Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2940 02. 11. 2017 1Eingegangen: 02. 11. 2017 / Ausgegeben: 11. 12. 2017 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wird die von Thomas Middelhoff in seinem Buch „A 115 – der Sturz“ oder auch am 12. Oktober 2017 bei Markus Lanz beschriebene Methode der „Suizid kontrolle“, einen Gefangenen bei zu befürchtendem Suizid nachts ca. alle Viertelstunde unter Anschaltung des Lichts zu kontrollieren und ein Lebenszeichen (z. B. Heben des Arms) zu verlangen – was einen Tiefschlaf unmöglich macht –, mit diesen oder ähnlichen Intervallen auch in baden-württembergischen Vollzugsanstalten angewandt und falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage ? 2. Wenn ja: Wie wird diese Methode angesichts der medizinisch bestätigten Gefahr schwerster gesundheitlicher Schäden (psychischer wie physischer Art) gerechtfertigt ? 3. Teilt sie die Einschätzung, dass diese Methode, insbesondere über längere Zeit angewandt, einer Foltermethode („Schlafentzug“) gleichkommt? 4. Wie schätzt sie diese Methode ein und wertet sie? 5. Falls Frage 1 mit „Ja“ beantwortet wird: Ist sie der Ansicht, dass diese Methode in Baden-Württemberg unverändert weiter angewandt oder aber modifiziert oder ganz abgeschafft werden sollte und ist sie dann ggf. auch bereit, sich für eine Modifikation oder Abschaffung einzusetzen? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Wolfgang Gedeon fraktionslos und Antwort des Ministeriums der Justiz und für Europa Maßnahmen in baden-württembergischen Justiz - vollzugsanstalten (JVA) bei zu befürchtendem Suizid („Suizidkontrolle“) Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2940 2 6. Falls Frage 1 mit „Nein“ beantwortet wird: Welche Methoden und Maßnahmen kommen in baden-württembergischen Vollzugsanstalten bei zu befürchtendem Suizid zur Anwendung und auf welcher Rechtsgrundlage? 30. 10. 2017 Dr. Gedeon fraktionslos B e g r ü n d u n g Wie schon in seinem Buch „A 115 – der Sturz“ beschrieb Herr Thomas Middelhoff am 12. Oktober 2017 bei Markus Lanz eine Methode der „Suizidkontrolle“, welcher er über mehrere Wochen hinweg in der JVA Essen ausgesetzt worden sei: Aufgrund von angeblicher Suizidgefahr sei ca. alle Viertelstunde kontrolliert worden , ob er noch lebe. Dazu sei nachts das Licht angeschaltet worden und er habe zudem jeweils ein Lebenszeichen geben müssen, sodass ein Tiefschlaf unmöglich wurde. Dies habe bei ihm, nicht anders als zu erwarten, schwerste gesundheitliche Schäden nach sich gezogen. Eine solche Methode ist gleich in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig, ja abzu - lehnen. Zum Ersten sind schwerste gesundheitliche Schädigungen, psychischer wie physischer Art, geradezu unausbleiblich, wird diese Methode über längere Zeit angewandt . Sie gleicht zudem einer Foltermethode, wie man sie von der Stasi oder anderen Exekutivorganen in Terrorregimen als „Schlafentzug“ kennt oder übertrifft diese durch die kurzen Intervalle und die Länge der Anwendung sogar noch und verstößt somit gegen das Folterverbot. Außerdem steht zu befürchten, dass durch solche Methoden die Gefangenen nicht effektiv von einem Selbstmord abgehalten , sondern viel eher noch in diesen getrieben werden (aufgrund des Stresses, des Schlafentzugs und der daraus resultierenden psychischen wie physischen Schädigungen ). Daher muss auf diesem Gebiet dringend für Transparenz gesorgt und ggf. eine Reform der Maßnahmen angeregt werden. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2940 A n t w o r t Mit Schreiben vom 28. November 2017 Nr. 4518/0058 beantwortet das Ministe - rium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wird die von Thomas Middelhoff in seinem Buch „A 115 – der Sturz“ oder auch am 12. Oktober 2017 bei Markus Lanz beschriebene Methode der „Suizidkontrolle“, einen Gefangenen bei zu befürchtendem Suizid nachts ca. alle Viertelstunde unter Anschaltung des Lichts zu kontrollieren und ein Lebenszeichen (z. B. Heben des Arms) zu verlangen – was einen Tiefschlaf unmöglich macht –, mit diesen oder ähnlichen Intervallen auch in baden-württembergischen Vollzugsanstalten angewandt und falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage ? 2. Wenn ja: Wie wird diese Methode angesichts der medizinisch bestätigten Gefahr schwerster gesundheitlicher Schäden (psychischer wie physischer Art) gerechtfertigt ? Im Rahmen der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen nach § 47 JVollzGB II für den Bereich der Untersuchungshaft, § 67 JVollzGB III für den Bereich der Strafhaft, § 63 JVollzGB IV für den Jugendstrafvollzug und § 62 JVollzGB für die Sicherungsverwahrung, können beispielsweise der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen sowie eine Beobachtung bei Nacht verfügt werden. Eine längerfristige engmaschige Kontrolle der in Frage 1 beschriebenen Intensität findet in Baden-Württemberg nicht statt. Zur Praxis im baden-württembergischen Justizvollzug siehe die Beantwortung zu Fragen 5 und 6. 3. Teilt sie die Einschätzung, dass diese Methode, insbesondere über längere Zeit angewandt, einer Foltermethode („Schlafentzug“) gleichkommt? 4. Wie schätzt sie diese Methode ein und wertet sie? Nachdem das in Frage 1 beschriebene Vorgehen im baden-württembergischen Justizvollzug nicht zur Anwendung kommt, besteht kein Anlass für eine nähere Bewertung. 5. Falls Frage 1 mit „Ja“ beantwortet wird: Ist sie der Ansicht, dass diese Methode in Baden-Württemberg unverändert weiter angewandt oder aber modifiziert oder ganz abgeschafft werden sollte und ist sie dann ggf. auch bereit, sich für eine Modifikation oder Abschaffung einzusetzen? 6. Falls Frage 1 mit „Nein“ beantwortet wird: Welche Methoden und Maßnahmen kommen in baden-württembergischen Vollzugsanstalten bei zu befürchtendem Suizid zur Anwendung und auf welcher Rechtsgrundlage? Die bei festgestellter Suizidalität zum Schutz eines Gefangenen ergriffenen Maßnahmen knüpfen an die Unterbringungssituation an und reichen – in Abhängigkeit von der Risikobeurteilung der Suizidgefährdung – von der Anordnung „einfacher Gemeinschaft“ (Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum) über die Anordnung „ständiger Gemeinschaft“ (Unterbringung in einem Gemeinschaftshaft - raum bei ständiger Anwesenheit eines Mitgefangenen) bis hin zu der Anordnung der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände. Sofern einer festgestellten Suizidgefahr mit diesen Mitteln nicht wirksam begegnet werden kann, besteht insbesondere im Justizvollzugskrankenhaus die Möglichkeit , hochgradig suizidgefährdete Gefangene unter strenger Beachtung der rechtlichen Vorgaben, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, rund um die Uhr per Kamera oder Einzelsitzwache zu überwachen. Die Kameraüberwachung erfolgt dabei mit einer Nachtsichtkamera ohne Notwendigkeit einer speziellen Raumbeleuchtung. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2940 4 Die dargestellten Kontrollmaßnahmen sind beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr erforderlich und angemessen. Wolf Minister der Justiz und für Europa