Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2868 20. 10. 2017 1Eingegangen: 20. 10. 2017 / Ausgegeben: 27. 11. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Kriseninstrumente wurden in den Jahren 2016/2017 im Zuge der stark fallenden Milchpreise zur Unterstützung der Milchbauern durch die EU eingesetzt ? 2. Welche Kriseninstrumente wurden in den Jahren 2016/2017 im Zuge der stark fallenden Milchpreise durch den Bund zur Unterstützung der Milchbauern eingesetzt ? 3. Welche Kriseninstrumente wurden in den Jahren 2016/2017 im Zuge der stark fallenden Milchpreise durch das Land Baden-Württemberg zur Unterstützung der Milchbauern eingesetzt? 4. Wie beurteilt sie den Wirkungsgrad der in den Fragen 1 bis 3 eingesetzten Kriseninstrumente bezogen auf die einzelnen eingesetzten Kriseninstrumente? 5. Welche Schlüsse zieht sie für den zukünftigen Umgang mit „Milchpreis-Krisen “ daraus? 19. 10. 2017 Dörflinger CDU Kleine Anfrage des Abg. Thomas Dörflinger CDU und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Krisenmanagement bei fallenden Milchpreisen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2868 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 14. November 2017 Nr. Z(22)-0141.5/210F beantwortet das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Kriseninstrumente wurden in den Jahren 2016/2017 im Zuge der stark fallenden Milchpreise zur Unterstützung der Milchbauern durch die EU eingesetzt ? Zu 1.: Kartellrechtliche Freistellung anerkannter und nicht anerkannter Agrarorganisationen Die Einschätzungen der Marktentwicklungen ließen Ende 2015 keine wesentlichen Produktionsverringerungen im Bereich der Milch und der Milcherzeugnisse für die Zukunft erkennen. Um das erforderliche Marktgleichgewicht in dieser Marktsituation schneller er - reichen zu können, wurde von der EU-Kommission im Frühjahr 2016 die kartellrechtliche Freistellung anerkannter und nicht anerkannter Agrarorganisationen vom allgemeinen Kartellverbot des Artikels 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) zugelassen, um freiwillige Vereinbarungen und Beschlüsse über die Planung der Produktion im Sektor Milch und Milcherzeugnisse für einen Zeitraum von sechs Monaten zu ermöglichen. Dies wurde in Deutschland durch eine Änderung von Agrarmarktstrukturgesetz und Agrarmarktstrukturverordnung entsprechend umgesetzt. Unter Agrarorganisationen fallen Erzeugerorganisationen und Vereinigungen von Erzeugerorganisationen sowie Branchenverbände. Die auf Freiwilligkeit angelegte Möglichkeit wurde weder in Deutschland noch in der EU von Agrarorganisationen genutzt. EU-Milchverringerungsbeihilfe (150 Mio. Euro EU-Mittel) Im Juli 2016 legte die EU-Kommission ein zweites EU-Hilfspaket zur Stabilisierung der Agrarmärkte auf, in dessen Rahmen für den Milchmarkt kurzfristig ein zeitlich befristetes Programm zur freiwilligen Verringerung der Milchmenge beschlossen wurde (EU-Milchverringerungsbeihilfe). Dazu wurden von der Kommission EU-weit 150 Millionen Euro ausschließlich aus dem EU-Haushalt bereitgestellt . Die Länder waren für die Umsetzung der Maßnahme verantwortlich. Die Maßnahme beinhaltete ein zweistufiges Verfahren (Stellung eines Beihilfeund eines Zahlungsantrags). Es konnten vor dem Hintergrund der verfügbaren Mittel zwei Antragsrunden angeboten werden. 1. Runde: Verringerungszeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2016. Den Milcherzeugern wurde eine Beihilfe von 14 Cent je Kilogramm Produktionsverringerung zwischen einem Referenz- und einem Verringerungszeitraum gewährt . 2. Runde: Verringerungszeitraum 1. November 2016 bis 31. Januar 2017. Das Budget für diese EU-Beihilfe wurde beim ersten Antragszeitraum nicht gänzlich ausgeschöpft und es musste eine zweite Runde angeboten werden. Da das für die 2. Runde noch zur Verfügung stehende kleine Rest-Budget überzeichnet wurde , musste von der EU-Kommission ein Zuteilungskoeffizient (Repartierung) von 0,12462762 festgelegt werden. Diese Beihilfe belief sich daher auf ca. 1,7 Cent je Kilogramm Produktionsverringerung. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2868 Übersicht Summe Zahlungsempfänger und ausgezahlter Beihilfebetrag in Baden- Württemberg EU-Sicherheitsnetz Das sogenannte Sicherheitsnetz umfasst zum einen den Ankauf von Butter und Magermilchpulver durch öffentliche Stellen (Intervention), zum anderen die Möglichkeit einer Beihilfe für die private Lagerhaltung bestimmter Milcherzeugnisse (Butter, Magermilchpulver und Käse). In Deutschland befanden sich im Jahr 2016 15.653 Tonnen Butter und 17.825 Tonnen Magermilchpulver (MMP) in privater Lagerhaltung. Von 2015 bis 2016 wuchsen die Interventionsbestände bei MMP an. Die öffentliche Lagerhaltung erreichte Ende des Jahres 2016 einen Bestand von ca. 350.000 Tonnen MMP und wurde im Verlauf des Kalenderjahres 2017 stetig erweitert. Stand Ende Oktober 2017 befinden sich nun ca. 380.000 Tonnen MMP in der Intervention. Aufgrund der bisher hohen weltweiten Nachfrage nach Butter, gibt es bei diesem Produkt keine Interventionsbestände. 2. Welche Kriseninstrumente wurden in den Jahren 2016/2017 im Zuge der stark fallenden Milchpreise durch den Bund zur Unterstützung der Milchbauern eingesetzt ? Zu 2.: Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung Für den Bundeshaushalt 2016 und 2017 wurde der Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung (LUV) jeweils von 100 Mio. Euro auf 178 Mio. Euro erhöht. Bürgschaftsprogramm des Bundes für Milchviehbetriebe Ein Bürgschaftsprogramm für Milchviehbetriebe startete am 2. Januar 2017 und endet am 31. Dezember 2018. Dieses wird von der Landwirtschaftlichen Rentenbank umgesetzt. Milchviehbetriebe, die über ihre Hausbank Liquiditätssicherungsdarlehen bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank in Anspruch nehmen, können gleichzeitig eine entsprechende Bürgschaft bei ihrer Hausbank beantragen . Der Bund übernimmt Ausfallbürgschaften in Höhe von bis zu 50 % der Summe des Liquiditätshilfedarlehens (maximale Darlehenshöhe pro Antragsteller 300.000 Euro ). Die übrigen 50 % sind von der Hausbank zu übernehmen. Das Bürgschaftsprogramm kann einen Beitrag zur Überwindung der angespannten Liquiditätslage der Milchviehbetriebe leisten. Bislang ist laut Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) das Interesse der Milcherzeuger an dem Bürgschaftsprogramm aber sehr gering, sodass nicht mit einer nennenswerten Inanspruchnahme zu rechnen ist. Ausweitung des Gewinnglättungszeitraums Durch Einführung einer Tarifglättungsvorschrift nach § 32 c EStG für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sollen land- und forstwirtschaftliche (luf) Betriebe von der Einkommensteuer entlastet werden. Die Vorschrift ist auf neun Jahre bis zum Veranlagungszeitraum (VZ) 2022 befristet. Es bestehen grundsätzlich drei feste Betrachtungszeiträume: VZ 2014 bis 2016, VZ 2017 bis 2019, VZ 2020 bis 2022. Antragsteller Gezahlte Beihilfe, in € 1. Runde 673 1.198.093,20 2. Runde 112 27.900,96 Summe 785 1.225.994,16 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2868 4 Die Tarifvorschrift ist von Amts wegen anzuwenden, erstmals für den Veranlagungszeitraum 2016. Es handelt sich um eine reine Tarifvorschrift – Gewinnermittlungen und Gewinnermittlungszeiträume bleiben unverändert. Es wird ein Durchschnitt der luf Einkünfte von jeweils drei Jahren gebildet und eine gleichmäßige Steuer ermittelt (fiktive Einkommensteuer). Diese Steuer wird mit der tatsächlich gezahlten Einkommensteuer verglichen. Bei einer positiven Differenz zwischen der Summe der tatsächlich tariflichen Einkommensteuerbeträge und der Summe der fiktiven Einkommensteuerbeträge erfolgt eine Minderung der tariflichen Einkommensteuer des letzten Veranlagungszeitraums im Betrachtungszeitraum . Milchsonderbeihilfe des Bundes (116 Mio. Euro, davon 58 Mio. Euro EU-Mittel und 58 Mio. Euro Bundesmittel) Die zweite Maßnahme des EU-Hilfspakets, die Milchsonderbeihilfe des Bundes bzw. „Liquiditätshilfe mit Angebotsdisziplin“, umfasste für Deutschland einen Betrag von rund 58 Mio. Euro an EU-Mitteln, der durch die gleiche Summe an Mitteln des Bundes aufgestockt wurde. Die Abwicklung der Maßnahme liegt allein in der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE). Es sollte eine Beihilfe von mindestens 0,36 Cent/kg Jahresmilchlieferung (Dezember 2015 bis November 2016) gewährt werden, wenn die Milchanlie - ferung zwischen dem Beibehaltungs- und dem Bezugszeitraum (1. Februar bis 30. April 2017 verglichen mit der gleichen Vorjahresperiode) nicht erhöht wird. Da weniger Anträge als ursprünglich erwartet gestellt wurden, erhöhte sich der Beihilfesatz auf 0,88 Cent pro Kilogramm Jahresanlieferung (1. Dezember 2015 bis 30. November 2016). Die Auszahlungsfrist endete am 30. September 2017. Die zur Verfügung stehenden europäischen Mittel ergänzt durch nationale Haushaltsmittel des Bundes in gleicher Höhe (insgesamt 115.910.202 Euro) wurden vollständig ausgeschöpft. Eine aktuelle Mitteilung der BLE über die endgültige Anzahl der bewilligungsfähigen und somit ausgezahlten Anträge sowie des endgültigen Auszahlungsbetrags für die baden-württembergischen Milchviehalter liegen derzeit noch nicht vor. Stand Februar 2017 wurden deutschlandweit 23.841 Anträge gestellt, davon 2.863 in Baden-Württemberg. 3. Welche Kriseninstrumente wurden in den Jahren 2016/2017 im Zuge der stark fallenden Milchpreise durch das Land Baden-Württemberg zur Unterstützung der Milchbauern eingesetzt? Zu 3.: Es wurden durch das Land Baden-Württemberg keine Kriseninstrumente i. e. S. zur Unterstützung der Milchbauern in den Jahren 2016 und 2017 eingesetzt. Generell müssen Kriseninstrumente mit bestehendem EU-Recht vereinbar sein. Einschlägig sind hier die in der Gemeinsamen Marktorganisation (EU) Nr. 1308/2013 (GMO) niedergelegte Milchmarktordnung sowie das Beihilferecht. 4. Wie beurteilt sie den Wirkungsgrad der in den Fragen 1 bis 3 eingesetzten Kriseninstrumente bezogen auf die einzelnen eingesetzten Kriseninstrumente? Zu 4.: EU-Milchverringerungsbeihilfe und Milchsonderbeihilfe des Bundes Eine Auswertung beider Maßnahmen wird derzeit von dem Johann Heinrich von Thünen-Institut vorgenommen. Die Ergebnisse der Auswertung werden im Frühjahr 2018 erwartet. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2868 Kartellrechtliche Freistellung anerkannter und nicht anerkannter Agrarorganisationen Die Bildung eines Branchenverbands (bzw. Branchenorganisation) ist Gegenstand laufender Gespräche der Wirtschaftsvertreter. Besondere EU-Regelungen für Branchenverbände im Milchsektor ermöglichen den Akteuren der Milchversorgungskette, miteinander einen Dialog zu führen und eine Reihe von Tätigkeiten vorzunehmen. Diese gemeinsamen Tätigkeiten betreffen u. a. Absatzförderung, Forschung und Innovation sowie Qualitätsverbesserung ; hierdurch sollen Kenntnis und Transparenz der Erzeugung und des Marktes verbessert werden. Der Deutsche Bauernverband befürwortet die Bildung eines Branchenverbandes Milch, aber insgesamt sind sich die Akteure der Wertschöpfungskette im Sektor nicht einig. Zu entsprechenden konkreten Schritten dazu ist es bisher nicht gekommen. Zuschüsse zu landwirtschaftlichen Unfallversicherung Laut Angaben des BMEL steigt die