Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 515 14. 09. 2016 1Eingegangen: 14. 09. 2016 / Ausgegeben: 19. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie ist ihre Haltung zur Frage, ob hier lebende türkischstämmige Personen Loyalitätskonflikten hinsichtlich des Zugehörigkeitsgefühls zu Baden-Württem - berg und Deutschland einerseits und der Türkei andererseits ausgesetzt sind? 2. Erwartet sie von den genannten Personen, dass diese ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln? 3. Falls Frage 2 bejaht wird, wie kommuniziert sie diese Erwartung unter die in Baden-Württemberg lebende türkische Gemeinde? 4. Wie bewertet sie die nach dem Putschversuch in der Türkei ergriffenen Maßnahmen der türkischen Regierung – wie sie in der Begründung aufgeführt sind – in Hinblick auf die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung? 5. Haben nach ihrer Kenntnis die Ausländerbehörden in Mannheim im Vorfeld der dort am 24. Juli 2016 stattgefundenen Demonstration „pro Erdogan“ die Voraussetzungen des § 47 Absatz 1 Nummer 4 Aufenthaltsgesetz geprüft und ggf. mit welchem Ergebnis? 6. Falls keine Prüfung in diesem Sinne stattfand, warum nicht? 08. 09. 2016 Dr. Balzer ABW Kleine Anfrage des Abg. Dr. Rainer Balzer ABW und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Haltung der Landesregierung zu möglichen Loyalitäts - konflikten von in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen, deutsch-türkischen Doppelstaatlern und ehemaligen türkischen Staatsangehörigen Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 515 2 B e g r ü n d u n g Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat von den hier lebenden Türken Loyaliät eingefordert. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung von der SPD kritisierte den Loyalitätsaufruf der Bundeskanzlerin. An einer Demonstration in Mannheim nahmen 2.000 Menschen teil. Die Demons - tranten sangen immer wieder die türkische Nationalhymne, skandierten „Türkei!, Türkei!“ und schwenkten türkische Fahnen, worin nach Auffassung des Frage - stellers naturgemäß eine Solidarisierung mit der türkischen Regierung zum Ausdruck kommt. Nach § 47 Absatz 1 Nummer 4 Aufenthaltsgesetz kann die politische Betätigung eines Ausländers beschränkt oder untersagt werden, soweit sie bestimmt ist, Parteien, andere Vereinigungen, Einrichtungen oder Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets zu fördern, deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind. Insoweit wurde(n) laut Medienberichten nach dem Putschversuch in der Türkei unter anderem – mehr als 6.000 Soldaten und Offiziere festgenommen, darunter mindestens 125 Ge neräle und Admiräle, – mehr als 9.000 Mitarbeiter des Innenministeriums entlassen und an nur einem Tag 900 Polizisten suspendiert, – Haftbefehle gegen 2.854 Richter und Staatsanwälte ausgestellt, – bis zum 18. August 2016 40.029 Menschen festgenommen, – ebenfalls bis zu diesem Datum 79.900 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes entlassen, – viele Justizbeamte in Sippenhaft mit ihren Familien inhaftiert, – mehr als 200 Mitarbeiter des Büros des Ministerpräsidenten, 500 Angestellte der Religionsbehörde, 245 Mitarbeiter des Sportministeriums entlassen, – Lizenzen für 24 Radio- und Fernsehsender annulliert, – an Universitäten und Schulen fast 22.000 Dozenten und Lehrer ihrer Posten enthoben und 21.000 Mitarbeitern privater Bildungseinrichtungen die Lehr - erlaubnis entzogen, – ein Ausreiseverbot für Wissenschaftler verhängt. Nach Auffassung des Fragestellers haben die Demonstranten mit ihrer Positionierung pro Erdogan insoweit Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets befördert, deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind, was nach vorgenannter Vorschrift ein Verbot rechtfertigt. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 515 A n t w o r t Mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 Nr. 7-0141.5/16/0515 beantwortet das Minis - terium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie ist ihre Haltung zur Frage, ob hier lebende türkischstämmige Personen Loyalitätskonflikten hinsichtlich des Zugehörigkeitsgefühls zu Baden-Württemberg und Deutschland einerseits und der Türkei andererseits ausgesetzt sind? 2. Erwartet sie von den genannten Personen, dass diese ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln? 3. Falls Frage 2 bejaht wird, wie kommuniziert sie diese Erwartung unter die in Baden-Württemberg lebende türkische Gemeinde? Zu 1., 2. und 3.: Ausländer, die sich einbürgern lassen wollen, müssen sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) für die Bundesrepublik Deutschland bekennen und erklären, dass sie keine Bestrebungen verfolgen oder unterstützen bzw. verfolgt oder unterstützt haben, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung , den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Staats - angehörigkeitsgesetz [StAG]). Diese Einbürgerungsvoraussetzung gilt sowohl für Einbürgerungsbewerber, die sich aus der ausländischen Staatsangehörigkeit entlassen lassen müssen, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, als auch für Einbürgerungsbewerber, die neben der ausländischen die deutsche Staatsangehörigkeit dazu erwerben können. Das Bekenntnis zur fdGO dient dazu, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb wird ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus ein aktives persönliches Bekenntnis abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Somit wird die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur fdGO abhängig gemacht. Liegen tatsächliche Umstände vor, die es der Einbürgerungsbehörde zweifelhaft erscheinen lassen, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur fdGO bekennt und diese Umstände objektiv geeignet sind, die Zweifel hervorzurufen, kommt eine Ein - bürgerung nicht in Betracht. Außerdem kann es bei einer inhaltlich unrichtigen Erklärung über die Unterstützung oder Verfolgung verfassungsfeindlicher oder extremistischer Bestrebungen in Gegenwart oder Vergangenheit (oder das nach - trägliche Bekanntwerden tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass solche Bestrebungen vor der Einbürgerung unterstützt oder verfolgt worden sind), bei Kennt - niserlangung erst nach der Einbürgerung, zur nachträglichen Rücknahme der Einbürgerung führen. Die Landesregierung verweist hierzu auf die Aufforderung der Bundeskanzlerin an die türkischstämmigen Bürger: „Von den Türkischstämmigen, die schon lange in Deutschland leben, erwarten wir, dass sie ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln“ (http://www. tagesschau.de/inland/merkel-tuerken-101.html; abgerufen am 28. September 2016). Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 515 4 4. Wie bewertet sie die nach dem Putschversuch in der Türkei ergriffenen Maßnahmen der türkischen Regierung – wie sie in der Begründung aufgeführt sind – in Hinblick auf die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung? Zu 4.: Die Pflege der auswärtigen Beziehungen ist Sache des Bundes. Die Landesregierung verweist daher auf die Äußerungen der Bundeskanzlerin und des Außen - ministers. 5. Haben nach ihrer Kenntnis die Ausländerbehörden in Mannheim im Vorfeld der dort am 24. Juli 2016 stattgefundenen Demonstration „pro Erdogan“ die Voraussetzungen des § 47 Absatz 1 Nummer 4 Aufenthaltsgesetz geprüft und ggf. mit welchem Ergebnis? 6. Falls keine Prüfung in diesem Sinne stattfand, warum nicht? Zu 5. und 6.: Eine Prüfung der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nummer 4 Aufenthaltsgesetz durch die zuständigen Ausländerbehörden hat nicht stattgefunden. Aus der Anmeldung der Versammlung unter dem sehr pauschalen Titel „Kundgebung gegen den Terror“ ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 47 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz erfüllt sein könnten. Im Hinblick darauf und aufgrund der hohen rechtlichen Anforderungen, die an eine Untersagung der politischen Betätigung in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot und die Verhältnismäßigkeit gestellt werden, war die Prüfung eines Verbotes auch nicht angezeigt. Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration