Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2848 08. 11. 2017 1Eingegangen: 08. 11. 2017 / Ausgegeben: 20. 12. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie hat die Unterbringung und Betreuung eines minderjährigen Flüchtlings in einer sogenannten „Erziehungsstelle“ zu erfolgen? 2. Welche Geld- und Sachleistungen erhält ein Verein wie der freie Jugendhilfeträger „W. GmbH“ aus Freiburg oder andere Träger bzw. eine Privatperson für die Unterbringung und Betreuung eines minderjährigen Flüchtlings in einer Erziehungsstelle ? 3. Wie viele minderjährige Flüchtlinge sind aktuell dem freien Jugendhilfeträger „W. GmbH“ aus Freiburg oder anderen Organisationen und Privatpersonen anvertraut ? 4. Welche rechtlichen Verpflichtungen gehen Jugendhilfeträger wie die Freiburger „W. GmbH“ oder andere Träger bei der Übernahme der Betreuung und Versorgung von minderjährigen Flüchtlingen ein? 5. Welche Maßnahmen (auch strafrechtliche) stehen der Landesregierung zur Verfügung, um gegen die Nichteinhaltung der staatlich vorgeschriebenen Versorgungs - und Betreuungsstandards durch einen freien Jugendhilfeträger vorzugehen ? 6. Welche rechtlichen Verpflichtungen geht eine Privatperson ein, die sich bereit erklärt, einen minderjährigen Flüchtling in ihren Privaträumen unterzubringen und zu betreuen, wenn es sich um eine „Erziehungsstelle“ handelt? 7. Welche Maßnahmen (auch strafrechtliche) stehen der Landesregierung zur Verfügung, um gegen die Nichteinhaltung der staatlich vorgeschriebenen Versorgungs - und Betreuungsstandards durch Privatpersonen vorzugehen? Kleine Anfrage des Abg. Stefan Räpple AfD und Antwort des Ministeriums für Soziales und Integration Fall „H. K.“: Rechte und Pflichten von nichtstaatlichen Betreuungsinstitutionen bei der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2848 2 8. Wenn ein freier Jugendhilfeträger wie die Freiburger „W. GmbH“ oder andere einen minderjährigen Flüchtling an eine Privatperson zur Betreuung weitervermittelt , wer trägt dann die rechtliche Verantwortung für die ordnungsgemäße Unterbringung und Versorgung des minderjährigen Flüchtlings? 9. In wie vielen Fällen wurde einem nichtstaatlichen Träger die Versorgung und Betreuung eines minderjährigen Flüchtlings in Baden-Württemberg wieder entzogen? 10. In wie vielen Fällen wurden hierbei strafrechtliche Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet? 08. 11. 2017 Räpple AfD B e g r ü n d u n g Der bundesweit bekannte Prozess des mutmaßlichen Mörders der Studentin M. L. aus Freiburg wirft einige Fragen auf. So sei H. K. Aussagen des Jugendamtes Breisgau-Hochschwarzwald gemäß in einer sogenannten „Erziehungsstelle“ bei einer Pflegefamilie in Freiburg untergebracht gewesen, welche eine engmaschige Betreuung des minderjährigen Flüchtlings vorsieht. Nun hat aber H. K. übereinstimmenden Zeugenaussagen zufolge ziemlich autark in einer externen Wohnung zusammen mit einem anderen minderjährigen Flüchtling gelebt. Nach Kenntnis des Fragestellers soll er viel Alkohol getrunken, ja sogar Heroin konsumiert haben . Seine Anwesenheit sei scheinbar nicht kontrolliert worden, denn er sei teilweise mehrere Tage am Stück nicht zuhause gewesen, bzw. seine Pflegemutter habe ihn teilweise tagelang nicht gesehen. All dies steht nach Kenntnis des Fragestellers im Widerspruch zu der ausgewiesenen „Erziehungsstelle“ und der damit verbundenen notwendigen Betreuung von H. K. Diese Kleine Anfrage soll nun klären, welche genauen Betreuungsmaßnahmen mit einer „Erziehungsstelle“ verbunden sind und welche Verpflichtungen ein freier Träger oder eine Privatperson eingehen, wenn sie einen minderjährigen Flüchtling betreuen. Des Weiteren soll geklärt werden, welche Maßnahmen zur Verfügung stehen, um eine derartige Diskrepanz zwischen notwendiger und tatsäch - licher Betreuung zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 4. Dezember 2017 Nr. 22-6901.11-.1.1 beantwortet das Mi - nis terium für Soziales und Integration im Einvernehmen mit dem Ministerium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie hat die Unterbringung und Betreuung eines minderjährigen Flüchtlings in einer sogenannten „Erziehungsstelle“ zu erfolgen? Bei einer Erziehungsstelle handelt es sich um eine Betreuung in häuslicher Gemeinschaft , bei der eine Fachkraft im Auftrag des Trägers einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe ein oder zwei Kinder oder Jugendliche über Tag und Nacht in ihren Haushalt aufnimmt. Neben dieser Fachkraft sollen in diesem Haushalt auch deren Partner oder Partnerin, gegebenenfalls eigene Kinder und weitere Angehörige leben. In rechtlicher Hinsicht ist eine Erziehungsstelle als 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2848 eine besondere Form der stationären Hilfe nach § 34 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) zu klassifizieren (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform). Der Träger der Einrichtung hat die Verantwortung für den pädagogischen Prozess und für die Sicherstellung des Schutzes des Kindes bzw. der Kinder oder Jugendlichen. Die Fachkraft hat eine professionelle Vertretung und ist beim Träger in ein Team eingebunden. Sie erhält die erforder - liche Beratung und Unterstützung durch gruppenübergreifende Dienste des Trägers . Der Träger einer Erziehungsstelle benötigt vor ihrer Inbetriebnahme eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII. Diese wird auf Antrag des Trägers vom überörtlichen Träger der Jugendhilfe – in Baden-Württemberg dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg/Landesjugendamt (KVJS- Landesjugendamt) – erteilt, wenn die räumlichen, personellen, wirtschaftlichen und konzeptionellen Voraussetzungen vorliegen. Bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach den §§ 45 bis 48 SGB VIII unterliegt der KVJS-Landesjugendamt der Fachaufsicht des Ministeriums für Soziales und Integration. Der erforderliche Betreuungsbedarf des einzelnen Kindes oder Jugendlichen wird vom fallzuständigen Jugendamt im Rahmen des Hilfeplanverfahrens gemäß § 36 SGB VIII festgestellt. 2. Welche Geld- und Sachleistungen erhält ein Verein wie der freie Jugendhilfeträger „W. GmbH“ aus Freiburg oder andere Träger bzw. eine Privatperson für die Unterbringung und Betreuung eines minderjährigen Flüchtlings in einer Erziehungsstelle? Die Höhe des Tagessatzes wird zwischen dem Leistungserbringer (Einrichtungsträger ) und dem örtlich zuständigen Jugendamt vereinbart und beträgt im Bereich der Erziehungsstellen gemäß § 34 SGB VIII nach den Erkenntnissen des KVJS- Landesjugendamt etwa 100 bis 130 Euro. Die Höhe der Entlohnung der Fachkraft liegt hingegen in der Verantwortung des Einrichtungsträgers und wird über den zwischen Träger und Fachkraft abgeschlossenen Arbeits- bzw. Honorarvertrag geregelt. 3. Wie viele minderjährige Flüchtlinge sind aktuell dem freien Jugendhilfeträger „W.GmbH“ aus Freiburg oder anderen Organisationen und Privatpersonen anvertraut? Am 17. November 2017 haben die 46 Jugendämter in Baden-Württemberg insgesamt 7.373 unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer (UMA) betreut , untergebracht und versorgt. Vom Jugendamt des Landkreises Breisgau Hochschwarzwald wurden am 17. November 2017 insgesamt 176 UMA betreut. Der Träger W. GmbH verfügt insgesamt über 169 betriebserlaubte Plätze im (teil-) stationären Bereich der Hilfen zur Erziehung. Wie viele hiervon derzeit durch UMA belegt sind, ist dem KVJS-Landesjugendamt nicht bekannt. 4. Welche rechtlichen Verpflichtungen gehen Jugendhilfeträger wie die Freiburger „W.GmbH“ oder andere Träger bei der Übernahme der Betreuung und Versorgung von minderjährigen Flüchtlingen ein? Die Einrichtungsträger übernehmen die Verantwortung für die Versorgung, Betreuung und Erziehung der UMA. Ihnen obliegen in diesem Rahmen die täglich wiederkehrenden Entscheidungen, die nicht von erheblicher Bedeutung für die minderjährigen Menschen sind (Alltagssorge). Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2848 4 5. Welche Maßnahmen (auch strafrechtliche) stehen der Landesregierung zur Verfügung, um gegen die Nichteinhaltung der staatlich vorgeschriebenen Versorgungs - und Betreuungsstandards durch einen freien Jugendhilfeträger vorzugehen ? Das KVJS-Landesjugendamt kann bei Bedarf die Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII mit Auflagen versehen, deren Nichteinhaltung in letzter Konsequenz zum Widerruf der Betriebserlaubnis führen kann. Darüber hinaus sind gemäß § 48 SGB VIII auch Tätigkeitsuntersagungen gegenüber einzelnen Beschäftigten möglich , sofern diese das Wohl der anvertrauten Kinder oder Jugendlichen gefährden. Schließlich ist nach § 104 SGB VIII die Verhängung eines Bußgeldes beim Betrieb einer Einrichtung ohne die erforderliche Betriebserlaubnis möglich. Die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Versorgungs- und Betreuungsstandards unterfällt keinem speziellen Straftatbestand. Allgemeine Straftatbestände (z. B. Betrug usw.) bleiben hiervon unberührt. 6. Welche rechtlichen Verpflichtungen geht eine Privatperson ein, die sich bereit erklärt, einen minderjährigen Flüchtling in ihren Privaträumen unterzubringen und zu betreuen, wenn es sich um eine „Erziehungsstelle“ handelt? Die in der Erziehungsstelle tätigen Fachkräfte übernehmen im Auftrag des Trägers die unter Ziffer 4. näher beschriebenen aufgeführten Aufgaben. Sie werden somit nicht als „Privatperson“, sondern als Beschäftigte des Trägers mit den daraus erwachsenden Pflichten tätig. Die Fachkräfte wirken außerdem beim Hilfeplanverfahren mit. Der Hilfeplan bildet die Grundlage für die konkrete Ausgestaltung der Hilfe. Im Hilfeplan werden der Bedarf des Jugendlichen, die zu gewährende Hilfe sowie die notwendigen Leistungen festgestellt. In regelmäßigen zeitlichen Abständen soll überprüft werden , ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. 7. Welche Maßnahmen (auch strafrechtliche) stehen der Landesregierung zur Verfügung, um gegen die Nichteinhaltung der staatlich vorgeschriebenen Versorgungs - und Betreuungsstandards durch Privatpersonen vorzugehen? Hierzu wird auf die Antworten zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. 8. Wenn ein freier Jugendhilfeträger wie die Freiburger „W. GmbH“ oder andere einen minderjährigen Flüchtling an eine Privatperson zur Betreuung weitervermittelt , wer trägt dann die rechtliche Verantwortung für die ordnungsgemäße Unterbringung und Versorgung des minderjährigen Flüchtlings? Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Unterbringung und Versorgung obliegt dem belegenden Jugendamt und dem freien Träger der Einrichtung. Die Rechte des UMA vertritt der zu bestellende Vormund, der in den Hilfeplanungsprozess eingebunden ist. Er hat als Inhaber der elterlichen Sorge für den UMA die rechtliche Entscheidungsgewalt. 9. In wie vielen Fällen wurde einem nichtstaatlichen Träger die Versorgung und Betreuung eines minderjährigen Flüchtlings in Baden-Württemberg wieder entzogen? Nach Mitteilung des KVJS-Landesjugendamt sind bislang keine entsprechenden Fälle von freien Trägern bekannt. Allerdings wurde hinsichtlich der Betriebserlaubnis eines freien Trägers in Mannheim vor kurzem ein Widerrufsverfahren eingeleitet . 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2848 10. In wie vielen Fällen wurden hierbei strafrechtliche Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet? Dem KVJS-Landesjugendamt und dem Ministerium für Soziales und Integration sind keine Fälle bekannt, in denen gegen Träger der freien Jugendhilfe ent - sprechende Ermittlungen eingeleitet worden sind. Mangels statistischer Erfassung bei den Staatsanwaltschaften können auch vom Ministerium der Justiz und für Europa keine Fallzahlen genannt werden. Lucha Minister für Soziales und Integration