Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2629 13. 09. 2017 1Eingegangen: 13. 09. 2017 / Ausgegeben: 02. 11. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Fälle von Verhaltensauffälligkeiten und Tätlichkeiten bis hin zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten durch Flüchtlinge sind ihr im Enzkreis seit 2015 bekannt? 2. Welche polizeilich erfassten Informationen liegen ihr zu dem 22-jährigen Herrn N. aus Gambia, der am 9. September 2017 nackt in Öschelbronn aufgegriffen wurde, vor? 3. Was wurde nach dem gewaltsamen Übergriff von Herrn N. aus Gambia im Landratsamt des Enzkreises in Pforzheim am 17. Juli 2017 unternommen? 4. Welche Auswirkungen haben Verfehlungen, wie z. B. von Herrn N. oder an - dere Verhaltensauffälligkeiten oder Tätlichkeiten bis hin zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, generell auf das Asylverfahren bzw. den Aufenthaltsstatus eines Flüchtlings? 5. Welche Maßnahmen und Sanktionen können bei wiederholtem Fehlverhalten von Flüchtlingen durch Staatsanwaltschaft, Polizei, Landratsamt, Kommune oder andere Stellen ergriffen werden? 6. Wie viele Flüchtlinge aus dem Enzkreis sind derzeit in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht? 7. Welche Kosten fallen bei einem Aufenthalt in der Psychiatrie an (aufgeteilt nach Kostenträger)? 8. Sind ihr Fälle bekannt, bei denen durch gezielte Straftaten versucht wurde, die Abschiebung zu verhindern? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Behandlung von verhaltensauffälligen und tätlich gewordenen Flüchtlingen im Enzkreis Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 2 9. Inwieweit hat ein laufendes Ermittlungsverfahren bzw. ein Strafurteil Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus bzw. eine drohende Abschiebung? 10. Inwieweit kann auf die Strafverfolgung im Sinne des Strafrechtsanspruchs des Staates verzichtet werden, um eine angesetzte Abschiebung zu vollziehen bzw. kein Abschiebehemmnis zu schaffen? 13. 09. 2017 Dr. Schweickert FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 10. Oktober 2017 Nr. 3-13.533/1 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Ministe - rium der Justiz und für Europa sowie dem Ministerium für Soziales und Integra - tion die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Fälle von Verhaltensauffälligkeiten und Tätlichkeiten bis hin zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten durch Flüchtlinge sind ihr im Enzkreis seit 2015 bekannt? Zu 1.: Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) handelt es sich um eine sogenannte reine Ausgangsstatistik, in der strafrechtlich relevante Sachverhalte nach der polizeilichen Sachbearbeitung vor Abgabe an die Strafverfolgungsbehörden erfasst werden. Ordnungswidrigkeiten oder „Verhaltensauffälligkeiten“, insofern diese keine strafbaren Handlungen darstellen, finden in der PKS keine Berücksichtigung . Die PKS Baden-Württemberg weist für die Jahre 2015 und 2016 für den Enzkreis nachfolgende Anzahl an aufgeklärten Fällen, darunter auch gefährliche/ schwere und vorsätzliche, leichte Körperverletzungen, unter Beteiligung von mindestens einem Tatverdächtigen (TV) Asylbewerber/Flüchtling1 aus: _____________________________________ 1 Tatverdächtige mit dem Aufenthaltsstatus Asylbewerber, Duldung vorhanden, Kontingent-/ Bürgerkriegsflüchtling und unerlaubter Aufenthalt. 6WUDIWDWHQ JHVDPW 6WUDIWDWHQ RKQH DXVOlQGHUUHFKWOLFKH 9HUVW|‰H 6WUDIWDWHQ JHJHQ GDV /HEHQ 6WUDIWDWHQ JHJHQ GLH VH[XHOOH 6HOEVWEHVWLPPXQJ 5RKKHLWVGHOLNWH 6WUDIWDWHQ JHJHQ GLH SHUV|QOLFKH )UHLKHLW ± GDYRQ JHIlKUOLFKH VFKZHUH .|USHUYHUOHW]XQJ ± GDYRQ YRUVlW]OLFKH OHLFKWH .|USHUYHUOHW]XQJ 'LHEVWDKO LQVJHVDPW ± GDYRQ 'LHEVWDKO RKQH HUVFKZHUWH 8PVWlQGH ± GDYRQ 'LHEVWDKO XQWHU HUVFKZHUWHQ 8PVWlQGHQ 9HUP|JHQV XQG )lOVFKXQJVGHOLNWH 6RQVWLJH 6WUDIWDWEHVWlQGH 6W*% 6WUDIUHFKWOLFKH 1HEHQJHVHW]H 5DXVFKJLIWNULPLQDOLWlW 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 Im Jahr 2016 wurden 67,9 % der Körperverletzungen unter Beteiligung von mindestens einem TV Asylbewerber/Flüchtling innerhalb von Asylunterkünften bzw. Aufnahmeeinrichtungen begangen. 2015 lag dieser Anteil bei 44,0 %. Die dargestellte Fallzahlenentwicklung ist im Kontext der insgesamt gestiegenen Anzahl an Flüchtlingen zu bewerten. Für das Jahr 2017 zeichnet sich im Enzkreis bislang ein deutlicher Rückgang der Straftaten durch tatverdächtige Zuwanderer ab. Die Anzahl der Körperverletzungen entspricht dabei dem Vorjahresniveau, wohingegen die Eigentumskriminalität sowie die Vermögens- und Fälschungsdelikte deutliche Rückgänge aufweisen. 2. Welche polizeilich erfassten Informationen liegen ihr zu dem 22-jährigen Herrn N. aus Gambia, der am 9. September 2017 nackt in Öschelbronn aufgegriffen wurde, vor? 3. Was wurde nach dem gewaltsamen Übergriff von Herrn N. aus Gambia im Landratsamt des Enzkreises in Pforzheim am 17. Juli 2017 unternommen? Zu 2. und 3.: Gegen die in Rede stehende Person liegen den Ermittlungsbehörden Erkenntnisse, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz , Beleidigungen und Erschleichen von Leistungen in der Vergangenheit vor. Da die in Rede stehende Person schon mehrmals negativ im Asylbewerberleis - tungsbereich des Landratsamtes Enzkreis aufgefallen war, erhielt sie in Abstimmung mit der Polizei ein schriftliches Hausverbot. Vorsprachen sind ihr nur nach telefonischer Voranmeldung bzw. Vereinbarung genehmigt. Am 17. Juli 2017 sprach die Person ohne Terminabsprache beim Leistungsbereich vor. Dies hatte zur Folge, dass der Leistungsbereich eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattete . Im Rahmen der unmittelbar nach dem genannten Vorfall folgenden Anzeigenaufnahme wurde der in Rede stehende Beschuldigte für die erforderlichen strafprozessualen Maßnahmen zunächst zum örtlich zuständigen Polizeirevier verbracht. Bei dem Beschuldigten wurde in Folge eine sogenannte „Gefährder - ansprache“ durchgeführt. Der Beschuldigte wurde im Anschluss an die Maßnahmen entlassen. Die Ermittlungen dauern derzeit an. Zudem ist im Landratsamt Enzkreis ein Mitarbeiter einer Security-Firma in den Schalterbereichen des Amtes für Migration und Flüchtlinge präsent, der mögliche Eskalationen unterbinden soll. 4. Welche Auswirkungen haben Verfehlungen, wie z. B. von Herrn N. oder andere Verhaltensauffälligkeiten oder Tätlichkeiten bis hin zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, generell auf das Asylverfahren bzw. den Aufenthaltsstatus eines Flüchtlings? Zu 4.: Grundsätzlich gilt, dass Ausländer bzw. Asylbewerber erst nach dem abgelehnten Asylantrag und vollziehbarer Ausreisepflicht abgeschoben werden können. Ge - mäß § 60 Abs. 8 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) entfällt der Abschiebungsschutz für anerkannte Flüchtlinge oder Ausländer, die um Schutz nachsuchen, wenn sie rechtkräftig zu mindestens drei Jahren Strafhaft verurteilt worden sind oder sie aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesre - publik Deutschland anzusehen sind. Die von § 60 Abs. 8 AufenthG geschützte Sicherheit der Bundesrepublik umfasst den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt oder Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein. Von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG, aus dem sich der Abschiebungsschutz für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte ergibt, kann darüber hinaus gemäß § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrt- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 4 