Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 454 24. 08. 2016 1Eingegangen: 24. 08. 2016 / Ausgegeben: 04. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Berücksichtigen die angewandten Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Schalleinwirkung und zur Bemessung des Schallschutzes den Stand der Technik im Hinblick auf die in der Planung der A 8 in der Enztalsenke vorgesehenen Schallschutzmaßnahmen? 2. Steht sie zu der Zusage im Rahmen des Erörterungstermins des Planfeststellungsverfahrens in Pforzheim, zum Zeitpunkt der Ausführungsplanung bezüglich des passiven Lärmschutzes das technisch maximal Machbare auch tatsächlich durchzuführen, um die – trotz aktivem und passivem Lärmschutz – nachts signifikanten Überschreitungen der zulässigen Lärmgrenzwerte noch weiter einzudämmen? 3. Wie bewertet sie die Tatsache, dass das unter Frage 1 genannte Berechnungsverfahren für den Lärmschutz an Straßen in Deutschland (RLS 1990) aus dem Jahr 1990 stammt und dadurch die vorhandenen geometrischen und physikalischen Besonderheiten einer gekrümmten Lärmschutzwand von diesem Berechnungsverfahren noch nicht abgebildet werden, obwohl gekrümmte Lärmschutzwände durch den Paraboleffekt bei nahezu vergleichbaren Kosten deutlich effektiver sind und ein höheres Maß an Schallschutz bieten? 4. Ist sie sich bewusst, dass es bei gekrümmten Lärmschutzwänden technisch zu einer weitreichenden Lärmminderung kommt, auch wenn dies nicht mit den in Deutschland zur Anwendung kommenden Rechenverfahren abgebildet wird? 5. Wie bewertet sie die Innovationsoffensiven in Österreich und Skandinavien, bei denen durch differenzierte Berechnungsverfahren die Wirkungen von verschiedenen Lärmschutzwänden – wie einer gekrümmten Wand – berücksichtigt werden und deshalb nun beispielsweise die ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) solche gekrümmten Lärmschutzwände baut und deren Effizienz bestätigt? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Verkehr Gekrümmte Lärmschutzwände beim Ausbau der Autobahn (A) 8 in der Enztalsenke mit Paraboleffekt Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 454 2 6. Inwieweit ist daran gedacht, beispielsweise innovative gekrümmte Lärmschutzwände mit Paraboleffekt wie die Lärmschutzwand Freimann an der A 9 bei München auszuführen, auch wenn die RLS 1990 als zugrunde liegendes maßgebendes Bemessungsverfahren dies nicht berücksichtigt? 7. Wie bewertet sie den Ausbau der österreichischen Tauernautobahn in Flachau (Pongau) im Vergleich zum Ausbau der A 8 in der Enztalsenke unter besonderer Berücksichtigung, dass bei beiden Ausbauvorhaben eine lange Einhausung (> 400 Meter) gefordert wurde, aber nur in Österreich aufgrund der staatlichen Ablehnung einer Einhausung durch sehr hohe und gekrümmte Lärmschutzwände der Bevölkerung mehr Lärmschutz geboten wurde? 8. Inwieweit kann sie sich vorstellen, im Rahmen der Ausführungsplanung dieses Planfeststellungsverfahren der A 8 im Enztal als innovatives Pilotprojekt im Bereich Lärmschutz anzugehen? 9. Welches Einsparpotenzial im Bereich der Baukosten ist bei dem Bau der unterschiedlichen Lärmschutzwände möglich? 10. Wie bewertet sie die Installation von Oktaedern auf den geraden Lärmschutzwänden auf dem Mittelstreifen zur kostengünstigen weiteren Eindämmung von Schallemissionen? 15. 08. 2016 Dr. Schweickert FDP/DVP B e g r ü n d u n g Gekrümmte Lärmschutzwände sind effektiver als gerade Wände. Vor allem in Bereichen, in denen die Wohnbebauung – wie an der A 8 im Enztal – sehr nahe an der Autobahn ist bzw. sie etwas oberhalb der Fahrbahn liegen, werden z. B. in Österreich in Zukunft vermehrt gekrümmte Lärmschutzwände eingesetzt. Zum Beispiel wurde im Zuge der Generalsanierung und Verbreiterung der A 22 erstmals in Österreich eine gekrümmte Lärmschutzwand aufgestellt. Laut Aussagen der ASFINAG in Österreich ist die Wirkung der gekrümmten Lärmschutzwände ähnlich einer Einhausung. Insbesondere wird dabei auch der große Kostenvorteil für den Staat herausgestellt, da die gekrümmte Lärmschutz - wand fast 90 Prozent billiger als eine komplette Einhausung sein soll. So soll der Laufmeter der gekrümmten Lärmschutzwand rund 3.500 Euro kosten. Eine Einhausung kostet im Vergleich rund 25.000 bis 30.000 Euro je Laufmeter. Würde man hingegen eine zehn Meter hohe „normale Lärmschutzwand“ aufstellen, die der Lärmreduktion der gekrümmten Wand entsprechen würde, würde solch eine Lärmschutzwand je Laufmeter rund 3.000 Euro kosten und wäre für die Anrainer und vor allem auch für die Autofahrer aufgrund der Höhe kaum mehr akzeptabel. Ferner ist ihre Innenseite mit sogenanntem Holzbeton ausgekleidet, der zusätzlich Lärm „schlucken“ kann. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 454 A n t w o r t * ) Mit Schreiben vom 20. September 2016 Nr. 2-39.-A8PF-HEIMS/45 beantwortet das Ministerium für Verkehr die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Berücksichtigen die angewandten Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Schalleinwirkung und zur Bemessung des Schallschutzes den Stand der Technik im Hinblick auf die in der Planung der A 8 in der Enztalsenke vorgesehenen Schallschutzmaßnahmen? Die schalltechnische Untersuchung, die Bestandteil der Planfeststellungsunterlagen zum sechsstreifigen Ausbau der A 8 zwischen den Anschlussstellen Pforzheim -Süd und Pforzheim-Nord (Enztalquerung) ist, wurde entsprechend dem seinerzeitigen und auch aktuellen Stand der Technik erstellt. Grundlage der Berechnung sind die auch derzeit gültigen Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen – Ausgabe 1990 (RLS-90). 2. Steht sie zu der Zusage im Rahmen des Erörterungstermins des Planfeststellungsverfahrens in Pforzheim, zum Zeitpunkt der Ausführungsplanung bezüglich des passiven Lärmschutzes das technisch maximal Machbare auch tat - sächlich durchzuführen, um die – trotz aktivem und passivem Lärmschutz – nachts signifikanten Überschreitungen der zulässigen Lärmgrenzwerte noch weiter einzudämmen? Im Zeitbereich tags werden die Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV (Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Verkehrslärmschutzverordnung) an allen Gebäuden eingehalten. Für die Gebäude , an denen trotz der geplanten umfangreichen aktiven Lärmschutzmaßnahmen Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte im Zeitbereich nachts vorliegen, besteht dem Grunde nach Anspruch auf zusätzliche passive Lärmschutzmaßnahmen gemäß der 24. BImSchV. Deren Notwendigkeit, Art und Umfang werden im Einzelfall geprüft werden. Die detaillierte Dimensionierung der passiven Schallschutzmaßnahmen erfolgt für alle betroffenen Gebäude anhand der Vorgaben der 24. BImSchV und wird auf dieser Grundlage auch durchgeführt. 3. Wie bewertet sie die Tatsache, dass das unter Frage 1 genannte Berechnungsverfahren für den Lärmschutz an Straßen in Deutschland (RLS 1990) aus dem Jahr 1990 stammt und dadurch die vorhandenen geometrischen und physikalischen Besonderheiten einer gekrümmten Lärmschutzwand von diesem Berechnungsverfahren noch nicht abgebildet werden, obwohl gekrümmte Lärmschutzwände durch den Paraboleffekt bei nahezu vergleichbaren Kosten deutlich effektiver sind und ein höheres Maß an Schallschutz bieten? 4. Ist sie sich bewusst, dass es bei gekrümmten Lärmschutzwänden technisch zu einer weitreichenden Lärmminderung kommt, auch wenn dies nicht mit den in Deutschland zur Anwendung kommenden Rechenverfahren abgebildet wird? 5. Wie bewerten sie die Innovationsoffensiven in Österreich und Skandinavien, bei denen durch differenzierte Berechnungsverfahren die Wirkungen von verschiedenen Lärmschutzwänden – wie einer gekrümmten Wand – berücksichtigt werden und deshalb nun beispielsweise die ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) solche gekrümmten Lärmschutzwände baut und deren Effizienz bestätigt? 6. Inwieweit ist daran gedacht, beispielsweise innovative gekrümmte Lärmschutzwände mit Paraboleffekt wie die Lärmschutzwand Freimann an der A 9 bei München auszuführen, auch wenn die RLS 1990 als zugrunde liegendes maßgebendes Bemessungsverfahren dies nicht berücksichtigt? _____________________________________ *) Nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist eingegangen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 454 4 Zu 3. bis 6.: Gekrümmte Lärmschutzwände können auch heute schon zum Einsatz kommen, wenn sich diese bei einer Maßnahme unter den jeweiligen konkreten Randbedingungen als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen. Grundlage hierfür ist die Berechnung nach den derzeit gültigen RLS-90. Die RLS-90 befassen sich mit Berechnungsverfahren zur quantitativen Darstellung der Lärmbelastung. Hiermit können grundsätzlich Wirkungen gekrümmter Lärmschutzwände berücksichtigt werden, die sich aus der veränderten Lage der sogenannten Beugungskante ergeben . Ferner wird bei einer gekrümmten Modellierung in der Berechnung gemäß RLS-90 ein anderes Reflexionsverhalten der gekrümmten Wandfläche berücksichtigt . Insbesondere in Fällen, in denen sich Bebauung in Höhenlagen oberhalb der Straße befindet, können gekrümmte Lärmschutzwände eine höhere Lärmminderung als gerade, gleich hohe Lärmschutzwände bewirken. Dies bedeutet, dass in solchen Fällen gekrümmte Lärmschutzwände bei gleicher Wirkung niedriger ausgeführt werden können als gerade Lärmschutzwände. Die lärmmindernde Wirkung kommt besonders bei einbahnigen Straßenquerschnitten, jedoch weniger bei mehrbahnigen Straßenquerschnitten wie Autobahnen zur Geltung. Da gekrümmte Lärmschutzwandelemente bei gleichem Flächenumfang deutlich teurer sind als gerade Lärmschutzwandelemente, ist eine projektspezifische Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erforderlich, um beurteilen zu können, ob bei den jeweiligen ört - lichen Gegebenheiten (wie z. B. Entfernung und Höhenlage der angrenzenden Bebauung , Topografie und Straßenquerschnitt) gekrümmte Lärmschutzwände wirtschaftlicher sind als gerade Lärmschutzwände. Derzeit ist nicht vorgesehen, gekrümmte Lärmschutzwände beim Ausbau der A 8 im Bereich der Enztalquerung auszuführen. 7. Wie bewertet sie den Ausbau der österreichischen Tauernautobahn in Flachau (Pongau) im Vergleich zum Ausbau der A 8 in der Enztalsenke unter beson - derer Berücksichtigung, dass bei beiden Ausbauvorhaben eine lange Einhausung (>400 Meter) gefordert wurde, aber nur in Österreich aufgrund der staatlichen Ablehnung einer Einhausung durch sehr hohe und gekrümmte Lärmschutzwände der Bevölkerung mehr Lärmschutz geboten wurde? Die Landesregierung bewertet insbesondere mangels vertiefter Detailkenntnisse grundsätzlich nicht die Baumaßnahmen anderer Staaten. Pressemeldungen ist jedoch zu entnehmen, dass zum einen beim Ausbau der österreichischen Tauernautobahn bei Flachau-Reitdorf mit gekrümmten und geraden Lärmschutzwänden die Grenzwerte ausreichend eingehalten werden können, sodass die seitens der Gemeinde weiterhin gewünschte Einhausung zur Einhaltung der Grenzwerte nicht notwendig ist und aus Kostengründen nicht weiterverfolgt wird. Zum anderen ist zu entnehmen, dass in einem anderen, bereits ausgebauten Abschnitt bei Zedernhaus-Hub der Lärmschutz durch die gekrümmten Wände aus Sicht der Anwohnerinnen und Anwohner nicht so wie erhofft eingetreten ist. Grundsätzlich gilt, dass Schall an den Kanten von Hindernissen gebeugt wird, wodurch ein Teil des Schalls hinter das Hindernis, d. h. in den Schallschatten gelangt . Dies bedeutet, dass bei geraden und auch gekrümmten Lärmschutzwänden ein Teil des Schalls hinter die Lärmschutzwände gelangt. Bei einer Einhausung ist dies nicht der Fall. Daher ist eine Einhausung für Immissionsorte, die in deren Einflussbereich liegen, effektiver als Lärmschutzwände. Vor diesem Hintergrund kann nicht nachvollzogen werden, inwieweit beim sechsstreifigen Ausbau der A 8 im Bereich der Enztalquerung der Verzicht auf die Einhausung zugunsten einer gekrümmten Lärmschutzwand eine Verbesserung des Lärmschutzes bewirken könnte. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 454 8. Inwieweit kann sie sich vorstellen, im Rahmen der Ausführungsplanung dieses Planfeststellungsverfahren der A 8 im Enztal als innovatives Pilotprojekt im Bereich Lärmschutz anzugehen? Das Planfeststellungsverfahren zum sechsstreifigen Ausbau der A 8 im Bereich der Enztalquerung ist abgeschlossen und der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig . Im Rahmen der Lärmschutzvariantenuntersuchung, die der planfest - gestellten Planung zugrunde lag, wurden viele unterschiedliche Varianten untersucht und die Vorzugsvariante optimiert, wobei sich eine Untersuchung gekrümmter Lärmschutzwände nicht aufdrängte, insbesondere auch, da eine Einhausung vorgesehen ist. Da bei einer Änderung des Lärmschutzkonzepts davon auszugehen ist, dass Rechte Dritter betroffen sind, wäre für eine solche Änderung auch grundsätzlich ein Planänderungsverfahren erforderlich. Die Landesregierung zieht es jedoch vor, den Ausbau der A 8 wie planfestgestellt möglichst zügig umzusetzen und nicht erneut in ein erwartbar langwieriges Rechtsverfahren einzusteigen. 9. Welches Einsparpotenzial im Bereich der Baukosten ist bei dem Bau der unterschiedlichen Lärmschutzwände möglich? Vor dem Hintergrund, dass bei jeder Baumaßnahme unterschiedliche örtliche Randbedingungen (z. B. Straßenbreite, Lage und Höhe der Bebauung, Topografie u. v. m.) vorliegen, ist keine generelle Aussage möglich, ob gekrümmte oder gerade Lärmschutzwände wirtschaftlicher sind. Dies ist vom Einzelfall abhängig. Die Angaben in der Begründung dieser Kleinen Anfrage, dass eine „normale Lärmschutzwand “ von zehn Metern Höhe 3.000 Euro pro Laufmeter und eine gleichwertige gekrümmte Lärmschutzwand 3.500 Euro pro Laufmeter kosten würde, sind nicht unrealistisch. Da wie unter Frage 8 erläutert eine Änderung des planfestgestellten Lärmschutzkonzeptes nicht zur Diskussion stehen kann, kann auch keine Einsparung gegenüber der Lärmschutzeinhausung beziffert werden. 10. Wie bewertet sie die Installation von Oktaedern auf den geraden Lärmschutzwänden auf dem Mittelstreifen zur kostengünstigen weiteren Eindämmung von Schallemissionen? Neben der bautechnischen Zulässigkeit wäre es für den regelgerechten Einsatz erforderlich , dass die Wirkung richtlinienkonform schalltechnisch berechnet werden kann, was derzeit nicht möglich ist. Es ist daher derzeit auch nicht möglich die Wirtschaftlichkeit einer solchen Lösung mit einer herkömmlichen zu vergleichen. Hermann Minister für Verkehr