Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 3106 04. 12. 2017 1Eingegangen: 04. 12. 2017 / Ausgegeben: 15. 01. 2018 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Rolle spielen die Kliniken im ländlichen Raum in der Krankenhauskonzeption der Landesregierung? 2. Hält sie das Instrument der Sicherstellungszuschläge für Kliniken in der Form des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 24. November 2016 für ein geeignetes Mittel zur Existenzsicherung von Kliniken in strukturschwachen Regionen Baden-Württembergs? 3. Für welche Kliniken in Baden-Württemberg kommt ein Sicherstellungszuschlag infrage bzw. welche erhalten ihn bereits? 4. Wie hat sich die Anzahl der ambulanten Behandlungen in den Kliniken im ländlichen Raum in den vergangenen fünf Jahren entwickelt? 5. Welche Rolle spielen Kliniken im ländlichen Raum nach ihrer Ansicht bei der ärztlichen Notfallversorgung, im Rahmen einer zukünftig ausgebauten sektorenübergreifenden Versorgung sowie als Notarztstandpunkt? 6. Was gedenkt sie zu tun, um den Fortbestand der Kliniken im ländlichen Raum zu sichern? 7. Gehören die Neckar-Odenwald-Kliniken mit ihren Standorten in Mosbach und Buchen nach der Definition der Landesregierung zu den sogenannten „kleinen Kliniken“ im ländlichen Raum, deren Standort gefährdet ist? 04. 12. 2017 Nelius SPD Kleine Anfrage des Abg. Georg Nelius SPD und Antwort des Ministeriums für Soziales und Integration Sicherung von Klinikstandorten im ländlichen Raum Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3106 2 B e g r ü n d u n g Kliniken im ländlichen Raum sind zunehmend in ihrem Bestand bedroht. Gleichzeitig sind diese Kliniken elementar wichtig für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum, auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Mangels an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Aufgabe der Landesregierung muss es sein, im Interesse der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen im ganzen Land für die Versorgung der Bevölkerung wichtige Klinikstandorte im ländlichen Raum zu sichern bzw. diese Kliniken so auszustatten, dass sie konkurrenzfähig sind. Der Neckar-Odenwald-Kreis ist exemplarisch von dieser Entwicklung betroffen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 Nr. 52-0141.5/16/3106 beantwortet das Ministerium für Soziales und Integration im Einvernehmen mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Rolle spielen die Kliniken im ländlichen Raum in der Krankenhauskonzeption der Landesregierung? Ziel der Krankenhauspolitik der Landesregierung ist es in Übereinstimmung mit dem Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg (LKHG) eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und wirtschaftlich gesicherten Krankenhäusern zu gewährleisten. Die Landesregierung bekennt sich ausdrücklich zu einer flächendeckenden stationären Versorgung der Bevölkerung. Der Krankenhausplan Baden-Württemberg konkretisiert diese Zielsetzung folgendermaßen : „Das Krankenhaus und sein Leistungsangebot müssen für die Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung zumindest mittelfristig notwendig sein. Wohnortnähe bedeutet, dass das Angebot für die Bevölkerung in zumutbarer Entfernung erreichbar ist. Das Krankenhaus muss die Vorgaben des Krankenhausplanes erfüllen , wirtschaftlich arbeiten und bedarfsgerecht sein.“ Diese Ziele treffen auf Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen im Allgemeinen und in der stationären Versorgung im Besonderen, die sich in einer hohen Geschwindigkeit verändern. Folgende Entwicklungslinien spielen dabei eine besondere Rolle: – Die Versorgung wird angesichts des rasanten medizinischen Fortschritts zum Wohl des Patienten immer leistungsfähiger. – Sie erfordert einen immer höheren spezialisierten ärztlichen Sachverstand und eine verbesserte technische Ausstattung auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft. – Zur Gewährleistung einer hohen medizinischen Qualität müssen die Krankenhäuser eine steigende Zahl von umfangreichen Qualitätsvorgaben einhalten – von Mindestmengen bis zur personellen Ausstattung. – Mit der demografisch bedingten Alterung der Bevölkerung verändert sich auch ihr Versorgungsbedarf – mit einer Tendenz insbesondere zu multimorbiden Patienten und komplexen Erkrankungen. – All diese Entwicklungen erfordern höhere Ressourcen in den einzelnen Krankenhäusern . 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3106 Vor diesem Hintergrund müssen sich die Versorgungsstrukturen im Land bedarfsgerecht und wirtschaftlich weiter entwickeln. Ziel der Landesregierung ist es, dass die Menschen in Baden-Württemberg auch in Zukunft am richtigen Ort das richtige medizinische Versorgungsangebot erhalten. Dabei muss die Perspektive stärker auf eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung insgesamt gerichtet sein – unter Einschluss der ambulanten und pflegerischen Strukturen in der jeweiligen Raumschaft. Ein isoliert auf die stationäre Versorgung gerichteter Ansatz greift insofern zu kurz. Für die Frage nach zukunftsträchtigen Krankenhäusern bedeutet dies, dass diese tendenziell zwar eher größer und leistungsfähiger werden und Kapazitäten bündeln müssen. Durch die Konzentration von medizinischem Know-how an einem Standort wird die Versorgungsqualität der Menschen spürbar verbessert. Bei der konkreten Bewertung der Zukunftsfähigkeit von Klinikstandorten ist aber jeder Klinikstandort einzeln in seiner Funktionalität für die Versorgungsstruk - turen zu bewerten. Eine Klinik im ländlichen Raum muss mit Blick auf die zumutbaren Erreichbarkeiten jedenfalls anders beurteilt werden als ein Haus im Ballungsraum. 2. Hält sie das Instrument der Sicherstellungszuschläge für Kliniken in Form des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 24. November 2016 für ein geeignetes Mittel zur Existenzsicherung von Kliniken in strukturschwachen Regionen Baden-Württembergs? 3. Für welche Kliniken in Baden-Württemberg kommt ein Sicherstellungszuschlag infrage bzw. welche erhalten ihn bereits? Die Fragen werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Ziel der Sicherstellungszuschläge-Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 24. November 2016 ist es, „bundeseinheitliche Voraussetzungen für die Vereinbarung von Sicherstellungszuschlägen für basisversorgungsrelevante und im Krankenhausplan des jeweiligen Landes aufgenommene Krankenhäuser festzulegen, die aufgrund des geringen Versorgungsbedarfs die Vorhaltung von basisversorgungsrelevanten Leistungen nicht aus den Mitteln des Entgeltsystems für Krankenhäuser (Fallpauschalen und Zusatzentgelte) kostendeckend finanzieren können.“ Zusammenfassend müssen nach den G-BA-Regelungen folgende wesentlichen Voraussetzungen für die Vereinbarung von Sicherstellungszuschlägen erfüllt sein: – Das überprüfte Krankenhaus muss in den Krankenhausplan des Landes aufgenommen sein. – Durch die Schließung des Krankenhauses, dessen Zuschlagsfähigkeit überprüft wird, müssen zusätzlich mindestens 5.000 Einwohner Pkw-Fahrzeiten von mehr als 30 Minuten aufwenden, um das nächste geeignete Krankenhaus zu erreichen . – Die durchschnittliche Einwohnerdichte im Versorgungsgebiet des Krankenhauses muss unterhalb von 100 Einwohnern je Quadratkilometer (100 E./km²) liegen . – Das Krankenhaus muss für das Kalenderjahr vor der Vereinbarung des Zuschlags ein Defizit in der Bilanz ausweisen. Maßgeblich für die Gewährung eines Sicherstellungszuschlags sind ausschließlich der geringe Versorgungsbedarf und das daraus resultierende Defizit. Betriebswirtschaftliche Defizite wegen unwirtschaftlicher Betriebsführung sind grundsätzlich zuschlagsschädlich. Nach § 5 Absatz 2 Satz 5 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) prüft das Sozialministerium auf Antrag eines Krankenhausträgers, ob die Voraussetzungen der Sicherstellungszuschläge-Regelungen des G-BA vorliegen. Bislang sind wenige Krankenhausträger mit Anfragen auf das Sozialministerium zugekommen. In diesen Fällen lagen die Voraussetzungen der G-BA-Regelungen nicht vor. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3106 4 Die geringe Relevanz für Baden-Württemberg resultiert insbesondere aus dem Zusammenspiel der beiden bevölkerungsbezogenen Voraussetzungen, nämlich einer geforderten Betroffenheit von zusätzlich mindestens 5.000 Einwohnern in einer Versorgungsregion mit einer sehr geringen Einwohnerdichte von unterhalb 100 Einwohnern je Quadratkilometer. An den strukturellen Voraussetzungen wird deutlich, dass die aktuellen Sicherstellungszuschläge -Regelungen des G-BA für die Krankenhausstrukturen in Baden -Württemberg wenig Wirkung entfalten können. 4. Wie hat sich die Anzahl der ambulanten Behandlungen in den Kliniken im ländlichen Raum in den vergangenen fünf Jahren entwickelt? Dem Sozialministerium liegen keine Daten zur Anzahl aller ambulanten Behandlungen in Krankenhäusern vor. Die Krankenhausstatistik erfasst bislang nur ambulante Operationen nach § 115 b Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V). Mit dem Inkrafttreten der neuen Krankenhausstatistikverordnung zum 1. Januar 2018 wird sich dies ändern. Eine Gliederung liegt auf Regierungsbezirksebene vor. Eine tiefere räumliche Gliederung hinsichtlich der Kliniken im ländlichen Raum ist nicht möglich. Regierungsbezirk Stuttgart Regierungsbezirk Karlsruhe 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3106 Regierungsbezirk Freiburg Regierungsbezirk Tübingen Baden-Württemberg insgesamt Quelle: Krankenhausstatistik, Grunddaten.- Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 5. Welche Rolle spielen Kliniken im ländlichen Raum nach ihrer Ansicht bei der ärztlichen Notfallversorgung, im Rahmen einer zukünftig ausgebauten sektorenübergreifenden Versorgung sowie als Notarztstandpunkt? Krankenhäuser spielen unter allen drei genannten Aspekten eine wichtige Rolle für die medizinische Versorgung. Dies gilt insbesondere für Krankenhäuser im ländlichen Raum. Die ärztliche Notfallversorgung wird derzeit im Zusammenspiel zwischen Rettungsdienst, ambulanten und stationären Strukturen erbracht. In der sektorenübergreifenden Versorgung sind Krankenhäuser neben den ambulanten , rehabilitativen und pflegerischen Einrichtungen ein wichtiger Baustein der Versorgung. Zudem stellen Krankenhäuser sehr häufig Notärzte des Rettungsdienstes (§ 10 Absatz 1 Satz 3 Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg). Allerdings sind die ärztliche Notfallversorgung, die sektorenübergreifende Zusammenarbeit und auch die Organisation des Rettungsdienstes abhängig von den Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3106 6 regionalen, historischen und topografischen Besonderheiten und Angeboten vor Ort im Land unterschiedlich aufgestellt. Insofern ist der konkrete Blick auf die Funktionalität des einzelnen Krankenhauses für eine Bewertung von besonderer Bedeutung. 6. Was gedenkt sie zu tun, um den Fortbestand der Kliniken im ländlichen Raum zu sichern? Die Attraktivität des ländlichen Raumes hängt maßgeblich davon ab, dass Infrastrukturen dezentral vorgehalten werden. Die künftige Sicherung einer wohnortnahen , bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung ist ein wichtiger Baustein für die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume Baden- Württembergs. Im Kabinettsausschuss Ländlicher Raum wurde die interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“ eingerichtet. In Zusammenarbeit aller Fachressorts der Landesregierung soll die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raumes gezielt und effektiv gefördert werden, insbesondere auch die medizinische Versorgung auf dem Land. Die Relevanz von Erreichbarkeiten spielt dabei eine bedeutende Rolle, denn entscheidend für den ländlichen Raum ist eine schnelle und gute stationäre und rettungsdienstliche Akutversorgung für drei Risikofälle : Unfall, Schlaganfall, Herzinfarkt. Hierfür müssen auch zwingend notwendig dezentrale Strukturen vorgehalten werden. Daher wird die Landesregierung bedarfsgerechte Krankenhäuser im ländlichen Raum auch in Zukunft durch eine verantwortungsbewusste Investitionsförderung nachhaltig finanziell unterstützen. Sie wird zudem durch eine aktive Krankenhauspolitik auf effiziente Krankenhausstrukturen hinwirken, was im Ergebnis zu einer wirtschaftlichen Sicherung der bedarfsgerechten Krankenhäuser auch im ländlichen Raum beiträgt. 7. Gehören die Neckar-Odenwald-Kliniken mit ihren Standorten in Mosbach und Buchen nach der Definition der Landesregierung zu den sogenannten „kleinen Kliniken“ im ländlichen Raum, deren Standort gefährdet ist? Die beiden Krankenhäuser der Neckar-Odenwald-Kliniken in Mosbach und Buchen sind als bedarfsgerecht in den Krankenhausplan des Landes aufgenommen . Eine Baumaßnahme am Krankenhaus in Buchen (Erweiterung und Umbau: 3. Bauabschnitt) war erst Bestandteil des Jahreskrankenhausbauprogramms 2014. Mit Blick auf die Zukunft sind grundsätzlich alle Krankenhausträger gehalten, ihre Medizinkonzeption unter den Gesichtspunkten der Bedarfsgerechtigkeit, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit und bei sich verändernden Rahmenbedingungen zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Dies gilt auch für Krankenhäuser unter den spezifischen Herausforderungen des ländlichen Raums. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Lucha Minister für Soziales und Integration