Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 624 22. 09. 2016 1Eingegangen: 22. 09. 2016 / Ausgegeben: 31. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Wir fragen die Landesregierung: 1. Um wie viel Prozent − sowie in Zahlen − stieg die Anzahl ausländischer und deutscher Strafgefangener in baden-württembergischen Haftanstalten zwischen 2011 und 2016? 2. In wie vielen Fällen der Körperverletzung mit Dienstunfähigkeit waren ausländische Strafgefangene die Täter, in wie vielen Fällen deutsche Strafgefangene? 3. Wie kommt sie ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten der Haftanstalten nach, um diese vor Körperverletzungen durch Strafgefangene zu schützen? 4. Welcher Nationalität und Staatsangehörigkeit war der Gefangene, der im Juni 2016 in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch-Hall mehrere Bedienstete zusammengeschlagen hat, sodass drei davon dienstunfähig wurden? 5. Welche Vorkommnisse ähnlicher Art − und wo − gab es bis August 2016 in Baden-Württemberg? 6. Welcher Nationalität waren die Strafgefangenen, die im August 2016 Beamte in Baden-Württemberg angegriffen und mit der Folge der Dienstunfähigkeit verletzt haben? 7. Gibt es nach ihrer Kenntnis in den Haftanstalten Baden-Württembergs Mechanismen oder Frühwarnsysteme (ggf. welche), die dafür sorgen könnten, dass aggressive Gefangene nicht in Kontakt mit den Beamten kommen können? 8. Welche gesetzlichen Vorschriften sind nach ihrer Einschätzung wesentlich verantwortlich dafür, dass sich Beamte nicht ausreichend vor körperlichen Angriffen schützen können? Kleine Anfrage der Abg. Lars Patrick Berg und Dr. Jörg Meuthen ABW und Antwort des Ministeriums der Justiz und für Europa Gewalt in Gefängnissen in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 624 2 9. Werden in Haftanstalten neuerer Bauart – etwa nach dem Vorbild amerikanischer Haftanstalten – bauliche Vorkehrungen getroffen, damit die Strafgefangenen möglichst wenig Gelegenheit erhalten, in Körperkontakt mit den Beamten zu treten? 10. Warum werden die Beamten nicht mit nichttödlichen Waffen, wie z. B. Elektrotasern – ausgestattet, mit denen sie angegriffenen Kollegen zu Hilfe kommen können? 07. 09. 2016 Dr. Meuthen, Berg ABW B e g r ü n d u n g Nach Aussagen von Medien hat sich die Zahl der Angriffe auf Justizbeamte in den Gefängnissen zwischen 2011 und 2015 mehr als verdoppelt. 2015 wurden insgesamt 26 Vorfälle gemeldet, bis September 2016 wurden 21 Vorfälle gemeldet , die Dienstunfähigkeit zur Folge hatten. Es würden laut Medien 117 neue Stellen in den Justizvollzugsanstalten geschaffen bzw. es sei dies geplant. Diese Kleine Anfrage soll den Rahmen für weiteren Handlungsbedarf erhellen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 Nr. 4400/0708 beantwortet das Ministerium der Justiz und für Europa die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Um wie viel Prozent − sowie in Zahlen − stieg die Anzahl ausländischer und deutscher Strafgefangener in baden-württembergischen Haftanstalten zwischen 2011 und 2016? Die Anzahl ausländischer und staatenloser Gefangener in baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten wird zum 31. März eines jeden Jahres erhoben. In der Strafhaft ist diese Zahl (einschließlich Jugendstrafgefangener und Sicherungsverwahrter ) von 1.679 am 31. März 2011 um 5,6 Prozent auf 1.773 am 31. März 2016 gestiegen. Die vergleichbare Anzahl Strafgefangener deutscher Staatsange - hörigkeit ist in diesem Zeitraum von 4.228 um 22,8 Prozent auf 3.264 gesunken. 2. In wie vielen Fällen der Körperverletzung mit Dienstunfähigkeit waren ausländische Strafgefangene die Täter, in wie vielen Fällen deutsche Strafgefangene? Eine statistische Differenzierung der Fälle des erheblichen Angriffs auf Bediens - tete nach der Nationalität der Täterin/des Täters erfolgt nicht. Von den 22 der - artigen Vorkommnissen im laufenden Jahr (Stand: 30. September 2016) gingen 13 von deutschen Staatsangehörigen aus, in neun Fällen lag ausländische Täterschaft vor. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 624 3. Wie kommt sie ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten der Haftanstalten nach, um diese vor Körperverletzungen durch Strafgefangene zu schützen? Das Sicherheitskonzept des baden-württembergischen Justizvollzugs beruht auf dem Zusammenspiel baulich-technischer, administrativer und sozialer Elemente. Die unmittelbare Eigensicherung ist im Bereich der Aus- und Fortbildung angesiedelt . Hierzu gehören Deeskalationsmaßnahmen ebenso wie die Abwehr- und Zugriffstechniken. Im baulich-technischen Bereich wird die Sicherheit der Bediensteten in erster Linie durch bauliche Sicherheitsringe – der einzelne Be - dienstete wäre im Falle der Geiselnahme nicht in der Lage, den Weg durch die Außensicherung zu eröffnen – sowie durch den Einsatz moderner Alarmeinrichtungen gewährleistet. 4. Welcher Nationalität und Staatsangehörigkeit war der Gefangene, der im Juni 2016 in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch-Hall mehrere Bedienstete zusammengeschlagen hat, sodass drei davon dienstunfähig wurden? Bei dem Gefangenen, der im Juni 2016 mehrere Bedienstete der Justizvollzugs - anstalt Schwäbisch Hall erheblich verletzt hat, handelt es sich um einen im heutigen Russland geborenen deutschen Staatsangehörigen. 5. Welche Vorkommnisse ähnlicher Art − und wo − gab es bis August 2016 in Baden-Württemberg? Im laufenden Jahr kam es im Juni zu einem weiteren Vorkommnis mit der Folge der Dienstunfähigkeit von Bediensteten. Ein Neuzugang der Justizvollzugsanstalt Stuttgart, der von der Aufnahmeabteilung in seinen Haftraum verbracht wurde, versetzte einem der begleitenden Bediensteten unvermittelt einen Schlag gegen die Brust. Bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs leistete der Gefangene erheblichen Widerstand, wodurch ein weiterer Bediensteter eine Rippenprellung erlitt. 6. Welcher Nationalität waren die Strafgefangenen, die im August 2016 Beamte in Baden-Württemberg angegriffen und mit der Folge der Dienstunfähigkeit verletzt haben? Im August 2016 ist es zu insgesamt drei erheblichen Angriffen auf Bedienstete gekommen. In zwei dieser Fälle lag die Täterschaft bei deutschen, in einem Fall bei einem türkischen Staatsangehörigen. 7. Gibt es nach ihrer Kenntnis in den Haftanstalten Baden-Württembergs Mechanismen oder Frühwarnsysteme (ggf. welche), die dafür sorgen könnten, dass aggressive Gefangene nicht in Kontakt mit den Beamten kommen können? Über die Aktenlage bei Aufnahme und etwaige Mitteilungen im Rahmen der Zuführung hinaus ist der Justizvollzug zur Einschätzung auch der Aggressivität von Gefangenen auf eigene Erkenntnisse und Beobachtungen angewiesen. Beginnend mit dem Aufnahmeverfahren, dem eine alsbaldige ärztliche Untersuchung zu folgen hat, bestehen im Verlauf der vollzuglichen Behandlungsuntersuchung und der weiteren Vollzugsplanung Kontakte zu den sogenannten Fachdiensten, dem So - zialdienst und dem Psychologischen Dienst. Zudem stehen die Gefangenen in weiten Teilen der Arbeits- und Freizeit unter der Beobachtung des Vollzugsdiens - tes und des Werkdienstes. Im Falle der Feststellung eines Gefahrenpotenzials ermöglicht das Justizvollzugsgesetzbuch umfassende Sicherungsmaßnahmen bis hin zur Einzelhaft oder der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haft - raum ohne gefährdende Gegenstände, welche auch zur Anwendung kommen. Auch in diesem, in der Anordnung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegenden und für eine dauerhafte Anwendung ungeeigneten Rahmen, kann auf einen Kontakt mit Bediensteten nicht vollständig verzichtet werden. Teilweise kommt es auch gerade im Zusammenhang mit der Umsetzung derartiger Maß - nahmen zu Eskalationen. Darüber hinaus bleibt ein Restrisiko der mangelnden Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 624 4 Vorhersehbarkeit oder auch der unzutreffenden Prognose, welches bei rd. 15.000 Personen, die im Lauf eines Jahres zumindest zeitweilig im baden-württembergischen Justizvollzug unterzubringen sind, in einer gewissen Zahl an Übergriffen resultiert. 8. Welche gesetzlichen Vorschriften sind nach ihrer Einschätzung wesentlich verantwortlich dafür, dass sich Beamte nicht ausreichend vor körperlichen Angriffen schützen können? Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften, die einen unzureichenden Schutz von Beamten vor körperlichen Angriffen bedingen. 9. Werden in Haftanstalten neuerer Bauart – etwa nach dem Vorbild amerikanischer Haftanstalten – bauliche Vorkehrungen getroffen, damit die Strafgefangenen möglichst wenig Gelegenheit erhalten, in Körperkontakt mit den Beamten zu treten? Das Ziel der generellen Vermeidung von Gelegenheiten zum Kontakt wäre mit einem auf Resozialisierung ausgerichteten Vollzug nicht vereinbar. Im Übrigen lässt gerade der unmittelbare Kontakt bevorstehende Gefahren erkennen, wie auch der sachgerechte Umgang der Bediensteten mit den Gefangenen immer wieder zu Hinweisen auf von Mitgefangenen geplanten Übergriffen führt. Der Vermeidung von Gewalttätigkeiten dienende Aspekte der Neubaugestaltung sind daher bei Wahrung der Sicherheitsstandards eher die Bildung kleinerer Einheiten, die Vorhaltung ausreichender Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten und eine heutigen Vollzugsabläufen entsprechende Anordnung und Ausgestaltung der einzelnen Funktionsbereiche. Bei bestehender Überbelegung im geschlossenen Vollzug an männlichen Gefangenen lässt der ergänzende Bau von Unterbringungsmöglichkeiten zudem alleine durch Reduzierung des Belegungsdrucks Aggressionspotenziale erfahrungsgemäß zurückgehen. 10. Warum werden die Beamten nicht mit nichttödlichen Waffen, wie z. B. Elektrotasern – ausgestattet, mit denen sie angegriffenen Kollegen zu Hilfe kommen können? Im Vollzugsalltag sehen sich die Bediensteten regelmäßig einer Vielzahl von Gefangenen gegenüber. Bei ständigem Mitführen von Waffen wären Gefahren eher dadurch zu besorgen, dass Gefangene an diese gelangen und diese gegen Bediens - tete richten könnten, als dass Gefahren dadurch begegnet werden könnte. Für Einsatzfälle halten die Anstalten neben Schusswaffen auch Reizstoffsprühgeräte (Pfefferspray) vor. Für einen ergänzende Ausstattung mit sogenannten Tasern wurde bisher kein Bedarf erkennbar. Nach hiesigem Kenntnisstand wird vom Einsatz derartiger Technik im Justizvollzug bisher bundesweit Abstand genommen. In Vertretung Steinbacher Ministerialdirektor