Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 567 16. 09. 2016 1Eingegangen: 16. 09. 2016 / Ausgegeben: 24. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Auswirkungen für die Wirtschaft in Baden-Württemberg erwartet sie durch den Austritt Großbritanniens aus der EU? 2. Welche Branchen sind hauptsächlich betroffen? 3. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für den Maschinenbau zu erwarten? 4. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für die Autoindustrie zu erwarten? 5. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für landwirtschaftliche Betriebe zu erwarten? 6. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für die Medizintechnikbranche zu erwarten? 7. Welche Instrumente hat sie, um mögliche Auswirkungen frühzeitig zu erkennen und ggf. gegenzusteuern? 8. Welche Auswirkungen hat der Austritt Großbritanniens aus der EU auf die in Baden-Württemberg lebenden britischen Staatsbürger? 9. Welche Maßnahmen ergreift sie, um britische Fachkräfte und Firmen in Baden- Württemberg zu halten? Kleine Anfrage der Abg. Lars Patrick Berg und Dr. Jörg Meuthen ABW und Antwort des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Auswirkungen des Austritts Großbritanniens aus der EU auf die Wirtschaft in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 567 2 10. Welche Maßnahmen ergreift sie, um die wirtschaftlichen Beziehungen Baden- Württembergs zu Großbritannien aufrechtzuerhalten und zu vertiefen? 16. 09. 2016 Berg, Dr. Meuthen ABW B e g r ü n d u n g Baden-Württemberg exportiert sehr viele Produkte in alle Welt. Einer der Importeure dieser Produkte ist Großbritannien, welches nach einem Referendum die EU verlässt. Es gilt zu prüfen, welche Auswirkungen hierbei auf Baden-Württemberg zukommen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 Nr. 46-4252.2-GRO/84 beantwortet das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau im Einvernehmen mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration, dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie dem Ministerium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Auswirkungen für die Wirtschaft in Baden-Württemberg erwartet sie durch den Austritt Großbritanniens aus der EU? Zu 1.: Großbritannien ist für Baden-Württemberg ein wichtiger Handelspartner. Sowohl in der Export- als auch in der Importstatistik belegt es seit Jahren einen Platz unter den ersten zwölf Nationen. Im Jahr 2015 wurden Waren im Wert von 12,3 Mrd. € von Baden-Württemberg nach Großbritannien exportiert. Damit belegt das Land bei den Exporten den 6. Platz in der Handelsstatistik. Gegenüber dem Vorjahr konnte der Absatz baden-württembergischer Produkte dorthin sogar um zwölf Prozent gesteigert werden. Wichtigste Ausfuhrgüter sind Kraftwagen, Kraftwagen - teile, Maschinen und pharmazeutische Erzeugnisse. Bei den Importen zeigt sich gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang: Nachdem Baden-Württemberg im Jahr 2014 noch britische Waren im Wert von 5,1 Mrd. € importierte, belief sich der Wert im Jahr 2015 nur noch auf 4,4 Mrd. €. Großbritannien belegt damit in der Importstatistik im Jahr 2015 den 12. Platz (2014 Platz 10). Bei den Einfuhrgütern handelt es sich zum Großteil um Erdöl und Erdgas, Kraftwagen und Kraftwagenteile sowie chemische Erzeugnisse. Ob und ggf. wie sich die Entscheidung des Austritts Großbritanniens aus der EU (sogenannter Brexit) auf den Außenhandel von Baden-Württemberg mit Großbritannien auswirkt, wird sich frühestens mit der Handelsstatistik für das zweite Halbjahr 2016 belegen lassen. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen des Brexits für Baden-Württemberg lassen sich derzeit nicht genau quantifizieren, da diese vom Ergebnis der Austrittsverhandlungen abhängen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 567 2. Welche Branchen sind hauptsächlich betroffen? Zu 2.: Aktuell sind vorrangig Investitionsgüterhersteller betroffen, da deren britische Kunden sich aufgrund der Planungsunsicherheit mit der Anschaffung neuer In - vestitionsgüter zurückhalten (z. B. Maschinen und Anlagen). Dauerhaft wären bei Einschränkungen des freien Personenverkehrs zwischen Groß - britannien und der EU 27 baden-württembergische Dienstleister betroffen, sofern mit ihren Dienstleistungen die Entsendung von Mitarbeitern zum Kunden nach Großbritannien verbunden ist. Von einer derartigen Einschränkung wäre auch das verarbeitende Gewerbe betroffen, falls Dienstleistungen Teil ihrer Lieferungen sind (z. B. Inbetriebnahme oder Wartungen von Maschinen). 3. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für den Maschinenbau zu erwarten? Zu 3.: Das Großbritannien-Geschäft baden-württembergischer Maschinenbauer ent - wickel te sich in den letzten Jahren sehr erfreulich. Zwischen 2011 und 2015 steigerten hiesige Maschinenbauer ihre Exporte nach Großbritannien um 28 % auf 1,97 Mrd. €. Im Vergleich dazu erhöhten baden-württembergische Maschinenbauer ihre Gesamtexporte im gleichen Zeitraum um 4,5 %. Großbritannien war damit für baden-württembergische Maschinenbauer unter den großen Absatzmärkten einer der am schnellsten wachsenden Märkte. Zahlreiche Maschinenbauunternehmen aus Baden-Württemberg sind mit Niederlassungen in Großbritannien vertreten. Derzeit ist nicht im Detail absehbar, welche Auswirkungen der Brexit auf die Unternehmen haben wird, die in Großbritannien produzieren. Eine wichtige Voraussetzung für die Produktion in Großbritannien war bisher der ungehinderte Austausch von Produkten und Materialien oder auch die gegenseitige Unterstützung durch Fachpersonal. 4. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für die Autoindustrie zu erwarten? Zu 4.: Würden beim EU-Austritt Großbritanniens wieder Warenkontrollen eingeführt, wäre eine Just-in-Time-Produktion mit Teilelieferungen aus Baden-Württemberg auf der Insel kaum noch möglich. Dies würde baden-württembergische Automobilzulieferer treffen. Bislang exportieren sie KfZ-Teile im Wert von 925 Mio. € an britische Kunden. Allerdings sind nicht alle diese Lieferungen für Just-in- Time-Produktion bestimmt. Baden-württembergische Unternehmen beziehen von ausländischen Lieferanten KfZ-Teile im Wert von 10 Mrd. €. Ein vergleichsweise kleiner Anteil kommt von britischen Lieferanten (147 Mio. €). Ob hierdurch Nachteile für baden-württembergische Kunden entstehen, hängt unter anderem davon ab, ob diese Lieferungen durch Lieferungen anderer Lieferanten ersetzt werden könnten. Aufgrund der vergleichsweise geringen Importhöhe ist hiervon auszugehen. Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie haben die deutschen Konzernmarken in Großbritannien bei den Neuwagen einen Marktanteil von 50 %. In kein anderes Land wurden so viele Neuwagen aus deutscher Fertigung exportiert. Aus Sicht der Automobilindustrie wäre die Aufrechterhaltung des ungehinderten Waren- und Dienstleistungsverkehrs zwischen Großbritannien und den anderen EU-Ländern daher besonders bedeutsam. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 567 4 5. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für landwirtschaftliche Betriebe zu erwarten? Zu 5.: Die Exporte der deutschen Agrarwirtschaft nach Großbritannien lagen in 2015 bei rund 4,8 Mrd. €. Das sind 6 % der gesamten Agrarexporte. Die Importe aus Großbritannien in 2015 lagen bei ca. 1,4 Mrd. €. Damit liegt der deutsche Exportüberschuss bei 3,4 Mrd. € in 2015. Konkrete Zahlen für Baden-Württemberg liegen nicht vor, es wird aber von einer eher geringeren Bedeutung ausgegangen. Allgemein wird mit einer Verteuerung der EU-Waren in Großbritannien gerechnet , weshalb ein Ausweichen auf Waren aus Drittländern erwartet