Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2796 10. 10. 2017 1Eingegangen: 10. 10. 2017 / Ausgegeben: 17. 11. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Maßnahmen wurden ergriffen und sind noch geplant, um das BTHG in Baden-Württemberg umzusetzen? 2. Welche Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Pflege in Baden- Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten“ sind im BTHG umgesetzt? 3. Bis wann ist mit der Umsetzung der in Frage 1 genannten Maßnahmen zu rechnen ? 4. Welche Modellprojekte aus Baden-Württemberg im Rahmen der modellhaften Erprobung des neuen Eingliederungshilferechts werden durch den Bundesgesetzgeber (Artikel 25 Absatz 3 BTHG) gefördert? 5. Wie soll die Landesrahmenvertragskommission besetzt werden (unter Angabe der einzelnen Vertretungen)? 6. Wie soll zukünftig die Ermittlung des individuellen Bedarfs der Leistungsberechtigten erfolgen? 7. Wie ist die Umsetzung der Regelungen zum Zusammentreffen von Bedarfen an Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflege geplant? 8. Wie soll im Gesamtplanverfahren ermittelt werden, welcher Anteil des Regelsatzes zukünftig den Leistungsberechtigten als Barmittel verbleiben soll? Kleine Anfrage der Abg. Sabine Kurtz CDU und Antwort des Ministeriums für Soziales und Integration Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2796 2 9. Welche Möglichkeiten sieht sie vor dem Hintergrund des BTHG, um Einrichtungen wie die Dorfgemeinschaft Tennental rechtlich zu kommunalen Orten zu machen? 09. 10. 2017 Kurtz CDU B e g r ü n d u n g Mit dem neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) wird das Behindertenrecht massiv reformiert. Es soll Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe und individuelle Selbstbestimmung ermöglichen. Die ersten Änderungen sind bereits zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Das Gesetz soll bis zum Januar 2023 schrittweise umgesetzt werden. Wesentlicher Inhalt ist die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und ihre Überführung in das Recht der Rehabilitation. Menschen mit Behinderung müssen auf diese Weise nicht mehr große Teile ihres Einkommens und Vermögens verwenden, um Leistungen zu finanzieren. Die Leis - tungen der Eingliederungshilfe werden in dem Zusammenhang auch inhaltlich neu geregelt. Die Änderungen führen zu einem Behindertenrecht, das personenzentrierter und weniger institutionenzentriert ist. Die Änderungen durch das BTHG betreffen auch Einrichtungen wie die Dorfgemeinschaft Tennental, deren Ziel die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist. Dabei leben Menschen mit und ohne Behinderung zusammen und bilden gemeinsame Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. Das bietet den Hilfsbedürftigen einen geschützten Raum mit Möglichkeiten zu Sozialkontakten und gleichzeitig eine hohe Pflegeintensität. Denn angemessene Pflege ist insbesondere für Menschen mit hohen Pflege- und Unterstützungsbedarfen zwingende Voraussetzung für Teilhabe. Das Konzept ist damit eine gute Lösung für gelingende Inklusion. Mit dieser Kleinen Anfrage soll der aktuelle Sachstand der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg erfragt werden. Zudem soll eruiert werden, welche Möglichkeiten sich für Einrichtungen wie die Dorfgemeinschaft Tennental ergeben. A n t w o r t Mit Schreiben vom 2. November 2017 Nr. 35-0141.5-016/2796 beantwortet das Ministerium für Soziales und Integration im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration und dem Ministerium für Finanzen die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Maßnahmen wurden ergriffen und sind noch geplant, um das BTHG in Baden-Württemberg umzusetzen? 3. Bis wann ist mit der Umsetzung der in Frage 1 genannten Maßnahmen zu rechnen ? Die Landesregierung wird dem Landtag im 1. Quartal 2018 ein Gesetz zur Umsetzung des BTHG zuleiten. Das Gesetz soll Folgendes beinhalten: Bestimmung der Stadt- und Landkreise als örtliche Träger der Eingliederungshilfe, Vertretungsund Verfahrensregelungen zur Erarbeitung der Rahmenverträge nach § 131 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), Bestimmung der maßgeblichen Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung und eine Regelung zur Bundeserstattung für den Barbetrag für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2796 Bereits im Juli 2017 sind zwei Arbeitsgruppen unter Moderation des Ministe - riums für Soziales und Integration etabliert worden: eine Arbeitsgruppe hat das Ziel, ein für Baden-Württemberg geeignetes Instrument zur Ermittlung des individuellen Bedarfs der Leistungsberechtigten zu finden (vgl. hierzu § 142 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII und § 118 SGB IX); eine zweite Arbeitsgruppe hat die Aufgabe, die Rahmenverträge nach § 131 SGB IX zu erarbeiten. In diesen Arbeitsgruppen arbeiten Vertretungen der Leistungsträger, der Leistungserbringer und die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung zusammen. Zur Stärkung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen sieht das BTHG die Förderung einer von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängigen Beratung vor. Die Regelungen zu dieser „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ (EUTB) treten am 1. Januar 2018 in Kraft (§ 32 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) fördert die EUTB zunächst für drei Jahre mit rund 50 Mio. Euro im Jahr, davon entfallen auf Baden-Württemberg rund 6,2 Mio. Euro pro Jahr. Nach § 32 Absatz 4 SGB IX entscheidet das BMAS im Benehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde über die Förderung . Im Land wurden in der ersten Antragsrunde insgesamt 91 Förderanträge gestellt. Aufgabe des Ministeriums für Soziales und Integration war es, bei der Auswahl der Beratungsangebote für Baden-Württemberg mitzuwirken und die gestellten Förderanträge zu priorisieren. Das Ministerium für Soziales und Integration hat vor seiner Rückmeldung an das BMAS dem Landesbehindertenbeirat die Bewerberlage und die sich daraus ergebende Beratungslandschaft vorgestellt. Die abschließende Entscheidung über die Förderanträge fällt das BMAS. Die zweite Antragsrunde hat am 18. Oktober 2017 begonnen. Antragsschluss ist am 30. November 2017. 2. Welche Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Pflege in Baden- Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten“ sind im BTHG umgesetzt? Die Enquetekommission des Landtags „Pflege in Baden-Württemberg zukunfts - orientiert und generationengerecht gestalten“ hat in der letzten Legislaturperiode unter Ziffer 3.4.4 insgesamt 29 Handlungsempfehlungen erarbeitet, die Menschen mit Behinderungen betreffen (vgl. Drs. 15/7980, S. 329 ff.). Diese Handlungsempfehlungen befassen sich mit einer Vielzahl von Aspekten und vielen unterschiedlichen Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen. Nur ein Teil davon ist durch das BTHG direkt berührt. Der Handlungsempfehlung, zielgruppenspezifische , lebensweltorientierte, die Biografie berücksichtigende Versorgungsformen zu schaffen, trägt der personenzentrierte Ansatz des BTHG Rechnung. Der Handlungsempfehlung , das Beratungsangebot für Menschen mit Behinderung hinsichtlich des Themas Pflege auszubauen, trägt das BTHG insoweit Rechnung, als der Bund eine von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige ergänzende unabhängige Teilhabeberatung fördert (§ 32 SGB IX). Die Enquetekommis - sion hat empfohlen, Erprobungen des Persönlichen Budgets zuzulassen und zu ermöglichen. Bereits jetzt können nach § 17 Absatz 2 SGB IX Leistungen zur Teilhabe auf Antrag durch ein Persönliches Budget ausgeführt werden. Seit dem 1. Januar 2008 besteht ein Rechtsanspruch auf diese Leistungsform (§ 159 Absatz 5 SGB IX). Das BTHG verankert im Rahmen einer Rechtsbereinigung diesen Rechtsanspruch nun direkt in den Regelungen zum Persönlichen Budget (§ 29 Absatz 1 SGB IX). Mit Blick auf die Handlungsempfehlungen ist im Übrigen anzumerken, dass das BTHG die bisherige Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt . Diese Weiterentwicklung wird die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung von Menschen mit Behinderungen stärken. Dies betrifft eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen der Enquetekommission, die direkt oder indirekt Menschen mit Behinderungen im Blick haben. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2796 4 4. Welche Modellprojekte aus Baden-Württemberg im Rahmen der modellhaften Erprobung des neuen Eingliederungshilferechts werden durch den Bundesgesetzgeber (Artikel 25 Absatz 3 BTHG) gefördert? Auf der Grundlage einer hierzu vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 23. Juni 2017 erlassenen Richtlinie haben sich beim Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg bis Fristende am 30. September 2017 zwei Landkreise beworben. Beide Anträge sind mit einem zustimmenden Votum des Ministeriums an das BMAS weitergeleitet worden. Im November wird das BMAS im Einvernehmen mit den Ländern eine Entscheidung zur Auswahl der Modellprojekte treffen. 5. Wie soll die Landesrahmenvertragskommission besetzt werden (unter Angabe der einzelnen Vertretungen)? Nach § 131 SGB IX schließen die Träger der Eingliederungshilfe auf Landes - ebene mit den Vereinigungen der Leistungserbringer gemeinsam und einheitlich Rahmenverträge ab; die durch Landesrecht bestimmten maßgeblichen Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung wirken bei der Erarbeitung und Beschlussfassung mit. Wie unter Ziffer 1 erläutert, hat sich bereits im Juli 2017 eine Arbeitsgruppe beim Ministerium für Soziales und Integration etabliert mit dem Ziel, die Rahmenverträge vorzubereiten. Dieser Arbeitsgruppe gehören Vertretungen der drei im Gesetz genannten Gruppen an. 6. Wie soll zukünftig die Ermittlung des individuellen Bedarfs der Leistungsberechtigten erfolgen? Wie unter Ziffer 1 erläutert, hat sich bereits im Juli 2017 eine Arbeitsgruppe beim Ministerium für Soziales und Integration etabliert mit dem Ziel, ein für Baden- Württemberg geeignetes Instrument zur Ermittlung des individuellen Bedarfs der Leistungsberechtigten zu finden. 7. Wie ist die Umsetzung der Regelungen zum Zusammentreffen von Bedarfen an Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflege geplant? Treffen bereits jetzt Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe zusammen, vereinbaren nach § 13 Abs. 3 Satz 3, Absatz 4 und Absatz 4 a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) mit Zustimmung des Leis - tungsberechtigten die zuständige Pflegekasse und der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger, 1. dass im Verhältnis zum Pflegebedürftigen der für die Eingliederungshilfe zuständige Träger die Leistungen der Pflegeversicherung auf der Grundlage des von der Pflegekasse zu erlassenen Leistungsbescheids zu übernehmen hat, 2. dass die zuständige Pflegekasse dem für die Eingliederungshilfe zuständigen Träger die Kosten der von ihr zu tragenden Leistungen zu erstatten hat sowie 3. die Modalitäten der Übernahme und der Durchführung der Leistungen sowie die Erstattung. Nach § 18 c SGB XI hat das Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Begleitgremium zur fachlichen und wissenschaftlichen Begleitung der Umstellung des Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit eingerichtet. Dieses Gremium wird auch die bis zum 1. Juli 2019 durchzuführende Evaluation der Regelungen des § 13 Absatz 3 Satz 3, Absatz 4 und 4 a SGB XI zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungsträgern (insbesondere Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe ) begleiten. Zu den gesamten Evaluationsprozessen wird das Begleitgremium nach § 18 c SGB XI seine Arbeit bis in das Jahr 2020 fortsetzen. Zunächst wird im Rahmen des Evaluationsprozesses zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungsträgern die Frage untersucht , ob Konflikte zwischen den Kostenträgern über die Leistungspflicht aufge- 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2796 treten sind, um Erkenntnisse zu erhalten, ob eindeutigere Regelungen zur Leis - tungsverpflichtung erforderlich werden. Ferner wird derzeit auch die Frage untersucht , in wie vielen Fällen die zuständige Pflegekasse in das Teilhabeplanverfahren oder Gesamtplanverfahren einbezogen wird bzw. sich die Einbeziehung der Pflegekassen zur Feststellung des Bedarfs bewährt hat. Der Landesregierung liegen derzeit noch keine abschließenden Erkenntnisse vor. Die Regelungen für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf der §§ 91 Absatz 3 und 103 SGB IX treten zum 1. Januar 2020 in Kraft. Das Nähere zur Umsetzung dieser Regelungen wird rechtzeitig mit den Leistungsträgern, den Leistungserbringern und den Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen erörtert. Im Übrigen soll im Rahmen der unter Ziffer 4 angesprochenen Modellprojekte u. a. die Umsetzung des Rangverhältnisses von Leistungen der Ein - gliederungshilfe und Leistungen der Pflege bereits ab 1. Januar 2018 modellhaft bearbeitet werden. Aufgabe der Modellprojekte ist es, die materiell-rechtliche Anwendung der künftigen Vorschriften und ihre praktischen Auswirkungen noch vor dem Inkrafttreten zum 1. Januar 2020 zu erproben. 8. Wie soll im Gesamtplanverfahren ermittelt werden, welcher Anteil des Regelsatzes zukünftig den Leistungsberechtigten als Barmittel verbleiben soll? Für Bezieher und Bezieherinnen von Leistungen der Eingliederungshilfe, die in den heutigen stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und für die Sicherung des Lebensunterhalts Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen, tritt ab dem Jahr 2020 die Regelbedarfsstufe 2 an die Stelle der Regelbedarfsstufe 3. Gleichzeitig entfallen für diesen Personenkreis – im Zuge der durch das Bundesteilhabegesetz vorgesehenen Trennung von Fachund existenzsichernden Leistungen – der Barbetrag sowie die Bekleidungspauschale . Der Regelsatz soll direkt an den Leistungsberechtigten ausgezahlt werden. Die Frage, welcher Anteil des Regelsatzes künftig den Leistungsberechtigten als Barmittel verbleiben soll, stellt sich daher aus heutiger Sicht nicht. 9. Welche Möglichkeiten sieht sie vor dem Hintergrund des BTHG, um Einrichtungen wie die Dorfgemeinschaft Tennental rechtlich zu kommunalen Orten zu machen? Einrichtungen wie die Dorfgemeinschaft Tennental haben die Möglichkeit, durch Dezentralisierung ihrer stationären Einrichtung mehr gemeindenahe und inklusive Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen im Sinne des Wunsch- und Wahlrechts nach § 104 Absatz 3 SGB IX zu erreichen. Aber auch die „umge - kehrte Inklusion“, nämlich die Öffnung der Dorfgemeinschaft für die umliegenden Gemeinden im Sinne der Schaffung eines neuen inklusiven Quartiers, ist denkbar. Gleichgültig, ob sich eine Einrichtung bereits auf einem Gemeindegebiet befindet oder noch Sondergebiet ist, kann dies im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung nur im Einvernehmen und enger Zusammenarbeit mit den ört - lichen kommunalen Verantwortlichen geschehen, die beispielsweise durch Kauf oder Anmietung von Grundstücken und Gebäuden, insbesondere aber durch Umwidmung von Sondergebieten neuen kommunalen Raum erschließen wollen. Lucha Minister für Soziales und Integration