Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2919 25. 10. 2017 1Eingegangen: 25. 10. 2017 / Ausgegeben: 11. 01. 2018 G r o ß e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: I . E i n r i c h t u n g e n d e r O p f e r h i l f e 1. Welche Einrichtungen und Institutionen der Opferhilfe stehen den Betroffenen in Baden-Württemberg zur Verfügung (mit Angabe, welche Art von Arbeit diese leisten und wie sie deren Arbeit bewertet)? 2. Inwieweit und wie viele ehrenamtlich tätige Menschen sind in die Arbeit der Einrichtungen und Institutionen der Opferhilfe in Baden-Württemberg eingebunden? 3. Welche Möglichkeiten sieht sie, das Engagement Ehrenamtlicher im Bereich des Opferschutzes zu stärken? 4. Wie können aus ihrer Sicht die Kooperation und Vernetzung der verschiedenen Beteiligten im Bereich des Opferschutzes gestärkt werden? 5. Wie bewertet sie das Niedersächsische Modell, zentrale Opferberatungsstellen bei den Landgerichten einzurichten, und eine mögliche Übertragbarkeit nach Baden-Württemberg? I I . V e r f a h r e n s u n a b h ä n g i g e B e w e i s s i c h e r u n g 1. Wie erfolgt die verfahrensunabhängige Erhebung objektiver Befunde und Sicherung von Spuren durch die Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg? 2. Wie viele Personen suchten in den letzten fünf Jahren jährlich die Gewalt - ambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg auf? Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung Opferschutz in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 2 3. Wie groß ist der Einzugsbereich der Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg? 4. Erachtet sie es als sinnvoll, an den Universitätskliniken sowie den mit diesen verbundenen akademischen Lehrkrankenhäusern Kooperationsmöglichkeiten zur Einrichtung von Gewaltambulanzen zu eröffnen? I I I . P s y c h o t h e r a p e u t i s c h e S o f o r t h i l f e 1. Wie bewertet sie die Arbeit der in Baden-Württemberg im Rahmen eines Modellversuchs installierten Traumaambulanzen? 2. Welche Konsequenzen zieht sie aus der Evaluation der Traumaambulanzen ? 3. Welche Möglichkeiten sieht sie, flächendeckend in Baden-Württemberg eine zeitlich möglichst unmittelbar nach der traumatisierenden Gewalttat einsetzende psychotherapeutische Behandlung zu gewährleisten? 4. Hat sie Erkenntnisse darüber, ob sich die Schwere der Straftaten, wegen deren Folgen eine Behandlung in den Traumaambulanzen erfolgt – bemessen anhand der Art der Strafe und des Strafmaßes sowie der Tatfolgen, soweit bekannt – in den letzten zehn Jahren qualitativ verändert hat? 5. Ergibt sich hieraus nach ihrer Auffassung die Notwendigkeit, Behandlungs - und Therapiekonzepte für Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen zu ändern und wenn ja, wie? I V . O p f e r e n t s c h ä d i g u n g 1. Wie viele Menschen in Baden-Württemberg sind in den letzten fünf Jahren jährlich Opfer von Straftaten geworden, aus denen dem Grunde nach ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) resultiert? 2. Wie viele dieser Opfer haben tatsächlich einen Anspruch nach dem OEG geltend gemacht (ebenfalls jährlich für die letzten fünf Jahre)? 3. Wie lange dauert in Baden-Württemberg die Bearbeitung eines Antrags nach dem OEG durchschnittlich? 4. Welche Möglichkeiten sieht sie, um auf eine Beschleunigung der Verfahren in Baden-Württemberg hinzuwirken, insbesondere im Bereich der Schnittstellen zwischen Versorgungsverwaltung, Gutachtern, Krankenkassen , Polizei, Justiz und Opferhilfeeinrichtungen? 5. Erachtet sie die bisherige Finanzierung der Landesstiftung Opferschutz dauerhaft für auskömmlich bzw. wäre es sinnvoll, die Landesstiftung Opferschutz durch zusätzliche Mittelzuweisungen aus dem Einzelplan 05 – Justizministerium – für Sponsoring- und Werbemaßnahmen in die Lage zu versetzen, Spendengelder zu akquirieren? V . O p f e r z e u g e n i m S t r a f v e r f a h r e n 1. Wie viele Täter-Opfer-Ausgleiche wurden in den letzten fünf Jahren jährlich in Baden-Württemberg durchgeführt? 2. Welche Maßnahmen ergreift sie, um den Täter-Opfer-Ausgleich stärker in der Praxis von Staatsanwaltschaften und Gerichten zu verankern? 3. Welche Maßnahmen ergreift sie, um Bedienstete in Polizei und Justiz stärker für schützenswerte Belange von Opferzeugen zu sensibilisieren, damit diese mehr Empathie in der Ansprache von Opfern von Gewalttaten entwickeln ? 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 4. Inwieweit gibt es regionale Unterschiede und welche Maßnahmen ergreift sie, um das anzugleichen? 5. Welche Verbesserungsmöglichkeiten im Strafverfahren sieht sie zum Zwecke eines möglichst schonenden Umgangs mit den Opfern (Vermeidung von Doppelaussagen und Schutz von als Zeugen auftretenden Opfern)? 6. Erachtet sie hierzu frühzeitige richterliche (Video-)Vernehmungen von Opferzeugen als geeignetes Mittel? 7. Welche Möglichkeiten sieht sie, das Mittel der richterlichen (Video-)Vernehmung von Opferzeugen in der forensischen Praxis stärker zu verankern? 8. Kann nach ihrer Einschätzung die Statuierung eines Anwesenheitsrechts der Verteidigung auch bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmungen von Opferzeugen Doppelvernehmungen vermeiden helfen? 9. Wie bewertet sie die Leistungen der psychosozialen Prozessbegleitung? 10. Erachtet sie es für notwendig, die Zeugenbegleitung an den Gerichten weiter auszubauen? 11. Wie steht sie zur Forderung der WEISSER RING Stiftung, den Titel eines Fachanwalts für Opferrechte einzuführen und welche Möglichkeiten sieht sie zu dessen Einführung? 25. 10. 2017 Andreas Schwarz und Fraktion Dr. Reinhart und Fraktion B e g r ü n d u n g Die WEISSER RING Stiftung hat der Öffentlichkeit am 5. Juli 2017 eine von ihr beauftragte und von einem Forscherteam der Universitäten Heidelberg und Gießen sowie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim durchgeführte Studie zu „Belastungen von Opfern in Ermittlungsverfahren“ vorgestellt. Der Forschungsbericht beruht auf einer Analyse von 178 Strafakten mit 251 Erhebungsbögen , 87 qualitativen Interviews mit Opfern und Angehörigen sowie auf der Auswertung von 320 von Opfern ausgefüllten Fragebögen und Gruppengesprächen mit Polizisten, Anwälten, Opferhelfern und Therapeuten in verschiedenen Bundesländern. Danach hatten die Opfer oft den Eindruck, dass Informationen nur lückenhaft weitergegeben worden seien, die Polizei durch Personalknappheit wenig Zeit für sie gehabt habe, sie sich vor den Ermittlern oft hätten rechtfertigen müssen, diese sie zu wenig über ihren Schutz und ihre Rechte aufgeklärt hätten und ihre Privat - sphäre nicht ausreichend gewahrt worden sei. In der Folge fordert die WEISSER RING Stiftung die Stärkung der Opferschutzbeauftragten bei der Polizei, die Verankerung der Opferperspektive in Aus- und Weiterbildung bei Polizei und Staatsanwaltschaft sowie die Einführung eines Fachanwalts für Opferrechte. In Baden-Württemberg widmete sich bereits Ende der 1990er-Jahre eine erste Fachkommission dem Thema Opfer- und Zeugenschutz. Eine Vielzahl der Vor- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 4 schläge aus dem Jahr 1999 wurde mittlerweile umgesetzt. Die Zweite Opfer- und Zeugenschutzkommission in Baden-Württemberg gab in ihrem Abschlussbericht 2013 weiterreichende Empfehlungen, wie den Bedürfnissen von Opfern und Zeugen im Strafverfahren noch besser entsprochen werden kann. Die vorliegende Anfrage soll nunmehr eine Evaluation der Umsetzung wesentlicher Elemente des Opferschutzes anstoßen. Hierzu gehört insbesondere die Einrichtung von sechs Traumaambulanzen durch das Sozialministerium Baden-Württemberg im Rahmen eines auf drei Jahre befristeten Modellversuchs. Nach Abschluss der Modellphase sollten die Ergebnisse der Evaluation des Projekts als Grundlage für die Entscheidung dienen, ob eine landesweite Einführung von Traumaambulanzen sinnvoll ist. Der Modellversuch endet in diesem Jahr, sodass eine Abfrage der Evaluationsergebnisse angezeigt ist. A n t w o r t * ) Schreiben des Staatsministeriums vom 19. Dezember 2017 Nr. I-5340: In der Anlage übersende ich unter Bezugnahme auf § 63 der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg die von der Landesregierung beschlossene Antwort auf die Große Anfrage. Murawski Staatsminister und Chef der Staatskanzlei _____________________________________ *) Der Überschreitung der Sechs-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 Anlage: Schreiben des Ministeriums der Justiz und für Europa Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 beantwortet das Ministerium der Justiz und für Europa im Einvernehmen mit dem Minis terium für Soziales und Integra - tion, dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und dem Ministerium für Finanzen im Namen der Landesregierung die Große Anfrage wie folgt: I . E i n r i c h t u n g e n d e r O p f e r h i l f e V o r b e m e r k u n g : Für Menschen, die Opfer von Gewalt wurden oder von Gewalt bedroht sind, exis - tiert kein einheitliches Hilfesystem. Die Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen verteilen sich auf zahlreiche Bereiche und Systeme. In der folgenden Darstellung werden – aufgrund jeweils unterschiedlicher Regelungskontexte und gewachsener Strukturen – die Fragen teilweise untergliedert nach den Gruppen, an die sich die Hilfe- und Unterstützungsangebote vorwiegend richten, beantwortet. Die Darstellung unterscheidet nach Hilfe und Unterstützung für Frauen, Kinder und Jugend - liche sowie Opfer sonstiger gruppenbezogener Gewalt und Angeboten im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren. 1. Welche Einrichtungen und Institutionen der Opferhilfe stehen den Betroffenen in Baden-Württemberg zur Verfügung (mit Angabe, welche Art von Arbeit diese leisten und wie sie deren Arbeit bewertet)? Zu I. 1.: Hilfe und Unterstützung für Frauen 1. Überblick Für die Betroffenen von häuslicher oder sexualisierter Gewalt sowie den Opfern von Menschenhandel, Zwangsprostitution oder Gewalt im Namen der sogenannten „Ehre“ stehen in Baden-Württemberg zahlreiche Beratungsstellen sowie Frauen - und Kinderschutzhäuser zur Verfügung. Durch die unterschiedlichen Träger der Frauenunterstützungs- und Hilfeeinrichtungen ergibt sich ein breit gefächertes und inhaltlich heterogenes Angebot für die jeweiligen Zielgruppen. Aus der Bestandsaufnahme zur Situation des spezialisierten Hilfesystems im Bereich Gewalt gegen Frauen in Baden-Württemberg (Stand Mai 2016) gehen folgende Zahlen hervor: • 24 Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt, • 43 Frauenberatungsstellen bei häuslicher Gewalt, • 11 Frauennotrufe, • 30 Fachberatungsstellen bei sexualisierter Gewalt, • 12 Fachberatungsstellen gegen Zwangsverheiratung und Gewalt im Namen der sogenannten „Ehre“, • 5 Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel/Zwangsprostitution, • 40 Frauen- und Kinderschutzhäuser (42 im Jahr 2017) und • 9 Stellen mit Schutzwohnungen für Frauen und deren Kinder. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 6 2. Tätigkeiten der Unterstützungs- und Beratungsstellen Die Landschaft des Frauenhilfe- und Unterstützungssystems ist ausgesprochen vielseitig. Ein einheitliches Tätigkeitsprofil würde den Opfern und den Betroffenen insgesamt nicht gerecht werden. Dementsprechend können die Tätigkeitsschwerpunkte und die Aufgabenwahrnehmungen hier auch nur exemplarisch dargestellt werden. a) Vielfältige Beratungsangebote Im Rahmen des umfassenden Angebotes haben sich einzelne Beratungsstellen auf die Beratung von Frauen sowohl bei häuslicher als auch bei sexualisierter Gewalt spezialisiert. Gleichzeitig werden hier auch Informationen über Hilfestrukturen bei drohender Zwangsverheiratung sowie für Prostituierte bereitgehalten und weitergegeben . Einzelne Beratungsstellen haben sich noch tiefergehender auf eine Zielgruppe oder eine Gewaltform spezialisiert. Der Schwerpunkt der Angebote liegt allerdings auch hier auf der Beratung, insbesondere der niederschwelligen telefonischen Beratung. Dabei spielt auch die besonders niederschwellige Onlineberatung eine große Rolle. Es ist davon auszugehen, dass diese Form der Beratung weiter zunehmen wird. Beide Angebote können anonym genutzt werden. Bei der Online-Beratung kann darüber hinaus das Anliegen in Ruhe aus der gewohnten häuslichen Umgebung des Opfers bzw. der zu beratenden Person formuliert werden. Neben „offenen Treffs“ bieten einige Einrichtungen auch eine aufsuchende Beratung an, etwa dann, wenn Klientinnen nicht mobil sind. Darüber hinaus werden persönliche Beratung, auch des unterstützenden sozialen Umfelds, praktische Hilfe und Begleitung, etwa bei Amtsgängen, Behördenangelegenheiten und bei der Vermittlung von Frauen- und Kinderschutzplätzen sowie im Rahmen der nachgehenden Beratung für ehemalige Frauenhausbewohnerinnen angeboten. Insgesamt stehen zahlreiche, abgestufte und aufeinander abgestimmte Maßnahmen der Gewaltprävention zur Verfügung. b) Bekämpfung von Zwangsverheiratung Im Bereich der Bekämpfung von Zwangsverheiratung unterstützt die vom Minis - terium für Soziales und Integration finanzierte Fachberatungsstelle YASEMIN Personen, die von einer Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind. Die landesweit tätige Beratungsstelle YASEMIN befindet sich in Trägerschaft der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und setzt sich insbesondere für junge Migrantinnen im Alter zwischen 12 und 27 Jahren ein, die Schwierigkeiten mit ihrer Familie , mit ihren Verwandten und mit ihrem sozialen Umfeld haben. Die Mädchen und jungen Frauen befinden sich oft in einer Konfliktsituation, deren Ursache im traditionellen und kulturellen Hintergrund ihrer Familie liegt. c) Die Arbeit der Frauen- und Kinderschutzhäuser (FKH) In Baden-Württemberg besteht ein gewachsenes Angebot von FKH, die Frauen und deren Kindern, die häuslicher Gewalt ausgesetzt oder davon bedroht sind, vorübergehenden Schutz, Unterkunft und Betreuung (grundständige Aufgaben) bieten. Durch die jährlichen Zuwendungen des Landes wird eine bedarfsgerechte Versorgung mit Beratungs-, Hilfs- und Schutzangeboten ermöglicht und unterstützt . Die FKH gewährleisten neben diesen grundständigen Aufgaben eine ständige telefonische Erreichbarkeit und Aufnahmebereitschaft für die Krisenintervention (Notaufnahmen). Sie nehmen ferner präventive und nachsorgende Aufgaben wahr, die grundsätzlich zur Vermeidung von Aufenthalten im FKH geeignet sind (Prävention und Nachsorge). Zudem werden zur Unterstützung der Arbeit in FKH Qualifizierungsmaßnahmen für bürgerschaftlich Engagierte angeboten. 7 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 Im Einzelnen werden folgende Aufgaben wahrgenommen: • Gewährleistung einer ständigen telefonischen Erreichbarkeit und Aufnahmebereitschaft für die Krisenintervention bei Notaufnahmen, • Einzelfallberatungen von Frauen außerhalb des FKH, • Einzelfallberatung von Frauen in Konfliktsituationen, • Beratung bei sich abzeichnender Gewalteskalation, • Gruppenarbeit mit schwer traumatisierten Frauen und Kindern, • Vermittlung zu alternativen Beratungs- und Hilfsangeboten, • Beratung und Unterstützung von Frauen nach FKH-Aufenthalt, • Qualifizierungsmaßnahmen, insbesondere für bürgerschaftlich Engagierte und • Beteiligung an präventiven und koordinierenden Maßnahmen. d) Frauennotrufe Die Frauennotrufe sind als niederschwellige telefonische Erstanlaufstellen konzipiert . Sie sollen es Frauen unterschiedlichster Herkunft und sozialer Lage ermöglichen , zu jeder Zeit eine kompetente Ansprechperson zu kontaktieren, um wei - tere Hilfen innerhalb des Hilfesystems zu finden. Dem Notruf kommt in diesem Sinne eine gewisse Lotsenfunktion zu. Die Länder stellen dem bundesweiten Frauennotruf dafür die erforderlichen Daten und Angaben zur Struktur des jeweiligen Hilfesystems zur Verfügung. Das Hilfetelefon ist 24 Stunden täglich, sieben Tage pro Woche erreichbar. Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ besteht seit 2012. Mit bislang über 100.000 Beratungen hat das Hilfetelefon nach übereinstimmender Einschätzung aller Beteiligten auf Bundes- und Landesebene einen wichtigen, unverzichtbaren Platz im Unterstützungssystem für gewaltbetroffene Frauen. Im Jahr 2016 war die Zahl der Beratungen nach Angaben des Bundes im Vergleich mit dem Vorjahr um weitere 27 Prozent angestiegen. Durch die kompetenten Beratungen des Hilfetelefons können Wege aus der Gewalt eröffnet werden, bei Gewalt in Paarbeziehungen und bei jeder anderen Form von Gewalt. 2016 bildete nach Angaben des Bundes die Beratung von geflüchteten Frauen und von Menschen , die als Fachkräfte oder Ehrenamtliche Geflüchtete unterstützen, einen Schwerpunkt der Aktivitäten des bundesweiten Hilfetelefons. Das breite Angebot mit Information, Erstberatung, Krisenintervention und Weitervermittlung wird gut in Anspruch genommen. e) Interventionsstellen Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt (IST) sind das Bindeglied zwischen schnell greifenden polizeilichen Eingriffsbefugnissen (z. B. Wohnungsverweis, Ingewahrsamnahme, Annäherungsverbot) und mittelfristig wirkenden zivilrecht - lichen Schutzmöglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz. Durch einen proaktiven Beratungsansatz soll möglichst allen Opfern von häuslicher Gewalt zeitnah nach dem Polizeieinsatz ein Beratungsangebot unterbreitet werden, auch denjenigen , die von sich aus Hilfe und Unterstützung nicht in Anspruch nehmen würden. Über die Annahme des Angebots entscheiden allein die Betroffenen. In Stuttgart beispielsweise steht die FrauenInterventionsstelle als Fachberatungsstelle Frauen nach einem Polizeieinsatz zur Verfügung. Die Interventionsstellen sind integraler Bestandteil eines insgesamt abgestimmten Verfahrens, bei dem polizei -, ordnungsrechtliche und juristische Maßnahmen sowie psychosoziale Interventionen durch Beratungs- und Therapiehilfen für alle Beteiligten (Opfer, Täter, Kinder) koordiniert und angeboten werden. Nach Angaben der Stuttgarter Interventionsstelle wird das Interventionsverfahren kontinuierlich optimiert. Vierteljährlich findet unter den beteiligten Institutionen ein moderiertes Fachtreffen statt, um Positives und Negatives im Interventionskreislauf abzugleichen und zu reagieren. So wurde zum Beispiel für Paare, die lernen wollen, oft während der eigenen Kindheit erlebte Verhaltensmuster (Opfer- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 8 und Tätersein) zu durchbrechen, ein sogenanntes Fairstreit-Training entwickelt (Angebot über die Frauen- und Männerinterventionsstelle). Ziel ist es, neue Streitkultur ohne Gewalt zu erlernen. Schutz und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen 1. Kinderschutz und Hilfe zu Erziehung in der Kinder- und Jugendhilfe Wenn Kinder und Jugendliche im häuslichen Bereich von Gewalt bedroht sind, greifen – vor dem Hintergrund des grundgesetzlich verankerten staatlichen Wächteramts bei Gefährdungen des Kindeswohls – die Regelungen zum Kinderschutz nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII). Der Schutzauftrag der Jugendhilfe bei Kindeswohlgefährdungen ist in § 8 a SGB VIII konkretisiert. Sofern dies erforderlich ist, um eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, kann ein Kind durch das Jugendamt in Obhut genommen werden. Gemäß §§ 27 ff. SGB VIII besteht Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, die ein breites Spektrum von ambulanten Leistungen bis hin zu dauerhafter Betreuung eines Kindes oder Jugendlichen außerhalb der Familie umfasst. In diesem Rahmen geht die Jugendhilfe auch auf die besonderen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen ein, die Opfer von Gewalt geworden oder von Gewalt bedroht sind. Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen ist auf Folgendes hinzuweisen: Örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit der Jugendämter sind in Baden-Württemberg die Stadt- und Landkreise sowie die beiden kreisangehörigen Städte Konstanz und Villingen-Schwenningen. Überörtlicher Träger der öffent - lichen Jugendhilfe ist der Kommunalverband für Jugend und Soziales, in welchem das Landesjugendamt eingerichtet ist. Bei der Kinder- und Jugendhilfe handelt es sich um eine weisungsfreie kommunale Pflichtaufgabe. Aufgabe des Mi - nis teriums für Soziales und Integration als oberster Landesjugendbehörde ist es gemäß § 82 Absatz 1 SGB VIII, die Tätigkeit der Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe und die Weiterentwicklung der Jugendhilfe anzuregen und zu fördern. Darüber hinaus ist es gemäß § 82 Absatz 2 SGB VIII Aufgabe des Landes , auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken und die Jugendämter und das Landesjugendamt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Darüber hinaus fördert das Land die Arbeit von landesweit tätigen Institutionen und Organisationen im Bereich des Kinderschutzes, insbesondere den Deutschen Kinderschutzbund Landesverband Baden-Württemberg e. V. und den Landesjugendring Baden-Württemberg e. V. 2. Nachträgliche Hilfe für Opfer im institutionellen Bereich Das „Ergänzende Hilfesystem im institutionellen Bereich“ und der „Heimer - ziehungsfonds West“ sowie die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ dienen der Opferhilfe für Personen, die in der Vergangenheit Opfer von Gewalt und anderen Formen des Leids in einem institutionellen Kontext wurden. Gemäß den Empfehlungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ hat der Bund gemeinsam mit den Ländern und betroffenen Institutionen ein Ergänzendes Hilfesystem (EHS) für diejenigen eingerichtet , die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuelle Gewalt erlitten haben und noch heute an den Folgen leiden. Im Rahmen des EHS im institutionellen Bereich werden Betroffenen Leistungen gewährt, die noch andauernden Belastungen und Folgewirkungen von Missbrauch abhelfen oder diese abmildern sollen. Hilfeleis - tungen konnten bis Ende August 2016 beantragt werden. Voraussetzung für die Hilfegewährung von Leistungen aus dem EHS war, dass mit der entsprechenden Institution eine Vereinbarung zur Beteiligung am EHS besteht. Auf Länderebene hat sich Baden-Württemberg dem Ergänzenden Hilfesystem im institutionellen Bereich angeschlossen. Der Heimerziehungsfonds West wurde gemäß den Empfehlungen des Runden Tisches „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er- und 9 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 60er-Jahren“ zum 1. Januar 2012 von Bund, Ländern und den beiden großen christlichen Kirchen errichtet. Er bietet ehemaligen Heimkindern Unterstützung, die während ihres Heimaufenthalts zwischen 1949 und 1975 Leid und Unrecht erlitten haben und heute noch an den Folgen leiden. Betroffene konnten bis Ende 2014 Anträge auf Leistungen aus diesem Fonds stellen. In diesem Zusammenhang wurde auch eine zentrale Anlauf- und Beratungsstelle (ABH) für ehemalige Heimkinder für die Zeit bis Ende 2018 eingerichtet. Unterstützung bei Archiv - recherchen zur Aufarbeitung der Vergangenheit bietet das Landesarchiv im Rahmen des Projektes „Archivrecherchen und historische Aufarbeitung der Heimerziehung 1949 bis 1975“. Seit dem 1. Januar 2017 gibt es die zeitlich befristete Stiftung „Anerkennung und Hilfe“, die in Baden-Württemberg eine Anlauf- und Beratungsstelle betreibt. Die Stiftung unterstützt Menschen, die als Kinder und Jugendliche in der Zeit von 1949 bis 1975 in der Bundesrepublik Deutschland bzw. von 1949 bis 1990 in der DDR in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie Leid und Unrecht erlebt haben und heute noch unter den Folgen daraus leiden. Stifter sind neben dem Land Baden-Württemberg die anderen Länder, der Bund und die Kirchen. Bis zum Jahresende 2019 können sich Betroffene an die Stiftung wenden , um Leistungen zu erhalten. Stiftungsleistungen sind im Wesentlichen das Anerkennungs- und Beratungsgespräch, eine pauschale Geldleistung in Höhe von 9.000 Euro und für Betroffene, die arbeiten mussten, ohne sozialversichert zu sein, je nach Dauer der Arbeit pauschal 3.000 Euro bzw. 5.000 Euro. Angebote für Opfer sonstiger gruppenbezogener Gewalt 1. Opferberatungsstelle LEUCHTLINIE Im Zuge der vom Ministerium für Soziales und Integration federführend betreuten Umsetzung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurde – in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesministerien – auch in Baden-Württemberg der Aufbau landesweiter Beratungsnetzwerke (sog. Demokratiezentren) gefördert. Auftrag der Demokratiezentren der Länder ist die Verknüpfung lokal vertretener Beratungs- und Unterstützungsangebote, die sich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen. Die bei der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg e. V. (TGBW e. V.) angesiedelte Opferberatungsstelle LEUCHTLINIE unterstützt als Fachstelle des Demokratiezentrums Baden-Württemberg Betroffene bei der Bewältigung erlittener Gewalttaten und berät dabei Betroffene von rechter Gewalt, die – im Zusammenhang mit dem Tatmotiv Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – physische oder psychische Gewalt erfahren haben. LEUCHTLINIE arbeitet als Netzwerk und bietet im Bedarfsfall auch individuelle Weiterleitungsberatung an, die Betroffene an geeignete psychotherapeutische, juristische oder medizinische Fachkräfte verweist. Mittelfristiges Ziel der Fachberatungsstelle LEUCHTLINIE ist der Aufbau eines landesweiten Unterstützungsnetzwerkes für Betroffene von rechter Gewalt . 2. Landesstrategie „Antidiskriminierung“ Das Ministerium für Soziales und Integration treibt im Zuge der Umsetzung des Koalitionsvertrags darüber hinaus aktuell den Aufbau der Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-Württemberg (LADS BW) voran, die als Erstanlaufstelle mit (Weiterleitungs-)Beratung von Diskriminierung betroffene Menschen unterstützen wird. Die LADS BW soll diesem Personenkreis als möglichst leicht zugängliche und „gut sichtbare“ Anlaufstelle zur Verfügung stehen und Betroffenen die unkomplizierte Kontaktaufnahme mit kompetenten Beraterinnen bzw. Beratern ermöglichen. Bei der Auseinandersetzung mit konkreten Diskriminierungsfällen gilt es sicherzustellen , dass eine diskriminierte Person möglichst zeitnah – also innerhalb der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) festgelegten Klagefrist von Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 10 zwei Monaten – kompetent und effizient auf ihre Rechtsansprüche und Handlungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht wird. Die durch das AGG abgedeckten Diskriminierungsmerkmale umfassen dabei die Bereiche Alter, Geschlecht, Behinderung , ethnische Herkunft, Religion/Weltanschauung sowie die sexuelle Iden tität. Darüber hinaus wird es die präventive Aufgabe der LADS BW sein, öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren, dass grundsätzlich jeder Mensch der Gefahr einer Diskriminierung ausgesetzt ist. Angebote im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren Angebote für Opfer im Hinblick auf ein konkretes Ermittlungs- und Strafverfahren erfolgen zunächst im Rahmen der verschiedenen Formen der Zeugeninformation und Zeugenbegleitung. Das Angebot im Rahmen der Zeugeninformation und -begleitung gliedert sich in drei Stufen: Zeugenservice, Zeugenbegleitung, Psychosoziale Prozessbegleitung. Im Rahmen des Zeugenservice werden Opfern allgemeine Informationen und Hilfeleistungen etwa im Hinblick auf eine gerichtliche Hauptverhandlung angeboten. Hierfür stehen als erste Ansprechpartner im Wesentlichen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rechtsantragstellen beziehungsweise der Infotheken sowie die Servicemitarbeiterinnen und -mitarbeiter der Gerichte zur Verfügung. Diese üben eine Lotsenfunktion für Opferzeugen aus. Auf der durch das Ministerium der Justiz und für Europa mitfinanzierten, in leicht verständlicher Sprache formulierten Webseite www.zeugeninfo.de der PräventSozial gGmbH können sich – insbesondere selbst durch eine Straftat verletzte – Zeugen in Strafverfahren über Abläufe und Besonderheiten bei Gericht informieren und für weiterführende Fragen telefonisch oder über die (ggf. anonyme) Onlineberatung Kontakt zu hauptamtlichen Mitarbeitern aufnehmen. Die Webseite enthält auch gesonderte Informationen für minderjährige Zeugen. Dieses Angebot ergänzt die entsprechenden Hinweise auf den gerichtlichen Ladungsformularen, den Internetauftritten der Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie auf dem Portal service -bw. Die Zeugenbegleitung ist bei den Opferhilfeeinrichtungen wie dem WEISSER RING e. V. sowie den justiznahen Vereinen der sozialen Rechtspflege verortet und bietet (Opfer-)Zeugen durch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem aber durch Ehrenamtliche und Referendare eine Prozessvorbereitung, -begleitung und -nachbereitung an, um diese bei der Bewältigung von Belastungen zu unterstützen . Insbesondere durch verständlich vermittelte Informationen über den Ablauf und die Grundsätze eines Strafverfahrens, den Besuch des Gerichtssaals vor der Hauptverhandlung sowie die Begleitung von Zeugen in der Hauptverhandlung , aber auch gegebenenfalls durch Kontaktaufnahme zum Gericht mit Hinweis auf etwa erforderliche Schutzmaßnahmen hilft die Zeugenbegleitung, Zeugen zu stabilisieren und so die Aussagemotivation aufrecht zu erhalten. Auch die Psychosoziale Prozessbegleitung wird von Opferhilfeeinrichtungen und den justiznahen Vereinen der sozialen Rechtspflege angeboten. Hierbei handelt es sich um die (zeit-)intensivste, fachlich bestmöglich spezialisierte Form der Zeugenbegleitung , die (nur) durch hierfür speziell weitergebildete Fachkräfte durchgeführt wird. Sie richtet sich in erster Linie an besonders belastete, traumatisierte Opferzeugen schwerer Sexual- und Gewaltdelikte. Seit dem 1. Januar 2017 haben solche Opferzeugen unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf für sie kos - tenfreie Beiordnung einer Psychosozialen Prozessbegleiterin bzw. eines -begleiters . Derzeit stehen unter www.olg-stuttgart.de (Stichworte Service – Psycho - soziale Prozessbegleitung – Psychosoziale Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter ) 45 durch das Oberlandesgericht Stuttgart für Baden-Württemberg anerkannte Psychosoziale Prozessbegleiterinnen und -begleiter zur Auswahl zur Verfügung . 22 weitere Personen durchlaufen aktuell eine durch das Ministerium der Justiz und für Europa teilfinanzierte Weiterbildung und dürften somit im Laufe des kommenden Jahres ebenfalls ihre Anerkennung erhalten. Das Hilfsangebot der Landesstiftung Opferschutz (LSO), die durch das Ministerium der Justiz und für Europa im Jahr 2001 als Stiftung des privaten Rechts gegründet wurde, wendet sich an Opfer von Straftaten nach rechtskräftigem Ab- 11 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 schluss des Strafverfahrens. Ihre Aufgabe ist es, durch die (subsidiäre) Unterstützung von Opfern von Gewalttaten, die ihre Ansprüche gegen die Täter wegen deren fehlender Leistungsfähigkeit nicht durchsetzen können, Lücken des geltenden Opferentschädigungsgesetzes zu schließen (vgl. zu IV. 5.). Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen ist in der Regel, dass der Täter wegen der Tat strafrechtlich verurteilt und ein zivilrechtlicher Titel erwirkt wurde. Eine ergänzende Aufgabe der LSO ist die Unterstützung von Opferhilfeeinrichtungen. Eine Übersicht über die dem Ministerium der Justiz und für Europa bekannten Opferhilfeeinrichtungen in Baden-Württemberg, aus der auch hervorgeht, in welchen Bereichen die jeweiligen Einrichtungen tätig sind, ist unter http://www.jus - tiz-bw.de (Stichwort „Opferschutz“) abrufbar. Im Geschäftsbereich des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration wird Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Extranet mit der Opferschutzanwendung VIKTIM (http://www.viktim.extrapol.de/viktim/hilfeeinrichtungen/) die Möglichkeit geboten, für jedes Opfer eine individuell passende Hilfeeinrichtung zu finden und zu vermitteln. Für Baden-Württemberg sind 546 Institutionen, Notfall -Telefone oder sonstige Hinwendungsorte mit Erreichbarkeiten und einer kurzen Beschreibung des jeweiligen Angebots gelistet. Durch die Auswahl bestimmter Kriterien wie Wohnort, Hilfesituation, Art der Hilfe und Zielgruppe können Hilfeeinrichtungen herausgefiltert werden, die ein auf die jeweiligen Bedürfnisse des Opfers ausgerichtetes Angebot bieten. Einen ähnlichen Service bietet ODABS (Online Datenbank für Betroffene von Straftaten, https://www.odabs.org/BW.html). Auch hier können anhand bestimmter Suchkriterien auf die persönlichen Umstände der Betroffenen abgestimmte Opferhilfeeinrichtungen gefunden werden. ODABS ist im Internet frei zugänglich . Eine entsprechende Verlinkung zu ODABS befindet sich im Bereich Opferschutz der Homepages der Justiz sowie der Polizei Baden-Württemberg. Die Landesregierung sieht die Arbeit der Opferhilfeeinrichtungen als eine wesentliche Säule des aktiven Opferschutzes sowie der nachhaltigen Präventionsarbeit in Baden-Württemberg an. Eine konkrete Bewertung der Arbeit der unterschied - lichen Hilfeeinrichtungen ist der Landesregierung jedoch nicht möglich. In seinem am 13. Dezember 2017 der Öffentlichkeit vorgestellten Abschlussbericht empfiehlt der Bundesbeauftragte für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz u. a. Änderungen im Opferentschädigungsgesetz sowie die Einrichtung zentraler Anlaufstellen für Opfer eines Terroranschlags und deren Angehörige auf Bundes- und Länderebene. Die Landesregierung wird den Abschlussbericht und die Möglichkeiten einer Umsetzung dieser Empfehlungen im Land zeitnah prüfen. 2. Inwieweit und wie viele ehrenamtlich tätige Menschen sind in die Arbeit der Einrichtungen und Institutionen der Opferhilfe in Baden-Württemberg eingebunden ? Zu I. 2.: Hilfen und Unterstützung von Frauen Aus der Bestandsaufnahme zur Situation des spezialisierten Hilfesystems im Bereich Gewalt gegen Frauen in Baden-Württemberg (Stand Mai 2016) geht hervor, dass zusätzlich zu den bezahlten Mitarbeiterinnen in rund 66,5 Prozent der Einrichtungen , die an der Befragung teilgenommen haben, Ehrenamtliche engagiert sind. Im Durchschnitt arbeiten 6,08 Ehrenamtliche in den Einrichtungen, wobei deutlich weniger Ehrenamtliche in Beratungseinrichtungen arbeiten als in Frauenhäusern . Schutz und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen Die Kinder- und Jugendhilfe ist durch die Tätigkeit von Fachkräften geprägt. Auch die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ arbeitet mit Fachkräften. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 12 Angebote für Opfer sonstiger gruppenbezogener Gewalt Die Beratungsleistungen der Fachberatungsstellen werden zwar überwiegend durch Hauptamtliche erbracht; dabei werden jedoch häufig Ehrenamtliche aus dem sozialen Umfeld der Betroffenen zu deren Unterstützung miteinbezogen. Angebote im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren In Bezug auf die Zeugenbegleitung wird auf die Antwort zu I. 1. und V. 10. verwiesen . Weitere Erkenntnisse zur personellen Ausstattung der Hilfeeinrichtungen in Baden -Württemberg liegen der Landesregierung nicht vor. 3. Welche Möglichkeiten sieht sie, das Engagement Ehrenamtlicher im Bereich des Opferschutzes zu stärken? Zu I. 3.: Hilfe und Unterstützung für Frauen Schon heute engagieren sich zahlreiche Menschen im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ ehrenamtlich. Das Ministerium für Soziales und Integration bestärkt die Frauen- und Kinderschutzhäuser sowie Frauenhilfe- und Unterstützungseinrichtungen , in eigener Verantwortung auf kommunaler Ebene ehrenamtlich Engagierte anzusprechen und für eine Mitarbeit zu aktivieren. Zu nennen sind neben spe - zifischen Fachpublikationen auch überregionale Veranstaltungen, wie der Tag des Opferschutzes, der sich dieses Jahr speziell dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ widmet. Allerdings ist beim Engagement im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ zu beachten, dass es sich um ein sensibles und auch persönlich belastendes Thema handelt, das sich nicht für alle Bürgerinnen und Bürger als Bereich des ehrenamtlichen Engagements eignet. Zu berücksichtigen ist des Weiteren auch, dass gerade im Bereich Frauen- und Kinderschutzhäuser hohe Anforderungen an die Wahrung der Anonymität der Opfer gestellt werden müssen. Unterstützung von Kindern und Jugendlichen Im Bereich des Kinderschutzes ist das Handeln in der Regel den beruflichen Fachkräften vorbehalten. Für ehrenamtliche Tätigkeiten ist dieser Bereich grundsätzlich nicht geeignet. Lediglich im Bereich des präventiven Kinderschutzes ist auch die ehrenamtliche Aufgabenerfüllung möglich und üblich. Insbesondere im Rahmen der sog. „Frühen Hilfen“ wird die Arbeit von Ehrenamtlichen unterstützt und gefördert. Angebote für Opfer sonstiger gruppenbezogener Gewalt Ehrenamtliche im Bereich des Opferschutzes sind häufig sekundär von Gewalttaten betroffen. Aus diesen Gründen benötigen auch Ehrenamtliche z. T. psychosoziale Unterstützung. Der Träger der Fachberatungsstelle LEUCHTLINIE bietet für Ehrenamtliche in der Geflüchtetenhilfe zu deren Unterstützung und Stärkung gegen Anfeindungen spezielle Begleitungen und Workshops an. Angebote im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren In Bezug auf die Zeugenbegleitung wird auf die Antwort zu V. 10. verwiesen. 13 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 4. Wie können aus ihrer Sicht die Kooperation und Vernetzung der verschiedenen Beteiligten im Bereich des Opferschutzes gestärkt werden? Zu I. 4.: Hilfe und Unterstützung für Frauen Im Bereich der Bekämpfung „Gewalt gegen Frauen“ finden regelmäßig regionale und überregionale Veranstaltungen statt, die auch dem Ziel einer weiteren Vernetzung dienen. Der Landesaktionsplan „Gegen Gewalt an Frauen“ sieht verschiedene Maßnahmen der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit sowie Sensibilisierungsmaßnahmen vor. Schutz und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen Im Bereich des Kinderschutzes nimmt das Thema der Kooperation breiten Raum ein. Regelungen hierzu finden sich insbesondere im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz. Da der Kinderschutz weisungsfreie kommunale Pflichtaufgabe ist, wird die Kooperation jeweils auf örtlicher Ebene organisiert. In über 80 Prozent der Jugendamtsbezirke gibt es Netzwerke zur Kooperation im Kinderschutz, wobei diese Aufgabe häufig im Rahmen der flächendeckend vorhandenen Netzwerke im Bereich der – präventiv tätigen – Frühen Hilfen wahrgenommen wird. Das Ministerium für Soziales und Integration und das Ministerium für Justiz und Europa veranstalten mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales jährlich einen gemeinsamen Fachtag Kinderschutz, der sich an Kinderschutzfachkräfte im Jugendamt sowie an die Familienrichterinnen und -richter wendet. Auch hierbei spielt die Weiterentwicklung der Kooperation im Kinderschutz eine wesentliche Rolle und wird auch Thema des 2018 anstehenden Fachtags sein. Gegenwärtig stimmt das Ministerium für Soziales und Integration zudem mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales ein Konzept zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes ab. Dieses Konzept sieht insbesondere die Unterstützung der Jugendämter bei der Analyse und Weiterentwicklung vorhandener Strukturen im Kinderschutz vor. Angebote für Opfer sonstiger gruppenbezogener Gewalt Die häufig fallbezogen geleistete Unterstützungsarbeit für Betroffene muss aus Sicht der im Rahmen der Opferberatungsstelle LEUCHTLINIE beteiligten Fachberatungsstellen auch auf struktureller Ebene Zug um Zug verstetigt und optimiert werden, da ein effizient funktionierendes Beratungsnetzwerk für die schnelle und erfolgreiche Beratung von Betroffenen zwingend erforderlich ist. Die Landesregierung verfolgt vor diesem Hintergrund das Ziel, die strukturelle Optimierung der Beratungsnetzwerke im Bereich Opferschutz über die finanzielle Förderung von Netzwerktreffen und Fachveranstaltungen für die Akteure der im Land aktiven Beratungsstellen angemessen zu unterstützen. Im Übrigen wird auf die Antworten zu IV. 4. und V. 3. verwiesen. 5. Wie bewertet sie das Niedersächsische Modell, zentrale Opferberatungsstellen bei den Landgerichten einzurichten, und eine mögliche Übertragbarkeit nach Baden-Württemberg? Zu I. 5.: In Niedersachsen sind bei den Landgerichten sogenannte „Regionale Opferhilfebüros “ angesiedelt, die von der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen getragen werden . Diese ist mit einem Stiftungskapital ausgestattet, das in einem Anspruch gegen das Land Niedersachsen auf Zahlung von einer Million Euro besteht. Vorstand der Dachstiftung ist das Niedersächsische Justizministerium. Bei den Opferhelfern in den elf „Regionalen Opferhilfebüros“ handelt es sich um insge- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 14 samt 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Arbeitskraftanteilen von 0,5 bis 1,0 (Stand: 31. Dezember 2016). Ausweislich der Stiftungsberichte wird die Arbeit der Stiftung in ganz überwiegendem Umfang durch Geldauflagen – die z. B. im Jahr 2016 nahezu eine Million Euro betrugen – finanziert. Die Opferhelferinnen und -helfer der „Regionalen Opferhilfebüros“ bieten (auch anonyme) vielfältige Unterstützungsangebote für in Niedersachsen wohnhafte Opfer von Straftaten und für Opfer von Straftaten an, die in Niedersachsen verübt wurden. Zu diesen Angeboten gehören neben Beratungsgesprächen die Psychosoziale Betreuung und Beratung, die Vermittlung zu weitergehenden Hilfs- und Beratungsangeboten , die Begleitung zu Gerichts-, Behörden-, Anwalts-, und Arztterminen und die Bereitstellung von Informationen. Darüber hinaus unterstützt die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen Maßnahmen, Projekte und Einrichtungen der Opferhilfe, die dem Zweck der Stiftung, Opfern von Straftaten außerhalb der gesetzlichen Leistungen und über die Hilfe anderer Opferhilfeeinrichtungen hinaus Hilfe zu leisten und Schutz zu gewähren, dienen, mit finanziellen Mitteln zwischen 1.000 und 100.000 Euro pro Kalenderjahr. Darüber hinaus profitieren Opferhilfeeinrichtungen in Niedersachsen jährlich von der Zuweisung von Geldauflagen in Höhe von im Durchschnitt zwischen vier und fünf Millionen jährlich. Die fachkundige Beratung und Unterstützung von Opfern erfolgt in Baden-Württemberg traditionell und erfolgreich durch nichtstaatliche Opferhilfeeinrichtungen , die zur Aufgabenerledigung finanzielle Zuwendungen durch das Land erhalten . Dieser strukturelle Ansatz im Bereich der Opferhilfe hat sich bewährt. Die finanzielle Unterstützung von Opfern von Straftaten außerhalb der gesetzlichen Leistungen erfolgt in Baden-Württemberg durch die LSO. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die bewährte und gewachsene Struktur von Opferschutz und Opferhilfe besteht nach Auffassung der Landesregierung keine Notwendigkeit für eine Übertragung des niedersächsischen Modells auf Baden-Württemberg , zumal hierdurch im Grundsatz nicht erwünschte Doppelstrukturen in der Beratung und Unterstützung von Opfern geschaffen würden. I I . V e r f a h r e n s u n a b h ä n g i g e B e w e i s s i c h e r u n g 1. Wie erfolgt die verfahrensunabhängige Erhebung objektiver Befunde und Sicherung von Spuren durch die Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg? Zu II. 1.: Die klinisch-forensische Ambulanz des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin Heidelberg bietet Untersuchungen nach modernsten rechtsmedizinischen Standards an. Untersuchungen erfolgen durch speziell dafür ausgebildete Ärztinnen und Ärzte aus dem Fachgebiet der Rechtsmedizin. Die Untersuchungen finden am Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin Heidelberg oder am Universitätsklinikum Heidelberg bzw. der Universitätsmedizin Mannheim statt. Auch eine Untersuchung an anderen Orten ist nach Absprache möglich. Es werden folgende Leistungen angeboten: • Rechtsmedizinische Untersuchung • Gerichtsverwertbare Dokumentation von Verletzungen • Sicherung von Spuren an Körper und Bekleidung • Begutachtung • Weiterführende Untersuchungen, z. B. chemisch-toxikologische Analysen, forensisch -radiologische Untersuchungen • Auf Wunsch Information zu geeigneten Beratungsstellen und Vermittlung entsprechender Angebote (z. B. weiterführende medizinische Betreuung, Kontakt zu Opferhilfeeinrichtungen und Rechtsberatungsstellen). 15 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 Die Untersuchung, Spurensicherung, Dokumentation, weiterführende Betreuung und Beratung, Begutachtung, Berichtswesen und ggf. weiterführende Unter - suchungen erfolgen nach den Standards der klinisch-forensischen Medizin; sie entsprechen den an den klinisch-forensischen Ambulanzen üblichen Vorgehensweisen . Diese sind in angezeigten und verfahrensunabhängig untersuchten Fällen gleich. Die Abläufe der Gewaltambulanz werden laufend an den aktuellen wissenschaftlichen Standard angepasst und dementsprechend aktualisiert. Danach erfolgt die Beweissicherung in folgenden Schritten: • Erstkontakt, meist telefonisch, bei dem bereits Instruktionen gegeben werden (z. B.: nicht duschen, nicht umziehen etc.) • Anamnese • Schrittweise Untersuchung (Abstriche, Sicherstellen der Kleidung, Spuren am Körper, körperliche Untersuchung, Blut- und Urinproben, Diagnostik, Therapie , Beratung). Sämtliche Leistungen, die im Rahmen der verfahrensunabhängigen Erhebung der Befunde und Sicherung von Spuren in Anspruch genommen werden, sind kostenfrei , auch die Asservierung von Beweismitteln. Kostenpflichtig ist hingegen die rechtsmedizinische Begutachtung, also die Erstellung eines Untersuchungsberichts oder Gutachtens. In diesem Fall richtet sich die Vergütung nach dem anwendbaren Gebührenrecht (der Gebührenordnung für Ärzte [GOÄ] und dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz [JVEG]). Entscheidet sich der/die Geschädigte, zunächst keine Anzeige zu erstatten, wird das Spurenmaterial mit einem standardisierten Spurensicherungsset aufbewahrt. Kommt es zu einer Anzeige, so wird das Spurensicherungsset an das von der Staatsanwaltschaft beauftragte Labor weitergeleitet, das weiterführende – insbesondere molekularbiologische, toxikologische und forensisch-radiologische – Untersuchungen durchführt. 2. Wie viele Personen suchten in den letzten fünf Jahren jährlich die Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg auf? Zu II. 2.: Nach Auskunft der Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg stellt sich die Verteilung wie folgt dar: Untersuchungen „mit Auftrag“ umfassen die Untersuchungen, die im Auftrag der Polizei oder Staatsanwaltschaft erfolgt sind, alle anderen („verfahrensunabhängigen “) sind in der Spalte „ohne Auftrag“ dargestellt. hEHUVLFKW EHU XQWHUVXFKWH 3HUVRQHQ ELV -DKU *HVDPW 8QWHUVXFKXQJHQ PLW $XIWUDJ 8QWHUVXFKXQJHQ RKQH $XIWUDJ 8QWHUVXFKXQJHQ RKQH $XIWUDJ *UXSSHQYHUWHLOXQJ -DKU 0lQQHU )UDXHQ .LQGHU 3HUVRQHQ XQWHU -DKUHQ Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 16 Der aktuelle Stand für das Jahr 2017 liegt bei 322 Untersuchungen, wobei eine detaillierte Statistik noch nicht verfügbar ist. Die Gesamtzahl und die Verteilung der Fälle dürften sich jedoch ähnlich wie 2016 darstellen. 3. Wie groß ist der Einzugsbereich der Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg? Zu II. 3.: Der Einzugsbereich der Gewaltambulanz ist nicht begrenzt, zumal bekannt ist, dass weite Teile Baden-Württembergs und auch andere Regionen nicht über ausreichende klinisch-forensische Versorgungsstrukturen verfügen. Das Rechtsme - dizinische Institut Heidelberg hat einen Einzugsbereich, der das gesamte Gebiet Nordbaden umfasst. In der Praxis kommen praktisch alle Aufträge der klinischforensischen Ambulanz auch aus diesem Gebiet, insbesondere aus dem Raum Heidelberg/Mannheim sowie Karlsruhe. In Heidelberg und Mannheim besteht seit mehreren Jahren eine besonders enge Kooperation mit den universitären klinischen Einrichtungen, beispielsweise ist die Gewaltambulanz in den Kinderschutzteams fest vertreten oder führt Unter - suchungen nach sexuellen Übergriffen an Frauen ausschließlich gemeinsam mit den jeweiligen gynäkologischen Abteilungen durch. Einzelfallbezogen wird nach sexuellen Übergriffen an Männern die Urologie oder Chirurgie hinzugezogen, bei Kindern die Kinderklinik oder die Gynäkologie oder Urologie. In jedem Fall soll den zu Untersuchenden erspart werden, sich einer zweiten Untersuchung unterziehen zu müssen. Seit Neuestem besteht zwischen dem Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg und dem Jugendamt Kreis Bergstraße zudem eine in Baden-Württemberg bislang einzigartige, vertraglich vereinbarte und institutionalisierte Zusammenarbeit: Das Jugendamt überweist sämtliche Kinder , bei denen der Verdacht auf körperliche Gewalt besteht, an die Gewaltambulanz am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg und trägt die insoweit anfallenden Kosten. Ebenfalls seit 2017 findet eine Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt im Rahmen des Projekts „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ statt, im Rahmen derer die Gewaltambulanz Asservierungen von in Krankenhäusern entnommenen Materialien nach sexuellen Übergriffen vornimmt. 4. Erachtet sie es als sinnvoll, an den Universitätskliniken sowie den mit diesen verbundenen akademischen Lehrkrankenhäusern Kooperationsmöglichkeiten zur Einrichtung von Gewaltambulanzen zu eröffnen? Zu II. 4.: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Heidelberger Konzeption einer Gewaltambulanz auch auf die anderen Universitätskliniken übertragen werden könnte. So werden am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Freiburg die grundsätzlichen Leistungen, die in der vom Heidelberger Institut für Rechtsmedizin eingerichteten Gewaltambulanz angeboten werden, ebenso erbracht. Dabei werden Untersuchungen entweder im Auftrag von Behörden (Gerichte, Staatsanwaltschaften , Polizei, Jugendämter) oder konsiliarisch (für andere Einrichtungen des Klinikums, z. B. Frauenklinik, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Department Orthopädie und Traumatologie) durchgeführt. Daneben bestehen weitere Angebote der verfahrensunabhängigen Beweissicherung nach einer Sexual- oder Gewaltstraftat, die unterschiedlich eng mit der Gewaltambulanz Heidelberg oder dem Rechtsmedizinischen Institut der Universität Freiburg zusammenarbeiten. Diese Angebote sind zumeist in den gynäkolo - gischen Abteilungen der örtlichen Kliniken angesiedelt und sind auch unter der Bezeichnung „vertrauliche Spurensicherung“ zu finden. Neben der gerichtsfesten Sicherung der Spuren erhalten die Opfer eine medizinische Erstversorgung nach Vergewaltigungen. Angebote der verfahrensunabhängigen oder vertraulichen Beweissicherung sind bekannt aus Freiburg, Offenburg, Pforzheim, Rottweil, Ravensburg , Ulm, Tuttlingen und Freudenstadt. Die Angebote werden zum Teil öf- 17 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 fentlichkeitswirksam in Zusammenarbeit mit den Kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und den dortigen Frauenhilfe- und Unterstützungssystemen bekannt gemacht. Um einen Überblick über alle Angebote der verfahrensunabhängigen oder vertraulichen Spurensicherung in Baden-Württemberg zu erhalten, beabsichtigt das Ministerium für Soziales und Integration die Durchführung einer Abfrage bei allen Kliniken mit gynäkologischen Abteilungen. Zudem wurden im Rahmen des Tages des Opferschutzes am 30. November 2017 zum Thema „Gegen Gewalt an Frauen“ die verfahrensunabhängige Spurensicherung der Gewaltambulanz in Heidelberg sowie weitere Angebote der vertrau - lichen Spurensicherung in Baden-Württemberg vorgestellt. Die Ergebnisse dieses Fachforums werden derzeit ausgewertet. In einem weiteren Schritt werden die Möglichkeiten zu Kooperationen zwischen der Gewaltambulanz und weiteren Universitätskliniken zu prüfen sein. I I I . P s y c h o t h e r a p e u t i s c h e S o f o r t h i l f e 1. Wie bewertet sie die Arbeit der in Baden-Württemberg im Rahmen eines Modellversuchs installierten Traumaambulanzen? Zu III. 1.: Während der 56 Monate, über die sich die Evaluierung des Modellversuches der Traumaambulanzen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) erstreckte, wurden insgesamt 133 Erwachsene und 14 Kinder bzw. Jugendliche in den Modell - ambulanzen nach dem OEG behandelt. Hierbei hatten die Opfer die Möglichkeit, sich im Sinne der Akutintervention frühzeitig nach dem Tatgeschehen an die Modellambulanzen zu wenden. Bei den Erwachsenen hatten sich 50 Prozent der Personen innerhalb der ersten 24 Tage und nur 25 Prozent innerhalb von 8,5 Tagen nach dem Tatgeschehen an die Traumaambulanz gewandt. Bei den Kindern und Jugendlichen erfolgte der Erstkontakt zumindest durchschnittlich innerhalb von 8,8 Tagen nach dem Tatgeschehen . Nach dem Ergebnis der Evaluierung lag die relativ späte Inanspruchnahme traumatherapeutischer Hilfe allerdings nicht an der Reaktionsgeschwindigkeit der Traumaambulanzen, sondern vielmehr an der verzögerten Reaktion der Berechtigten . Die frühere Vorstellung bei den Kindern und Jugendlichen spricht für eine schnellere Umgebungsreaktion und eine besondere Aufmerksamkeit der zuweisenden Personen. Erfreulicherweise mussten von den Opfern nur durchschnittlich 5,15 Sitzungen in Anspruch genommen werden; 89 Prozent der Behandelten benötigten fünf oder weniger Sitzungen, obwohl beim Erstkontakt jeweils eine starke Symptomatik erkennbar war. Trotz der kurzen Behandlungsdauer wurden sehr gute Effekte hinsichtlich Belastung mit Traumasymptomatik und Verbesserung der Beeinträchtigungen in den Lebensvollzügen erzielt, was für eine hohe Wirksamkeit der therapeutischen Erstbehandlungsmaßnahmen spricht. Hiernach kommt die Landesregierung zum Schluss, dass die Traumaambulanzen einen wertvollen Beitrag zur Verhinderung bzw. Reduzierung von psychischen Folgen von Gewalttaten leisten. 2. Welche Konsequenzen zieht sie aus der Evaluation der Traumaambulanzen? Zu III. 2.: Im Koalitionsvertrag der vormaligen Bundesregierung wurde die Neuordnung des Sozialen Entschädigungsrechts, zu dem auch das OEG gehört, festgeschrieben (künftiges SGB XIII). Ein erster Arbeitsentwurf liegt bereits vor, die Ausgestaltung der Leistungen im Einzelnen wird aber noch von Bund, Ländern und weiteren Gesprächspartnern diskutiert. In diesem Entwurf ist auch eine gesetzliche Verankerung der traumatherapeutischen Behandlung für Gewaltopfer im Sinne des OEG vorgesehen. Allerdings besteht noch Uneinigkeit zwischen Bund und Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 18 Ländern, inwieweit gesetzliche Vorgaben zur Ausgestaltung der Traumaambulanzen durch den Bund sinnvoll sind. Im Hinblick auf die künftigen, noch nicht geklärten gesetzlichen Vorgaben wurde davon abgesehen, derzeit weitere Traumaambulanzen unter Vertrag zu nehmen. Die Verträge mit den sechs Modellambulanzen in Baden-Württemberg werden aber bis auf Weiteres unverändert fortgesetzt. Den Landkreisen bleibt es bereits jetzt unbenommen, geeignete Einrichtungen unter Vertrag zu nehmen (z. B. Traumaambulanz von BIOS BW e. V. Karlsruhe mit umliegenden Landkreisen). 3. Welche Möglichkeiten sieht sie, flächendeckend in Baden-Württemberg eine zeitlich möglichst unmittelbar nach der traumatisierenden Gewalttat einsetzende psychotherapeutische Behandlung zu gewährleisten? Zu III. 3.: Die Landesregierung geht davon aus, dass nach Klärung der gesetzlichen Vor - gaben für Traumaambulanzen für Gewaltopfer durch das künftige SGB XIII flächendeckend Vereinbarungen zwischen den Landkreisen und entsprechend geeigneten traumatherapeutischen Einrichtungen geschlossen werden können. In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass unabhängig von dem Modellversuch zu den Traumaambulanzen nach dem OEG Gewaltopfer immer die Möglichkeit hatten und auch künftig haben, sich in eine traumatherapeutische Behandlung bei niedergelassenen Psychotherapeuten, Klinikambulanzen wie auch stationären Einrichtungen zu begeben, so also auch in Traumaambulanzen, mit denen keine Vertragsbeziehungen bestehen. Hierbei stehen als zusätzliche Instrumentarien insbesondere die Traumatherapeutenliste, die Gewaltopfer bei ihrem zuständigen Landratsamt abfragen können, und das Patiententelefon „Med- Call“ der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg sowie die dort im Zusammenhang mit der neuen Psychotherapie-Richtlinie ab 1. April 2017 eingerichteten Terminservicestellen zur Verfügung, welche Erstgespräche bei einem Psychotherapeuten und erforderlichenfalls auch Akutbehandlungen vermitteln. Für Opfer sonstiger gruppenbezogener Gewalt stehen zur Überbrückung mög - licher Wartezeiten bis zum Beginn einer Therapie zudem stützende Angebote zur Verfügung (z. B. durch Beratungsstellen wie die Fachstelle LEUCHTLINIE der TGBW e. V., die landesweite LSBTTIQ-Beratung und die Beratungsstelle für Roma in Mannheim). Unbestritten ist jedoch für eine Traumaverarbeitung eine schnelle psychotherapeutische Unterstützung notwendig, die von den berührten Beratungsstellen oft nicht geleistet werden kann. 4. Hat sie Erkenntnisse darüber, ob sich die Schwere der Straftaten, wegen deren Folgen eine Behandlung in den Traumaambulanzen erfolgt – bemessen anhand der Art der Strafe und des Strafmaßes sowie der Tatfolgen, soweit bekannt – in den letzten zehn Jahren qualitativ verändert hat? Zu III. 4.: Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 5. Ergibt sich hieraus nach ihrer Auffassung die Notwendigkeit, Behandlungsund Therapiekonzepte für Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen zu ändern und wenn ja, wie? Zu III. 5.: Die Einschätzung, ob eine fachliche Anpassung bestehender Behandlungs- und Therapiekonzepte erforderlich ist, dürfte sich aus der praktischen Arbeit der Traumaambulanzen selbst ergeben und kann daher nur von diesen selbst erfolgen. Letztlich dürften die Behandlungs- und Therapiekonzepte auf den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften basieren. Von den deutschen und internationalen Fachgesellschaften wurden verschiedene Leitlinien zur Diagnostik und Thera- 19 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 pie der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Zu den wichtigsten PTBS-Leitlinien dürfte die S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung gehören, welche in Abstimmung mit der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT), der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM), dem Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM), der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs), der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) sowie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) entwickelt wurde. Sie enthält unter anderem Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung. Inwieweit eine Weiterentwicklung bestehender fachlicher Leitlinien auch unter Berücksichtigung der Arbeit/Erfahrungen der Traumaambulanzen erfolgt, ist der Landesregierung nicht bekannt. I V . O p f e r e n t s c h ä d i g u n g 1. Wie viele Menschen in Baden-Württemberg sind in den letzten fünf Jahren jährlich Opfer von Straftaten geworden, aus denen dem Grunde nach ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) resultiert? Zu IV. 1.: Die Polizeiliche Kriminalstatistik Baden-Württemberg, bei der es sich um eine sogenannte Ausgangsstatistik handelt, in der strafrechtlich relevante Sachverhalte nach der polizeilichen Sachbearbeitung vor Abgabe an die Strafverfolgungsbehörden erfasst werden, weist für die Jahre 2012 bis 2016 die nachfolgende Anzahl an Opfern sogenannter Opferdelikte aus: Opferdelikte sind dabei vor allem Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit , die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung. Es gilt dabei zu beachten , dass Opfer keiner Echtzählung unterliegen, sodass Personen mehrfach als Opfer erfasst werden, wenn sie innerhalb eines Berichtsjahres mehrfach Opfer von strafbaren Handlungen werden. Eine Aussage darüber, inwiefern bei einzelnen Opfern in Folge der strafbaren Handlung ein Anspruch nach dem OEG bestand, wäre allenfalls durch eine mit unverhältnismäßig hohem bürokratischem und personellem Aufwand verbundene Einzelfallauswertung zu ermitteln. 2. Wie viele dieser Opfer haben tatsächlich einen Anspruch nach dem OEG geltend gemacht (ebenfalls jährlich für die letzten fünf Jahre)? Zu IV. 2.: In den Jahren 2012 bis 2016 wurden wie folgt Erstanträge nach dem OEG gestellt : -DKU $Q]DKO DQ 2SIHUQ VRJ 2SIHUGHOLNWH -DKU (UVWDQWUlJH QDFK GHP 2(* Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 20 3. Wie lange dauert in Baden-Württemberg die Bearbeitung eines Antrags nach dem OEG durchschnittlich? Zu IV. 3.: Die Bearbeitungsdauer von Erstanträgen nach dem OEG beträgt im Durchschnitt rund 360 Tage. Hierzu kann angemerkt werden, dass die seit einigen Jahren wieder steigende Verfahrensdauer insbesondere auf die zunehmende Zahl der Einzelfälle zurückzuführen ist, in denen oft Jahrzehnte zurückliegende, unklare bzw. unübersichtliche Sachverhalte wie Misshandlung und Missbrauch von Kindern innerhalb der Familie zu klären sind. In diesen Fällen sind die Personen, gegen die sich die Vorwürfe richten – sofern noch nicht verstorben – unter Berücksichtigung des Umstands, dass etwaige Familienangehörige häufig die Aussage verweigern, neben den Verletzten oft die Einzigen, die sich zu den Vorgängen äußern können. Eine umfassende Sachaufklärung und die Hinzuziehung besonders qualifizierter Gutachter zur Klärung der medizinischen Zusammenhangsfrage sind hier von besonderer Bedeutung, wirken sich aber im Regelfall negativ auf die Verfahrensdauer aus. 4. Welche Möglichkeiten sieht sie, um auf eine Beschleunigung der Verfahren in Baden-Württemberg hinzuwirken, insbesondere im Bereich der Schnittstellen zwischen Versorgungsverwaltung, Gutachtern, Krankenkassen, Polizei, Justiz und Opferhilfeeinrichtungen? Zu IV. 4.: Gesetzlich verpflichtend sind Verletzte im Strafverfahren möglichst frühzeitig u. a. über Befugnisse außerhalb des Strafverfahrens wie beispielsweise die Geltendmachung eines Versorgungsanspruchs nach Maßgabe des OEG zu informieren . Dies geschieht in der Regel im Rahmen der polizeilichen Vernehmung, sodass sichergestellt werden kann, dass das Opfer die Informationen auch verstanden hat. Durch entsprechende Merkblätter sowie die Aushändigung der Opferschutzbroschüre wird zudem gewährleistet, dass Verletzte sich zu einem späteren Zeitpunkt nochmals selbstständig informieren können. Damit wird gleichzeitig dem viktimologisch-kriminologischen Grundsatz der Selbstbestimmung gefolgt, nach dem die Entscheidung, Opferhilfe in Anspruch zu nehmen, dem Opfer überlassen werden sollte. Dies kann zur Wiederherstellung bzw. Stärkung des subjektiven Sicherheitsempfindens beitragen. Die Versorgungsverwaltung in Baden-Württemberg ist ständig bemüht, die Anträge nach dem OEG ohne zeitliche Verzögerungen zu bearbeiten und zu verbescheiden . Hierbei werden alle Möglichkeiten einer Optimierung der Verwaltungsabläufe genutzt. Generelle Maßnahmen zur weiteren Verfahrensbeschleunigung werden nicht gesehen. Insbesondere die Dauer der Gutachtensaufträge ist durch die Versorgungsämter schwer zu beschleunigen. Im Hinblick auf die entsprechende Empfehlung der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission in ihrem 2013 vorgelegten Abschlussbericht wurden die Staatsanwaltschaften im Rahmen von Dienstbesprechungen dafür sensibilisiert, den Versorgungsämtern zeitnah Akteneinsicht zu gewähren. Zudem hat das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die po - lizeilichen Abläufe innerhalb des Gesamtverfahrens optimiert. So wurde am 12. Oktober 2015 mit dem WEISSER RING e. V. im Landesverband Baden- Württemberg eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Ausfluss dieser Kooperation ist unter anderem eine Einwilligungserklärung zur Datenweitergabe an den WEISSER RING e. V., die auch Eingang in die aktualisierte Opferschutz - broschüre finden wird. Mit Einverständnis des jeweiligen Opfers kann dadurch sichergestellt werden, dass umgehend Kontakt zu geeigneten Hilfeeinrichtungen hergestellt wird, um dem Opfer einen niedrigschwelligen Übergang zur Opfer - hilfe und adäquate Unterstützung zuteilwerden zu lassen. 