Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2907 24. 10. 2017 1Eingegangen: 24. 10. 2017 / Ausgegeben: 04. 12. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Stellen sind nach ihrem Kenntnisstand bei Betrachtung aller Automobilzulieferer durch den Wechsel von Verbrennungsmotor auf Elektromotor insgesamt in Baden-Württemberg gefährdet? 2. Wie viel Kapital ist nach ihrer Einschätzung in Baden-Württemberg direkt in der Automobilindustrie oder indirekt bei den Zulieferern am Verbrennungs - motor gebunden? 3. Welches Steueraufkommen wurde nach ihrer Einschätzung oder Kenntnis in Baden-Württemberg durch den Verbrennungsmotor direkt durch die Auto - mobilindustrie oder deren Zulieferer in den Jahren 2015 und 2016 erwirtschaftet ? 4. Wie viel Kapital ist in Tankstellen für Verbrennungsmotoren in Baden-Württemberg nach ihrer Einschätzung bei welcher Gesamtzahl an Tankstellen gebunden ? 5. Welche Ansätze sieht sie, die Hersteller der Ladebatterien oder von Carbon zu motivieren, in Baden-Württemberg zu fertigen? 6. Wie viele Stellen sind nach ihrer Einschätzung oder Kenntnis in Baden-Württemberg durch die Herstellung von Ladebatterien oder Carbon bisher geschaffen worden oder können geschaffen werden? 04. 10. 2017 Sänze AfD Kleine Anfrage des Abg. Emil Sänze AfD und Antwort des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Elektroautos und deren Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2907 2 B e g r ü n d u n g Bei dem Ziel, weg vom Verbrennungsmotor und hin zum Elektromotor zu kommen , müssen die Folgen für die hiesige Industrie und für unsere Arbeitnehmer bedacht werden. Sorge bereitet, dass die Herstellung des Elektroautos für Deutschland und insbesondere auch für den Automobilstandort Baden-Württemberg aufgrund der geringeren Wertschöpfung negativ zu sein scheint. So soll die durch die Produktion eines Elektroautos entstehende Wertschöpfung um etwa ein Drittel geringer sein als beim Verbrennungsmotor. Zudem soll die Batterie, deren Herstellung für einen Massenmarkt in Deutschland als unwahrscheinlich gilt, etwa 40 Prozent der Wertschöpfung des Elektroautos ausmachen. Gemäß Angabe des VW-Betriebsrats sind zahlreiche Arbeitsplätze von der Umstellung betroffen. Diese Kleine Anfrage dient daher dem Zweck, die Auswirkungen für Baden- Württemberg näher zu betrachten. A n t w o r t Mit Schreiben vom 20. November 2017 Nr. 33-4224.040/552 beantwortet das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau im Einvernehmen mit dem Ministerium für Finanzen und dem Ministerium für Verkehr die Kleine Anfrage wie folgt. 1. Wie viele Stellen sind nach ihrem Kenntnisstand bei Betrachtung aller Auto - mobilzulieferer durch den Wechsel von Verbrennungsmotor auf Elektromotor insgesamt in Baden-Württemberg gefährdet? Zu 1.: Mit der Elektrifizierung und Digitalisierung der Mobilität sowie der Fahrzeuge gehen große Veränderungen einher. Es werden neue Kompetenzen erforderlich und Wertschöpfungsanteile werden sich entlang der Wertschöpfungsketten und auch zwischen den Wirtschaftsräumen neu verteilen. Verschiedene Studien gehen unter der Annahme hoher Elektrifizierungsanteile und einer Verschiebung des Automobilmarktes in Richtung eines Dienstleistungsmarktes von Beschäftigungsverlusten aus. Die Berechnungen lassen aber i. d. R. außer Acht, dass die Unternehmen sich neuer Themen annehmen, neue Märkte erschließen oder neue Geschäftsmodelle ergreifen können. Dies alles kann zu einem geringeren Abbau an Beschäftigung bzw. zum Aufbau neuer Beschäftigung führen. Eine aktuelle Studie vom September 2017 des Instituts für Automobilwirtschaft der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen kommt zu dem Ergebnis , dass durch die Digitalisierung die zu erwartenden Arbeitsplatzverluste in der deutschen Automobilindustrie nahezu vollständig kompensiert werden können. Die Transformation ist somit hochkomplex und beinhaltet viele Unbekannte, die sich erst im Laufe der Zeit klären werden. Sie betrifft neben den großen Herstellern vor allem das breite Netzwerk der kleinen und mittelständischen Automobilzulieferer . Die Landesregierung gestaltet den Transformationsprozess aktiv mit und hat dazu einen Strategiedialog Automobilwirtschaft BW ins Leben gerufen. Das Land soll auch künftig ein global führender Automobil- und Mobilitäts - standort bleiben, der Vorreiter für sichere, komfortable und klima- wie umweltschonende Mobilitätslösungen ist und der den Menschen zukunftsfähige Arbeitsplätze bietet. Elektromobilität und autonomes Fahren spielen dabei neben der Fahrzeugvernetzung nach aktueller Einschätzung eine herausragende Rolle. Der Strategiedialog Automobilwirtschaft ist auf mindestens sieben Jahre angelegt. Während dieses Zeitraums werden Veränderungen eines eher langfristig angelegten Wirtschaftssystems sichtbar. Sieben Jahre entsprechen zudem in etwa der Zyklusdauer einer Produktentwicklung in der Fahrzeugindustrie. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2907 Die Facharbeit des Strategiedialogs wird in sechs Themenfeldern organisiert, die federführend jeweils einem Ressort zugeordnet sind. Das Ministerium für Wirtschaft , Arbeit und Wohnungsbau verantwortet im Rahmen des Strategiedialogs die Themenfelder Forschung und Entwicklung, Produktion, Zulieferer sowie Vertrieb und Aftersales und hat für die aktive Arbeit bereits einen Transformationsrat Automobilwirtschaft Baden-Württemberg eingerichtet. 2. Wie viel Kapital ist nach ihrer Einschätzung in Baden-Württemberg direkt in der Automobilindustrie oder indirekt bei den Zulieferern am Verbrennungs - motor gebunden? 3. Welches Steueraufkommen wurde nach ihrer Einschätzung oder Kenntnis in Baden-Württemberg durch den Verbrennungsmotor direkt durch die Auto - mobilindustrie oder deren Zulieferer in den Jahren 2015 und 2016 erwirtschaftet ? Zu 2. und 3.: Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet : Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über den branchenspezifischen Kapitaleinsatz gebunden an den Verbrennungsmotor im Bereich der Automo - bilindustrie oder deren Zulieferer vor. Dieser kann nicht quantifiziert werden, da der Begriff der Automobilindustrie bzw. Zulieferer zu unbestimmt ist und viele Unternehmen neben der Automobilbranche in anderen Bereichen tätig sind. Der Gewinn eines Unternehmens und damit auch das Steueraufkommen werden von vielen Faktoren beeinflusst. Eine belastbare, spezifisch auf den Verbrennungsmotor bezogene Darstellung ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. 4. Wie viel Kapital ist in Tankstellen für Verbrennungsmotoren in Baden-Württemberg nach ihrer Einschätzung bei welcher Gesamtzahl an Tankstellen gebunden ? Zu 4.: Laut Amtlicher Statistik gibt es in Baden-Württemberg (veröffentlichte Zahlen von 2015) im „Einzelhandel mit Motorenkraftstoffen (Tankstellen)“ 1.140 Unternehmen mit 1.410 örtlichen Einheiten. Sie beschäftigen zusammen 13.564 Mit - arbeiterinnen und Mitarbeiter und erwirtschaften einen Umsatz in Höhe von 2.085 Mio. Euro. Sie tätigten im Jahr 2015 Bruttoinvestitionen in Höhe von 13 Mio. Euro. Die betrieblichen Steuern und Abgaben betrugen 11 Mio. Euro. Bezüglich der aktuellen Kapitalbindung dieser Unternehmen liegen der Landesregierung keine Angaben vor. 5. Welche Ansätze sieht sie, die Hersteller der Ladebatterien oder von Carbon zu motivieren, in Baden-Württemberg zu fertigen? Zu 5.: Vor allem bei den Batteriespeichern sind Anstrengungen erforderlich, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie zu behaupten und zu stärken. Ein europaweites Alleinstellungsmerkmal innerhalb dieses Themenfeldes ist der Batterieforschungsstandort Ulm, welcher in den letzten Jahren gezielt von Land und Bund mit strategischen Investitionen gestärkt und ausgebaut wurde. Das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) mit seinem Labor für Batterietechnologie (eLaB) und der Forschungsproduktionslinie (FPL) bildet hierbei einen Nukleus für den Ausbau des Standortes Ulm zu dem national führenden Batterieforschungsstandort. Mit der Gründung des neuen Helmholtz-Instituts für elektrochemische Energiespeicher in Ulm (HIU) wurde ein weiterer wichtiger Baustein geschaffen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2907 4 Neben den beispielhaft benannten Leuchtturmvorhaben arbeiten weitere Forschungseinrichtungen der wirtschaftsnahen Forschung, wie die Fraunhofer Institute für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut (EMI), und für Solare Energie - systeme (ISE), auf relevanten Fragestellungen der Batterieforschung. Um in Baden-Württemberg eine Großserienproduktion von individualisierbaren Hochleistungszellen zu etablieren, beabsichtigt das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau ab 2018 den Aufbau eines Zentrums für digitalisierte Batteriezellenproduktion mit Sitz am Fraunhofer IPA in Stuttgart zu fördern. In diesem Zentrum soll eine massenmarkttaugliche und wettbewerbsfähige Produk - tionstechnologie für Hochleistungsrundzellen entwickelt werden. Diese soll an - schließend auf eine Forschungspilotfertigung überführt und für die Großserien - fertigung skaliert werden. Durch die Nutzung modernster Technologien aus der Industrie 4.0 und deren Übertragung auf die Großserienfertigung von Lithium- Ionen-Zellen wird das Ziel