Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 481 01. 09. 2016 1Eingegangen: 01. 09. 2016 / Ausgegeben: 19. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Geht sie davon aus, dass ein kleiner Handwerksbetrieb in Baden-Württemberg trotz gestiegenen gesetzlichen Anforderungen (Mindestlohndokumentation sowie sonstige Bürokratielasten) auch noch die steuerrechtlichen Vorgaben so detailliert kennen kann, dass er seine Angaben gegenüber dem Finanzamt ohne die Zuhilfenahme eines Steuerberaters ordentlich erledigen kann? 2. Werden große Betriebsprüfungen durch das Finanzamt bei einem steuerpflichtigen Unternehmen vor Ort in diesem Unternehmen durchgeführt, sodass sich der Prüfer vor Ort einen Eindruck von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens machen kann? 3. Welcher Personenkreis (gesetzlicher Vertreter des geprüften Unternehmens, Prüfer des Finanzamts, Steuerberater etc.) muss bzw. sollte beim Abschlussgespräch einer großen Betriebsprüfung anwesend sein? 4. Bei wie viel Prozent der großen Betriebsprüfungen im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Mühlacker 2015 war der Steuerpflichtige nicht anwesend bzw. ließ sich lediglich von seinem Steuerberater während des kompletten Verfahrens vertreten? 5. Welche Kriterien – wie beispielsweise Betriebsgröße, Standort oder Einkaufswert – werden der Bemessungsgrundlage und somit den Schätzwerten zugrunde gelegt? 6. Wird bei jeder Abschlussbesprechung einer großen Betriebsprüfung ein Protokoll angefertigt, welches dem Steuerpflichtigen ausgehändigt wird und wenn nein, in welchen Fällen muss zwingend ein Protokoll angefertigt werden? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP und Antwort des Ministeriums für Finanzen Betriebsprüfung kleinerer Handwerksbetriebe im Enzkreis Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 481 2 7. Hat ein Steuerpflichtiger das Recht auf den Erhalt einer detaillierten Aufstellung , die die Grundlage eines Steuernachzahlungsbetrags bildet, sodass die Höhe des Nachzahlungsbetrags transparent nachvollzogen werden kann? 8. Welche Maßnahmen sind vorgesehen, wenn es durch das Ergebnis einer großen Betriebsprüfung zu einer Steuernachzahlung kommt, die aufgrund der Höhe für das Unternehmen existenzbedrohend ist? 9. Steht in Bezug auf den in der vorhergehenden Frage aufgeworfenen Effekt die Eintreibung der Steuernachzahlung bei Inkaufnahme der Insolvenz oder der langfristige Erhalt des Unternehmens bei fairen Ratenzahlungen der Steuernachzahlung im Vordergrund? 29. 08. 2016 Dr. Schweickert FDP/DVP A n t w o r t Mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 Nr. 3-S141.2/8 beantwortet das Ministerium für Finanzen die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Gehen sie davon aus, dass ein kleiner Handwerksbetrieb in Baden-Württemberg trotz gestiegenen gesetzlichen Anforderungen (Mindestlohndokumenta - tion sowie sonstige Bürokratielasten) auch noch die steuerrechtlichen Vorgaben so detailliert kennen kann, dass er seine Angaben gegenüber dem Finanzamt ohne die Zuhilfenahme eines Steuerberaters ordentlich erledigen kann? § 80 der Abgabenordnung (AO) eröffnet den Steuerbürgerinnen und Steuerbürgern die Möglichkeit, sich durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen. Ein Vertretungszwang ist gesetzlich nicht vorgesehen; die Zuziehung eines Steuerberaters bzw. einer Steuerberaterin beruht auf einer freien Entscheidung der Steuerbürgerinnen und Steuerbürger. Nach den Erfahrungen des Referates für Betriebsprüfung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe wird in den Betriebsgrößenklassen der Kleinstbetriebe und Kleinbetriebe der weitaus überwiegende Teil der Steuerbürgerinnen und Steuerbürger nicht durch einen Berater vertreten. Erst im Bereich der Betriebsgrößenklasse der Mittelbetriebe ist ein deutlicher Anstieg der Fälle von beratenen Steuerbürgerinnen und Steuerbürgern zu verzeichnen. Dies ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass durch die größeren Umsatzzahlen in diesen Fällen auch ein deutlicher Anstieg der Geschäftsvorfälle zu verzeichnen ist. 2. Werden große Betriebsprüfungen durch das Finanzamt bei einem steuerpflichtigen Unternehmen vor Ort in diesem Unternehmen durchgeführt, sodass sich der Prüfer vor Ort einen Eindruck von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens machen kann? Der Begriff „große Betriebsprüfungen“ ist rechtlich und verwaltungstechnisch nicht definiert. In der Prüfungspraxis werden die Betriebe in sogenannte Größenklassen eingeteilt. Dabei werden die Betriebe in Betriebsarten (bspw. Fertigungsbetrieb ) unterteilt, um sodann anhand ihres Umsatzerlöses oder ihres steuerlichen Gewinns einer bestimmten Größenklasse zugeordnet werden zu können. Eine gesetzliche Regelung für den Ort der Prüfung findet sich in § 200 Abs. 2 AO. Danach sind die Unterlagen der Steuerpflichtigen in deren Geschäftsräumen zu sichten. Ist dies nicht möglich (weil bspw. kein geeigneter Geschäftsraum vorhanden ist), soll in den Wohnräumen der Steuerpflichtigen oder an Amtsstelle geprüft werden. Eine weitere gesetzlich zulässige Möglichkeit ist, die Prüfung in den 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 481 Räumlichkeiten des steuerlichen Beraters bzw. der steuerlichen Beraterin des Unternehmens durchzuführen. Statistische Daten zur Häufigkeit der Betriebsprüfungen vor Ort liegen nicht vor. Letztendlich liegt es in der Verantwortung des Prüfers bzw. der Prüferin, ob er bzw. sie eine Besichtigung des Unternehmens (sogenannte Betriebsbesichtigung) für zweckdienlich hält oder nicht. Als wichtige Erkenntnisquelle wird sie regelmäßig durchgeführt. Denn so kann sich die Prüferin bzw. der Prüfer über Aufbau und Entwicklung, die Betriebsorganisation sowie das vorhandene Rechnungswesen informieren. 3. Welcher Personenkreis (gesetzlicher Vertreter des geprüften Unternehmens, Prüfer des Finanzamts, Steuerberater etc.) muss bzw. sollte beim Abschlussgespräch einer großen Betriebsprüfung anwesend sein? Die Schlussbesprechung gemäß § 201 AO als Abschlussgespräch einer Betriebs - prüfung ist ein besonderer Erörterungstermin. Sie ist grundsätzlich von Amts wegen abzuhalten. Die Steuerverwaltung kann die Steuerpflichtigen allerdings nicht zum Erscheinen zwingen. Die Steuerpflichtigen können auf eine Schlussbesprechung auch insgesamt verzichten. Wer auf Seiten der Steuerpflichtigen an einer Schlussbesprechung teilnimmt, liegt in deren Entscheidung. Die Steuerverwaltung kann allerdings im Einzelfall bestimmte Personen aus Gründen des Steuergeheimnisses ausschließen. Es ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, wer auf Seiten der Finanzverwaltung an der Schlussbesprechung teilnehmen soll. In der Regel nehmen der Prüfer bzw. die Prüferin und dessen/deren Sachgebietsleiter/-in an der Schlussbesprechung teil. Eine Teilnahme der für die Steuerfestsetzung zuständigen Innendienstbeamtinnen und -beamten ist gesetzlich nicht erforderlich. Eine Schlussbesprechung ist jede abschließende Besprechung zwischen den Steuerpflichtigen und Prüferin bzw. Prüfer, auch wenn sie ohne Beteiligung des Innendienstes oder des Außendienstsachgebietsleiters /-leiterin erfolgt. 4. Bei wie viel Prozent der großen Betriebsprüfungen im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Mühlacker 2015 war der Steuerpflichtige nicht anwesend bzw. ließ sich lediglich von seinem Steuerberater während des kompletten Verfahrens vertreten? Das Finanzamt Mühlacker hat nur eine Amtsbetriebsprüfungsstelle, d. h. dort werden grundsätzlich Außenprüfungen bis zur Größenklasse von Kleinbetrieben durchgeführt. In Ausnahmefällen werden durch die Amtsbetriebsprüfungsstelle Mühlacker im Auftrag der Betriebsprüfungshauptstelle Pforzheim auch Mittelbetriebe geprüft. Dies waren im Jahr 2015 16 Fälle. Insoweit werden im Bereich des Finanzamts Mühlacker grundsätzlich nur „kleinere“ Betriebsprüfungen durchgeführt; hierzu zählt auch die Prüfung eines Mittelbetriebs mit einer Prüfungsdauer von ungefähr einer Woche. Wie hoch der Anteil der Prüfungen ist, der ausschließlich von der Steuerberaterin bzw. dem Steuerberater abgewickelt wird, lässt sich nicht beantworten, da dies eine Angabe ist, die statistisch nicht erfasst wird. Es wird lediglich im Bericht der Betriebsprüferin bzw. des Betriebsprüfers festgehalten, wer an der Schlussbe - sprechung einer Betriebsprüfung teilgenommen hat. 5. Welche Kriterien – wie beispielsweise Betriebsgröße, Standort oder Einkaufswert – werden der Bemessungsgrundlage und somit den Schätzwerten zugrunde gelegt? Bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 160 AO müssen sämt - liche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dabei werden auch Betriebsgröße, Standort oder Einkaufwert als Schätzungsgrundlage herangezogen. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 481 4 6. Wird bei jeder Abschlussbesprechung einer großen Betriebsprüfung ein Protokoll angefertigt, welches dem Steuerpflichtigen ausgehändigt wird und wenn nein, in welchen Fällen muss zwingend ein Protokoll angefertigt werden? Ein Protokoll über den Verlauf und den Inhalt einer Schlussbesprechung ist verwaltungsseitig unüblich, da dies auch das Gesetz nicht vorsieht. Allerdings wird den Steuerpflichtigen nach Beendigung der Prüfungshandlungen durch den Betriebsprüfer bzw. die Betriebsprüferin und einer eventuell erfolgten Schlussbesprechung ein schriftlicher Bericht (Prüfungsbericht) übersandt. Dies sieht § 202 der Abgabenordnung vor. In diesem Prüfungsbericht sind die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen darzustellen. Führt die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen, wird dies den Steuerpflichtigen ebenfalls schriftlich mitgeteilt. Neben der Übersichtlichkeit eines solchen Prüfungsberichts wird den Steuerpflichtigen dadurch auch die Möglichkeit geschaffen, Rückfragen oder Änderungen vorzubringen, bevor die geänderten Steuerbescheide erlassen werden. 7. Hat ein Steuerpflichtiger das Recht auf den Erhalt einer detaillierten Aufstellung , die die Grundlage eines Steuernachzahlungsbetrags bildet, sodass die Höhe des Nachzahlungsbetrags transparent nachvollzogen werden kann? Nachdem sich die Änderungen bei den Besteuerungsgrundlagen gewöhnlich bereits detailliert aus dem Prüfungsbericht ergeben (vgl. hierzu Frage 6) und dadurch die Auffassung der Finanzbehörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt ist, bedarf es im Regelfall gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO keiner näheren Begründung des Verwaltungsakts (Steuerbescheids). Ein im Steuerbescheid angebrachter Hinweis auf den Prüfungsbericht ist grundsätzlich ausreichend. Im Ausnahmefall der Abweichung vom Prüfungsbericht ist jedoch gemäß § 121 Abs. 1 AO eine nähere Begründung erforderlich. Die Kenntnisse der steuerlichen Beraterin bzw. des steuerlichen Beraters sind den Steuerpflichtigen zuzurechnen. 8. Welche Maßnahmen sind vorgesehen, wenn es durch das Ergebnis einer großen Betriebsprüfung zu einer Steuernachzahlung kommt, die aufgrund der Höhe für das Unternehmen existenzbedrohend ist? Nach der AO sind zeitlich begrenzte und dauerhafte Billigkeitsmaßnahmen möglich , wenn die betroffenen Steuerpflichtigen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen . Als zeitlich begrenzte Billigkeitsmaßnahmen sieht das Gesetz die Möglichkeit einer Stundung der Steuerschuld (§ 227 AO) vor, wenn die Einziehung der Steuerforderung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für die Steuerschuldner/- innen bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint . Wenn die Vollstreckung droht, kann ein Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) gewährt werden. In Ausnahmefällen kommt auch eine dauerhafte Billigkeitsmaßnahme wie eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) oder ein Erlass bzw. Teilerlass der Steuerschuld nach § 227 AO in Betracht , wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. 9. Steht in Bezug auf den in der vorhergehenden Frage aufgeworfenen Effekt die Eintreibung der Steuernachzahlung bei Inkaufnahme der Insolvenz oder der langfristige Erhalt des Unternehmens bei fairen Ratenzahlungen der Steuernachzahlung im Vordergrund? Die Finanzämter können, sofern nicht eine Billigkeitsmaßnahme – wie unter Frage 8 dargestellt – greift, auf eine Beitreibung von Steuerforderungen, sei es im Wege der Einzelzwangsvollstreckung oder der Stellung eines Insolvenzantrages, nicht verzichten. Dies erfordert bereits das Gebot, die Steuern gleichmäßig fest - zusetzen und zu erheben (85 AO). Die Insolvenz und der langfristige Erhalt eines Unternehmens schließen sich auch nicht aus. § 1 der Insolvenzordnung (InsO) sieht als ein mögliches Ziel eines Insolvenzverfahrens ausdrücklich den Erhalt des Unternehmens vor. Im Insolvenzverfahren wird fachkundig geprüft und gericht- 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 481 lich geklärt, ob und ggf. inwieweit eine Unternehmenserhaltung möglich ist. Damit besteht die Chance, dass ein sanierungsfähiges Unternehmen unter der Beteiligung aller Gläubigerinnen und Gläubiger langfristig überleben kann. Ist ein Unternehmen tatsächlich nicht sanierungsfähig, so ist die Durchführung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf eine mögliche Restschuldbefreiung gerade auch im Interesse der Unternehmer/-innen. Im Übrigen sieht das Insolvenzrecht deutlich weitergehende Sanierungsmöglichkeiten als das Abgabenrecht vor (u. a. Insolvenz - pläne, Restschuldbefreiung oder Eigenverwaltung). Dr. Splett Staatssekretärin