heit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist. Die Abschiebung dieser Personen setzt zudem voraus, dass die Person im Herkunftsland nicht konkret gefährdet ist, weil sonst die in § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenth G vorgesehenen Abschiebungsverbote greifen. Weitere Voraussetzung einer Abschiebung ist, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist, § 58 AufenthG. Anerkannte Flüchtlinge besitzen in aller Regel ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG. Vor einer Abschiebung müsste daher zunächst die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet werden. Dies erfolgt entweder über den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG, durch das Bundesamt für Migration und Flücht - linge oder mittels einer Ausweisung gem. § 53 AufenthG durch die zuständige Ausländerbehörde. Eine Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn der Betroffene eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist, § 53 Abs. 3 AufenthG. Wann diese Schwelle erreicht wird, ist allerdings gesetzlich nicht näher definiert. 5. Welche Maßnahmen und Sanktionen können bei wiederholtem Fehlverhalten von Flüchtlingen durch die Staatsanwaltschaft, Polizei, Landratsamt, Kommune oder andere Stellen ergriffen werden? Zu 5.: Sofern ein „Fehlverhalten“ zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat bietet, leitet die zuständige Staatsanwaltschaft gemäß § 152 der Strafprozessordnung (StPO) ein Ermittlungsverfahren ein. Die Staatsanwaltschaft prüft anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls, ob die Voraussetzungen zur Erhebung der öffentlichen Klage vorliegen oder die Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts einzustellen sind oder ob von der Verfolgung aus anderen Gründen – ggfs. unter Auflagen und Weisungen und ggfs. mit oder ohne Zustimmung des Gerichts – abzusehen ist. Tat- und schuldangemessene Sanktionen für strafrechtlich relevantes Fehlverhalten werden von Strafgerichten verhängt. Auf Ebene der Polizei wurden seit Beginn des Jahres 2016 bei neun regionalen Polizeipräsidien sogenannte „Intensivtäterprogramme“ in Form von Ermittlungsgruppen oder auf örtlicher Sachbearbeiterebene initiiert. Ziel dieser Programme sind das zeitnahe Erkennen und die konsequente Bekämpfung von Mehrfach- und Intensivtätern unter Bündelung der personenbezogenen Erkenntnisse, die Einleitung täterorientierter Ermittlungen unter Ausschöpfung der strafprozessualen Möglichkeiten und die Prüfung bzw. Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Sofern im Übrigen konkrete Hinweise auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen, führt die Polizei Baden-Württemberg langeangepasste ggf. personenbezogene offene und bzw. oder verdeckte Maßnahmen der Gefahrenabwehr durch. Im Hinblick auf Konsequenzen den Aufenthaltsstatus betreffend wird auf die Ausführungen zu Frage 4 verwiesen. In Baden-Württemberg ankommende Asylbewerber werden durch das Land zu - nächst im Rahmen der Erstaufnahme und anschließend in der vorläufigen Unterbringung gemeinschaftlich untergebracht. Spannungen, Konflikte oder Fehlverhalten zwischen den Bewohnern selbst, aber auch zwischen Bewohnern und dem Betreuungs- oder Sicherheitspersonal bzw. Dritten können bei einer gemeinsamen Unterbringung von Personen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Bleibe - perspektive auf begrenztem Raum nicht ausgeschlossen werden. Daher findet z. B. in der Erstaufnahme ein regelmäßiger Informationsaustausch in Jour Fixes zwischen Regierungspräsidium und allen in der Erstaufnahme Mitwirkenden wie z. B. Sicherheitsberater, Polizei, Sicherheitsdienst, Sozial- und Verfahrensberatern und Streetworkern statt, um schnell und wirksam reagieren zu können. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 Beim Verdacht strafbarer Handlungen wird grundsätzlich Strafanzeige erstattet („Null Toleranz Vorgehen“). Identifizierte Störer oder Problemgruppen können auch in separaten Wohneinheiten untergebracht werden. Zur Auflösung verfestigter Gruppenstrukturen hat sich das Mittel der Querverlegung in andere Erstaufnahmeeinrichtungen bewährt. Weiter sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsunternehmen im deeskalierenden Umgang mit auffälligen Personen geschult; die Ausstattung des Sicherheitsdienstes erfolgt mit der Zielrichtung der Deeskalation. Beim Zutritt der Bewohner in die Einrichtung erfolgt eine Einlasskontrolle, bei der nicht zugelassene Gegenstände einbehalten werden. Sichtlich alkoholisierte Personen werden am Zugang zur Erstaufnahmeeinrichtung gehindert und für die Dauer der Alkoholisierung gesondert untergebracht. Sofern es dabei zu aggressivem Verhalten kommt, werden diese Personen auch dem Polizeivollzugsdienst (PVD) übergeben. Regelmäßig erfolgen zudem Zimmerkontrollen durch die Sicherheitsdienste . Mögliche weitere Maßnahmen, um bei Konflikten bzw. Fehlverhalten oder ggfs. auch präventiv tätig zu werden, sind: – Verschärfung der Hausordnung (z. B. Glasverbote), – Entfernung von gefährlichen Gegenständen auf dem Gelände (z. B. Steine und Wurfgeschosse), – Intensivierung der polizeilichen Präsenz, – Einsatz von Sicherheitsberatern, – Einsatz von Sozial- und Verfahrensberatern sowie Streetworkern, – Dokumentation von relevanten Vorfällen für Betreiber, PVD u. a., – Videoüberwachung. Auch bei der baulichen Ausstattung von Erstaufnahmeeinrichtungen werden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur präventiven Vermeidung bekannter Problemstellungen berücksichtigt. Dies können sein: – Vandalismusprävention, – Steckdosen nur für Geräte mit niedriger Spannung, ggf. nur mit USB Anschluss , – keine abgehängten Decken zur Vermeidung von Verstecken für Waffen und Drogen etc., – keine Kochmöglichkeiten, stattdessen Alternativmöglichkeiten zum Erwärmen von Wasser usw., z. B. in öffentlich zugänglichen und mit Sicherheitspersonal besetzten Räumen, – Umprogrammieren der Brandmeldeanlagen, damit unbefugte Alarmierungen sofort vom Sicherheitsdienst kontrolliert werden können, bevor diese an die Feuerwehr durchschlagen. Neben Sanktionen sind auch Mittel zur Beschäftigung und sinnvollen Tagesstrukturierung der Bewohner geeignete präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlverhalten und Konfliktsituationen. Auch die unteren Aufnahmebehörden, Landratsämter und Bürgermeisterämter der Stadtkreise, die die Asylbewerber vorläufig unterbringen, ergreifen umfassende Maßnahmen, um Fehlverhalten und Konflikten im Vorfeld vorzubeugen bzw. frühzeitig entgegenzuwirken. So wird häufig durch gezielte Belegung der Unterkünfte Konfliktpotenzial aufgrund unterschiedlicher ethnischer, religiöser oder kultureller Zugehörigkeiten vorgebeugt. Zudem haben die unteren Aufnahmebehörden eine qualifizierte Flüchtlingssozialarbeit zu gewährleisten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Flüchtlingssozialarbeit wirken deeskalierend auf die Bewohnerinnen und Bewohner ein und geben sozialarbeiterische Hilfestellungen . Neben den Flüchtlingssozialarbeitern sind auch die Unterkunftsleitungen oftmals vor Ort und stehen den untergebrachten Personen als Ansprechpartner zur Verfügung. Die Flüchtlingssozialarbeiter, Unterkunftsleitungen und überwiegend Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 6 auch die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sensibilisiert, Konflikte wahrzunehmen und diesen frühzeitig entgegenzuwirken. Sofern Anhaltspunkte für etwaige Unstimmigkeiten zwischen den Asylbewerbern bestehen, können diese daher rechtzeitig erkannt und eine Eskalation durch entsprechende Maßnahmen (Aufklärungsarbeit, Ansprachen, Meldung von Verdachtsfällen an die Polizei) verhindert werden. Außerdem sind in einigen Gemeinschaftsunterkünften Sicherheitsdienste eingesetzt, die bei Fehlverhalten eingreifen und zumeist dazu angehalten sind, Problemlagen in den Unterkünften zu dokumentieren bzw. den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort mitzuteilen. Sollte es trotz dieser Maßnahmen zu Fehlverhalten bzw. wiederholtem Fehlverhalten der untergebrachten Personen kommen, bei dem die örtliche Polizeidienststelle nicht hinzugezogen werden muss, wie z. B. bei Verstößen gegen die Hausordnung oder bei kleineren Konflikten, haben die unteren Aufnahmebehörden die Möglichkeit, die Person in eine andere Unterkunft oder einen anderen Gebäudeteil zu verlegen. 6. Wie viele Flüchtlinge aus dem Enzkreis sind derzeit in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht? 7. Welche Kosten fallen bei einem Aufenthalt in der Psychiatrie an (aufgeteilt nach Kostenträger)? Zu 6. und 7.: Zum Zeitpunkt der Stellungnahme gilt dies für drei Personen. Die Pflegesätze bewegen sich zwischen 205,20 Euro und 305,37 Euro pro Tag. Die Frage der Kostenträgerschaft ist abhängig vom jeweiligen Aufenthalts- bzw. Versichertenstatus der einzelnen Person. Angesichts der geringen Anzahl an Personen wird aus datenschutzrechtlichen Gründen auf eine Aufschlüsselung verzichtet. 8. Sind ihr Fälle bekannt, bei denen durch gezielte Straftaten versucht wurde, die Abschiebung zu verhindern? Zu 8.: Straftaten im Zusammenhang mit Abschiebungen werden statistisch nicht explizit ausgewiesen. Gleichwohl kommt es im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen in Einzelfällen zu strafbaren Handlungen. Nach Auskunft der bei den regionalen Polizeipräsidien Freiburg, Ludwigsburg, Offenburg und Reutlingen angesiedelten Abschiebegruppen wurden seit dem Jahr 2015 in wenigen Einzelfällen Straftaten begangen, um die drohende Abschiebung zu verhindern. Die Band - breite umfasst vorwiegend Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Körperverletzung sowie Sachbeschädigung. In der überwiegenden Anzahl der Fälle konnte die Abschiebung dennoch vollzogen werden. In wenigen Fällen ist es zu zeitlichen Verzögerungen gekommen. 9. Inwieweit hat ein laufendes Ermittlungsverfahren bzw. ein Strafurteil Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus bzw. eine drohende Abschiebung? Zu 9.: Die Abschiebung eines Ausländers, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft erfolgen. Wird das Einvernehmen nicht erteilt, ist eine Abschiebung erst mit Abschluss der Ermittlungen bzw. mit rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens möglich. Befindet sich ein Ausländer in Haft, ist eine Abschiebung nur möglich, wenn die Staatsanwaltschaft von der weiteren Vollstreckung absieht. 7 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 Ein Ermittlungsverfahren hat zunächst keinen Einfluss auf den Aufenthaltsstatus eines Ausländers, bis zum Abschluss der Ermittlungen bzw. bis zur Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung ist jedoch die Entscheidung über die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels auszusetzen. Im Falle einer Verurteilung kann ein Ausweisungsinteresse gegeben sein, das zu einer Ausweisung oder Versagung eines Aufenthaltstitels führt. 10. Inwieweit kann auf die Strafverfolgung im Sinne des Strafrechtsanspruchs des Staates verzichtet werden, um eine angesetzte Abschiebung zu vollziehen bzw. kein Abschiebehemmnis zu schaffen? Zu 10.: Gemäß § 154 b Abs. 3 StPO kann von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen werden, wenn der Beschuldigte aus dem Geltungsbereich dieses Bundes - gesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird. Der gleiche Grundgedanke ist in § 456 a StPO und § 17 Strafvollstreckungsordnung im Hinblick auf den Vollstreckungsanspruch des Staates enthalten. Die Auslieferung des Beschuldigten an das Ausland muss bewilligt oder die Ausweisung vollziehbar angeordnet sein. Ausweisungs- und Abschiebungsverfahren verlaufen parallel zum und unabhängig vom Strafverfahren. Das im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegende Absehen von der Strafverfolgung und/oder der Strafvollstreckung kommt also nur in Betracht, wenn die ausländerrechtlichen Maßnahmen bereits bestandskräftig angeordnet worden sind und demnächst auch durchgeführt werden sollen. Einer Ausweisung (§§ 53 ff. AufenthG) stehen die Pflicht zur Ausreise (§ 50 AufenthG), die Zurückschiebung (§ 57 AufenthG), die Abschiebung (§ 58 AufenthG), die Abschiebungsanordnung (§ 58 a AufenthG) und die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 5 Absatz 5 des Freizügigkeitsgesetzes /EU – FreizügG/EU – und § 6 FreizügG/EU gleich. Die Länder haben Richtlinien erlassen, die das Absehen von der Vollstreckung grundsätzlich von der Verbüßung der Hälfte der Strafe abhängig macht, in Baden- Württemberg ist das die Verwaltungsvorschrift vom 29. Juni 2011 über das Ab - sehen von der Verfolgung gemäß § 154 b StPO und von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO bei Ausländern, die ausgeliefert oder ausgewiesen werden sollen (Die Justiz 2011, 197). Danach kommt ein Absehen von der Strafverfolgung auch schon vor Abschluss der Ermittlungen in Betracht, wenn die wesentlichen Beweise gesichert sind und eine Einstellung des Verfahrens nach anderen Vorschriften ausscheidet. Gebietet das öffentliche Interesse wegen der Schwere der Tat oder der Gefährlichkeit des Beschuldigten die Durchführung des Strafverfahrens und die Strafvollstreckung, ist § 154 b StPO grundsätzlich nicht anzuwenden. Dies gilt insbesondere in Verfahren wegen Straftaten gegen das Leben, wegen Menschenhandels oder vergleichbar schwerer Delikte, wegen gewerbs- und bandenmäßig begangener Straf - taten, gegen Beschuldigte, die nach Ausweisung unerlaubt erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind sowie wegen einer Straftat des Einschleusens von Ausländern nach § 96 AufenthG. Bei einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ist in der Regel nach Verbüßung der Hälfte von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Von der Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe kann ganz oder schon vor Verbüßung der Hälfte abgesehen werden, wenn neben der Verurteilung eine in dem Verfahren erlittene Freiheitsentziehung oder die Auslieferung oder Ausweisung selbst zur Einwirkung auf den Verurteilten und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheinen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Verurteilte für die abgeurteilte oder für eine andere Tat im Ausland eine weitere Strafe zu erwarten hat. Ein Absehen von der Vollstreckung vor Verbüßung der Hälfte kommt insbesondere in Betracht, wenn bei Fortsetzung der Vollstreckung mit der bedingten Entlassung des Verurteilten gemäß § 57 Absatz 2 Strafgesetzbuch (StGB) zum Halb strafenzeipunkt zu rechnen wäre oder die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war und der Widerruf der Bewährungsaussetzung allein auf der Verletzung von Auflagen und Weisungen oder auf einer neuen Straftat beruht, die nicht zu einer Freiheitsstrafe geführt hat. Bei lebenslanger Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2629 8 Freiheitsstrafe kommt ein Absehen von der weiteren Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von 15 Jahren in Betracht. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration