Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 3030 21. 11. 2017 1Eingegangen: 21. 11. 2017 / Ausgegeben: 09. 01. 2018 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie setzt sich der prozentuale Anteil der Häftlinge in Straf- und Unter - suchungshaft seit dem Jahr 2012 bis heute in Bezug auf die jeweilige Glaubensrichtung (inklusive Konfessionslosen) zusammen (bitte getrennt nach Jahr und Konfession)? 2. Welche Kosten pro Tag entstehen für Mahlzeiten, die in den Justizvollzugsanstalten des Landes als halal, koscher, vegan, vegetarisch und ohne eines dieser Merkmale ausgegeben werden (bitte getrennt nach jeweiliger Bezeichnung, Anzahl der jeweiligen Mahlzeiten und Kosten)? 3. Wie viele Seelsorger – unter Angabe des Frauenanteils – sind jeweils für welche Glaubensrichtung(en) in den Justizvollzugsanstalten sowie den Jugendarrestanstalten des Landes tätig? 4. Welchen Hintergrund weisen diese Seelsorger hinsichtlich ihrer Ausbildung auf? 5. Haben die Seelsorger eine Sicherheitsprüfung zu absolvieren? 6. Wie viele Häftlinge (Straf- und Untersuchungshaft) mit radikal religiösem oder politischem Hintergrund sind derzeit in den Justizvollzugsanstalten des Landes untergebracht? 7. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass sich Häftlinge während ihrer Haftzeit selbst religiös oder politisch radikalisiert haben? 8. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass Häftlinge während ihrer Haftzeit von Dritten religiös oder politisch radikalisiert wurden? Kleine Anfrage des Abg. Klaus Dürr AfD und Antwort des Ministeriums der Justiz und für Europa Muslime, Islamisten und Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3030 2 9. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass Häftlinge wäh rend ihrer Haftzeit von Dritten für islamistischen Terrorismus rekrutiert wurden? 10. Welche Maßnahmen gegen die in den Fragen 6 bis 8 genannten Phänomene werden in den Justizvollzugsanstalten des Landes bereits umgesetzt oder geplant ? 19. 11. 2017 Dürr AfD B e g r ü n d u n g Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei zahlreichen Islamisten bzw. Terroristen weltweit um ehemalige Kriminelle bzw. Häftlinge handelt, soll die vorliegende Kleine Anfrage diesen Themenkomplex in Bezug auf Baden-Württemberg beleuchten. A n t w o r t Mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 Nr. 4434/0586 beantwortet das Ministerium der Justiz und für Europa im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie setzt sich der prozentuale Anteil der Häftlinge in Straf- und Unter - suchungshaft seit dem Jahr 2012 bis heute in Bezug auf die jeweilige Glaubensrichtung (inklusive Konfessionslosen) zusammen (bitte getrennt nach Jahr und Konfession)? Die Konfessionszugehörigkeit der Gefangenen in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten wird jeweils zum letzten Tag eines Monats statistisch erhoben . Eine getrennte Erfassung nach Haftart findet insoweit nicht statt. Von den vom 30. April 2012 bis 31. Oktober 2017 in den baden-württembergischen Anstalten untergebrachten Gefangenen stellt sich die Konfessionszugehö - rigkeit nach ihren eigenen Angaben wie folgt dar: 6WLFKWDJ .RQIHVVLRQ U|PLVFK NDWKR OLVFK HYDQJH OLVFK RUWKR GR[ PXVOL PLVFK MGLVFK VRQV WLJH NRQIHV VLRQVORV RKQH $QJDEH 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3030 2. Welche Kosten pro Tag entstehen für Mahlzeiten, die in den Justizvollzugsanstalten des Landes als halal, koscher, vegan, vegetarisch und ohne eines dieser Merkmale ausgegeben werden (bitte getrennt nach jeweiliger Bezeichnung, Anzahl der jeweiligen Mahlzeiten und Kosten)? Eine gesonderte Datenerhebung findet in Bezug auf die bezeichneten Ernährungsformen nicht statt. Die Justizvollzugsanstalten sind allerdings gehalten, darauf zu achten, dass durch deren Gewährung keine höheren Kosten entstehen als bei der Standardverpflegung. 3. Wie viele Seelsorger – unter Angabe des Frauenanteils – sind jeweils für welche Glaubensrichtung(en) in den Justizvollzugsanstalten sowie den Jugendarrestanstalten des Landes tätig? In den großen Justizvollzugsanstalten des Landes sind Seelsorger der christlichen Kirchen hauptamtlich tätig, wofür insgesamt 21 Haushaltsstellen zur Verfügung stehen. Zwei dieser Stellen sind weiblich besetzt. Ergänzend hierzu sind bei kleineren Anstalten christliche Seelsorger als nicht hauptamtliche Kräfte auf Vertragsbasis tätig. Zehn islamische Seelsorger und drei islamische Seelsorgerinnen sind in den Justizvollzugsanstalten des Landes im Rahmen eines Projekts des Jus - tizministeriums mit dem Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog mit Stundenkontingenten tätig. Daneben kommen derzeit auf ehrenamt - licher Basis islamische Seelsorger aus umliegenden Moscheegemeinden, insbesondere zu islamischen Feiertagen, in die Anstalten. 4. Welchen Hintergrund weisen diese Seelsorger hinsichtlich ihrer Ausbildung auf? Die evangelischen und katholischen Seelsorger werden regelmäßig auf Vorschlag bzw. im Einvernehmen mit den jeweiligen Landeskirchen bzw. Diözesen beschäftigt , die damit zugleich die Einhaltung der fachlichen Anforderungen sicherstellen . Bei hauptamtlicher Beschäftigung müssen die allgemeinen tarifrechtlichen bzw. beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Die islamischen Seelsorger aus dem vorgenannten Projekt haben im Jahr 2016 ein Fortbildungsprogramm durchlaufen, welches vom Justizministerium gemeinsam mit dem Mannheimer Institut und Dozenten des Zentrums für islamische Theologie der Universität Tübingen organisiert wurde. Sie müssen der deutschen Sprache mächtig sein, auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, die einzelnen Glaubensrichtungen des Islam berücksichtigen und offen für einen interreligiösen Dialog sein. 5. Haben die Seelsorger eine Sicherheitsprüfung zu absolvieren? Nach der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums, des Innenministeriums und des Finanzministeriums für die Überprüfung von Personen, die in Justizvollzugsanstalten oder Abschiebungshafteinrichtungen tätig werden und in keinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zum Land stehen (VwV Fremdpersonenüberprüfung ) vom 25. Juli 2017, Die Justiz 2017, S. 318 ff., sind ehrenamt - liche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Betreuerinnen und Betreuer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Vereinen und Institutionen der Straffälligenhilfe und Gefangenenbetreuung wie auch andere mit Gefangenen tätige Personen grundsätzlich einer Überprüfung zu unterziehen. Die Überprüfung dieses Personenkreises , dem auch die nicht hauptamtlich in den Anstalten tätigen Seelsorger zuzurechnen sind, erfolgt zunächst durch Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister. Bei erkennbarem Bedarf für eine besondere Überprüfung, insbesondere, wenn die Gefahr zu besorgen ist, dass die betroffene Person einer extremistischen Gruppierung angehört oder zu einer solchen enge persönliche Beziehungen unterhält oder Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Person zu politisch motivierter Gewaltanwendung neigt, wird ergänzend eine Abfrage der nachrichtendienstlichen Informationssysteme durch das Landesamt für Verfassungsschutz veranlasst. Eine derartige Abfrage wurde für die islamischen Seelsorger des vorgenannten Projekts zentral durchge- Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3030 4 führt. Hinsichtlich weiterer im Rahmen islamischer Seelsorge im Justizvollzug tätiger Fremdpersonen wurden die Anstalten um Veranlassung der Überprüfung durch das Landesamt für Verfassungsschutz gebeten. 6. Wie viele Häftlinge (Straf- und Untersuchungshaft) mit radikal religiösem oder politischem Hintergrund sind derzeit in den Justizvollzugsanstalten des Landes untergebracht? In den Justizvollzugsanstalten des Landes befinden sich derzeit 17 Untersuchungsgefangene , gegen die der Verdacht einer Straftat mit terroristischem oder radikal-islamistischem Hintergrund besteht, und vier Strafgefangene, die wegen einer derartigen Tat verurteilt sind. Darüber hinaus werden derzeit vier Untersuchungsgefangene , acht Strafgefangene und ein Sicherungsverwahrter wegen extremistischer Auffälligkeiten beobachtet. 7. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass sich Häftlinge wäh - rend ihrer Haftzeit selbst religiös oder politisch radikalisiert haben? 8. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass Häftlinge während ihrer Haftzeit von Dritten religiös oder politisch radikalisiert wurden? 9. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass Häftlinge während ihrer Haftzeit von Dritten für islamistischen Terrorismus rekrutiert wurden? Zu 7. bis 9.: Erkenntnisse darüber, dass Gefangene während ihrer Haftzeit von Dritten für islamistischen Terrorismus rekrutiert wurden, liegen nicht vor. Dass Gefangene sich während der Haftzeit radikalisieren oder entsprechende Überzeugungen inten - sivieren, sei es insbesondere durch die Medien zu entnehmenden Ereignisse oder auch durch Kontakte mit zuvor insoweit noch nicht in Erscheinung getretenen Dritten, lässt sich nicht belegen aber auch nicht vollständig ausschließen. 10. Welche Maßnahmen gegen die in den Fragen 6 bis 8 genannten Phänomene werden in den Justizvollzugsanstalten des Landes bereits umgesetzt oder geplant ? Entsprechend bundesweit konsentierter Praxis werden erkannt extremistische Gefangene und entsprechende Verdachtsfälle dezentral untergebracht. Zur Sicherung steht das allgemeine vollzugsrechtliche Instrumentarium an Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung, welches unter den gesetzlichen Voraussetzungen neben Durchsuchungen und Kontrollen auch Beobachtungen sowie Trennungen bis hin zur sogenannten unausgesetzten Absonderung ermöglicht. Um extremistische Phänomene und damit auch Hinweise auf eine Radikalisierung rechtzeitig zu erkennen, wurde das in Baden-Württemberg entwickelte System der Strukturbeobachtung in den Justizvollzugsanstalten des Landes im Jahr 2016 personell verstärkt. Zur Einschätzung von Erkenntnissen und Personen erfährt der Justizvollzug umfangreiche Unterstützung durch das Landesamt für Verfassungsschutz, welches neben einer eigens für den Justizvollzug erstellten Handreichung Ansprechpartner zu allen Facetten des Extremismus bereithält und, wie auch das Landeskriminalamt , intensiv in die Aus- und Fortbildung der Vollzugsbediensteten eingebunden ist. Neben allgemeinen gewaltpräventiven oder der sozialen Integration dienenden Behandlungsmaßnahmen findet in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum zur Koordinierung des Präventionsnetzwerks gegen Extremismus in Baden-Württemberg (KPEBW), in dessen Lenkungsausschuss und Fachbeirat das Justizminis - terium vertreten ist, eine Workshopreihe der politischen Bildungsarbeit für junge radikalisierungsanfällige Gefangene in den Anstalten mit besonderer Zuständigkeit für junge Strafgefangene statt, welche der Toleranzentwicklung dienen und ein Verständnis für die Grundprinzipien der Demokratie aufbauen soll. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3030 Zudem beteiligt sich der Justizvollzug Baden-Württembergs an einem Projekt zur Weiterentwicklung des Bewertungsinstruments VERA-2R (Violent Extremism Risk Assessment Version 2 Revised), welches der Risikoeinschätzung für extremistische Gewalt dienen und die Prognosemöglichkeiten erfahrungsbasiert verbessern helfen soll. Zum jüngst im KPEBW eingerichteten „Landesbildungszentrum Deradikalisierung “ bestehen Kontakte mit dem vorrangigen Ziel, die Fachdienste der Justizvollzugsanstalten weiterzubilden. Wolf Minister der Justiz und für Europa