21 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 5. Erachtet sie die bisherige Finanzierung der Landesstiftung Opferschutz dauerhaft für auskömmlich bzw. wäre es sinnvoll, die Landesstiftung Opferschutz durch zusätzliche Mittelzuweisungen aus dem Einzelplan 05 – Justizministerium – für Sponsoring- und Werbemaßnahmen in die Lage zu versetzen, Spendengelder zu akquirieren? Zu IV. 5.: Im Zeitraum von 2011 bis 2009 erhielt die Landesstiftung Opferschutz (LSO) jährliche Zuwendungen der Landesstiftung Baden-Württemberg in Höhe von zwischen 600.000 und 700.000 Euro. Nach den damaligen Zuwendungsrichtlinien konnte die LSO im Regelfall Opfer von Straftaten durch finanzielle Zuwendungen in Höhe von bis zu 25.000 Euro für materielle Schäden sowie in Höhe von bis zu 10.000 Euro für immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) unterstützen. Daneben konnten auch Opferhilfeeinrichtungen, die Opferzeugen beraten, betreuen oder begleiten, in Höhe von bis zu 50.000 Euro gefördert werden. In dieser Zeit betrug die Gesamtsumme der Zuwendungen der LSO pro Jahr zwischen 600.000 und 700.000 Euro. Hiervon flossen rund ¾ direkt an Opfer von Straftaten, ¼ an Opferhilfeeinrichtungen. Die Zahl der Anträge von Opfern von Straftaten bewegte sich zwischen 2001 und 2009 zwischen ca. 70 und ca. 200, der durchschnitt - liche Auszahlungsbetrag belief sich in den Jahren 2005 bis 2009 zwischen 3.700 und 4.500 Euro. Für 2010 wurde der Förderbetrag der Baden-Württemberg Stiftung auf 300.000 Euro, für die Jahre 2011 bis 2013 auf 400.000 Euro festgesetzt. In der Folge wurden 2010 die Zuwendungsrichtlinien geändert. Seither beläuft sich die Höhe der Zuwendungen im Einzelfall an Opfer von Straftaten für materielle Schäden auf bis zu 10.000 Euro und für Schmerzensgeld (weiterhin) auf bis zu 10.000 Euro. Die Förderhöchstgrenze für Opferhilfeeinrichtungen wurde auf 10.000 Euro abgesenkt . Zudem kann die Förderung einer Einrichtung nach den neuen Zuwendungsrichtlinien nur einmalig erfolgen und nicht wiederholt werden. Die Zahl der Opferanträge bewegte sich in diesem Zeitraum zwischen 177 und 200, die durchschnittliche Leistungssumme belief sich auf zwischen 2.300 und 3.200 Euro. Seit 2014 erfolgt die Finanzierung in Höhe von jährlich 400.000 Euro über Haushaltsmittel . Zudem fließen der LSO Einnahmen aus Regressansprüchen gegen verurteilte Straftäter zu. Die LSO lässt sich von den Zuwendungsempfängern deren Ansprüche gegen die Täter in Höhe des Zuwendungsbetrages abtreten, die sie dann ihrerseits gegen den Verurteilten geltend macht. Auf diese Weise erzielte die LSO im Jahr 2016 Einnahmen in Höhe von 18.200 Euro. Auf der anderen Seite waren im Jahr 2016 Verwaltungskosten von etwa 33.300 Euro zu verbuchen. Die für 2016 genannten Zahlen entsprechen dabei dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Im Jahr 2016 gingen bei der LSO 169 Neuanträge ein. Hiervon waren 74,1 Prozent erfolgreich, sodass Zahlungen von insgesamt 350.750 Euro bewilligt wurden . Die durchschnittliche Leistungssumme liegt seit 2014 bei etwa 2.700 bis 3.000 Euro. Ganz überwiegend handelte es sich dabei um Schmerzensgeldzahlungen . Zudem wurde 2016 eine Opferhilfeeinrichtung mit 5.000 Euro unterstützt. Auf Grundlage der dargestellten Entwicklung der finanziellen Ausstattung der LSO, der vergleichsweise konstanten Zahl der Zuwendungsanträge und der Zuwendungspraxis in den vergangenen Jahren erachtet die Landesregierung die derzeitige Finanzierung der LSO als auskömmlich. Allerdings wird hierbei nicht übersehen, dass vergleichbare Einrichtungen wie etwa der Fonds sexueller Miss - brauch in ihren Zuwendungsrichtlinien die Möglichkeit der Leistung höherer Zuwendungen vorsehen. Vor diesem Hintergrund ist eine Verbesserung der finan - ziellen Ausstattung der LSO durch eine entsprechende Erhöhung der Mittelzuweisungen im Sinne des Opferschutzes aus Sicht des Ministeriums der Justiz und für Europa grundsätzlich wünschenswert. Demgegenüber erscheint zweifelhaft, ob eine Erhöhung der Mittelzuweisung, die ausschließlich dazu dient, durch Sponsoring- und Werbemaßnahmen Spendengelder zu akquirieren, im Ergebnis zu einer besseren finanziellen Ausstattung der LSO und in der Folge zu einer Änderung der Zuwendungspraxis der LSO führen würde. Insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Kreis möglicher Spen- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 22 der nach Auffassung der Landesregierung begrenzt ist, gleichzeitig jedoch ein großer Teil der Opferhilfeeinrichtungen sowie anderer sozialer Einrichtungen zur Finanzierung ihrer Tätigkeit auf derartige Spendengelder angewiesen ist. Sollte die LSO durch Werbemaßnahmen Spendengelder einnehmen, dürfte dieses Spendenaufkommen im Ergebnis zu Lasten der weiteren Opferhilfeeinrichtungen und deren Finanzausstattung gehen. Gleiches dürfte im Falle der Werbung um die gerichtliche bzw. staatsanwaltschaftliche Zuweisung von Geldauflagen im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren gelten, zumal die LSO in diesem Zusammenhang dann nicht nur in Konkurrenz zu den anderen Opferhilfeeinrichtungen, sondern auch zu den justiznahen Vereinen der sozialen Rechtspflege treten würde . Diese Entwicklung wäre insbesondere deshalb kritisch zu bewerten, da das Gesamtaufkommen an Geldauflagen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist. Diese Entwicklung betrifft auch die Zuweisungen von Geldauflagen zu Gunsten von Opferhilfeeinrichtungen, die in den vergangenen Jahren von ca. 820.000 Euro im Jahr 2011 auf zwischenzeitlich ca. 565.000 Euro im Jahr 2015 und zuletzt auf ca. 697.000 Euro im Jahr 2016 zurückgegangen sind. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass entsprechende Werbemaßnahmen bei einem Anstieg der Opferanträge zu einer Kürzung der Zuwendungen der LSO in jedem Einzelfall führen würde, sofern nicht gleichzeitig entsprechende Spendengelder akquiriert werden könnten. V . O p f e r z e u g e n i m S t r a f v e r f a h r e n 1. Wie viele Täter-Opfer-Ausgleiche wurden in den letzten fünf Jahren jährlich in Baden-Württemberg durchgeführt? Zu V. 1.: Eine Ermittlung der Zahl der Täter-Opfer-Ausgleiche ist für erwachsene Beschuldigte auf Grundlage der Statistiken der NEUSTART gGmbH (seit 1. Januar 2017 wird der Täter-Opfer-Ausgleich durch die Landesanstalt Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg [BGBW] durchgeführt) möglich. Die Entwicklung der in den vergangenen Jahren in Auftrag gegebenen Täter-Opfer -Ausgleichsverfahren und deren Erfolgsquote stellen sich im Erwachsenen-Bereich wie folgt dar: Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten werden regelmäßig durch die Träger der Jugendhilfe durchgeführt. Zahlen zu den in diesem Bereich in Auftrag gegebenen Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren werden in den staatsanwaltschaftlichen Statistiken erst seit Mitte Dezember 2016 erfasst und sind daher noch nicht aussagekräftig. 2. Welche Maßnahmen ergreift sie, um den Täter-Opfer-Ausgleich stärker in der Praxis von Staatsanwaltschaften und Gerichten zu verankern? Zu V. 2.: Auf Basis der Empfehlungen der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission hat das Ministerium der Justiz und für Europa zum 8. Mai 2016 die Anlage 1 der Verwaltungsvorschrift (VwV) des Justizministeriums zur Bewährungshilfe, Gerichtshilfe und Sozialarbeit im Justizvollzug vom 8. Mai 2009 geändert und dabei den Anwendungsbereich des Täter-Opfer-Ausgleichs ausgedehnt. Hierüber wurden die Staatsanwaltschaften und Gerichte informiert und dabei auch darauf hingewiesen , dass die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs im gesamten Ermittlungs - und Strafverfahren in Betracht kommen kann. Zudem wird in der VwV -DKU =DKO GHU LQ $XIWUDJ JHJHEHQHQ 72$ (UIROJVTXRWH 'HU $XIWUDJ JLOW DOV HUIROJUHLFK DEJHVFKORVVHQ ZHQQ GHU .RQIOLNW JHUHJHOW LVW 23 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 nun ausgeführt, dass auch dann, wenn der Verletzte die Durchführung eines Täter -Opfer-Ausgleichs zunächst abgelehnt hatte, eine Nachfrage bei ihm veranlasst sein kann, ob er seine Haltung inzwischen geändert hat, sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Entscheidung lediglich unter dem Eindruck des zeit - nahen Tatgeschehens getroffen wurde. Die VwV wurde am 23. Dezember 2016 in dieser Hinsicht unverändert neu erlassen. Darüber hinaus sind der Anwendungsbereich und die Vorteile des Täter-Opfer- Ausgleichs regelmäßig Gegenstand der an neu eingestellte Assessoren gerichteten Fortbildungen sowie – in unregelmäßigen Abständen – der staatsanwaltschaft - lichen Dienstbesprechungen. Ferner wurde das bundeseinheitliche Opfermerkblatt um einen Hinweis auf den Täter-Opfer-Ausgleich erweitert. Die BGBW, die den Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich durchführt, informiert in einem ständigen Austausch mit Staatsanwaltschaften, Gerichten und Polizeidienststellen über die Möglichkeiten und die konzeptionelle Ausgestaltung des Täter-Opfer-Ausgleichs. 3. Welche Maßnahmen ergreift sie, um Bedienstete in Polizei und Justiz stärker für schützenswerte Belange von Opferzeugen zu sensibilisieren, damit diese mehr Empathie in der Ansprache von Opfern von Gewalttaten entwickeln? 4. Inwieweit gibt es regionale Unterschiede und welche Maßnahmen ergreift sie, um das anzugleichen? Zu V. 3. und 4.: Das Ministerium der Justiz und für Europa bietet vielfältige Fortbildungsangebote für Staatsanwälte und Richter, die die Sensibilisierung für schützenswerte Belange von Opferzeugen zum Gegenstand haben. Der Opfer- und Zeugenschutz wird zunächst in den Fortbildungen für Assessoren als ein Themenschwerpunkt behandelt . Hierdurch ist sichergestellt, dass alle neu eingestellten Assessoren bereits zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Berufstätigkeit auf die Belange von Opferzeugen aufmerksam gemacht werden. Daneben werden auf Landesebene regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Jugendschutzdelikte“ angeboten. Diese Veranstaltungen beleuchten vertieft den Verfahrensablauf im Spannungsfeld zwischen Zeugenschutz und Sachaufklärung unter besonderer Berücksichtigung der Vernehmung von kindlichen Opferzeugen. Bei der Deutschen Richterakademie organisiert Baden-Württemberg regelmäßig die Tagung „Die Anhörung/Vernehmung von Kindern und Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung der Videovernehmung“, die insbesondere Möglichkeiten des Umgangs mit von Missbrauch betroffenen Kindern zum Gegenstand hat. Daneben bieten auch andere Länder bei der Deutschen Richterakademie regelmäßig Opferschutztagungen und Tagungen mit einem Schwerpunkt auf der Problematik des Kindesmissbrauchs an, an denen ebenfalls baden-württembergische Richter und Staatsanwälte teilnehmen können. Darüber hinaus wurden im Jahr 2016 bei den Landgerichten, Präsidialamtsgerichten und Staatsanwaltschaften des Landes Opferschutzbeauftragte bestellt, die im Bereich des Opferschutzes als Ansprechpartner und Schnittstelle zu den mit diesen Fragestellungen befassten Einrichtungen und Behörden fungieren. Im Bereich der Polizei ist das Themenfeld Opferschutz fester Bestandteil der Aus- und Fortbildung im Polizeivollzugsdienst. Im Rahmen der Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugdienst sowie der Vorausbildung zum gehobenen Polizeivollzugsdienst ist die Thematik Teil des Lehrplans und wird im Leitthema Kriminalitätsbekämpfung behandelt. Zudem spielt die Thematik Opferschutz auch während des Studiums zum gehobenen Polizeivollzugsdienst im Fach Kriminologie/Soziologie eine wichtige Rolle und wird grundsätzlich in allen Studienabschnitten sowie im Wahlmodul behandelt . Auch im Fach Psychologie sind Lerninhalte zum Opferschutz von ent - sprechender Bedeutung. Weiterhin bestehen zahlreiche Fortbildungsangebote zur Thematik des Opferschutzes . Das Spektrum ist sehr breit und umfasst Arbeitskreise zum Thema Op- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 24 ferschutz und Zeugenschutz, aber auch spezielle Seminare zum Opferschutz, dem professionellen Umfang mit Opfern und zur Prävention. Die Thematik spielt auch bei verschiedenen Seminaren im Kriminalitätsbereich wie zum Beispiel „Gewalt im sozialen Nahraum“ oder „Sexualdelikte“ eine wichtige Rolle. Das Seminarangebot umfasst ein- bis zehntägige Seminare mit jeweils unterschiedlichen Zeitund Schwerpunktansätzen zum Thema Opferschutz. Die regionalen Polizeipräsidien führen zudem regelmäßig Schulungen und Veranstaltungen unter Einbeziehung der neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse mit dem Ziel professionellen Verhaltens der Polizeibeamtinnen und -beamten gegenüber Opfern und Zeugen durch. Hierzu wird besonders auf die Bereiche Empathie, Verständnis und vorurteilsfreie Ermittlungstätigkeit eingegangen. Um landeseinheitliche Standards zu gewährleisten, wurde ein Vortrag zur internen Fortbildung im Bereich Opferschutz vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg erarbeitet und den regionalen Polizeipräsidien zur Verfügung gestellt. Der Vortrag kann spezifisch an örtliche Gegebenheiten angepasst werden. Besonders ausgebildete Opferschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren sowie Opferschutzbeauftragte als ständige Ansprechpartner für sämtliche Belange des polizeilichen Opferschutzes sind bei allen regionalen Polizeipräsidien fest verankert . Sie koordinieren die opferorientierte Prävention – insbesondere im Kontext mit Gewalt im sozialen Nahraum, Stalking, sexueller Gewalt und Zwangsverheiratung – und fungieren als Multiplikatoren für die Polizeibeamtinnen und -beamte vor Ort. Mit dem Faltblatt „Professioneller Umgang mit Opfern und Zeugen“, das sich an Polizeibeamtinnen und -beamte richtet, werden in einer anschaulichen Art und Weise wesentliche Informationen, Pflichten und Grundsätze des polizeilichen Opferschutzes vermittelt. Das Faltblatt wird allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Des Weiteren findet seit 2015 jährlich ein landesweiter Tag des Opferschutzes statt, der sich vorrangig an Fachpublikum aus dem Bereich der Opferhilfeeinrichtungen , der Justiz, der Polizei und der thematisch befassten Ressorts richtet. Dieser wird turnusmäßig wechselnd durch die Ministerien der Justiz und für Europa, für Soziales und Integration sowie für Inneres, Digitalisierung und Migration mit verschiedener Schwerpunktthemensetzung ausgerichtet. Der 1. Tag des Opferschutzes behandelte das Schwerpunktthema „Viktimisierung älterer Menschen“, während sich der 2. Tag des Opferschutzes schwerpunktmäßig dem Thema „Opfer , Opferschutz und Internet“ widmete. Der 3. Tag des Opferschutzes fand in diesem Jahr am 30. November 2017 zum Thema „Gewalt an Frauen“ statt. Der Tag des Opferschutzes dient nach seiner konzeptionellen Ausrichtung nicht nur der Vorstellung und vertieften Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Schwerpunktthema , sondern auch der Vernetzung der in diesen Bereichen tätigen Akteure. Die Beratungsstelle LEUCHTLINIE wirbt im direkten Kontakt mit Polizeibediensteten auch dafür, die Empathie in der Ansprache von Betroffenen zu berücksichtigen . Außerdem führt die Beratungsstelle Fachtage durch, die sich auch an Polizeibedienstete richten (bspw. der Fachtag „An der Seite Betroffener von rechter Gewalt“, Oktober 2017). Die Fachstelle befindet sich zudem im Kontakt mit der Opferstelle des Landeskriminalamts. Ziel ist es, die Sicht der Betroffenen – zusätzlich zur gebotenen Aufmerksamkeit für die beteiligten Täterinnen bzw. Täter – bei der Polizeiarbeit angemessen miteinzubeziehen. 5. Welche Verbesserungsmöglichkeiten im Strafverfahren sieht sie zum Zwecke eines möglichst schonenden Umgangs mit den Opfern (Vermeidung von Doppelaussagen und Schutz von als Zeugen auftretenden Opfern)? Zu V. 5.: Vorrangige Ziele eines Ermittlungs- und Strafverfahrens sind die Aufklärung der diesem zugrunde liegenden Straftat, die Feststellung der Schuld eines Angeklagten und gegebenenfalls die gerichtliche Festlegung einer tat- und schuldangemessenen Strafe. Bereits aus dieser Zielsetzung ergibt sich die zentrale Stellung des Beschuldigten bzw. Angeklagten im Ermittlungs- und Strafverfahren. In strafpro- 25 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 zessualer Sicht war der Verletzte einer Straftat lange Zeit auf die Rolle eines Zeugen reduziert. Seit den 1980er-Jahren findet jedoch ein kontinuierlicher Ausbau der strafverfahrensrechtlichen Stellung des Verletzten statt. Den Beginn dieser Entwicklung markiert das Opferschutzgesetz aus dem Jahr 1986, durch das dem Verletzten der Status eines Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren zuerkannt wurde. Zuletzt wurden die Rechte des Verletzten 2015 durch das 3. Opferrechtsreformgesetz umfassend erweitert und Opfern schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten grundsätzlich ein Anspruch auf Psychosoziale Prozessbegleitung eingeräumt . Vor diesem Hintergrund sind bereits heute vielfältige Regelungen zum Schutz von als Zeugen auftretenden Opfern, zu deren Information und Beistand sowie zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen in der Strafprozessordnung (StPO) und im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verankert. Diese gesetzlichen Regelungen werden durch umfassende Informationsrechte des Verletzten flankiert. Die strafverfahrensrechtlichen Schutzrechte dienen der Vermeidung der mit der Durchführung des Strafverfahrens einhergehenden Gefahr einer sekundärer Viktimisierung des Opfers einer Straftat. So verpflichtet § 48 Abs. 3 StPO die Strafverfolgungsbehörden ebenso wie die Gerichte während des gesamten Verfahrens, die besondere Schutzbedürftigkeit von Opferzeugen zu berücksichtigen und die notwendigen Schutzmaßnahmen zugunsten des Verletzten zu schaffen. Derartige Schutzmaßnahmen im Rahmen der konkreten Vernehmungssituation stellen zunächst die §§ 168 c Abs. 3, 168 e StPO (für richterliche Vernehmungen) sowie die §§ 247, 247 StPO (für das Hauptverfahren) dar, nach denen der Angeklagte während der Vernehmung eines Zeugen unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Sitzungssaal bzw. dem Vernehmungszimmer entfernt oder der Zeuge außerhalb des Sitzungssaals vernommen werden kann. § 68 StPO gestattet es dem Zeugen im Hinblick auf mögliche Gefährdungen unter näher bestimmten Voraussetzungen, im Rahmen seiner Vernehmung keine Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen (Wohnort, Beruf, Identität) zu machen. § 68 a Abs. 1 StPO sieht darüber hinaus vor, dass der Zeuge nach potenziell entehrenden Tatsachen sowie nach Tatsachen, die den persönlichen Lebensbereich betreffen nur gefragt werden soll, wenn die Aufklärung dieser Tatsachen für die Wahrheitsfindung unerlässlich ist. Im Hinblick auf das Erfordernis einer möglichst schonenden Vernehmung des Verletzten bestimmt § 241 a StPO, dass minderjährige Zeugen allein durch den Vorsitzenden vernommen werden. Diesem Erfordernis dient im Übrigen auch § 26 Abs. 2 GVG, wonach die Staatsanwaltschaft in Jugendschutzsachen die schutzwürdigen Interessen von Kindern oder Jugendlichen abwägen und zum Schutz des Zeugen gegebenenfalls Anklage bei den Jugendgerichten erheben soll. Schließlich ermöglichen es die Regelungen der §§ 171 b und 172 GVG, die Öffentlichkeit im Rahmen einer gerichtlichen Hauptverhandlung unter bestimmten Voraussetzungen im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte oder sonstige berechtigte Belange des Verletzten auszuschließen. Die strafprozessualen Beistandsrechte sollen eine Mitwirkung des Verletzten am Strafverfahren sicherstellen und sind Ausdruck seiner Stellung als Verfahrensbeteiligter . Auch sie dienen der Vermeidung einer sekundären Viktimisierung und sollen den Verletzten in die Lage versetzen, seine berechtigten Belange im Rahmen des Ermittlungs- und Strafverfahrens einzubringen. So gibt § 68 b Abs. 1 S. 1 StPO jedem Zeugen das Recht, sich eines anwaltlichen Beistands zu bedienen. Wenn schutzwürdige Interessen des Zeugen dies erfordern und der Zeuge seine Befugnisse während der Vernehmung wegen besonderer Umstände nicht selbst wahrnehmen kann, gewährt § 68 b Abs. 2 StPO einen Anspruch auf Beiordnung eines für den Verletzten kostenfreien anwaltlichen Beistands . Den gleichen Anspruch haben gemäß § 397 a bzw. § 406 h Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 397 a StPO Verletzte bestimmter Straftaten wie einer versuchten vorsätzlichen Tötung sowie schwerer Sexual- und Gewaltstraftaten, kindliche und jugendliche Opfer sowie hinterbliebene Angehörige des Opfers einer vorsätzlichen Tötung. Diese Opfer haben bei Vorliegen besonderer Schutzbedürftigkeit gemäß § 406 g Abs. 2 StPO zudem den Anspruch auf Beiordnung einer (ebenfalls für sie kostenfreien) psychosozialen Prozessbegleitperson. Unter bestimmten Voraussetzungen steht Verletzten einer Straftat gemäß § 395 StPO zudem die Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger zu, welcher gemäß § 397 StPO erweiterte Rechte – Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 26 wie z. B. die Befugnis zur Ablehnung eines Richters sowie das Frage- und Be - weis antragsrecht – mit sich bringt. Der Vermeidung von Mehrfachaussagen dienen zum einen die Vorschriften der §§ 58 a, 255 a StPO, die eine audiovisuelle Aufzeichnung einer zeugenschaft - lichen Vernehmung und deren spätere Einführung im Rahmen der gerichtlichen Hauptverhandlung regeln. Gleiches gilt für § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG, wonach die Staatsanwaltschaft bei besonders schutzbedürftigen Zeugen ausnahmsweise unabhängig von der Straferwartung die Anklage beim Landgericht statt bei dem nach den allgemeinen Regeln zuständigen Amtsgericht erheben und diesen Zeugen hierdurch eine zweite Tatsacheninstanz sowie die damit verbundene erneute Vernehmung in der Berufungsverhandlung beim Landgericht ersparen kann. Nach den §§ 406 i, 406 j StPO sind Verletzte zudem möglichst frühzeitig auf ihre Rechte im Rahmen des Strafverfahrens – wie etwa die Nebenklagebefugnis, die Möglichkeit eines Adhäsionsverfahrens und die Durchführung eines Täter-Opfer- Ausgleichs – sowie bestehende Opferhilfeangebote außerhalb des Strafverfahrens – wie beispielsweise die Möglichkeiten der Unterstützung durch Opferhilfeeinrichtungen oder der Beantragung von Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz – hinzuweisen . Angesichts der geltenden Rechtslage sieht die Landesregierung aktuell keinen konkreten gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Hinblick auf die strafprozessuale Stellung des Verletzten im Ermittlungs- und Strafverfahren. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass angesichts der vorrangigen Zielsetzung des Strafverfahrens gewährleistet bleiben muss, dass im Rahmen des Strafverfahrens eine bestmögliche gerichtliche Sachverhaltsaufklärung unter gleichzeitiger Wahrung der Rechte des Beschuldigten erfolgen kann. Erweiterungen der strafprozessualen Regelungen zum Opferschutz sind jedoch regelmäßig mit Einschränkungen des strafverfahrensrechtlichen Grundsatzes der Unmittelbarkeit und damit der gerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten verbunden. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz , der einen Vorrang des Personalbeweises vor dem Sachbeweis im Rahmen der Beweisaufnahme statuiert (§ 250 StPO), soll es dem Gericht ermöglichen, sich einen persönlichen Eindruck vom Zeugen und dessen Aussage zu bilden, und gleichzeitig die Ausübung des Fragerechts sämtlicher Verfahrensbeteiligter gewährleisten . Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist lediglich ausnahmsweise im Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit eines Zeugen und die erhöhte Gefahr einer Sekundärviktimisierung bei Mehrfachvernehmungen und Vernehmungen in Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung gerechtfertigt. Weitere Durchbrechungen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, wie sie etwa mit dem derzeit in der rechtspolitischen Diskussion befindlichen Vorschlag verbunden wären, die erleichterte Einführung von audiovisuellen Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen nach § 255 a Abs. 2 StPO auch auf entsprechende Aufzeichnungen von Vernehmungen erwachsener und heranwachsender Zeugen zu erweitern, sind begründungsbedürftig . Eine derartige Begründung ist aus Sicht der Landesregierung nicht ersichtlich. So sind – wovon der Bundesgesetzgeber im Übrigen auch bei der Schaffung der Regelungen zur Psychosozialen Prozessbegleitung ausging – erwachsene oder heranwachsende Zeugen nicht im selben Umfang schutzbedürftig wie Kinder und Jugendliche. Ihnen kann – nach Maßgabe der oben dargestellten Regelungen – im Regelfall zugemutet werden, im Rahmen einer Beweisaufnahme zeugenschaftlich auszusagen. Unabhängig hiervon geht die Landesregierung davon aus, dass die Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf Beiordnung psychosozialer Prozessbegleiter für Opfer schwerer Gewalt- und Sexualdelikte zum 1. Januar 2017 den möglichst schonenden Umgang mit als Zeugen auftretenden Opfern weiter verbessert. In tatsächlicher Hinsicht wurde der Schutz von Opferzeugen in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren durch die Umsetzung der Empfehlungen des im 2013 veröffentlichten Abschlussberichts der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission kontinuierlich verbessert. So werden unter anderem durch die Bestellung von justiziellen Opferschutzbeauftragten – die etwa auch für organisatorische Verbesserungen des Opferschutzes in den Gerichten und Staatsanwaltschaften Sorge tragen – die Angehörigen der Justiz für Opferbelange sensibilisiert. Die 27 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 jährliche Durchführung des Tages des Opferschutzes trägt zu einer besseren Vernetzung der verschiedenen Partner im Rahmen der Unterstützung der Opfer von Straftaten bei. Mit Hilfe der durch das Ministerium der Justiz und für Europa finanziell unterstützten Einrichtung und des Betriebs der Webseite zeugeninfo.de sowie des Ausbaus der Zeugenbegleitung wird zudem der Ausbau einer dreistufigen Struktur der Zeugenbegleitung vorangetrieben. In den kommenden Jahren wird es erforderlich sein, die bestehenden Informations -, Schutz- und Beistandsregelungen weiter in der gerichtlichen, staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Praxis zu verankern. Besondere Schwerpunkte werden dabei zum einen auf der Bereitstellung eines flächendeckenden Angebots von qualifizierten Psychosozialen Prozessbegleiterinnen und -begleitern, zum anderen auf einer sachgerechten Umsetzung der durch das 3. Opferrechtsreformgesetz eingeführten vielfältigen Informationsverpflichtungen gegenüber den Opfern von Straftaten liegen. 6. Erachtet sie hierzu frühzeitige richterliche (Video-)Vernehmungen von Opferzeugen als geeignetes Mittel? Zu V. 6.: Richterliche Vernehmungen eines Zeugen sowie deren audiovisuelle Aufzeichnung , die gemäß § 58 a Abs. 1 Satz 2 StPO insbesondere dann erfolgen sollen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von (zur Tatzeit) Minderjährigen besser gewahrt werden können, können ein geeignetes Mittel zum Schutz von als Zeugen auftretenden Opfern darstellen. So kann der Inhalt einer derartigen richterlichen Vernehmung durch die Verlesung des Vernehmungsprotokolls nach § 251 Abs. 2 StPO oder durch die Vernehmung des Richters, der die Vernehmung durchgeführt hat, in die Hauptverhandlung eingeführt werden, ohne dass der vernommene Zeuge in die Hauptverhandlung geladen werden muss. Allerdings bedarf es hierfür – unbeschadet der übrigen Regelungen des § 251 Abs. 2 StPO, wonach eine Verlesung auch dann statthaft ist, wenn dem Erscheinen des Zeugen für eine längere oder ungewisse Zeit nicht zu beseitigende Hindernisse wie Krankheit entgegenstehen oder dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann – gemäß § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO der Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten. Auch die audiovisuelle Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung kann nach § 255 a Abs. 1 StPO unter grundsätzlich den gleichen Voraussetzungen wie das Protokoll einer richterlichen Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. § 255 a Abs. 2 StPO erleichtert hierbei die Voraussetzungen einer Einführung der audiovisuellen Aufzeichnung einer Vernehmung eines minderjährigen Zeugen im Rahmen einer gerichtlichen Beweisaufnahme wegen bestimmter Straftaten (insbesondere gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen das Leben ), indem nicht zwingend eine Zustimmung des Angeklagten und dessen Verteidigers erforderlich ist. Ob frühzeitige richterliche (Video-)Vernehmungen tatsächlich zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen führen, hängt entscheidend von der Entwicklung des jeweiligen Einzelfalls ab. Je früher eine richterliche Vernehmung durchgeführt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass spätere, im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse eine erneute Vernehmung des Zeugen erforderlich machen. Im Ergebnis muss es im Hinblick auf die jeweiligen Besonderheiten und Umstände der staatsanwaltschaftlichen Beurteilung im konkreten Einzelfall überlassen bleiben, ob und zu welchem Zeitpunkt eine richterliche Vernehmung eines Opferzeugen zu beantragen ist. Da die Bearbeitung von Ermittlungsverfahren wegen schwerer Sexual- und wegen Gewaltdelikte regelmäßig in staatsanwaltschaftlichen Sonderdezernaten konzentriert ist, verfügen die dort tätigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Beurteilung dieser Frage regelmäßig über die erforderliche Expertise und das entsprechende Erfahrungswissen . Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 28 7. Welche Möglichkeiten sieht sie, das Mittel der richterlichen (Video-)Vernehmung von Opferzeugen in der forensischen Praxis stärker zu verankern? Zu V. 7.: Auf die Antwort zu V. 6. wird verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der audiovisuellen Aufzeichnung von Vernehmungen in der Praxis vorwiegend bei Vernehmungen von kindlichen Zeugen, ansonsten aber eher zurückhaltend Gebrauch gemacht wird. Dies dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass eine Verwertung derartiger Aufzeichnungen im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme nur in eingeschränktem Umfang möglich ist (§ 255 a Abs. 2 StPO). Durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 wurde nunmehr eine grundsätzliche Verpflichtung zur audiovisuellen Aufzeichnung von Vernehmungen von Beschuldigten bei Tötungsdelikten, von schutzbedürftigen minderjährigen Beschuldigten sowie von Beschuldigten, die aus anderen Gründen besonders schutzbedürftig sind, eingeführt. Vor dem Hintergrund dieser Neuregelung ist nach Einschätzung der Landesregierung zu erwarten, dass es insgesamt zu einer häufigeren Nutzung des strafprozessualen Instruments der audiovisuellen Aufzeichnung von Vernehmungen, auch zum Zwecke des Opferschutzes , kommen wird. 8. Kann nach ihrer Einschätzung die Statuierung eines Anwesenheitsrechts der Verteidigung auch bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmungen von Opferzeugen Doppelvernehmungen vermeiden helfen? Zu V. 8.: Die Schaffung eines gesetzlichen Anwesenheitsrechts des Verteidigers bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmungen würde nach Ansicht der Landesregierung zu keiner nennenswerten Stärkung des Opferschutzes führen. So wird von der bereits jetzt gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, den Inhalt einer richterlichen Vernehmung durch die Verlesung des Vernehmungsprotokolls oder durch die Vernehmung des damals vernehmenden Richters in die Hauptverhandlung einzuführen, angesichts des grundsätzlichen Erfordernisses der Zustimmung des Angeklagten (und gegebenenfalls seines Verteidigers) erfahrungsgemäß nur selten Gebrauch gemacht. Im Hinblick auf diese Erfahrungen ist davon auszugehen , dass ein gesetzliches Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmungen ebenfalls nicht dazu führen würde, dass Vernehmungen des Zeugen im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme in nennenswertem Umfang entbehrlich würden. Darüber hinaus wäre ein Anwesenheitsrecht der Verteidigung jedenfalls in den Fällen kontraproduktiv, in denen zum Zeitpunkt der zeugenschaftlichen Vernehmung dem Beschuldigten der gegen ihn erhobene Tatvorwurf noch nicht bekannt ist. In diesen – in der Praxis häufigen – Fällen ist die Vernehmung des Opfers regelmäßig erforderlich, um ein erstes Bild vom Tatvorwurf zu erhalten und auf dieser Grundlage gegebenenfalls weitere strafprozessualen Maßnahmen zu ergreifen . Würde in diesem Stadium bereits ein Verteidiger informiert, bestünde die Gefahr eines späteren Beweismittelverlusts, der auch unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes nicht akzeptabel wäre. 9. Wie bewertet sie die Leistungen der psychosozialen Prozessbegleitung? Zu V. 9.: Auf die Antwort zu I.1. und V.5. wird verwiesen. Die strafverfahrensrechtlichen Regelungen zur Psychosozialen Prozessbegleitung traten zum 1. Januar 2017 in Kraft. Belastbare Erkenntnisse zur Praxis der Psychosozialen Prozessbegleitung liegen daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vor. Die Landesregierung geht jedoch aufgrund der Erfahrungen aus dem in Baden-Württemberg in den Jahren 2015 und 2016 im Vorgriff auf die absehbare gesetzliche Einführung der Psychosozialen Prozessbegleitung durchgeführten Pilotprojekt sowie der Erkenntnisse 29 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2919 aus vergleichbaren Projekten in anderen Bundesländern davon aus, dass die Psychosoziale Prozessbegleitung und insbesondere die Einführung eines grundsätz - lichen Anspruchs von Opfern schwerer Straftaten auf Psychosoziale Prozessbegleitung ein wesentliches Instrument zur Stärkung des strafprozessualen Opferschutz sein wird. 10. Erachtet sie es für notwendig, die Zeugenbegleitung an den Gerichten weiter auszubauen? Zu V. 10.: Die Mitwirkung im Ermittlungs- und Strafverfahren, insbesondere die Verpflichtung zur Aussage vor Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei, ist für Zeugen mit besonderen Belastungen verbunden. Unterhalb der Schwelle der Psychosozialen Prozessbegleitung ist die Zeugenbegleitung ein sinnvoller Ansatz, um diese Be - las tungen zu minimieren, Zeugen zu stabilisieren und ihre Aussagetüchtigkeit zu erhalten. Sie kann damit einen wichtigen Beitrag für die gerichtliche Wahrheitsfindung leisten. Das Ministerium der Justiz und für Europa strebt vor diesem Hintergrund bereits seit längerem ein flächendeckendes Angebot an Zeugenbegleitprogrammen auf Grundlage einheitlicher Qualitätsstandards an. Der Verein Bewährungshilfe Stuttgart e. V., der schon seit dem Jahr 2000 ein professionelles Zeugenbegleitprogramm im Landgerichtsbezirk Stuttgart anbietet, wurde daher gebeten, beim Aufbau von Zeugenbegleitprogrammen in anderen Landgerichtsbezirken mitzu - wirken. Hierzu werden dem Verein jährliche Mittel in Höhe von 15.000 Euro zur Verfügung gestellt. Hierdurch ist es gelungen, an verschiedenen Landgerichten, vornehmlich im württembergischen Landesteil, entsprechende Begleitprogramme aufzubauen. Aus Sicht des Ministeriums der Justiz und für Europa ist es sinnvoll, zusätzliche Mittel bereitzustellen, um im Rahmen einer vergleichbaren Struktur im badischen Landesteil weitere Zeugenbegleitungen auf Ebene der Landgerichte zu etablieren. Hierfür spricht auch, dass viele der bislang im Rahmen der Zeugenbegleitung engagierten professionalen Fachkräfte künftig verstärkt im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung tätig sein werden. Es sollte daher sichergestellt werden, dass zukünftig ein ausreichendes Angebot im Rahmen der niederschwelligeren Zeugenbegleitung bereitgestellt werden kann. 11. Wie steht sie zur Forderung der WEISSER RING Stiftung, den Titel eines Fachanwalts für Opferrechte einzuführen und welche Möglichkeiten sieht sie zu dessen Einführung? Zu V. 11.: Die Landesregierung unterstützt die Forderung nach Einführung eines Fachanwalts für Opferrechte. Neben dem mit dem Erwerb eines Fachanwalts verbundenen allgemeinen Aspekt der Qualifizierung spricht für eine derartige Einführung auch, dass für Betroffene die Wahl eines geeigneten, in opferschutzrechtlichen Fragen besonders qualifizierten Rechtsbeistandes deutlich vereinfacht würde. Diese Forderung, die auch von der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission erhoben worden war, wurde an die zuständige Bundesrechtsanwaltskammer herangetragen , die ihr aus nicht näher bekannten Gründen bislang jedoch nicht entsprochen hat. Wolf Minister der Justiz und für Europa