verfolgt, Wertschöpfungsanteile im heute mittels Standardzellen seitens asiatischer Hersteller dominierten Markt zurückzuerobern. In Baden-Württemberg ist sowohl die Kompetenz zu Industrie 4.0 als auch die Kompetenz zur Serienproduktion von Lithium-Ionen-Zellen auf engstem Raum vorhanden . Eine Zellfertigung in Europa scheiterte bislang an den großen Kapazitäten und den dadurch bedingten Wettbewerbsvorteilen asiatischer Hersteller. Durch die Digitalisierung der Zellproduktion ist es möglich, individuelle Zell - typen zu Großserienbedingungen herzustellen und so nicht nur wirtschaftlich konkurrenzfähig zu werden, sondern auch individuell für die verschiedenen Einsatzzwecke technologisch überlegene Zellen zu produzieren. Auf diese Weise kann es gelingen, die heute bereits spürbare Abhängigkeit unserer Industrie von Zellen aus Asien aufzulösen. Weiter wird aktuell seitens der EU-Kommission über eine europäische Lösung für eine Großserienproduktion (systemrelevante Zukunftstechnologie) nachgedacht. Leichtbau ist ebenfalls ein Schlüsselfaktor für die Gesellschaft und Industrie von morgen. Faserverbundwerkstoffe auf Basis von Carbon spielen hierbei in verschiedenen Anwendungsgebieten eine bedeutende Rolle. Die Einsparung von Gewicht, Material und Energie ist angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung sowie schwindender Ressourcen eine Grundvoraussetzung für eine zukunftsfähige Wirtschaftsstrategie. Leichtbau kommt mittlerweile branchenübergreifend zur Anwendung. Er umfasst alle Stufen im Produktlebenszyklus: vom Produktkonzept über Konstruktions - weisen bis hin zu neuen Werkstoffen. Der Dreiklang von Design, Prozessen und Simulation gibt dieser Breite Ausdruck. Die Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg als hundertprozentiges Landesunternehmen treibt zusammen mit Wirtschaft und Wissenschaft den weiteren Ausbau Baden-Württembergs zu einem weltweiten Spitzenstandort im Leichtbau voran und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. 6. Wie viele Stellen sind nach ihrer Einschätzung oder Kenntnis in Baden-Württemberg durch die Herstellung von Ladebatterien oder Carbon bisher geschaffen worden oder können geschaffen werden? Zu 6.: Der Markt für Lithium-Ionen-Batteriezellen wird heute durch asiatische Hersteller dominiert. Sowohl im Bereich der Konsumbatterien als auch im Segment der Traktionsbatterien beliefern Hersteller aus Korea, Japan und China die Märkte weltweit. Lediglich im Markt der Mikrozellen (Hörgeräte, Wearables usw.) ist der Weltmarktführer Varta in Baden-Württemberg (Ellwangen) angesiedelt. Weiter hat mit LeClanche ein Zellhersteller für Pouchzellen (Automobiltraktionsbatte - rien) in Baden-Württemberg (Willstätt) seinen Unternehmenssitz. Im Rahmen einer Strukturstudie des Fraunhofer IAO aus dem Jahr 2015 wurde ein theoretisches Potenzial für ca. 5.800 weitere Beschäftigte im Bereich der Produktion von Batteriezellen und der Übernahme eines größeren Wertschöpfungsumfangs bei der Herstellung der elektrischen Antriebsstrangkomponenten ermittelt . Bisher konnten allein bei Varta in Ellwangen im Bereich der Lithium-Ionen- 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2907 Batteriezellenproduktion Arbeitsplätze im dreistelligen Bereich geschaffen werden . Die Anzahl aller in den letzten Jahren in Baden-Württemberg im Bereich der Lithium-Ionen-Zellen geschaffenen Arbeitsplätze ist der Landesregierung nicht bekannt. Leichtbauwerkstoffe und -materialien spielen bereits heute eine entscheidende Rolle, um mit weniger Gewicht eine höhere Belastbarkeit und eine bessere Funktionalität zu erreichen. Als Schlüssel- und Querschnittstechnologie ist Leichtbau gerade für die für Baden-Württemberg besonders wichtigen Branchen „Fahrzeugbau “, „Maschinenbau“, „Bauwesen“, „Medizintechnik“, „Luft- und Raumfahrt“ sowie „Elektroindustrie“ von entscheidender Bedeutung. Der globale Markt für Kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) über alle Branchen hinweg wird bis 2020 auf ca. vier Milliarden Euro geschätzt. Es wird von einer Wachstumsrate von ca. 17 Prozent ausgegangen. Der Leichtbaustandort Baden-Württemberg, auch im Bereich CFK, ist gekennzeichnet durch eine aus - gezeichnete Infrastruktur in Forschung und Lehre, durch ein breites Angebot anwendungsnaher Forschungseinrichtungen und durch eine Vielzahl industrieller Anwender. Zur Anzahl an Stellen, welche im Zusammenhang mit Carbon in Baden-Württemberg geschaffen wurden, bzw. zum Beschäftigungspotenzial durch Carbon liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Dr. Hoffmeister-Kraut Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau