Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 3419 28. 01. 2018 1Eingegangen: 28. 01. 2018 / Ausgegeben: 05. 03. 2018 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Bei wie vielen Frühgeborenen musste die Versorgung in Perinatalzentren allein aufgrund der Anwendung der G-BA-Qualitätssicherungs-Richtlinie abgelehnt werden (siehe Schreiben des Universitätsklinikums Ulm vom 11. Januar 2018 an das Sozialministerium und die Abgeordneten der Sozialausschüsse)? 2. Wie viele Still- und Laktationsberaterinnen setzen die Universitätskliniken jeweils ein, um die regulären Pflegekräfte zu entlasten? 3. Setzt sich die Regierung für eine Überarbeitung der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene ein, wie es das Universitätsklinikum Ulm vorschlägt ? 4. Wie hoch war der Anteil der insulinpflichtigen Schwangeren in den Universitätskliniken in den letzten fünf Jahren jeweils? 5. Wie wird die Versorgung der insulinpflichtigen Schwangeren vor und nach der Geburt in den Universitätskliniken sichergestellt (beispielsweise durch zusätzliche Berater oder Ärzte – ähnlich den der Entlastung dienenden zusätzlichen Stillberaterinnen)? 6. Wie hoch war in den Universitätskliniken in den letzten fünf Jahren jeweils der Anteil der Geburten, die erst nach ihrem errechneten Datum zur Welt kamen? 7. Unter welchen Umständen kommen welche Wehen auslösenden Medikamente zum Einsatz? Kleine Anfrage des Abg. Thomas Axel Palka AfD und Antwort des Ministeriums für Soziales und Integration Perinatalzentren Level 1 und Universitäts-Frauenkliniken Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3419 2 8. Wer trägt bei der Nutzung von Off-Label-Medikamenten (z. B. Misoprostol, welches auch als Mittel zum Abbruch von Schwangerschaften genutzt wird und für welches laut Cochrane noch immer nicht genügend Daten aus randomisierten kontrollierten Studien für größtmögliche Sicherheit vorliegen) die Verantwortung? 9. Welche Alternativen haben Patientinnen, die dem Off-Label-Gebrauch nicht zustimmen? 10. Wie hoch war der Anteil der durchgeführten „Kaiserschnitte“ in den letzten fünf Jahren (wenn möglich in vergleichbarer Statistik zu Drucksache 13/4151 Antwort 3 a)? 24. 01. 2018 Palka AfD A n t w o r t Mit Schreiben vom 21. Februar 2018 Nr. 52-0141.5/16/3419 beantwortet das Ministerium für Soziales und Integration im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Bei wie vielen Frühgeborenen musste die Versorgung in Perinatalzentren allein aufgrund der Anwendung der G-BA-Qualitätssicherungs-Richtlinie abgelehnt werden (siehe Schreiben des Universitätsklinikums Ulm vom 11. Januar 2018 an das Sozialministerium und die Abgeordneten der Sozialausschüsse)? Perinatalzentren, die die Anforderungen an die pflegerische Versorgung auf ihrer Intensivstation ab dem 1. Januar 2017 nicht erfüllen, sind verpflichtet, dies unter Angabe der konkreten Gründe dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unverzüglich mitzuteilen. In diesem Fall dürfen sie – bei Vereinbarung konkreter Schritte und Maßnahmen zur Erfüllung der Personalvorgaben – längstens bis zum 31. Dezember 2019 von diesen abweichen. Die Mehrzahl der baden-württembergischen Perinatalzentren hat von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Am Universitätsklinikum Freiburg musste bei 25 Patientinnen allein aufgrund der Anwendung der G-BA-Qualitätssicherungs-Richtlinie die Versorgung im Peri - natalzentrum abgelehnt werden. Im Perinatalzentrum Heidelberg hat die Zahl der Frühgeborenen unter 1.500 g in den letzten 8 Jahren stetig und seit 2015 massiv auch als Folge der G-BA-Vor - gaben zugenommen. Da andere Perinatalzentren diese Frühgeborenen nicht versorgen wollten oder konnten, musste das Universitätsklinikum Heidelberg Schwan - gere aus diesen Perinatalzentren in der Frühschwangerschaft ablehnen, wenn keine Beatmungsplätze und Kapazitäten zur Verfügung standen. Dies kam in 2017 an wenigen Tagen vor. Konkrete Zahlen liegen nicht vor. Alle Schwangeren, die von normalen Geburtskliniken oder gynäkologischen Praxen kamen, wurden versorgt . Der G-BA-Pflegeschlüssel wurde im Jahr 2017 zu 96 % erfüllt. Für die Zukunft sieht das Universitätsklinikum Heidelberg wegen der Zunahme der Frühgeburten ohne parallelen Zuwachs ausgebildeter Pflegekräfte die Vorgaben des G-BA als unrealistisch an. Im Perinatalzentrum Tübingen wurden die „Ablehnung allein aufgrund der G-BA- Richtlinie“ bzw. „Weiterleitungen aus diesem Grund“ nicht explizit dokumentiert . Summarisch kann Folgendes berichtet werden: Im Jahr 2017 hat das Peri - natalzentrum Tübingen insgesamt 76 Schwangere mit 104 zu erwartenden Frühgeborenen in ein anderes Perinatalzentrum verlegt bzw. bei Anfragen von außen in andere Zentren umgeleitet. Zusätzlich wurden 47 Frühgeborene vorzeitig aus 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3419 der Neonatologie in andere, möglichst heimatnahe Kinderkliniken verlegt. Die Gründe hierfür waren vielfältig, wurden aber im Einzelfall nicht spezifiziert. Das Universitätsklinikum Ulm musste bis September 2017 die Versorgung von 94 Patientinnen allein aufgrund der Anwendung der G-BA-Qualitätssicherungs- Richtlinie ablehnen. 2. Wie viele Still- und Laktationsberaterinnen setzen die Universitätskliniken jeweils ein, um die regulären Pflegekräfte zu entlasten? Am Universitätsklinikum Freiburg sind 3 Pflegende mit Ausbildung „Laktationsberaterin “ im Pflegedienst sowie eine zusätzliche Laktationsberaterin ohne sonstige Pflegetätigkeit tätig. Die Klinik für Neonatologie des Universitätsklinikums Heidelberg besitzt 4 ausgebildete Laktationsberaterinnen, welche aber als reguläre Pflegekräfte arbeiten und nicht zusätzlich tätig sind. Das Perinatalzentrum Tübingen sieht sowohl eine Grundausbildung jeder neuen Pflegekraft und ärztlichen Kraft als auch Fortbildungen in der Kompetenz der Still- und Laktationsanleitung vor. Zudem arbeiten im Tübinger Perinatalzentrum neben den zahlreichen speziell geschulten Hebammen und Krankenschwestern 6 examinierte Still- und Laktationsberaterinnen (sog. IBCLC, International Board Certified Lactation Consultant) im pflegerischen und 2 im ärztlichen Bereich. Im Universitätsklinikum Ulm werden in der Frauenklinik 1,75 VK und in der Kinderklinik 2 VK Still- und Laktationsberaterinnen eingesetzt. 3. Setzt sich die Regierung für eine Überarbeitung der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene ein, wie es das Universitätsklinikum Ulm vorschlägt ? Die Landesregierung sieht Weiterentwicklungsbedarf und hat dies auch dem Gemeinsamen Bundesausschuss rückgemeldet. 4. Wie hoch war der Anteil der insulinpflichtigen Schwangeren in den Universitätskliniken in den letzten fünf Jahren jeweils? Am Universitätsklinikum Freiburg waren im Mittel ca. 10,5 % der Schwangeren insulinpflichtig, am Universitätsklinikum Heidelberg 3,6 %. Am Universitätsklinikum Tübingen wird hierzu keine Statistik geführt. In der Erfassung der Daten wird nicht zwischen einem insulinpflichtigen und diätetischen Gestationsdiabetes unterschieden. Es ist nach den Angaben der diabetologischen Ambulanz der Inneren Medizin davon auszugehen, dass am Universitätsklinikum pro Jahr ca. 300 bis 400 insulinpflichtige Schwangere (Typ I, Typ II, insulin - pflichtiger Gestationsdiabetes) betreut werden. Der Anteil der Schwangeren mit Diagnose „Gestationsdiabetes“ lag am Universitätsklinikum Ulm in den letzten 5 Jahren durchschnittlich bei 6,1 %, davon ist ca. die Hälfte insulinpflichtig. Der Anteil der Patientinnen mit vorbestehendem Diabetes lag in den vergangenen Jahren bei ca. 2 %. In der aktuellsten Bundesauswertung „Geburtshilfe“ des Instituts für Qualitäts - sicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) wird für das Erfassungsjahr 2016 eine Häufigkeit von 0,89 % für Diabetes mellitus und von 5,38 % für Gestationsdiabetes angegeben. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3419 4 5. Wie wird die Versorgung der insulinpflichtigen Schwangeren vor und nach der Geburt in den Universitätskliniken sichergestellt (beispielsweise durch zusätzliche Berater oder Ärzte – ähnlich den der Entlastung dienenden zusätzlichen Stillberaterinnen)? Am Universitätsklinikum Freiburg werden insulinpflichtige Schwangere vor der Entbindung in der Diabetesambulanz der Klinik für Innere Medizin vorgestellt, betreut und bleiben dort über die Entbindung hinaus angebunden. Sie erhalten spezielle Laktationsberatung. Am Universitätsklinikum Heidelberg erfolgt die Betreuung während der Schwangerschaft durch Kooperation von niedergelassenen Frauenärzten, niedergelassenen Diabetologen sowie der Risikoschwangerenambulanz des Universitätsklinikums . In besonderen Fällen wird zusätzlich die Diabetologie am Universitätsklinikum involviert. Die Versorgung insulinpflichtiger Schwangerer erfolgt am Universitätsklinikum Tübingen in einem abgestuften Konzept. Es gibt bereits in der Schwangerschaft enge Kontakte zwischen der/dem niedergelassenen Frauenärztin/-arzt und der Risikoschwangerenambulanz des Zentrums. Die Zuweisung erfolgt anhand der AWMF-Leitlinie bei der Betreuung diabetischer Mütter. Zudem spielen niedergelassene Diabetologen und der diabetologische Schwerpunkt des Zentrums eine wichtige Rolle in der Begleitung und Einstellung der Schwangeren. Darüber hinaus erfolgt eine sorgfältige Überwachung der Kinder im Mutterleib im Rahmen der Pränataldiagnostik und Risikoschwangerenambulanz sowie der Risiko - schwangerenvorsorge in der frauenärztlichen Praxis. Innerhalb der Klinik gibt es einen engen Verbund mit den Diabetologen. Insulinpflichtige Schwangere und Wöchnerinnen werden am Universitätsklinikum Ulm durch das geburtshilfliche Team der Frauenklinik betreut. Die ambulante Betreuung erfolgt in der Regel durch niedergelassene Diabetologen und Gynäkologen . 6. Wie hoch war in den Universitätskliniken in den letzten fünf Jahren jeweils der Anteil der Geburten, die erst nach ihrem errechneten Datum zur Welt kamen? Am Universitätsklinikum Freiburg fanden in den letzten fünf Jahren 25,8 % der Geburten nach dem errechneten Datum (40 + 0 SSW) statt. Am Universitätsklinikum Heidelberg waren es 33 % und am Universitätsklinikum Ulm 42 %. Zahlen des Universitätsklinikums Tübingen konnten innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erhoben werden. In der aktuellsten Bundesauswertung „Geburtshilfe“ des IQTIG wird der Anteil der Geburten mit Terminüberschreitung im Jahr 2016 mit 37,50 %. angegeben. Bei 34,12 % lag eine Überschreitung von bis zu 10 Tagen vor, bei 2,46 % von 11 bis 12 Tagen, bei 0,63 % von 13 bis 14 Tagen und bei 0,35 % von über 14 Tagen. 7. Unter welchen Umständen kommen welche Wehen auslösenden Medikamente zum Einsatz? Bei der Geburtseinleitung kommen neben Oxytocin alternative Einleitungsmittel (z. B. Wehencocktail mit Rizinusöl, Einlauf), mechanische Einleitungsmittel (Lösung des Eipols, Ballonkatheter) und Prostaglandine (Tabletten, Gels, Zäpfchen) zum Einsatz. Die Wahl des Einleitungsmittels erfolgt individuell anhand der Untersuchungsbefunde und z. B. Voroperationen der Patientin. Beispielsweise erlaubt eine Narbe an der Gebärmutter (Zustand nach Kaiserschnitt) nicht den Einsatz aller denkbaren Prostaglandine. Nicht zuletzt spielt das Befinden des Kindes im Mutterleib bei der Wahl der Einleitungsmethode eine große Rolle. Bei Verdacht auf eine Plazentainsuffizienz wird beispielsweise eine gut steuerbare Ein - leitungsmethode (z. B. Wehentropf) unter Dauerüberwachung bevorzugt. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3419 8. Wer trägt bei der Nutzung von Off-Label-Medikamenten (z. B. Misoprostol, welches auch als Mittel zum Abbruch von Schwangerschaften genutzt wird und für welches laut Cochrane noch immer nicht genügend Daten aus randomisierten kontrollierten Studien für größtmögliche Sicherheit vorliegen) die Verantwortung ? Unter Off-Label-Use versteht man die Anwendung eines zugelassenen Fertig - arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen). Dem Arzt ist es im Rahmen der sog. „Therapiefreiheit“ gestattet, auch nicht zugelassene Arzneimittel bzw. Arzneimittel außerhalb des Indikationsgebiets, für das sie zugelassen sind, anzuwenden. Eine Erstattung derartig verordneter Arzneimittel durch die gesetz - lichen Krankenversicherungen erfolgt jedoch nur, wenn alle nachfolgenden Kriterien erfüllt sind: Es muss sich um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung handeln, für die keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Daher muss der Arzt jeden Einzelfall sorgfältig sowohl unter haftungsrechtlichen als auch verordnungsrechtlichen Gesichtspunkten prüfen. In jedem Fall muss die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass eine Arzneimittelverordnung außerhalb einer bestehenden Zulassung beabsichtigt ist, und sie muss zu dieser Therapie ihr Einverständnis geben. Im Ablehnungsfall der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist ein Privatrezept auszustellen. In Bezug auf das E1-Prostaglandin Misoprostol besteht bereits seit Anfang 2014 keine Notwendigkeit eines Off-Label-Use mehr. Mit dem Präparat Misodel® 200 µg vaginales Wirkstofffreisetzungssystem der Firma FERRING Arzneimittel GmbH gibt es ein zugelassenes Arzneimittel für die Indikation „zur Einleitung der Wehen bei Frauen mit unreifer Zervix ab der 37. Schwangerschaftswoche, wenn eine Geburtseinleitung klinisch indiziert ist“. Die in der Fragestellung enthaltene Aussage der Cochrane Review Gruppe Pregnancy and Childbirth vom Juni 2014 bezieht sich nur auf oral verabreichtes Misoprostol , für das es in Deutschland ausschließlich zugelassene Arzneimittel für die Indikation „Magenschleimhautschädigungen“ gibt. 9. Welche Alternativen haben Patientinnen, die dem Off-Label-Gebrauch nicht zustimmen? Für die medikamentöse Geburtseinleitung stehen neben der intravenösen An - wendung von Oxytocin-haltigen Arzneimitteln auch die transvaginal anwendbaren und seit vielen Jahren zugelassenen Arzneimittel Propess®, Minprostin®, Predipil ® mit dem Wirkstoff Dinoproston (ein E2-Prostaglandin) zur Verfügung. Die Indikationsstellung und Auswahl obliegt dem behandelnden Arzt. In den Fällen, in denen keine Alternativen verfügbar sind, wie in vielen Indikationsbereichen der Neonatologie, muss dann über die mangelnden Alternativen aufgeklärt werden. 10. Wie hoch war der Anteil der durchgeführten „Kaiserschnitte“ in den letzten fünf Jahren (wenn möglich in vergleichbarer Statistik zu Drucksache 13/4151 Antwort 3 a)? In den Jahren 2012 bis 2016 hat sich die Rate der durch Kaiserschnitt geborenen Kinder kontinuierlich von 33,6 % auf 30,6 % verringert. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 3419 6 Anzahl der Entbindungen: Jahr Entbindungen Kaiserschnitt Zangengeburt Vakuumextraktion 2012 86.845 29.186 205 5.941 2013 89.241 29.055 209 6.120 2014 93.401 30.140 201 6.164 2015 97.059 30.808 187 6.660 2016 103.598 31.655 210 6.896 Lucha Minister für Soziales und Integration