Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 3081 29. 11. 2017 1Eingegangen: 29. 11. 2017 / Ausgegeben: 24. 01. 2018 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie die derzeitige Situation der Behinderung von Einsatz- und Rettungskräften durch Schaulustige am Einsatzort? 2. Welche Fälle solcher Behinderungen in Baden-Württemberg sind ihr bekannt? 3. Ob und inwiefern sieht sie Handlungsbedarf, solchen Behinderungen zu begegnen ? 4. Welche Maßnahmen zur Begegnung solcher Behinderungen können getroffen werden und wie bewertet sie diese? 5. Wie bewertet sie dabei den Einsatz von Sichtschutzmaßnahmen am Einsatzort? 6. Wie bewertet sie dabei eine Aufklärungskampagne? 7. Ist ihr bekannt, inwiefern und mit welchen Maßnahmen andere Länder der Bundesrepublik Deutschland gegen solche Behinderungen vorgehen? 8. Mit welchen Projekten und Maßnahmen ist sie gegen das Phänomen der Behinderung von Einsatz- und Rettungskräften durch Schaulustige bereits vorgegangen und/oder wird weiter dagegen vorgehen? 28. 11. 2017 Dörflinger CDU Kleine Anfrage des Abg. Thomas Dörflinger CDU und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Behinderung von Einsatz- und Rettungskräften durch Schaulustige Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3081 2 A n t w o r t Mit Schreiben vom 2. Januar 2018 Nr. 316-5461.6-1/5 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration im Einvernehmen mit dem Minis - terium für Verkehr die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet sie die derzeitige Situation der Behinderung von Einsatz- und Rettungskräften durch Schaulustige am Einsatzort? Zu 1.: Die bloße Anwesenheit an einem Einsatzort stellt grundsätzlich keinen Verstoß gegen geltendes Recht dar. Sollten Schaulustige durch ihr Verhalten die Einsatzkräfte bei der Hilfeleistung behindern, diese tätlich angreifen, Einsatzmittel beschädigen oder Widerstand leisten, kommt die Verwirklichung der §§ 113 bis 115, 305 a, 323 c Absatz 2 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht. Das Filmen oder Fotografieren von hilflosen Unfallopfern ist gem. § 201 a Absatz 1 Nr. 2 StGB unter Strafe gestellt. Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass Schaulustige das Einsatzgeschehen zunehmend mit Smartphones video- oder fotografieren. Das Bildmaterial wird oftmals umgehend in das Internet eingestellt und mit geringschätzigen Kommentaren versehen. Um an Bildmaterial zu gelangen, wird bei einzelnen Schau - lus tigen ein provokatives, teilweise respekt- und pietätloses Verhalten beobachtet. Aufforderungen von Einsatzkräften der Polizei, Feuerwehr oder des Rettungsdienstes , die Sicherheitsabstände und Persönlichkeitsrechte einzuhalten, werden teilweise nur widerwillig befolgt. Dabei ist ein sinkendes Verständnis für die laufenden Rettungsarbeiten sowie die begleitenden Maßnahmen festzustellen. 2. Welche Fälle solcher Behinderungen in Baden-Württemberg sind ihr bekannt? Zu 2.: Es liegt keine Statistik über die landesweiten Fallzahlen anlässlich der Behinderung von Einsatzkräften am Einsatzort vor. Eine Abfrage bei den regionalen Polizeipräsidien ergab die nachfolgenden herausragenden Vorfälle. Die Verhaltensweisen reichen von Behinderungen durch die Anwesenheit im Einsatzraum bis zu aktiven Handlungen gegenüber den Einsatzkräften . • 05. 07. 2015, Freiburg: Bei einem Hochhausbrand mussten zusätzliche Polizeikräfte eingesetzt werden, um die abgesperrten Bereiche freizuhalten. • 19. 07. 2017, Baden-Baden: Im Rahmen einer Verkehrsunfallaufnahme muss - ten mehreren Schaulustigen Platzverweise erteilt werden. • 20. 09. 2017, Heidenheim: Ein Radfahrer leistete keine erste Hilfe und filmte einen – später verstorbenen – verunfallten Motorradfahrer. Hierbei behinderte er den Rettungsdienst. • 22. 08. 2017, Benningen am Neckar: Eine Personengruppe mit 25 bis 30 Personen behinderte nach einem schweren Verkehrsunfall die Bergungsarbeiten der Feuerwehr und musste durch Polizeikräfte von der Unfallstelle entfernt werden. • 22. 10. 2017, Konstanz: Ein Schaulustiger filmte nach einem schweren Verkehrsunfall mit seinem Smartphone aus einem Pkw heraus, widersetzte sich den polizeilichen Anweisungen und wurde festgenommen. Eine gesonderte Erhebung bei den Regierungspräsidien, in Bezug auf die Erfahrungswerte der Rettungsdienste und der Feuerwehren, ergab die nachfolgenden Vorfälle: • Oktober 2016, Pforzheim: Bei Löscharbeiten nach einem Kellerbrand warf eine betrunkene Person einen mit Wasser gefüllten Kochtopf aus dem 1. Stock hin- 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3081 unter auf die Straße. Hierbei verfehlte sie mehrere dort stehende Einsatzkräfte nur knapp. • 27. 06. 2017, Gruibingen, BAB A8: Auf der BAB 8 wurden Feuerwehrkräfte durch „gaffende“ Autofahrer beleidigt, nachdem sie diese aufgefordert hatten, zügig weiterzufahren. • 09. 07. 2017, Kehl (Ortenaukreis): Beim Brand zweier Pkw in einem Parkhaus wurden die Einsatzkräfte massiv von Anwohnern behindert und angegangen, die ihre Fahrzeuge aus dem abgesperrten Parkhaus entfernen wollten. Zudem wurde die Feuerwehr durch mit Smartphones filmende und fotografierende Schaulustige behindert. • 18. 08. 2017, Ludwigsburg: Einem nachrückenden Notarzt standen mit Smartphones filmende Schaulustige bei der Anfahrt zum Einsatzort im Weg. • 27. 09. 2017, Villingen-Schwenningen: Ein (betrunkener) Passant stellte sich vor ein auf der Einsatzfahrt befindliches Löschgruppenfahrzeug der Feuerwehr, zog dabei eine Mülltonne mit sich und entzündete diese. Das Löschgruppenfahrzeug konnte seine Einsatzfahrt zu einem Wohnungsbrand nicht fortsetzen und löschte die Mülltonne ab. Der Passant wurde durch die Polizei festgenommen . • 31. 10. 2017, Tuttlingen: Bei einem Kleinbrand wurde die Feuerwehr durch Schaulustige behindert; Einsatzfahrzeuge und -kräfte wurden mit Eiern beworfen . 3. Ob und inwiefern sieht sie Handlungsbedarf, solchen Behinderungen zu begegnen ? Zu 3.: Der ungehinderten Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort kommt große Bedeutung zu. Mit dem 52. StGBÄndG vom 23. Mai 2017 sind die Änderungen der §§ 113 bis 115 StGB und § 323 c StGB mit Wirkung zum 30. Mai 2017 in Kraft getreten. Die Schwelle der Tatbegehung nach § 323 c Absatz 2 StGB wurde durch die Begehungsform der „Behinderung“ herabgesetzt. Die Ahndung vorliegender Verstöße ist abhängig von den personellen Ressourcen vor Ort. So hat die Gefahrenabwehr hier grundsätzlich Vorrang vor der Strafverfolgung . 4. Welche Maßnahmen zur Begegnung solcher Behinderungen können getroffen werden und wie bewertet sie diese? Zu 4.: Gemäß § 100 h Absatz 1 StPO können durch die Polizei Bildaufzeichnungen zur Dokumentation von strafrechtlich relevanten Behinderungen gegenüber Rettungskräften gefertigt werden. Gem. § 163 b StPO kann die Identität eines Verdächtigen festgestellt werden. Gem. § 127 StPO kann jemand, der bei frischer Tat betroffen wird, (vorläufig) festgenommen werden. Gegenüber Personen, die eine Amtshandlung vorsätzlich stören oder sich getroffenen Anordnungen widersetzen, besteht gemäß § 164 StPO ein eigenständiges Festnahmerecht. In Verbindung mit § 46 Absatz 1 OWiG sind vorgenannte Maßnahmen auch bei der Begehung von Ordnungswidrigkeiten anwendbar. Gemäß § 27 a Absatz 1 PolG kann die Polizei Störern Platzverweise erteilen. Deren Nichtbefolgung ist nach § 84 a PolG bußgeldbewehrt. Zudem kommt ein Gewahrsam nach § 28 Absatz 1 Nr. 1 PolG in Betracht, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevor - stehende erhebliche Störung nicht beseitigt werden kann. Der Rechtsrahmen wird als ausreichend bewertet. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3081 4 5. Wie bewertet sie dabei den Einsatz von Sichtschutzmaßnahmen am Einsatzort? 8. Mit welchen Projekten und Maßnahmen ist sie gegen das Phänomen der Behinderung von Einsatz- und Rettungskräften durch Schaulustige bereits vorgegangen und/oder wird weiter dagegen vorgehen? Zu 5. und 8.: Sichtschutzwände können eine geeignete Maßnahme sein, um am Einsatzort Unfallopfer und Einsatzkräfte vor den Blicken Neugieriger zu schützen. Sie können ebenfalls dazu beitragen, den Verkehrsfluss zu verstetigen und Staus, infolge von neugierigen Verkehrsteilnehmenden, zu reduzieren. Der Einsatz von Sichtschutzwänden ist abhängig von den Ereignissen und Umständen am Einsatzort. Die Anforderung erfolgt durch die Polizei vor Ort. Zwischen der Straßenbauverwaltung und der Polizei werden die Einsatzkriterien und das Prozedere der Anforderung für den Einsatz abgestimmt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat alle Bundesländer gebeten, Sichtschutzwände für den Bereich der Bundesfernstraßen anzuschaffen und einzusetzen. Baden-Württemberg wird die Beschaffung im Jahr 2018 vornehmen . Für den Transport und Aufbau der Sichtschutzwände stehen die personellen Ressourcen der Polizei, des Rettungsdienstes und der Feuerwehr nicht zur Verfügung, da diese vollumfänglich für ihre originären Aufgaben benötigt werden. Im Kontext zu der Thematik „Behinderung von Einsatz- und Rettungskräften“ wird derzeit seitens des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration eine Konzeption zum Thema Rettungsgasse erstellt. 6. Wie bewertet sie dabei eine Aufklärungskampagne? Zu 6.: Eine Aufklärungskampagne ist grundsätzlich geeignet, die Bevölkerung für die Thematik zu sensibilisieren. Über die Thematik Rettungsgasse hinausgehende Konzeptionen oder Kampagnen liegen dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration nicht vor. 7. Ist ihr bekannt, inwiefern und mit welchen Maßnahmen andere Länder der Bundesrepublik Deutschland gegen solche Behinderungen vorgehen? Zu 7.: Im Hinblick auf die Problematik der fehlenden Bildung von Rettungsgassen exis - tieren in zahlreichen Bundesländern überwiegend präventive Konzeptionen. Durch das Bundesland Hessen wurde ein Pilotversuch gestartet, der an Unfallorten unter anderem die anlassbezogene Aufnahme des Gegenverkehrs nach § 100 h Absatz 3 StPO beinhaltet. In Vertretung Würtenberger Ministerialdirektor