wird. Entscheidend für die Entwicklung des Agrarhandels mit Großbritannien wird sein, ob und ggf. welche Zölle zukünftig gelten werden. Ansonsten ist davon auszugehen, dass die Ausfuhr von Waren, Nutztieren und deren Erzeugnissen nicht grundlegend erschwert wird, da in Großbritannien nicht mit Anforderungen zu rechnen ist, die über die EU-Regelungen für die Erzeugung und Bearbeitung hinausgehen. Tierarzneimittel dürfen unter bestimmten Voraussetzungen nur aus den Mitgliedstaaten der EU und des EWR bezogen werden. Daher hängt die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln aus Großbritannien vom Status nach dem Brexit ab. Sollte Großbritannien den Status eines Drittstaates erhalten, wäre für Tierärzte und Tierhalter ein Bezug von Tierarzneimitteln von dort nicht mehr möglich – was auch für den Therapienotstand gelten würde. Diese Nachteile wären aber begrenzt, da im Therapienotstand der überwiegende Teil der Tierarzneimittel für Baden-Württemberg aus anderen Mitgliedstaaten bezogen wird. 6. Welche Auswirkungen sind nach ihrer Kenntnis speziell für die Medizintechnikbranche zu erwarten? Zu 6.: Baden-württembergische Medizintechnikunternehmen verkaufen im Schnitt deutlich weniger an britische Kunden als Unternehmen anderer Branchen. Medizintechniker lieferten 2015 medizinisches Gerät und orthopädische Vorrichtungen im Wert von 119 Mio. € nach Großbritannien. Dies entsprach nur 3,3 % der badenwürttembergischen Gesamtexporte an medizinischen Geräten. Insofern ist nicht von größeren negativen Auswirkungen für baden-württembergische Medizintechnikunternehmen bei einem EU-Austritt Großbritanniens auszugehen. Risikofaktor für baden-württembergische Medizintechniker ist der staatliche National Health Service, der der größte britische Abnehmer von Medizintechnik und Verbrauchsmaterialien ist. Bislang haben auch baden-württembergische Medizintechniker aufgrund des in Großbritannien geltenden EU-Vergaberechts einen vergleichsweise ungehinderten Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Dies könnte sich nach dem EU-Austritt des Landes gegebenenfalls ändern. 7. Welche Instrumente hat sie, um mögliche Auswirkungen frühzeitig zu erkennen und ggf. gegenzusteuern? Zu 7.: Mögliche Auswirkungen auf die Wirtschaft lassen sich durch das Datenangebot und die Konjunkturberichterstattung des Statistischen Landesamtes identifizieren. Der Minister der Justiz und für Europa hat bereits kurz nach dem Brexit-Votum in Großbritannien eine „Brexit-Folgenabschätzung“ durch die Ressorts angestoßen, deren Ziel die gebündelte Analyse möglicher Auswirkungen eines britischen EU- Austritts ist. Auf der Grundlage der „Brexit-Folgenabschätzung“ wird die Landesregierung sich zu Fragen der Brexit-Verhandlungen positionieren können und kann sich zugleich auf einen Brexit strategisch vorbereiten. 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 567 Die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau hat sich bereits in der Woche nach der Brexit-Entscheidung in Stuttgart kurzfristig zu einem Meinungsaustausch mit Spitzenvertretern von Wirtschaftsverbänden, Kammern und Gewerkschaften aus Baden-Württemberg sowie der britischen Außenhandelskammer getroffen. In diesem Austausch mit den unmittelbar Betroffenen auf Seiten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurden die Folgen für die Unternehmen in Baden-Württemberg ausgelotet und gemeinsame Handlungsoptionen diskutiert. Die Ergeb - nisse fließen in die oben genannte Folgenabschätzung mit ein. Die Landesregierung sucht außerdem stets das Gespräch mit Wirtschaftsvertretern , so auch in Sachen Brexit, und setzt sich für ein mittelstands- und wachstums - orientiertes Europa auf allen politischen Ebenen ein. Entsprechend wird sie auch im Vorfeld den Prozess der Meinungsfindung unter anderem durch Aktivitäten in der Vertretung des Landes in Brüssel begleiten. 8. Welche Auswirkungen hat der Austritt Großbritanniens aus der EU auf die in Baden-Württemberg lebenden britischen Staatsbürger? Zu 8.: Nach derzeitiger Rechtslage würden im Falle eines Austritts von Großbritannien aus der EU die in Baden-Württemberg lebenden britischen Staatsbürger die Unions bürgerschaft verlieren und damit – ebenso wie ihre Familienangehörigen – nicht mehr dem innerhalb der EU geltenden Freizügigkeitsgesetz, sondern künftig dem Aufenthaltsgesetz unterliegen. Die Erleichterungen für die Einreise und den Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz würden für in Baden-Württemberg lebende britische Staatsbürger damit entfallen. Überdies kann der Austritt Großbritanniens aus der EU zur Folge haben, dass künftig britische Staatsangehörige zunächst die britische Staatsangehörigkeit aufgeben müssen, wenn sie die deutsche erwerben wollen. Ein Austritt Großbritanniens aus der EU hätte voraussichtlich auch Auswirkungen auf die Bürger- und Einwohnerrechte der in Baden-Württemberg lebenden Briten. Nach § 12 Absatz 1 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO) ist Bürger der Gemeinde, wer Deutscher im Sinne von Artikel 116 des Grundgesetzes ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt, das 16. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnt. Das Bürgerrecht ermöglicht insbesondere die Teilnahme an Wahlen und Bürgerbegehren sowie Bürgerentscheiden. Dabei sind passiv wahlberechtigt alle Bürger der Gemeinde, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Schließlich würde sich ein Austritt Großbritanniens aus der EU auch auf die Wahl des Europäischen Parlaments und damit ggf. auch auf die Wahlorganisation auswirken . Diese Ausführungen gelten unter der Prämisse, dass keine von der derzeitigen Rechtslage abweichenden Sonderregelungen mit Großbritannien vereinbart werden. 9. Welche Maßnahmen ergreift sie, um britische Fachkräfte und Firmen in Baden- Württemberg zu halten? Zu 9.: Der Standort Baden-Württemberg überzeugt Fachkräfte und Firmen aus Groß - britannien und aus aller Welt durch Stärken wie hohe Innovationsfähigkeit, niedrige Arbeitslosigkeit und vor allem auch Weltoffenheit. Die Landesregierung wird auch in Zukunft alle Maßnahmen ergreifen, um diese und andere Stärken Baden- Württembergs zu erhalten. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 567 6 10. Welche Maßnahmen ergreift sie, um die wirtschaftlichen Beziehungen Baden- Württembergs zu Großbritannien aufrechtzuerhalten und zu vertiefen? Zu 10.: Die fachlich betroffenen Ressorts werden die Austrittsverhandlungen im Rahmen der sich bietenden Länderkompetenzen begleiten. Der Minister der Justiz und für Europa hat eine „Brexit-Folgenabschätzung“ durch die Ressorts angestoßen mit dem Ziel, eine Strategie zu entwickeln, um auf einen möglichen Brexit vorbereitet zu sein, und die Brexit-Verhandlungen fundiert begleiten zu können. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau und das Ministerium der Justiz und für Europa stehen in einem ständigen Austausch mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden ebenso wie mit Vertretern der verschiedenen EU-Institutionen in Brüssel sowie den auf Bundesebene beteiligten Akteuren. Konkret wird die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau auch auf der Außenwirtschaftsmesse „Global Connect“ am 26. und 27. Oktober 2016 in Stuttgart den Gedankenaustausch mit Unternehmensvertretern der KMU suchen. Im Jahr 2017 ist außerdem eine Delegationsreise nach London und an weitere Standorte geplant , um die Exportchancen baden-württembergischer Unternehmen, insbesondere der Automobilbranche, auszuloten und Kontakte zu politischen Entscheidern zu pflegen. Dr. Hoffmeister-Kraut Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau