Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 632 23. 09. 2016 1Eingegangen: 23. 09. 2016 / Ausgegeben: 31. 10. 2016 K l e i n e A n f r a g e Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele landwirtschaftliche Betriebe im Landkreis Biberach und im Land Baden-Württemberg gesamt haben sich auf Weidemilchproduktion spezialisiert? 2. Welche Molkereien und Handelsunternehmen führen Milch und Milchprodukte unter dem Label „Weidemilch“? 3. Inwieweit können für die Erzeuger von Weidemilch höhere Marktpreise für die Milchprodukte erzielt werden? 4. Welche Erkenntnisse hat sie über das Angebot und die Nachfrage von Weidemilch und deren Produkte? 5. Welche Fördermöglichkeiten für die Weidemilchproduktion gibt es durch das Land, den Bund oder die EU? 6. In welchen anderen Ländern sind nach ihrer Kenntnis entsprechende Programme aufgelegt und welche Erfahrungswerte gibt es dazu? 7. Inwiefern sieht sie Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bei der Vermarktung von Weidemilch? 21. 09. 2016 Dörflinger CDU Kleine Anfrage des Abg. Thomas Dörflinger CDU und Antwort des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Weidemilch in Baden-Württemberg Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 632 2 B e g r ü n d u n g Das Land Baden-Württemberg hat bereits im Jahr 2005 mit dem Projekt Weidemilch die Weidehaltung und Milchproduktion gefördert und begleitet. Bei den derzeit sehr geringen Erzeugerpreisen für Milch und Milchprodukte könnte in der Spezialisierung auf Weidemilch eine Erfolg versprechende Vermarktungsalternative liegen. A n t w o r t Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 Nr. Z(22)-0141.5/53F beantwortet das Minis - terium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele landwirtschaftliche Betriebe im Landkreis Biberach und im Land Baden-Württemberg gesamt haben sich auf Weidemilchproduktion spezialisiert? Zu 1.: Der Begriff der „Weidemilchproduktion“ ist nicht eindeutig definiert. Verbreitet wird die Bezeichnung „Weidemilch“ im Handel für Milchprodukte verwendet, bei welchen die Milch aus Betrieben stammt, in denen die Kühe jährlich eine bestimmte Mindestzeit an Weidegang erhalten. Der in der Praxis anzutreffende Weidegang von Milchkühen zeigt eine sehr große Bandbreite. Diese reicht von kurzzeitigen Weideperioden oder Joggingweiden mit Schwerpunkt Auslauf, bei denen nur ein sehr geringer Anteil der Milch aus der Weidefütterung erzeugt wird, bis hin zu Betrieben mit Vollweidesystemen und saisonaler Abkalbung, die ihre Milch überwiegend auf Basis der Weidefütterung erzeugen. Bei der Landwirtschaftszählung 2010 (Statistisches Bundesamt, 2011) hatten deutschlandweit 1,75 Mio. Tiere oder knapp 42 % der deutschen Milchkühe „regelmäßigen Weidegang“, in Süddeutschland lag dieser Anteil zum Erhebungszeitraum mit 28 % für Baden-Württemberg und 16 % für Bayern deutlich niedriger. Die Teilnahme an den FAKT-Maßnahmen „Silageverzicht im gesamten Unternehmen (Heumilch)“ und „Sommerweideprämie“ kann Hinweise auf eine praktizierte Weidehaltung geben. Im Landkreis Biberach gibt es laut den Antragsdaten aus 2016 des Gemeinsamen Antrages 611 Milchviehbetriebe mit 33.360 Milchkühen , landesweit sind es 7.665 Milchviehhalter mit 349.581 Milchkühen. Die FAKT-Maßnahme „Silageverzicht im gesamten Unternehmen (Heumilch)“ wurde für das Antragsjahr 2015 im Landkreis Biberach an acht und landesweit an 176 Antragsteller ausgezahlt. Eine Förderung über die Maßnahme „Sommerweide - prämie“ erfolgte im Landkreis Biberach für 49 milchviehhaltende Betriebe (ca. 8 % der antragstellenden Milchviehhalter) und im Land Baden-Württemberg für 1.638 Betriebe (ca. 21 % der antragstellenden Milchviehhalter). Ob die Milch der Teilnehmenden an diesen beiden FAKT-Maßnahmen zu Milchprodukten mit einer entsprechenden Auslobung vermarktet wird, ist nicht bekannt . 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 632 2. Welche Molkereien und Handelsunternehmen führen Milch und Milchprodukte unter dem Label „Weidemilch“? Zu 2.: Für das Label „Weidemilch“ existiert kein gesetzlicher oder sonstiger übergeordneter Standard. Ein Dialog der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) mit dem Milchindustrie-Verband (MIV) im Rahmen des Projekts Lebensmittelklarheit zu Standards und Kennzeichnung von „Weidemilch“ endete 2015 ohne Einigung . Verschiedene Molkereiunternehmen vertreiben v. a. Trinkmilch unter dem Label „Weidemilch“. In den Niederlanden setzt z. B. das Unternehmen FrieslandCampina im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie sehr stark auf den Erhalt der Weidehaltung . Mit dem Label „Weidemilch“ ausgelobte Produkte werden von Friesland Campina seit 2007 vertrieben. Inzwischen führen zahlreiche weitere Molkerei - unternehmen entsprechende Produkte wie z. B. Hansano, Arla oder auch kleinere Biomolkereien. In Baden-Württemberg führt die Schwarzwaldmilch Weidemilchprodukte . 3. Inwieweit können für die Erzeuger von Weidemilch höhere Marktpreise für die Milchprodukte erzielt werden? Zu 3.: Zu den erzielten Verkaufspreisen für Weidemilchprodukte im Lebensmitteleinzelhandel oder von Molkereiunternehmen gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel liegen dem Ministerium keine Informationen vor. Bei Untersuchungen mit Umfragen bei Verbrauchern zur Präferenz und Mehrzahlungsbereitschaft wurden für „Weidemilch“ ähnliche Werte wie für Premiummarken bzw. höhere Werte als für „Milch aus der Region“ erreicht. Anzumerken ist, dass die möglichen Verkaufspreise abgesehen von der generellen Marktsituation in der Regel von mehreren weiteren Attributen wie z. B. dem Bekanntheitsgrad bei einer Eigenmarke, Regionalität , Bio/Konventionell, Weidemilch, Fütterung mit/ohne Gentechnik und deren Kombination abhängen. 4. Welche Erkenntnisse hat sie über das Angebot und die Nachfrage von Weidemilch und deren Produkte? Zu 4.: Statistische Erhebungen zum Angebot von „Weidemilch“ bzw. Daten aus Verbraucherpanels zur Nachfrage nach „Weidemilch“ und der entsprechenden Produkte liegen nicht vor. Wissenschaftlichen Studien zufolge verbinden Verbraucher mit „Weidemilch“ einen Zusatznutzen wie u. a. eine besonders tiergerechte Haltung. Das mit Weidemilchprodukten verbundene Image ist als hoch einzuschätzen . Von der zunehmenden Verbreitung der Produkte mit der Auslobung „Weidemilch“ kann eine entsprechende Nachfrage und Kaufbereitschaft seitens der Verbraucher abgeleitet werden. Das Angebot wird vor allem von den Molkereiunternehmen ausgeweitet, die in ihrem Erfassungsgebiet standort- und strukturbedingt einen hohen Anteil an Betrieben mit Weidehaltung haben. 5. Welche Fördermöglichkeiten für die Weidemilchproduktion gibt es durch das Land, den Bund oder die EU? Zu 5.: Eine Förderung der Weidemilchproduktion kann produktionsseitig bei den Erzeugern oder absatzseitig erfolgen. Im Rahmen von Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen (AUKM) wie dem Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) oder über die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete (AZL) wird die Weidemilcherzeu - Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 632 4 gung nicht direkt gefördert. Über AUKM werden aus EU-, Bundes- und Landesmitteln Maßnahmen mit gezielten Umwelt- oder Tierwohlwirkungen gefördert; über die AZL wird ein Ausgleich für die natürliche Benachteiligung des Standorts gezahlt. Darüber hinaus werden aus Landesmitteln die Grünland-Steillagen gefördert , die häufig durch Beweidung offengehalten werden. Grundsätzlich ist die Erhaltung des hohen Anteils an Grünland in Baden-Württemberg (ca. 38 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche) zur Verwendung in der Tierhaltung eine wesentliche Voraussetzung für eine mögliche Weidehaltung. So ist bei den FAKT-Grünlandmaßnahmen „Extensive Bewirtschaftung des Dauer - grünlandes mit höchstens 1,4 Raufutterfressenden Großvieheinheiten (RGV) je Hektar Hauptfutterfläche ohne mineralische Stickstoffdüngung“ und „Extensive Bewirtschaftung bestimmter Dauergrünlandflächen ohne Stickstoffdüngung“ ein Viehbesatz von mindestens 0,3 RGV je Hektar Dauergrünland verpflichtend. Speziell für milchviehhaltende Betriebe werden in FAKT die Maßnahme „Silageverzicht im gesamten Unternehmen (Heumilch)“ und die Tierwohlmaßnahme „Sommerweideprämie“ angeboten. Beim „Silageverzicht im gesamten Unternehmen (Heumilch)“ sind Grünland und Ackerfutterflächen, auf denen Heu erzeugt werden kann, förderfähig. Im gesamten Unternehmen sind Silagebereitung oder -einsatz verboten. Betriebe, die „Heumilch “ produzieren und auf Silage verzichten, füttern die Kühe während der Vegetationsperiode im Regelfall mit Grünfutter, entweder über Eingrasen oder Weide - gang. Spezifisch für „Weidemilch“ werden auf Landesebene keine Maßnahmen der Absatzförderung angeboten, da es sich hierbei nicht um eine Qualitätsregelung nach EU-Recht oder ein anerkanntes Qualitätsprogramm des Landes wie das Qualitätszeichen und das Bio-Zeichen Baden-Württemberg handelt. Im Gegensatz zu „Weidemilch“ ist „Heumilch g. t. S.“ eine garantiert traditionelle Spezialität nach definierten Standards einer EU-Qualitätsregelung, die somit Gegenstand der Absatzförderung sein kann. Die Absatzförderung für Milchprodukte im Rahmen der Qualitäts- und Herkunftsregelungen „Qualitätszeichen Baden- Württemberg“ oder „Bio-Zeichen Baden-Württemberg“ kann bei Vorliegen der Förderbedingungen auch Weidemilchprodukte umfassen. Die EU-Kommission schreibt in regelmäßigen Abständen Absatzfördermaßnahmen aus. Für die Maßnahmen mit attraktiven Fördersätzen könnten sich auch Organisationen oder Verbünde von Organisationen für Absatzfördermaßnahmen im Kontext „Weidemilch“ bewerben. 6. In welchen anderen Ländern sind nach ihrer Kenntnis entsprechende Programme aufgelegt und welche Erfahrungswerte gibt es dazu? Zu 6.: Vergleichbare Agrarumweltmaßnahmen wie in Baden-Württemberg werden teilweise auch in anderen Bundesländern angeboten. Diese umfassen z. T. eine Sommerweideprämie und/oder Fördermaßnahmen für die extensive bzw. naturschutzgerechte Beweidung. Aufgrund der Fördervoraussetzungen dürften aber die Maßnahmen für die extensive Beweidung nur in wenigen Fällen für die Beweidung mit Milchkühen in Frage kommen. Auch in den Alpenländern Österreich und in der Schweiz gibt es entsprechende Förderprogramme sowie Forschungsaktivitäten zu angepassten Produktionssystemen von Milch auf Weidebasis. In der Schweiz gibt es das „Raus“-Programm. Fördervoraussetzung ist ein Freigeländezugang für die Tiere, entweder auf die Weide oder auf den Laufhof (an mind. 26 Tagen im Monat während Vegetationszeit und an mind. 13 Tagen im Restjahr). Lt. dem Schweizer Agrarbericht haben 2013 fast 70 % der Betriebe an diesem Programm teilgenommen. Zusätzlich wird in der Schweiz die graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion gefördert (Mindestanteile an Gras werden gefordert). 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 632 In Regionen mit hohem Potenzial für die Weidemilchproduktion, wie z. B. in Irland oder in Neuseeland, ist die gesamte sektorspezifische Agrarforschung, Bildung und Beratung auf die Milcherzeugung in Weidesystemen ausgerichtet. Die Weidemilcherzeugung ist dort als effizienteste und wettbewerbsfähigste Form der Milcherzeugung etabliert. In Niedersachsen wurde 2015 eine Charta „Weideland Norddeutschland“ von 20 beteiligten Verbänden und Organisationen unterzeichnet. Ziel dieser Verein - barung ist es, Wege über die gesamte Wertschöpfungskette aufzuzeigen, wie die rückläufige Weidehaltung neben anderen gleichrangigen Haltungssystemen von Milchkühen in einer modernen und sich weiterentwickelnden Branche dauerhaft gesichert werden kann. Ergebnisse sind noch nicht bekannt. Eine ähnliche Vereinbarung „Convenant Weidegang“ wurde 2013 in den Niederlanden von zahlreichen Akteuren über die gesamte Wertschöpfungskette geschlossen. 7. Inwiefern sieht sie Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bei der Vermarktung von Weidemilch? Zu 7.: Die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bei der Vermarktung von Weidemilch müssen insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeiten und der Vorzüglichkeit der Milcherzeugung in Weidesystemen diskutiert werden. Aufgrund der Agrar- und Siedlungsstruktur sowie der klimatischen Bedingungen im Süden Deutschlands ist es in vielen hiesigen Regionen und Milchviehbetrieben nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand möglich, Weidemilcherzeugung zu praktizieren . Insofern besteht für die Gesamtregion gegenüber den klimatisch und strukturell begünstigten Grünlandregionen in Norddeutschland und Nordwesteuropa ein klarer Wettbewerbsnachteil in der Weidemilcherzeugung. Aufgrund dieses Wettbewerbsnachteils wird die Landesregierung die Förderung der Sommerweide und der Grünlandbewirtschaftung beibehalten. Dennoch sind auch in Baden-Württemberg regional und einzelbetrieblich gute Voraussetzungen für eine weidebasierte Milcherzeugung gegeben. Die Herstellung entsprechender Produkte in Molkereien setzt voraus, dass ausreichend Erzeuger oder Erzeugergemeinschaften mit Weidebetrieben vorhanden sind, sodass die separate Erfassung und Verarbeitung wirtschaftlich ist. Generell ist anzustreben, dass sich die Branche auf einen definierten Standard für das Label „Weidemilch“ einigt, sodass mit der Auslobung verlässlich nachvollziehbare Standards an die Verbraucher kommuniziert werden. Hauk Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz