Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2955 07. 11. 2017 1Eingegangen: 07. 11. 2017 / Ausgegeben: 11. 01. 2018 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Maßnahmen möchte sie ergreifen, damit Standgeräusche bei Motorrädern gesetzlich und nicht allein von den Herstellern festgelegt werden? 2. Wie häufig hat die Polizei anhand von Leitpfostenzählgeräten besonders laute Einzelfahrzeuge identifiziert und auf nichtzugelassene lärmerhöhende Bauartveränderungen überprüft und geahndet? 3. Kann durch die Lärmmessanlage, die derzeit z. B. in Todtmoos die Lautstärke der Motorräder auf einem Display anzeigt, ein messbarer Rückgang an Motorradlärm festgestellt werden? 4. Wenn ja, wird das Land weitere dieser Motorradlärmdisplays anschaffen oder die Kreise und Gemeinden bei der Anschaffung unterstützen? 5. Ist die Zahl der Neuzulassungen von Motorrädern seit der Verschärfung der Lärmschutzvorschriften zurückgegangen? 6. Welche Maßnahmen werden nach ihrer Kenntnis in anderen Bundesländern zur Reduzierung des Motorradlärms mit Erfolg eingesetzt? 7. Unter welchen Bedingungen wäre ein Fahrverbot in den Erholungsgebieten im Südschwarzwald entsprechend dem Fahrverbot auf den Schauinsland bei Freiburg zumindest am Wochenende möglich? 8. Wie stark haben andere Freizeitsportgeräte wie z. B. tendenziell langsam und in niedriger Höhe fliegende Ultraleichtflugzeuge bzw. Gyrocopter Anteil an der Lärmentwicklung? 9. Wie schätzt sie die Chancen ein, regionale Lärmschutzzonen entsprechend den Umweltzonen einzurichten? Kleine Anfrage der Abg. Reinhold Pix, Martina Braun und Josef Frey GRÜNE und Antwort des Ministeriums für Verkehr Lärmbelastung durch Freizeitsport Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2955 2 10. Wie viele Unfälle, an denen Motorradfahrer beteiligt waren, haben sich in den Jahren 2012 bis 2017 in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung der Schuldfrage und resultierenden Schäden an Personen und Fahrzeugen ereignet ? 07. 11. 2017 Pix, Braun, Frey GRÜNE B e g r ü n d u n g Weite Gebiete des Südschwarzwalds sind wirtschaftlich von einem prosperierenden Tourismus abhängig. Touristen besuchen den Schwarzwald auf der Suche nach Ruhe und Erholung. Allerdings liegen in diesen Gebieten auch viele für Motorradfahrer interessante Strecken. Motorräder entwickeln in Beschleunigungsphasen und bei hohen Geschwindigkeiten teilweise enorme Lautstärken, die sich deutlich von normalem Straßenlärm abheben. Dies gilt besonders außerhalb der normierten Lärmtests, die mittlerweile leider von der digitalen Motorelektronik erkannt und durch Eingriffe in die Motor- und Klappensteuerung umgangen werden . Das ist auch dann der Fall, wenn die Maschinen nicht manipuliert sind und den geltenden Lärmschutzvorschriften entsprechen. Natürlich leiden nicht nur Touristen, sondern besonders auch die Bevölkerung unter dieser zum Teil unerträglichen Lärmbelästigung. A n t w o r t * ) Mit Schreiben vom 20. Dezember 2017 Nr. 4-3851.5-06/513 beantwortet das Ministerium für Verkehr im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration und dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Maßnahmen möchte sie ergreifen, damit Standgeräusche bei Motorrädern gesetzlich und nicht allein von den Herstellern festgelegt werden? Der Verkehrslärm durch Motorräder ist eine Herausforderung, der sich das Land Baden-Württemberg soweit möglich seit geraumer Zeit annimmt. Schon bei der Genehmigung von neuen Fahrzeugtypen muss der Grundstein gelegt werden, dass zu hohe Lärmemissionen vermieden werden. Eine Verschärfung der Vorschriften gestaltet sich für die Länder und auch für den Bund sehr schwierig, da diese für den gemeinsamen EU-Binnenmarkt einheitlich festgelegt sind. In der Regel übernimmt die EU zur (internationalen) Rechtsvereinheitlichung Regelungen der UN-Wirtschaftskommission für Europa in Genf (UNECE), der aktuell über 60 europäische und außereuropäische Länder ange - hören. Rechtliche Handlungsspielräume auf Landesebene sind bei der Fahrzeugzulassung nicht gegeben. _____________________________________ *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2955 2. Wie häufig hat die Polizei anhand von Leitpfostenzählgeräten besonders laute Einzelfahrzeuge identifiziert und auf nichtzugelassene lärmerhöhende Bauartveränderungen überprüft und geahndet? Die Polizei führte im Rahmen eines Testverfahrens am 6. August 2014 eine Kontrollaktion unter Nutzung von Leitpfostenzählgeräten im Bereich des Polizeipräsidiums Heilbronn durch. Bei der Kontrollaktion wurden 50 Krafträder gemessen und in 20 Fällen ein Schallpegel über 89 dB(A) festgestellt. Der gemessene Höchstwert betrug 97 dB(A). Die in den Leitpfostenzählgeräten verbaute Technik zur Lärmmessung ermöglicht jedoch keine gerichtsverwertbare Beweiserhebung. Bei der Kontrollaktion wurden deshalb auf Basis der Messung auffällige Motorräder angehalten und in der Folge einer gesonderten Technikkontrolle durch Experten der Polizei zugeführt. Trotz der Hinzuziehung eines Sachverständigen für den Kfz-Verkehr konnte in keinem Fall eine unzulässige Veränderung der Abgaseinrichtung an den Motorrädern festgestellt werden. Leitpfostenzählgeräte können somit im Rahmen der Verkehrsüberwachung nur bei der Verdachtsgewinnung eine Einsatzverwendung erfüllen. 3. Kann durch die Lärmmessanlage, die derzeit z. B. in Todtmoos die Lautstärke der Motorräder auf einem Display anzeigt, ein messbarer Rückgang an Motorradlärm festgestellt werden? Die Auswertungen ergeben für diese Messstelle für Motorräder mit den deutlichsten Effekten sowohl bei der Geschwindigkeitsreduktion (um durchschnittlich 4,8 km/h von 64,8 auf 60,0 km/h im Mittel der Messwerte aus 2015 und 2016) wie bei der Lärmminderung [im Mittel um 2,1 dB von 85,5 auf 83,4 dB(A)]. Die Lärmreduktion wird dabei je zur Hälfte auf die Geschwindigkeitsreduktion und auf ein verändertes Fahrverhalten zurückgeführt. 4. Wenn ja, wird das Land weitere dieser Motorradlärmdisplays anschaffen oder die Kreise und Gemeinden bei der Anschaffung unterstützen? Das Ministerium für Verkehr hat im Rahmen eines Pilotprojekts drei Prototypen der Motorradlärm-Displayanzeigen angeschafft und in Koordination mit den Regierungspräsidien an mehreren Standorten erprobt und zur Serienreife entwickelt. Aufgrund der positiven Erkenntnisse und um weitere Untersuchungen durchführen zu können, wird ein Motorradlärmdisplay noch für weitere drei Jahre in Weinstadt-Schnait verbleiben. Die beiden anderen Geräte in Landesbesitz werden weiterhin am Versuchsstandort in Todtmoos (Murgtal) und voraussichtlich im Biosphärengebiet Schwäbische Alb im Lautertal eingesetzt. Eine über die abgeschlossene Pilotphase hinausgehende Beschaffung weiterer Motorradlärmdisplays oder ein Verleih an Kommunen ist nicht vorgesehen. Ziel des Landes war die Entwicklung und Etablierung der Technik als Ansatz zur Lärmprävention an stark von Motorrädern frequentierten Strecken. Interessierte Gemeinden können die Leitpfostenzählgeräte mit Lärmdisplay direkt beim Hersteller erwerben. 5. Ist die Zahl der Neuzulassungen von Motorrädern seit der Verschärfung der Lärmschutzvorschriften zurückgegangen? Die verschärften Lärmvorschriften sind seit dem 1. Januar 2016 für die Typgenehmigung neuer Motorräder gültig [4. Änderung der Regelung 41 der United Nations Economic Commission of Europe (UNECE)]. Laut Statistik des Kraftfahrtbundesamtes gab es in Baden-Württemberg jährlich folgende Neuzulassungen in der Fahrzeugklasse der Krafträder: Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2955 4 Eine klare Tendenz ist damit nicht feststellbar. 6. Welche Maßnahmen werden nach ihrer Kenntnis in anderen Bundesländern zur Reduzierung des Motorradlärms mit Erfolg eingesetzt? Darüber liegen dem Ministerium für Verkehr keine Kenntnisse vor. Bayern hat analog zum „Kompetenzteam Motorrad“ der Landespolizei in Baden-Württemberg speziell geschulte Polizistinnen und Polizisten (dort „Kontrollgruppe Motorrad “) im Einsatz. 7. Unter welchen Bedingungen wäre ein Fahrverbot in den Erholungsgebieten im Südschwarzwald entsprechend dem Fahrverbot auf den Schauinsland bei Freiburg zumindest am Wochenende möglich? Am Schauinsland wurde die Strecke an Wochenenden und an Feiertagen für Motorräder aus Verkehrssicherheitsgründen (Rennen, Gefährdung, tödlicher Unfall) gesperrt. Auf der Grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrs-Ordnung kann die Benutzung von Straßen auch zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm beschränkt werden, wenn der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Eine orts unübliche Situation liegt dann vor, je mehr der Verkehr sich im Einzelfall von dem auf öffentlichen Straßen üblicherweise auftretenden Verkehr unterscheidet und der Motorradverkehr in atypischer Weise in den Vordergrund tritt. Das ist nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2008 (vgl. OVG NW, Urteil vom 29. Oktober 2008 – 8 A 3743/06) dann der Fall, wenn sich das Verkehrsaufkommen ausschließlich oder ganz überwiegend aus Motorrädern zusammensetzt. Diese Eingriffsvoraussetzungen liegen auf den „Motorradstrecken“ in Baden-Württemberg nicht vor. Nach derzeitiger Rechtslage sind Verkehrsbeschränkungen in Erholungsgebieten nur in engen Grenzen und unter bestimmten Rahmenbedingungen möglich. Die Straßenverkehrs-Ordnung ermöglicht örtlich und zeitlich begrenzte Maßnahmen zum Schutz kultureller Veranstaltungen, die außerhalb des Straßenraumes stattfinden und durch den Straßenverkehr, insbesondere durch den von diesem ausgehenden Lärm, erheblich beeinträchtigt werden, z. B. Aufführungen auf einer Freilicht -Opernbühne. Diese Begründung könnte für einzelne Aktionstage in Erholungsgebieten , z. B. zum Thema Lärm, herangezogen werden, wenn die Beeinträchtigungen am Immissionsort auch tatsächlich vorliegen. Für die Anordnung von großräumigen Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Fahrverboten für Kraft - fahrzeuge oder einzelne Verkehrsteilnehmerarten (z. B. Motorräder) in Landschaftsgebieten , die überwiegend der Erholung dienen, gibt es nach der Klarstellung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur bei der Erörterung dieses Themas beim Bund-Länder-Fachausschuss Straßenverkehrs-Ordnung am 27./28. September 2017 keine gesetzliche Ermächtigung. ELV HLQVFKOLH‰ OLFK 2NWREHU GDYRQ LP 1RYHPEHU XQG 'H]HPEHU 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 2955 8. Wie stark haben andere Freizeitsportgeräte wie z. B. tendenziell langsam und in niedriger Höhe fliegende Ultraleichtflugzeuge bzw. Gyrocopter Anteil an der Lärmentwicklung? Die Landesregierung erhebt weder den Anteil von Freizeitsportgeräten wie Ultraleichtflugzeugen oder Gyrokoptern an der Lärmentwicklung, noch liegen ihr Lärmmessungen für diese Luftsportgeräte vor. Sie verzeichnet auch keine Zu - nahme von Lärmbeschwerden über Luftsportgeräte im Südschwarzwald. Nach Mitteilung der für die Zulassung dieser Luftfahrzeuge beauftragten Luft - sport-Verbände gibt es in Baden-Württemberg derzeit 68 ultraleichte Tragschrauber (Gyrokopter) und 585 aerodynamisch, d. h. über drei Achsen gesteuerte Ultraleichtflugzeuge , die den größeren einmotorigen Flugzeugen ähnlich, allerdings deutlich leichter sind. Die für die Zulassung geltenden Lärmgrenzwerte liegen bei Ultraleichtflugzeugen mit max. 60 dB (A) und bei Gyrokoptern mit max. 68 dB(A) unter denen für sonstige mit Verbrennungsmotor betriebenen Luft- und auch Landfahrzeugen [zum Vergleich: Pkw derzeit max. 72 dB(A)]. Ultraleichtflugzeuge erreichen wegen des geringen Gewichts bei vergleichbar guter Motorleis - tung relativ schnell ihre Reiseflughöfe. Sie tragen deshalb im Vergleich zu größeren Flugzeugen weniger zur Fluglärmbelastung bei. 9. Wie schätzt sie die Chancen ein, regionale Lärmschutzzonen entsprechend den Umweltzonen einzurichten? Während in Bezug auf die Luftreinhaltung über § 47 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und der Verordnung über Luftqualitätsstandards (39. BImSchV) Immissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe erlassen wurden, bestehen solche gebietsbezogenen Grenzwerte beim Lärm nicht. Hinzu kommt die im bestehenden Recht verankerte isolierte Beurteilung verschiedener Lärmarten, sodass eine Gesamtlärmbetrachtung in der Regel nicht erfolgt. Mit der geltenden Rechtsgrundlage können daher keine regionalen Lärmschutzzonen entsprechend den Umweltzonen eingerichtet werden. Die Chancen für entsprechende Änderungen im Immissionsschutzrecht werden als sehr gering eingeschätzt. 10. Wie viele Unfälle, an denen Motorradfahrer beteiligt waren, haben sich in den Jahren 2012 bis 2017 in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung der Schuldfrage und resultierenden Schäden an Personen und Fahrzeugen ereignet ? Die im angefragten Zeitraum angefragten Unfallzahlen unterteilen sich wie folgt: Hermann Minister für Verkehr *HVDPW 0RWRUUDGXQIlOOH JHVDPW ± GDYRQ GXUFK 0RWRUUDGQXW]HU YHUXUVDFKW 0RWRUUDGXQIlOOH JHVDPW PLW 3HUVRQHQ VFKDGHQ ± GDYRQ GXUFK 0RWRUUDGQXW]HU YHUXUVDFKW 0RWRUUDGXQIlOOH JHVDPW PLW 6DFKVFKDGHQ ± GDYRQ GXUFK 0RWRUUDGQXW]HU YHUXUVDFKW