Entlastungswirkung bei den Versicherungsbeiträgen von rund 20 % auf rund 36 %. Bürgschaftsprogramm des Bundes für Milchviehbetriebe Liquiditätshilfedarlehen können Unternehmen bei der Überbrückung entsprechender finanzieller Engpässe unterstützen, sofern in den Unternehmen noch eine ausreichende Bonität vorhanden ist. Kritisiert wird, dass vielfach weniger bedürftige leistungsstarke Betriebe die güns - tigen Angebote zur Finanzierung betrieblicher Investitionen nutzen, während bedürftige leistungsschwächere mangels Kreditwürdigkeit nicht in der Lage sind, die Angebote wahrzunehmen. Unabhängig von spezifischen Programmen ist auf einzelbetrieblicher Ebene die regelmäßige Kommunikation und Information der Banken sehr wichtig. Je frühzeitiger über mögliche Liquiditätsengpässe informiert wird und je schlüssiger auf Basis verlässlicher betrieblicher Kennzahlen, entsprechende einzelbetriebliche Anpassungsmaßnahmen dargelegt werden können, desto eher ist es möglich, mit den Banken geeignete Maßnahmen wie z. B. Tilgungsaussetzungen zu verhandeln und zu vereinbaren. Ausweitung des Gewinnglättungszeitraums Es kommt zu einer verzögerten Steuerentlastung. Die neue steuertarifliche Gewinnglättungsvorschrift entspricht von ihrer Wirkung her der seit langem geforderten Risikoausgleichsrücklage, auch wenn sie technisch vom Gesetzgeber nun anders umgesetzt worden ist und nicht entsprechend den betrieblichen Erfordernissen flexibel eingesetzt werden kann. Im Ergebnis wird die ursprüngliche Forderung , die stark schwankenden Gewinne land- und forstwirtschaftlicher Betriebe aufgrund der Witterungs- und Markteinflüsse steuerlich zu berücksichtigen, umgesetzt . Durch die festen Gewinnglättungszeiträume ist jedoch ein flexibler, an den betrieblichen Erfordernissen ausgerichteter Einsatz dieses Instruments nicht möglich . Das Ausmaß des möglichen Steuervorteils durch die im Rahmen des zweiten Hilfspakets beschlossene Gewinnglättung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Größere Gewinnschwankungen können Steuervorteile hervorrufen, wenn das zu versteuernde Einkommen in der Progressionszone bleibt. Aber auch eine zusätzliche Steuerbelastung aufgrund der Tarifglättung nach § 32 c EStG ist nicht ausgeschlossen. Kapitalgesellschaften und Genossenschaften können von der Gewinnglättung nicht profitieren, denn diese Rechtsformen unterliegen einem festen Körperschaftssteuersatz . Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2868 6 5. Welche Schlüsse zieht sie für den zukünftigen Umgang mit „Milchpreis-Krisen “ daraus? Zu 5.: Der Milchsektor wurde seit 2003 etappenweise liberalisiert. Mit Wegfall der Milchquote haben die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger in der EU einen größeren unternehmerischen Entscheidungsspielraum für die Weiterentwicklung ihrer Betriebe bekommen. Dies bedeutet auch, dass die Marktpartner der Wertschöpfungskette gefordert sind, die Mengensteuerung und Marktbelieferung eigenverantwortlich zu übernehmen und sich gegen Marktschwankungen abzu - sichern. Dazu gehören z. B. die entsprechende Weiterentwicklung der Lieferbeziehungen (z. B. Vertragsregelungen), die Bildung von Milchbranchenverbänden und die Wahrnehmung von Risikomanagementmaßnahmen, wie z. B. die Nutzung von Warenterminbörsen zur Preisabsicherung. Der gegebene EU-Rechtsrahmen ermöglicht im Bedarfsfall flexible Krisenmaßnahmen , deren Wirkung aber noch zu bewerten ist. Der zum Frühjahr 2018 erwartete Abschlussbericht des Thünen-Instituts zur Evaluierung der Maßnahmen EU- Milchverringerungsbeihilfe und Milchsonderbeihilfe des Bundes wird daher weitere Rückschlüsse zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen ergeben. Hauk Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz