Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 429 11. 08. 2016 1Eingegangen: 11. 08. 2016 / Ausgegeben: 14. 09. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Fälle von islamistischer Radikalisierung unter den im Betreff genannten Gruppen sind ihr in Baden-Württemberg für den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. August 2016 bekannt? 2. Wie gliedern sich diese nach Aufenthaltsstatus und Herkunft auf? 3. Welche Maßnahmen in Baden-Württemberg hat sie konkret dagegen unternommen ? 4. Von welchen Gruppen wurden die Betroffenen nach ihrer Kenntnis radikalisiert ? 5. Wie viele Radikalisierte in Baden-Württemberg sind ihres Wissens als gewaltbereit einzuordnen? 6. Wie viele Radikalisierte gelten in Baden-Württemberg nach ihrer Kenntnis als terrorverdächtig? 7. Wie viele der in Baden-Württemberg lebenden Radikalisierten sind nach ihrer Kenntnis zumindest zeitweise wieder in ihre Heimatländer oder in Konfliktgebiete gereist? 8. Gegen welche Gruppen (Christen, Juden, Jesiden, Europäer usw.) richten sich die Radikalisierten in Baden-Württemberg? 9. Wie gliedern sich die Radikalisierten in Baden-Württemberg nach Geschlecht ? 10. Wie gliedern sich die Radikalisierten in Baden-Württemberg nach Alter? 11. 08. 2016 Berg ABW Kleine Anfrage des Abg. Lars Patrick Berg ABW und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Islamistische Radikalisierung unter Flüchtlingen, anerkannten Asylanten und Asylbewerbern in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 429 2 B e g r ü n d u n g Wie die Waiblinger Kreiszeitung vom 5. August 2016 schreibt, sei die Zahl der Meldungen über Radikalisierung unter Asylsuchenden in Baden-Württemberg angestiegen . Diese Kleine Anfrage soll den Umfang und mögliche Maßnahmen in Baden-Württemberg beleuchten. A n t w o r t Mit Schreiben vom 7. September 2016 Nr. 4-1083/309 beantwortet das Innen - minis terium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Fälle von islamistischer Radikalisierung unter den im Betreff genannten Gruppen sind ihr in Baden-Württemberg für den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. August 2016 bekannt? 2. Wie gliedern sich diese nach Aufenthaltsstatus und Herkunft auf? Zu 1. und 2.: Der Begriff „Radikalisierung“ bezeichnet die Hinwendung von Personen zu extremistischen Denk- und Handlungsweisen und schließlich ihren Weg in die Gewalt . Radikalisierung ist ein höchst individueller Prozess, der von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Eindeutige Indikatoren für eine Hinwendung beispielsweise zum Salafismus oder eine Radikalisierung in den Jihadismus gibt es nicht. Ein „typischer“ Radikalisierungsverlauf existiert ebenfalls nicht. Im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung erhalten die Sicherheitsbehörden des Landes aus verschiedenen Quellen Hinweise auf Personen, die terroristischen Gruppierungen wie etwa dem sog. Islamischen Staat (IS) zugehörig sein sollen. In solchen Fällen treffen die Sicherheitsbehörden jeweils anlassbezogene Maßnahmen zu deren Identifizierung. Aussagen zu mutmaßlichen Radikalisierungsprozessen einzelner Personen lassen sich im Zusammenhang mit diesen Hinweisen nicht treffen. Insofern führen die Sicherheitsbehörden auch keine Statistik unter dem Gesichtspunkt „Radikalisierung“. Eine Aussage zu Aufenthaltsstatus und Herkunft kann daher nicht getroffen werden. 3. Welche Maßnahmen in Baden-Württemberg hat sie konkret dagegen unternommen ? Zu 3.: Zu den Aktivitäten der Sicherheitsbehörden im Bereich der Extremismuspräven - tion und Deradikalisierung wird zunächst auf die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU „Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung im Bereich des religiös motivierten Extremismus“, Drucksache 15/6596, verwiesen. Im Hinblick auf die derzeitige Migrationsbewegung ist zu ergänzen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) im März 2016 die Broschüre „Extremismus erkennen. Handreichung für Betreiber von Flüchtlingsunterkünften“ veröffentlicht hat. Die Publikation informiert schwerpunktmäßig über die Aktivitäten von Islamisten, aber auch von anderen Extremisten im Umfeld der Unterkünfte. Sie soll der Sensibilisierung von Personen dienen, die mit Flüchtlingen arbeiten. Im Februar 2015 wurde im Zuge des Maßnahmenpakets „Sonderprogramm der Landesregierung zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus“ die Einrichtung des „Kompetenzzentrums zur Koordinierung des Präventionsnetzwerks gegen (islamistischen) Extremismus in Baden-Württemberg“ (KPEBW) beschlossen , welches im Dezember 2015 eingeweiht wurde. Das KPEBW ist die zentrale Koordinierungsstelle zum Aufbau und der nachhaltigen Etablierung eines Präven- 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 429 tionsnetzwerks gegen (islamistischen) Extremismus in Baden-Württemberg. Das KPEBW koordiniert Maßnahmen der Prävention und Intervention (einschließlich Aussteigerbetreuung) und gewährleistet den Informationsfluss zwischen staat - lichen und nichtstaatlichen Akteuren des Netzwerks. Die Kernaufgabe im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes ist die Unterstützung aller Beteiligten bei der Identifizierung aktueller Problemfelder sowie bei der Umsetzung wirkungsvoller Konzepte . Die Beratung radikalisierter Personen und deren Umfeld sowie die Ein - leitung von Maßnahmen zu deren Deradikalisierung werden durch den externen Partner, derzeit Violence Prevention Network (VPN), übernommen. Zu den Aufgaben der Beratungsstelle gehört neben Maßnahmen der spezifischen Prävention wie etwa der Beratung von Radikalisierten auch die Beratung von Angehörigen und des sozialen Umfelds. 4. Von welchen Gruppen wurden die Betroffenen nach ihrer Kenntnis radikalisiert ? Zu 4.: In Baden-Württemberg gab es im vergangenen Jahr 29 Kontaktaufnahmen von Islamisten zu Asylbewerbern, darunter sieben von Salafisten. In diesem Jahr sind 13 Kontaktaufnahmen (insg. somit 42) von Islamisten bekannt geworden, darunter vier von Salafisten. „Anwerbeversuche“ erfolgten im Wesentlichen durch unmittelbare Kontaktaufnahmen, Einladungen zu Moscheebesuchen oder Koranverteilungen . Dabei sind vor allem folgende islamistische Gruppierungen in Erscheinung getreten: Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), Türkische Hiz - bullah, Islamische Gemeinschaft Deutschland (IGD) sowie Tablighi Jama’at. Ob diese „Anwerbeversuche“ tatsächlich zu einer Radikalisierung geführt haben, ist nicht bekannt. 5. Wie viele Radikalisierte in Baden-Württemberg sind ihres Wissens als gewaltbereit einzuordnen? Zu 5.: Unabhängig von der Flüchtlingsbewegung geht die Landesregierung von etwa 3.365 Islamisten in Baden-Württemberg aus, von denen rund 120 als gewaltorientiert eingeschätzt werden. 6. Wie viele Radikalisierte gelten in Baden-Württemberg nach ihrer Kenntnis als terrorverdächtig? 7. Wie viele der in Baden-Württemberg lebenden Radikalisierten sind nach ihrer Kenntnis zumindest zeitweise wieder in ihre Heimatländer oder in Konfliktgebiete gereist? 8. Gegen welche Gruppen (Christen, Juden, Jesiden, Europäer usw.) richten sich die Radikalisierten in Baden-Württemberg? 9. Wie gliedern sich die Radikalisierten in Baden-Württemberg nach Geschlecht ? 10. Wie gliedern sich die Radikalisierten in Baden-Württemberg nach Alter? Zu 6. bis 10.: Wie bereits in der Antwort zu den Fragen 1 und 2 dargelegt, führen die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg keine Statistik unter dem Gesichtspunkt „Radikalisierung“. Eine Aussage zu den in den Ziffern 6. bis 10. aufgeworfenen Fragen kann deshalb nicht getroffen werden. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration