Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2724 21. 09. 2017 1Eingegangen: 21. 09. 2017 / Ausgegeben: 09. 11. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Inwieweit vermag sie die Rahmenbedingungen, ein verkaufsoffener Sonntag brauche gemäß § 8 Absatz 1 Ladenöffnungsgesetz (LadÖG) den Anlass eines Festes, Marktes, einer Messe oder ähnlichen Veranstaltung zu präzisieren, um Städten, Gemeinden und Interessengemeinschaften Gewerbetreibender klare Anleitungen an die Hand geben zu können, wie diese Anlässe ausgestaltet werden müssen, um den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage gemäß Artikel 140 Grundgesetz (GG) i. V. m. Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) zu wahren? 2. Inwieweit stimmt sie der Aussage zu, ein über Jahre hinweg regelmäßig durchgeführter verkaufsoffener Sonntag mit kleineren Side-Events beispielsweise in einem Industriegebiet sei aufgrund der Regelmäßigkeit, diesen halbjährlich oder jährlich durchzuführen bereits eine, zu einem Fest, einem Markt oder einer Messe ähnliche Veranstaltung, die deshalb nicht in Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember (1 BvR 2857/07) steht, das besagt, eine Ladenöffnung müsse eine Ausnahme darstellen, sowie Umsatz - und Einkaufsinteresse allein könnten keine Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen rechtfertigen? 3. Wie viele Fälle sind ihr bekannt, in denen die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Klage gegen verkaufsoffene Sonntage erhoben hat? 4. In wie vielen dieser Fälle wurde von ver.di ein Eilverfahren angestrebt? 5. In wie vielen dieser Fälle wurde daraufhin kein verkaufsoffener Sonntag durchgeführt (aufgeschlüsselt nach untersagten sowie vorsorglich vonseiten der Beklagten bzw. betroffenen Unternehmen selbst abgesagten Fällen)? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Bedingungen für die rechtssichere Durchführung von verkaufsoffenen Sonntagen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2724 2 6. Wie bewertet sie die Praxis der Beklagung von verkaufsoffenen Sonntagen der Gewerkschaft ver.di unter Einbezug von Zeitpunkt und Art der Klageerhebung hinsichtlich der Schädigung von unternehmerischen Interessen der ansässigen Gewerbetreibenden sowie des Wegfalls von Sonn- bzw. Feiertagszuschlägen für die Arbeitnehmer in den betreffenden Unternehmen? 7. Inwieweit wurden von ihr bereits Gespräche mit dem Handelsverband Deutsch - land (HDE) und der Gewerkschaft ver.di geführt, mit dem Ziel, eine dem Handel zuträgliche Lösung zum weniger restriktiven Ermöglichen von zumindest zwei bis drei verkaufsoffenen Sonntagen pro Jahr zu ermöglichen? 8. Inwieweit plant sie, das Ladenöffnungsgesetz Baden-Württemberg (LadÖG) dahingehend zu überarbeiten, dass es Gemeinden bzw. Stadtteilen ermöglicht, die Voraussetzungen für den benötigten Anlass eines Festes, Marktes, einer Messe oder ähnlichen Veranstaltung durch eine weniger restriktive Gesetzgebung an zwei bis drei Sonntagen im Jahr so gering fassen zu können, dass es beispielsweise auch Industriegebieten mit großflächigem Handel aber wenigen historisch gewachsenen Veranstaltungen mit Markt- oder Festcharakter leichter ermöglicht wird, rechtssicher verkaufsoffene Sonntage durchzuführen? 20. 09. 2017 Dr. Rülke FDP/DVP B e g r ü n d u n g Verkaufsoffene Sonntage bieten für viele Städte, Gemeinden, Stadtteile, ansässige Vereine und Gewerbetreibende die Möglichkeit, sich und den Einzelhandel attraktiv zu präsentieren. Sie sind ein wichtiges Instrument für den Einzelhandel, sich von Online-Mitbewerbern abzugrenzen und verbinden gesellschaftliches Treiben mit der Möglichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher, sich umfassend zu informieren. Diese Möglichkeit der Aufwertung von Einzelhandelsstand - orten ist deshalb sehr sinnvoll. Durch viele erhobene Klagen gegen verkaufs - offene Sonntage herrscht im Handel allerdings eine gewisse Unsicherheit, unter welchen Bedingungen – und damit einhergehend – zu welchen Kosten verkaufsoffene Sonntage durchgeführt werden können. Die Rückmeldungen der einzelnen Gemeinden, die im Zuge des Antrags Drucksache 16/1364 angeschrieben wurden, wie viele verkaufsoffene Sonntage durchgeführt wurden, lassen den Schluss zu, dass der Wunsch vonseiten der Gemeinden, die Anzahl verkaufsoffener Sonntage pro Jahr zu erhöhen, nicht hochgradig ausgeprägt ist. Allerdings stellt sich für viele beklagte Gemeinden und die jeweiligen Gewerbetreibenden die Art und Weise des Vorgehens der Gewerkschaft ver.di sowie die unsicheren gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Durchführung von verkaufsoffenen Sonntagen als Problem dar. Die Kleine Anfrage soll ergründen, inwieweit dem abgeholfen werden kann. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2724 A n t w o r t Mit Schreiben vom 17. Oktober 2017 Nr. 68-5515.0 beantwortet das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Inwieweit vermag sie die Rahmenbedingungen, ein verkaufsoffener Sonntag brauche gemäß § 8 Absatz 1 Ladenöffnungsgesetz (LadÖG) den Anlass eines Festes, Marktes, einer Messe oder ähnlichen Veranstaltung zu präzisieren, um Städten, Gemeinden und Interessengemeinschaften Gewerbetreibender klare Anleitungen an die Hand geben zu können, wie diese Anlässe ausgestaltet werden müssen, um den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage gemäß Artikel 140 Grundgesetz (GG) i. V. m. Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV) zu wahren? Zu 1.: Die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Absatz 1 LadÖG ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 140 GG i. V. m. Artikel 139 WRV geprägt. Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere in seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 (Az.: 1 BvR 2857/07) abstrakte Kriterien formuliert , die für eine Verkaufsöffnung an Sonn- und Feiertagen erfüllt sein müssen. Diese abstrakten Kriterien wurden in der Folge von weiterer höchstrichterlicher Rechtsprechung der obersten Verwaltungsgerichte der Länder sowie des Bundesverwaltungsgerichts konkreter ausgelegt. Die individuelle Prüfung des jeweiligen Einzelfalls anhand dieser Kriterien erfolgt durch die zuständige Behörde, die Entscheidung über die verbindliche Auslegung der Kriterien im Lichte des Grundgesetzes liegt bei der Rechtsprechung. Die Möglichkeit einer weitergehenden Präzisierung der Rahmenbedingungen seitens des WM beschränkt sich vor diesem Hintergrund auf die Darstellung des aktuellen Stands der Rechtsprechung. 2. Inwieweit stimmt sie der Aussage zu, ein über Jahre hinweg regelmäßig durchgeführter verkaufsoffener Sonntag mit kleineren Side-Events beispielsweise in einem Industriegebiet sei aufgrund der Regelmäßigkeit, diesen halbjährlich oder jährlich durchzuführen bereits eine, zu einem Fest, einem Markt oder einer Messe ähnliche Veranstaltung, die deshalb nicht in Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember (1 BvR 2857/07) steht, das besagt, eine Ladenöffnung müsse eine Ausnahme darstellen, sowie Umsatzund Einkaufsinteresse allein könnten keine Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen rechtfertigen? Zu 2.: Ob eine Veranstaltung eine Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen rechtfertigt, ist eine Frage des Einzelfalls. Die in der Frage genannten Merkmale der hypothetischen Veranstaltung reichen nicht aus, um eine rechtliche Bewertung dieser Aussage vornehmen zu können. 3. Wie viele Fälle sind ihr bekannt, in denen die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Klage gegen verkaufsoffene Sonntage erhoben hat? Zu 3.: Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau führt keine Statistik über Klagen gegen verkaufsoffene Sonntage. Es hat daher lediglich von veröffentlichten Urteilen Kenntnis, in denen die Parteien nur ausnahmsweise – insbesondere in Pressemitteilungen der Gerichte oder von Prozessbeteiligten – mit vollständigem Namen genannt werden. Bisher sind aus Pressemitteilungen der Gerichte zwei Entscheidungen in Baden- Württemberg bekannt, in der die Gewerkschaft ver.di als Klägerin namentlich genannt wird: Dies sind zwei Beschlüsse des VGH Mannheim vom 13. März 2017 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2724 4 (Az. 6 S 297/17 – Herrenberg; 6 S 309/17 – Ludwigsburg). Aus einer Presse - mitteilung von ver.di selbst ist ferner bekannt, dass vom VGH Mannheim am 28. April 2017 aufgrund einer Klage von ver.di eine Sonntagsöffnung in Baden- Baden untersagt wurde. 4. In wie vielen dieser Fälle wurde von ver.di ein Eilverfahren angestrebt? Zu 4.: In allen drei unter Ziffer 3 genannten Fällen wurden Eilverfahren betrieben. 5. In wie vielen dieser Fälle wurde daraufhin kein verkaufsoffener Sonntag durchgeführt (aufgeschlüsselt nach untersagten sowie vorsorglich vonseiten der Beklagten bzw. betroffenen Unternehmen selbst abgesagten Fällen)? Zu 5.: Im Verfahren gegen die Stadt Baden-Baden wurde die Durchführung des verkaufsoffenen Sonntags laut Pressemitteilung von ver.di vom VGH Mannheim untersagt. In den beiden Beschlüssen betreffend die Städte Ludwigsburg und Herrenberg wurden die Anträge von ver.di im Eilverfahren jedoch abgelehnt, sodass die verkaufsoffenen Sonntage durchgeführt werden konnten. 6. Wie bewertet sie die Praxis der Beklagung von verkaufsoffenen Sonntagen der Gewerkschaft ver.di unter Einbezug von Zeitpunkt und Art der Klageerhebung hinsichtlich der Schädigung von unternehmerischen Interessen der ansässigen Gewerbetreibenden sowie des Wegfalls von Sonn- bzw. Feiertagszuschlägen für die Arbeitnehmer in den betreffenden Unternehmen? Zu 6.: Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht, ihre Interessen auf dem Rechtsweg geltend zu machen. Den notwendigen Interessenausgleich zwischen den betroffenen Parteien eines Rechtsstreits gewährleistet das Prozessrecht. So ist es Aufgabe der Gerichte, in Eilverfahren das jeweilige Vollzugs- gegen das Aussetzungsinteresse individuell abzuwägen. Dabei sind die betroffenen Interessen zu berücksichtigen und individuell zu bewerten. 7. Inwieweit wurden von ihr bereits Gespräche mit dem Handelsverband Deutsch - land (HDE) und der Gewerkschaft ver.di geführt, mit dem Ziel, eine dem Handel zuträgliche Lösung zum weniger restriktiven Ermöglichen von zumindest zwei bis drei verkaufsoffenen Sonntagen pro Jahr zu ermöglichen? Zu 7.: Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau hat bereits Gespräche mit dem Handelsverband Baden-Württemberg e. V. über die Verkaufsöffnung an Sonn- und Feiertagen geführt und die Rechtslage erörtert. Mit der Gewerkschaft ver.di wurden diesbezüglich bislang keine Gespräche geführt. Jedoch wurde mit der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), die wie ver.di Teil der „Allianz für den freien Sonntag“ ist, ein Gespräch zu diesem Thema geführt und der KAB Gelegenheit gegeben, ihre Positionen vorzutragen. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2724 8. Inwieweit plant sie, das Ladenöffnungsgesetz Baden-Württemberg (LadÖG) dahingehend zu überarbeiten, dass es Gemeinden bzw. Stadtteilen ermöglicht, die Voraussetzungen für den benötigten Anlass eines Festes, Marktes, einer Messe oder ähnlichen Veranstaltung durch eine weniger restriktive Gesetzgebung an zwei bis drei Sonntagen im Jahr so gering fassen zu können, dass es beispielsweise auch Industriegebieten mit großflächigem Handel aber wenigen historisch gewachsenen Veranstaltungen mit Markt- oder Festcharakter leichter ermöglicht wird, rechtssicher verkaufsoffene Sonntage durchzuführen? Zu 8.: Wie bereits unter Ziffer 1 ausgeführt, sind die materiellen Voraussetzungen für den für eine Sonntagsöffnung erforderlichen Anlass durch das Grundgesetz und die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts eng vorgegeben. Es ist nicht ersichtlich , wie durch eine Änderung des Ladenöffnungsgesetzes die Zahl der tatsächlich möglichen verkaufsoffenen Sonntage erhöht werden könnte, da die engen verfassungsrechtlichen Vorgaben unabhängig von den Regelungen des Ladenöffnungsgesetzes gelten. Dr. Hoffmeister-Kraut Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau