Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 489 05. 09. 2016 1Eingegangen: 05. 09. 2016 / Ausgegeben: 14. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Gibt es offene oder verdeckte Anweisungen von vorgesetzten Dienststellen der Polizei oder der Polizeibehörden gegenüber nachgeordneten Dienststellen oder deren Pressestellen, über Delikte, Vergehen oder Verbrechen durch abgelehnte oder anerkannte Asylbewerber, Migranten oder Flüchtlinge nicht oder nicht im selben Umfang zu berichten, wie dies bei vergleichbaren Taten durch Personen der Fall ist, die nicht den genannten Personengruppen zugehörig sind? 2. Gibt es Anweisungen im Sinne der Frage 1 gegenüber den Pressestellen sonstiger Behörden oder Regierungsstellen? 3. Gibt es Anweisungen an Polizeidienststellen, in Fällen von bestimmten Delikten , Vergehen oder Verbrechen durch Personen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, nicht zu ermitteln oder diese Fälle nach Ermittlung mit dem Ergebnis ausreichenden Tatverdachts nicht an die Staatsanwaltschaften weiterzugeben? 4. Wie verfahren oder verfuhren Polizei oder Strafverfolgungsbehörden mit straffällig gewordenen Personen unklarer Identität, die noch vor Stellung eines Asyl - antrags oder vor der Ausstellung eines Ankunftsnachweises straffällig wurden bzw. mit straffällig gewordenen minderjährigen Ausländern ungeklärter Identität , die keinen Asylantrag stellen, hinsichtlich deren „Wiederauffinden“ und der Einleitung von Strafverfahren, wenn eine Gewahrsamnahme nicht erfolgt? 5. Wenn die Fragen 1 und 2 verneint werden sollten, gibt es Aufforderungen an Stellen im oben genannten Sinne, mit oben genannter Problematik öffentlich „sensibel“ oder „verantwortungsbewusst“ oder „behutsam“ umzugehen? Kleine Anfrage des Abg. Dr. Rainer Balzer ABW und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Mögliche Sprachregelungen und Strafverfolgung bei Flüchtlingen durch Polizei und Landesbehörden Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 489 2 6. In welchem Umfang sind Mitarbeiter und Bedienstete in staatlichen und kommunalen Einrichtungen der Flüchtlingsunterbringung sowie Mitarbeiter von Hilfsdiensten (Feuerwehr, Rettungsdienste usw.) gehalten oder verpflichtet (worden), über ihnen bekannt gewordene Vorkommnisse, die strafbares oder ordnungswidriges Verhalten von Flüchtlingen innerhalb oder außerhalb dieser Einrichtungen betreffen, Stillschweigen zu bewahren? 7. Trifft es zu, dass es Einrichtungen im oben genannten Sinne gibt, in denen Mitarbeiter und Bedienstete vor Dienstantritt ihr privates Handy abgeben müssen, um zu verhindern, dass auf dem Gelände der Einrichtung Fotos gemacht werden können? 8. Existieren innerhalb der Landesverwaltung bzw. der Polizei Sprachregelungen, denen zufolge die Begriffe „Flüchtling“, „Asylbewerber“ oder „Asylsuchender “ oder verwandte, überkommene Begriffe nicht mehr verwendet werden sollen oder dürfen, und stattdessen andere Begriffe (z. B. „Zuwanderer“, „Neu - ankömmlinge“, „Neubürger“ oder vergleichbar) verwendet werden sollen oder müssen? 9. Trifft es zu − und ggf. in welchem Umfang – dass weibliche Bedienstete in Einrichtungen im Sinne von Frage 4 auf dem Gelände dieser Einrichtungen Belästigungen ausgesetzt worden sind oder werden, aufgrund derer sie in ihrer Bewegungsfreiheit oder in der Wahl ihrer Kleidung innerhalb der Einrichtung eingeschränkt sind? 10. Trifft es zu, dass in Einrichtungen im Sinne von Frage 4 die Reinigung von Gebäude und Gelände einschließlich der Zimmer der Untergebrachten auf Kosten des Trägers dieser Einrichtungen von Privatfirmen vorgenommen wird? 05. 09. 2016 Dr. Balzer ABW B e g r ü n d u n g Nach Meldungen der Presse in der Vergangenheit (Focus vom 9. Januar 2016) soll es in manchen Bundesländern strikte Anweisungen geben, über Vergehen von Flüchtlingen zu schweigen: Aussagen von hochrangigen Beamten aus Hessen zufolge gebe es die strikte Anweisung der Behördenleitung, über Vergehen, die von Flüchtlingen begangen werden, nicht zu berichten. Nur direkte Anfragen von Medienvertretern zu solchen Taten sollten beantwortet werden. Bei Straftaten von Tatverdächtigen, die eine ausländische Nationalität haben und in einer Erstaufnahmeeinrichtung gemeldet sind, würde der Fall auf dem Schreibtisch sofort zur Seite gelegt. Des Weiteren wurden nach Aussage des Sprechers des hessischen Innenministeriums die Pressestellen-Leiter darauf hingewiesen, dass das Thema „Flüchtlinge“ von Rechtsextremisten instrumentalisiert werden könnte, um gezielt Stimmung gegen Schutzsuchende zu schüren und deswegen „sensibel“ mit dem Thema umzugehen sei. Nach Berichten der BILD-Zeitung gebe es solche Schweige-Erlasse auch in Nordrhein-Westfalen – danach sollen Vorfälle in und um Flüchtlingsheime nicht gemeldet werden, außer es handle sich um Anschläge von Neonazis. Die Pressestellen der Polizei in Nordrhein-Westfalen solle auf Anweisung von Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) das Wort „Flüchtling“ nicht mehr in Mitteilungen verwenden dürfen. Stattdessen solle von „Zuwanderern“ gesprochen werden. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 489 Nach Meldung in der BILD vom 8. Januar 2016 soll in Sachsen die Polizei von 19 schweren, durch Asylbewerber begangenen Straftaten (versuchter Totschlag oder Mord sowie sexueller Missbrauch) nur drei gemeldet haben. In Weil am Rhein – also in Baden-Württemberg − vergewaltigten gleichfalls zum Jahreswechsel vier syrische Asylbewerber, die inzwischen zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, zwei minderjährige Mädchen, worüber die Polizei erst nach Tagen und auf Nachfragen von Medien berichteten. Als Grund gab die Polizei „Opferschutz “ an, den sie jedoch selbst nicht beachtet haben soll (Badische Zeitung, 1. September 2016). A n t w o r t Mit Schreiben vom 30. September 2016 Nr. 7-0141.5/16/0489/1 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Gibt es offene oder verdeckte Anweisungen von vorgesetzten Dienststellen der Polizei oder der Polizeibehörden gegenüber nachgeordneten Dienststellen oder deren Pressestellen, über Delikte, Vergehen oder Verbrechen durch abgelehnte oder anerkannte Asylbewerber, Migranten oder Flüchtlinge nicht oder nicht im selben Umfang zu berichten, wie dies bei vergleichbaren Taten durch Personen der Fall ist, die nicht den genannten Personengruppen zugehörig sind? 2. Gibt es Anweisungen im Sinne der Frage 1 gegenüber den Pressestellen sonstiger Behörden oder Regierungsstellen? 5. Wenn die Fragen 1 und 2 verneint werden sollten, gibt es Aufforderungen an Stellen im oben genannten Sinne, mit oben genannter Problematik öffentlich „sensibel“ oder „verantwortungsbewusst“ oder „behutsam“ umzugehen? Zu 1., 2. und 5.: Das Innenministerium Baden-Württemberg hat die nachgeordneten Dienststellen nicht angewiesen, über Vorkommnisse unter Beteiligung abgelehnter oder anerkannter Asylbewerber, Migranten oder Flüchtlinge nicht oder nicht im selben Umfang zu berichten, wie dies bei vergleichbaren Taten unter Beteiligung anderer Personen der Fall ist. Die Entscheidung über eine Mitteilung allgemein polizeilich relevanter Geschehnisse oder von Ordnungswidrigkeiten obliegt – analog anderer polizeilicher Tätigkeitsfelder – den Pressestellen der jeweiligen Dienststellen. Die Schwelle der Berichterstattung unterliegt dabei lokal unterschiedlichen Einflussfaktoren und ist mitunter von der jeweiligen Medienlandschaft beeinflusst. Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren steht die Befugnis, Öffentlichkeit und Medien zu unterrichten, grundsätzlich den Staatsanwaltschaften zu. Die Grundsätze einer derartigen Unterrichtung sind in der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums und des Innenministeriums über die Unterrichtung der Öffentlichkeit in Strafverfolgungssachen vom 16. Dezember 2013 geregelt . Danach kann eine Unterrichtung der Öffentlichkeit durch eine Polizeidienststelle erfolgen, sofern die Staatsanwaltschaft hierzu ihr Einverständnis erklärt hat. Eine enge Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei im Rahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wird auf diese Weise gewährleistet. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 489 4 Die Polizei und die Staatsanwaltschaften beachten grundsätzlich bei allen Veröffentlichungen die allgemeinen Vorgaben des Datenschutzrechts, sowie einen sensiblen und verantwortungsbewussten Umgang mit persönlichen Daten. Hierzu zählen unter anderem auch die Nationalität, die Herkunft oder der aufenthaltsrechtliche Status der Beteiligten. 3. Gibt es Anweisungen an Polizeidienststellen, in Fällen von bestimmten Delikten , Vergehen oder Verbrechen durch Personen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, nicht zu ermitteln oder diese Fälle nach Ermittlung mit dem Ergebnis ausreichenden Tatverdachts nicht an die Staatsanwaltschaften weiterzugeben? Zu 3.: Nein. Die Strafverfolgungsbehörden sind durch das Legalitätsprinzip gemäß §§ 160, 163 StPO zur Verfolgung aller Straftaten verpflichtet, von denen sie Kenntnis erlangen . 4. Wie verfahren oder verfuhren Polizei oder Strafverfolgungsbehörden mit straffällig gewordenen Personen unklarer Identität, die noch vor Stellung eines Asylantrags oder vor der Ausstellung eines Ankunftsnachweises straffällig wurden bzw. mit straffällig gewordenen minderjährigen Ausländern ungeklärter Identität, die keinen Asylantrag stellen, hinsichtlich deren „Wiederauffinden “ und der Einleitung von Strafverfahren, wenn eine Gewahrsamnahme nicht erfolgt? Zu 4.: Für derartige Fälle, die in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden auch in anderem Zusammenhang feststellbar sind, bedarf es weder bei der Polizei, noch bei den Justizbehörden eines standardisierten Geschäftsprozesses. Sofern eine Inhaftierung im Einzelfall nicht in Betracht kommt, werden die jeweiligen Maßnahmen unter Bewertung des Einzelfalls im Rahmen der Möglichkeiten der Strafprozess - ordnung, des Polizeigesetzes Baden-Württemberg und des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes getroffen. Hierzu zählen unter anderem das Personenfeststellungsverfahren, darunter die Sicherung und Überprüfung der Identität, ein Abgleich mit nationalen und internationalen Datensystemen, Durchsuchungen, Dokumentenprüfungen, die Erhebung ladungsfähiger Anschriften, sowie die Kontaktaufnahme mit weiterführenden Behörden, beispielsweise dem Jugendamt oder der Ausländerbehörde, und schließlich die Ausschöpfung der rechtlich durchführbaren Fahndungsmöglichkeiten . 6. In welchem Umfang sind Mitarbeiter und Bedienstete in staatlichen und kommunalen Einrichtungen der Flüchtlingsunterbringung sowie Mitarbeiter von Hilfsdiensten (Feuerwehr, Rettungsdienste usw.) gehalten oder verpflichtet (worden), über ihnen bekannt gewordene Vorkommnisse, die strafbares oder ordnungswidriges Verhalten von Flüchtlingen innerhalb oder außerhalb dieser Einrichtungen betreffen, Stillschweigen zu bewahren? Zu 6.: Die Bediensteten und Mitarbeiter in staatlichen und kommunalen Einrichtungen der Flüchtlingsunterbringung unterliegen grundsätzlich der allgemeinen dienstlichen bzw. arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht. Gleiches gilt für die Mitarbeiter der Hilfsdienste (z. B. Feuerwehr). Eine gesonderte Verschwiegenheitsverpflichtung in Bezug auf strafbares oder ordnungswidriges Verhalten von Flüchtlingen innerhalb oder außerhalb dieser Einrichtungen gibt es nicht. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 489 7. Trifft es zu, dass es Einrichtungen im oben genannten Sinne gibt, in denen Mitarbeiter und Bedienstete vor Dienstantritt ihr privates Handy abgeben müssen, um zu verhindern, dass auf dem Gelände der Einrichtung Fotos gemacht werden können? Zu 7.: Dies trifft für die Aufnahmeeinrichtungen des Landes Baden-Württemberg nicht zu. 8. Existieren innerhalb der Landesverwaltung bzw. der Polizei Sprachregelungen, denen zu Folge die Begriffe „Flüchtling“, „Asylbewerber“ oder „Asylsuchender“ oder verwandte, überkommene Begriffe nicht mehr verwendet werden sollen oder dürfen, und stattdessen andere Begriffe (z. B. „Zuwanderer“, „Neu an - kömmlinge“, „Neubürger“ oder vergleichbar) verwendet werden sollen oder müssen? Zu 8.: Innerhalb der Landesverwaltung und der Polizei existieren keine derartigen Sprachregelungen. 9. Trifft es zu − und ggf. in welchem Umfang – dass weibliche Bedienstete in Einrichtungen im Sinne von Frage 4 auf dem Gelände dieser Einrichtungen Be - lästigungen ausgesetzt worden sind oder werden, aufgrund derer sie in ihrer Bewegungsfreiheit oder in der Wahl ihrer Kleidung innerhalb der Einrichtung eingeschränkt sind? Zu 9.: Der Landesregierung sind keine derartigen Fälle bekannt. 10. Trifft es zu, dass in Einrichtungen im Sinne von Frage 4 die Reinigung von Gebäude und Gelände einschließlich der Zimmer der Untergebrachten auf Kosten des Trägers dieser Einrichtungen von Privatfirmen vorgenommen wird? Zu 10.: Die Reinigung von Aufnahmeeinrichtungen des Landes Baden-Württemberg erfolgt gemäß § 36 Infektionsschutzgesetz nach dem mit dem jeweils zuständigen Gesundheitsamt abgestimmten Hygieneplan. Wohn- und Aufenthaltsbereiche werden durch die jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohner gereinigt. Die jährlich vorgeschriebene Grundreinigung erfolgt durch eine Reinigungsfirma. Sanitäreinrichtungen müssen aufgrund der Hygienevorschriften von Reinigungsfirmen mit Unterstützung durch die Asylsuchenden ge - reinigt werden. Die Müllentsorgung und das Sauberhalten des Außengeländes erfolgt durch die Asylsuchenden. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration