bei der Anlage notwendiger Habitatelemente oder wegen fehlender Verfügbarkeit von der DB PSU bzw. den Naturschutzbehörden als nicht geeignet eingestuft worden. Um den Projektzeitplan des Projekts einhalten zu können, wurde mangels geeigneter Alternativen auf die Feuerbacher Heide zurückgegriffen. Hierfür sprachen folgende Gründe: Die Feuerbacher Heide ist unter artenschutzfachlichen Gesichtspunkten für eine Umsiedlung geeignet. Sie bietet den umzusiedelnden Mauereidechsen – nach der Anlage notwendiger Habitatelemente – einen geeigneten Lebensraum und führt dabei nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung anderer, zum Teil ebenfalls streng geschützter Arten wie z. B. der Zauneidechse, da diese dort nicht vorkommt . Zudem befindet sich die Fläche innerhalb des zusammenhängenden Vorkommens der Mauereidechse im Stadtgebiet Stuttgart. Somit werden durch die Umsiedlung der Mauereidechsen keine Individuen dieser Population in weit abgelegene Flächen ohne direkten Zusammenhang zum bestehenden Vorkommen verbracht . Diese Lösung ist sowohl aus fachlicher als auch aus rechtlicher Sicht vorzugswürdig . Vor diesem Hintergrund ist die Umsiedlung der Mauereidechsen auf die Feuerbacher Heide aus naturschutzfachlichen Gründen und mangels fehlender geeigneter Alternativen auch aus naturschutzrechtlichen Gründen als geeignete Lösung anzusehen. 6. Welche Gründe wurden gegen eine Verbringung der Mauereidechsen in ein mutmaßlich kostengünstigeres Habitat außerhalb des Stuttgarter Stadtgebiets angeführt, zum Beispiel auf der nahe am Fundort gelegenen Gemarkung der Stadt Esslingen? Im Zusammenhang mit der Umsiedlung streng geschützter Arten sind naturschutzfachliche und -rechtliche Gründe bei der Festlegung geeigneter Umsiedlungsflächen maßgeblich. Kostenaspekte kommen lediglich im Rahmen der Zumutbarkeit zum Tragen. In der Öffentlichkeit wurde verschiedentlich eine Umsiedlung von Mauereidech - sen auf den auf der Gemarkung Esslingen liegenden Schenkenberg thematisiert. Nach ersten faunistischen Übersichtserhebungen wurde jedoch deutlich, dass in diesem Bereich eine stabile und überregional bedeutsame Zauneidechsenpopula - tion vorkommt. Die Zauneidechse ist streng geschützt. Ihr Erhaltungszustand wird als ungünstig eingestuft. Der Erhalt und die Entwicklung der Schenkenberger Zauneidechsenpopulation hat deshalb hohe Priorität. Unterschiedliche Untersuchungen und Beobachtungen anerkannter Fachleute deuten darauf hin, dass die Mauereidechse – geeignete klimatische Bedingungen vorausgesetzt – die Zaun - eidechse aus deren angestammten Revieren verdrängt. Eine Umsiedlung von mehreren hundert bis tausend Mauereidechsen auf den Schenkenberg kam somit nicht infrage, weil dies zu einer erheblichen Beeinträchtigung der gebietsansässigen Zauneidechsenpopulation und zur Verwirklichung eines artenschutzrecht - lichen Verbotstatbestands führen würde. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2622 4 7. Inwiefern sind die Neuansiedlung der Mauereidechsen und die dafür erforderlichen baulichen Veränderungen im Zielhabitat zum Zeitpunkt des Beginns dieser Arbeiten im Juni 2017 ihrer Auffassung nach mit dem damals geltenden Planfeststellungsbeschluss vom 16. Mai 2017 (nicht mit dem nachträglichen Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 24. Juli 2017) und mit den §§ 3 und 4 der Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart über das Naturschutzgebiet „Feuerbacher Heide-Dickenberg“ vom 2. September 2002 vereinbar gewesen? Ein gültiger Planfeststellungsbeschluss vom 16. Mai 2017 ist dem EBA nicht bekannt . Das Naturschutzgebiet „Feuerbacher Heide – Dickenberg“ liegt im Landkreis Böblingen. Das Ersatzhabitat für die Mauereidechsen auf der Feuerbacher Heide (Stuttgart) liegt nicht in einem Schutzgebiet. Das an das Ersatzhabitat angrenzende Landschaftsschutzgebiet „Feuerbacher Heide“ wird weder durch die durchgeführten baulichen Maßnahmen noch durch die Verbringung der Mauereidechsen beeinträchtigt . 8. Wie wird sich die Neuansiedlung der Mauereidechsen auf die bisherige Beweidung des Gebiets durch Schafe und andere Schutz- und Pflegemaßnahmen auswirken ? Nach derzeitiger Kenntnis ist vorgesehen, die Beweidung durch Schafe auf der Fläche fortzusetzen. Damit kann die – auch für die Mauereidechsen erforderliche – Offenhaltung der Fläche gewährleistet werden. Aus diesem Grund wurde bei der Gestaltung der Ersatzhabitatfläche darauf geachtet, die Habitatelemente so anzulegen , dass sowohl eine Beweidung als auch eine Mahd durchgeführt werden kann. Das dauerhafte Pflegekonzept muss der jeweiligen Entwicklung angepasst und mit den dafür zuständigen Behörden und Ämtern bei der Stadt Stuttgart abgestimmt werden. Die Zugänglichkeit der Fläche für die Öffentlichkeit bleibt nach Abschluss der Bauarbeiten weiterhin erhalten. 9. Wie bewertet sie die Kritik von Fachleuten, wonach ein Großteil der Eidech - senpopulation die Umsiedlung aufgrund des damit verbundenen Stresses ohnedies nicht überleben wird? Der Fang und die Umsiedlung von Mauereidechsen lösen bei den betroffenen Tieren Stress aus. Aus diesem Grund ist es von besonderer Bedeutung, dass der Fang, der Umgang mit den Tieren im Zusammenhang mit dem Transport und der Aussetzung so schonend wie möglich erfolgen. Daher sollte der Fang von Repti - lien grundsätzlich nur durch ausgewiesene der Feldherpetologinnen und Feldherpetologen mit einschlägiger Erfahrung im Eidechsenfang durchgeführt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass ein möglichst schonendes und stressreduziertes Umsiedeln der Tiere erfolgt. Dementsprechend führt die Vorhabenträgerin den gesamten Umsiedlungsprozess mit geschultem Fachpersonal nach den anerkannten Methoden durch. Der Verlust einzelner Tiere nach dem Ausbringen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Allerdings weisen Jungtiere ohnehin eine sehr hohe natürliche Sterblichkeitsrate auf. Die Entwicklung der Population wird durch ein enges fachgutachterliches Monitoring nach Vorgaben der Fachbehörden begleitet. Sollten sich wider Erwarten Fehlentwicklungen andeuten, können diese frühzeitig erkannt und geeignete Gegenmaßnahmen abgestimmt und ergriffen werden. Die Kritik, wonach ein Großteil der Eidechsenpopulation eine Umsiedlung aufgrund des damit verbundenen Stresses ohnedies nicht überleben werde, wird in dieser Pauschalität nicht geteilt, da für den Erfolg einer Umsiedlung zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen. Im vorliegenden Fall stellt die Umsiedlung die gegenüber dem Verbleib der Tiere im Baufeld schonendere Maßnahme dar. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2622 10. Wie bewertet sie die Kritik, das neue Habitat der Mauereidechsen in der Feuerbacher Heide, die im städtischen Klimaatlas dezidiert als geschütztes Kaltluft -Erzeugungsgebiet ausgewiesen ist, sei für Reptilien aufgrund der mikroklimatischen Verhältnisse weitgehend ungeeignet? Auch wenn die Feuerbacher Heide als Kaltluft-Enstehungsgebiet eingestuft ist, so steht dies einer Eignung als Habitat für Mauereidechsen nicht entgegen. Bei der Anlage der Habitatelemente auf der Feuerbacher Heide wurde auf eine optimale Ausrichtung geachtet, um eine möglichst lange Besonnung der Flächen zu gewährleisten . Die gesteinsreichen Habitatelemente bieten genügend Aufwärmungspotenzial und Rückzugsbereiche für die Mauereidechsen, sodass von keinen nachteiligen Auswirkungen eines möglichen nachteiligen mikroklimatischen Effektes auf die Mauereidechsen auszugehen ist. Aus stadtklimatischer Sicht stellt die Maßnahme keinen erheblichen Eingriff dar. Die nächtliche Wärmeabstrahlung und damit die Abkühlung der Oberflächen ist nicht beeinträchtigt. Klimatische Untersuchungen zu Stuttgart 21 (Gleisbett) haben gezeigt, dass sich Schotterflächen zwar tagsüber stärker erwärmen, aber nachts im Vergleich zu Baumasse/versiegelten Flächen auch stark abkühlen. Die Nutzung der Feuerbacher Heide als artenschutzrechtliche Ausgleichsfläche sichert die dauerhafte Offenhaltung dieser Fläche auch in ihrer Funktion als Kaltluftentstehungsfläche . In Vertretung Dr. Baumann Staatssekretär