Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 3237 05. 01. 2018 1Eingegangen: 05. 01. 2018 / Ausgegeben: 15. 02. 2018 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Werden in Baden-Württemberg Schülerinnen bzw. Schüler gezwungen, an geschlechtergemischtem Sportunterricht teilzunehmen, auch wenn sie das nicht möchten? 2. Haben die Eltern das Recht, eine solche Teilnahme zu unterbinden, zumindest was einzelne Übungen oder Sportarten betrifft? 3. Werden insbesondere Mädchen gezwungen, gegen ihren Willen an allen Übungen oder Sportarten, insbesondere auch Mannschaftssportarten wie Fußball, Hockey oder ähnlichem, oder am Schwimmunterricht teilzunehmen, auch wenn sie das nicht möchten, etwa weil sie die Sportart als zu männlich, körperbetont , aggressiv oder sonst wie unangemessen für sie empfinden? 4. Werden die Mädchen dabei auch gezwungen, in geschlechtsgemischten Gruppen Mannschaftssportarten auszuüben, auch wenn sie das − aus unterschied - lichen Gründen − ablehnen, zumal sie körperlich-physisch dabei im Durchschnitt hinter ihren männlichen Mitschülern zurückstehen? 01. 12. 2017 Dr. Gedeon fraktionslos Kleine Anfrage des Abg. Dr. Wolfgang Gedeon fraktionslos und Antwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Erzwungene Teilnahme im koedukativen Sportunterricht Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3237 2 B e g r ü n d u n g Auch wenn generell Schulpflicht gilt und die öffentlichen Schulen weitgehend koedukativ organisiert sind, gibt es doch sensible Bereiche, in welchen den Rechten und berechtigten Sonderinteressen der Schülerinnen bzw. Schüler und auch deren Eltern Rechnung getragen werden muss, selbst wenn diese in Spannung zu der genannten Pflicht oder Organisationsform stehen. Insbesondere das Selbstbestimmungsrecht und die berechtigten Interessen und Sorgen von Schülerinnen oder deren Eltern bezüglich bestimmter Sportarten und insbesondere, wenn diese in gemischtgeschlechtlichen Mannschaften ausgeübt werden, müssen besondere Berücksichtigung finden und dürfen nicht unnötig eingeschränkt bzw. bagatellisiert werden. Lehnen es Mädchen z. B. ab, mit Jungen zusammen Fußball oder Rugby zu spielen oder zu schwimmen, weil sie dies für unweiblich oder sonst wie unangemessen für sie halten oder weil sie rowdyhaftes Verhalten, anzügliche Bemerkungen oder Belästigungen befürchten, sollte die Teilnahme nicht erzwungen bzw. eine Verweigerung der Teilnahme nicht als Leistungsverweigerung negativ sanktioniert werden. Dies schränkt die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme nicht im Geringsten ein (Mädchen, welche gerne zusammen mit Jungen Fußball oder Rugby spielen, sollen dies auf freiwilliger Basis weiter tun dürfen); da auch junge Menschen bereits Persönlichkeitsrechte haben, sollte hier nach Auffassung des Fragestellers allerdings das Freiwilligkeitsprinzip strikt eingehalten werden. A n t w o r t Mit Schreiben vom 23. Januar 2018 Nr. 12-6860.0/1056/1 beantwortet das Minis - terium für Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Werden in Baden-Württemberg Schülerinnen bzw. Schüler gezwungen, an geschlechtergemischtem Sportunterricht teilzunehmen, auch wenn sie das nicht möchten? 2. Haben die Eltern das Recht, eine solche Teilnahme zu unterbinden, zumindest was einzelne Übungen oder Sportarten betrifft? 3. Werden insbesondere Mädchen gezwungen, gegen ihren Willen an allen Übungen oder Sportarten, insbesondere auch Mannschaftssportarten wie Fußball, Hockey oder ähnlichem, oder am Schwimmunterricht teilzunehmen, auch wenn sie das nicht möchten, etwa weil sie die Sportart als zu männlich, körperbetont, aggressiv oder sonst wie unangemessen für sie empfinden? 4. Werden die Mädchen dabei auch gezwungen, in geschlechtsgemischten Gruppen Mannschaftssportarten auszuüben, auch wenn sie das − aus unterschied - lichen Gründen − ablehnen, zumal sie körperlich-physisch dabei im Durchschnitt hinter ihren männlichen Mitschülern zurückstehen? Von der ersten bis zur sechsten Klasse kann der Sportunterricht je nach pädagogischer Zielsetzung koedukativ oder in geschlechtergetrennten Sportgruppen erteilt werden. Dies gilt ebenso für die beiden Jahrgangsstufen der gymnasialen Oberstufe . In den Klassenstufen 7 bis 10 wird der Sportunterricht gemäß der Bildungspläne durch die Pflicht- und Wahlbereiche so gestaltet, dass Mädchen und Jungen ihre Fähigkeiten ohne Benachteiligung entfalten können. Der Schulsport orientiert sich mit seinem spezifischem Bildungsauftrag schulstufen - und schulformübergreifend an dem Doppelauftrag zur Entwicklungsför - derung durch Bewegung, Spiel und Sport (Erziehung im und durch den Sport) und zur Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur aus verschiedenen sport pädagogischen Perspektiven (Erziehung zum Sport): 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3237 – Wahrnehmungsfähigkeit verbessern und Bewegungserfahrungen erweitern, – das Leisten erfahren und reflektieren, – sich körperlich ausdrücken und Bewegung gestalten, – etwas wagen und verantworten, – gemeinsam handeln, wettkämpfen und sich verständigen sowie – Gesundheit verbessern und Gesundheitsbewusstsein entwickeln. Dieser Doppelauftrag kann grundsätzlich sowohl durch koedukativen als auch geschlechtergetrennten Sportunterricht erfüllt werden. Ab der Pubertät wird der Sportunterricht in der Regel geschlechtergetrennt durchgeführt . Koedukativer Sportunterricht ist jedoch möglich, sofern dies pädagogisch begründet ist. So können beispielsweise im Rahmen des Unterrichts im Sonderprofil Sport an Gymnasien sowie bei Projekten, Schullandheimaufenthalten und geeigneten Unterrichtsvorhaben die pädagogischen Chancen, die eine koeduka - tive Erziehung bietet, genutzt werden. Hierüber entscheidet die Gesamtlehrerkonferenz nach Anhörung der Schulkonferenz. Nach § 1 der Schulbesuchsverordnung ist jede Schülerin und jeder Schüler verpflichtet , den Unterricht und die übrigen verbindlichen Veranstaltungen regelmäßig und ordnungsgemäß zu besuchen. Hierunter fällt auch der koedukativ angebotene Sportunterricht. Die Erziehungsberechtigten haben dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler diesen Verpflichtungen Folge leisten. Schülerinnen und Schüler können vom Sportunterricht nur dann teilweise oder ganz befreit werden, wenn es ihr Gesundheitszustand erfordert. Dr. Eisenmann Ministerin für Kultus, Jugend und Sport