Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Ganserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 11.02.2014 Gesetzliche Regelung der Öffnungszeiten der Freischankflächen und der Außengastronomie / Gestattungen nach dem Gaststättengesetz Der Wirtschaftsausschuss hat sich in seiner Sitzung vom 5. Dezember 2013 mit der Petition „Unsere Gustavstraße Fürth“ (Vorgangsmappe WI.0012.17) befasst, die sich für längere Öffnungszeiten für Freischankflächen in der Gustavstraße in Fürth einsetzt. Vor dem Hintergrund, dass Bayern auf der Grundlage des § 23 Abs. 2 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eine Bayerische Biergartenverordnung erlassen hat (BierGaV vom 20. April 1999, GVBl 1999, 142), nach der eine Bewirtung im Außenbereich auch bis 23 Uhr erlaubt ist, erscheint es aus Gründen der Gleichbehandlung und der Rechtsklarheit geboten, eine entsprechende gesetzliche Regelung generell sowohl für Freischankflächen als auch die Außengastronomie zu erlassen. Des Weiteren wird immer wieder die Frage an uns herangetragen , ob die bisherige Gestattungspraxis auf der Grundlage des in Bayern geltenden Bundesgaststättengesetzes (GastG), insbesondere für das Reisegewerbe auf Volksfesten , praktikabel ist. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Wie lässt sich aus Sicht der Staatsregierung die unterschiedliche rechtliche Behandlung von Biergärten im Sinne der BierGaV mit einer Freischankfläche im Sinne der oben genannten Eingabe rechtfertigen? 2. a) Stimmt die Staatsregierung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in seiner Auffassung zu, wonach die TA Lärm keine Anwendung auf nichtgenehmigungsbedürftige Freizeitanlagen sowie Freiluftgaststätten findet, sondern hier vielmehr § 22 Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit der sog. Freizeitlärmrichtlinie der Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz Anwendung findet? b) Wie lässt sich dann aus Sicht der Staatsregierung begründen, warum die TA Lärm Anwendung auf Freischankflächen im Sinne der oben genannten Eingabe findet (vgl. VG Ansbach, Entscheidung vom 11.07.2013, Az.: AN 4 K 13.00231/AN 4 K 13.00317, Rn. 66, zit. nach juris)? 3. a) Beabsichtigt die Staatsregierung, die im Schreiben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit an den Petenten der oben genannten Petition aufgezeigten „Handlungsspielräume der Bundesländer“ zu nutzen, z. B. durch eine gesetzliche Regelung, die sowohl für Freischankflächen als auch für die Außengastronomie eine Bewirtung im Außenbereich bis 23 Uhr analog der BierGaV gestattet? b) Wenn nein, aus welchen rechtlichen Erwägungen heraus hält die Staatsregierung eine solche gesetzliche Regelung, insbesondere unter dem Aspekt der Gleichbehandlung und Rechtsklarheit, für nicht erforderlich? 4. a) Hält die Staatsregierung die Gestattungspraxis auf der Grundlage des GastG für praktikabel, wonach Reisegastwirte auf Volksfesten neben der auf Lebenszeit erteilten Reisegewerbekarte für jedes einzelne Volksfest eine kostenpflichtige Gestattung beantragen müssen? b) Gibt es aufseiten der Staatsregierung Erwägungen, auf die derzeitig erforderlichen Gestattungen im Rahmen eines Bayerischen Gaststättengesetzes zu verzichten ? c) Welche Gründe sprechen aus Sicht der Staatsregierung für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung (z. B. Aspekte des Verbraucherschutzes, Mehraufwand in der nachgelagerten Kontrolle für die Kommunen )? 5. Erwägt die Staatsregierung, von ihrem Recht, ein eigenes Bayerisches Gaststättengesetz zu erlassen, Gebrauch zu machen, auch um für die o. g. Fälle eindeutige Regelungen zu schaffen? Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 11.03.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz wie folgt beantwortet: 1. Wie lässt sich aus Sicht der Staatsregierung die unterschiedliche rechtliche Behandlung von Biergärten im Sinne der BierGaV mit einer Freischankfläche im Sinne der oben genannten Eingabe [Petition „Unsere Gustavstraße Fürth“ – Vorgangsmappe WI.0012.17] rechtfertigen? Die Bayerische Biergartenverordnung (BierGaV) gilt ausschließlich für Biergärten. In der Begründung zur BierGaV wird auf die Sonderstellung von traditionellen Biergärten im Unterschied zu anderer Außengastronomie hingewiesen. Biergärten im Sinne der Verordnung haben einen Gartencharakter , d. h. der Betrieb findet regelmäßig im Grünen statt – das Idealbild des Biergartens ermöglicht, unter großen Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.04.2014 17/1003 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/1003 Bäumen im Schatten zu sitzen. Biergärten erfüllen wichtige soziale und kommunikative Funktionen, weil sie seit jeher beliebte Treffpunkte breiter Schichten der Bevölkerung sind und ein ungezwungenes, soziale Unterschiede überwindendes Miteinander ermöglichen. Sie sind vor allem für die Verdichtungsräume ein ideales und unersetzliches Nahziel zur Freizeitgestaltung im Grünen. Sie sind regelmäßig gut zu erreichen und insbesondere durch die Möglichkeit zum Verzehr mitgebrachter Speisen eine erschwingliche Gelegenheit zum Einkehren. Gerade in Gebieten mit großer Bebauungsdichte ersetzen sie vielen Bürgern den Garten. Biergärten werden vom Großteil der Bevölkerung angenommen und sind weit über die Grenzen Bayerns hinaus als Ausdruck bayerischer Lebensart angesehen. Im Gegensatz zu sonstigen Freischankflächen, die eine unspezifische, flächenhaft verbreitete und völlig heterogene Erscheinung darstellen, handelt es sich bei Biergärten um eine kleine und überschaubare Fallzahl. Ein besonderes Interesse an einer Privilegierung von sonstigen Freischankflächen als landestypische Institutionen ist nicht erkennbar. 2. a) Stimmt die Staatsregierung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in seiner Auffassung zu, wonach die TA Lärm keine Anwendung auf nichtgenehmigungsbedürftige Freizeitanlagen sowie Freiluftgaststätten findet, sondern hier vielmehr § 22 Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit der sog. Freizeitlärmrichtlinie der Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz Anwendung findet? Gaststätten sind nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne von § 22 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG). Sie werden grundsätzlich von der TA Lärm als einer sog. normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift erfasst. Die TA Lärm findet von ihrem Wortlaut her jedoch keine Anwendung auf Freiluftgaststätten (vgl. Nr. 1b TA Lärm). Dabei ist zu differenzieren zwischen Freiluftgaststätten und Gaststätten mit Außengastronomie. Im Unterschied zu letzteren wird im Falle einer Freiluftgaststätte nicht nur der Betrieb der Gaststätte auf einige im Freien liegende Plätze erweitert, sondern tritt der im Freien liegende Bereich als eigenständiger Teil hinzu, wird z. B. für sich bewirtschaftet . Die sog. LAI-Freizeitlärmrichtlinie ist in Bayern nicht eingeführt . b) Wie lässt sich dann aus Sicht der Staatsregierung begründen, warum die TA Lärm Anwendung auf Freischankflächen im Sinne der oben genannten Eingabe findet (vgl. AG Ansbach, Entscheidung vom 11.07.2013, Az.: AN 4 K 13.00231/AN 4 K 13.00317, Rn. 66, zit. nach juris)? Bei den angesprochenen Freischankflächen handelt es sich nach der Entscheidung des VG Ansbach nicht um Freiluftgaststätten sondern um Gaststätten, mit Außengastronomie. 3. a) Beabsichtigt die Staatsregierung, die im Schreiben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit an den Petenten der oben genannten Petition aufgezeigten „Handlungsspielräume der Bundesländer“ zu nutzen, z. B. durch eine gesetzliche Regelung, die sowohl für Freischankflächen als auch für die Außengastronomie eine Bewirtung im Außenbereich bis 23 Uhr analog der BierGaV gestattet? Nein. b) Wenn, nein, aus welchen rechtlichen Erwägungen heraus hält die Staatsregierung eine solche gesetzliche Regelung, insbesondere unter dem Aspekt der Gleichbehandlung und Rechtsklarheit, für nicht erforderlich? Nach § 22 BImSchG sind Anlagen – hierzu gehören auch Freischankflächen – so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, bzw. dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Diese Vorschrift wird durch die TA Lärm konkretisiert. Die TA Lärm regelt allerdings keine Öffnungszeiten, sondern gibt als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, die mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden ist, Immissionsrichtwerte für die Tages- und die Nachtzeit vor (z. B. in Mischgebieten 60 db(A) tagsüber und 45 db(A) nachts). Die Nachtzeit beginnt nach der TA Lärm um 22.00 Uhr. Die TA Lärm sieht jedoch ausdrücklich vor, dass im Einzelfall die Nachtzeit bis zu einer Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden kann, soweit dies wegen der besonderen örtlichen oder wegen zwingender betrieblicher Verhältnisse unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderlich ist. § 23 Absatz 2 BImSchG ermächtigt die Länder, durch Rechtsverordnung bestimmte Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen an die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb nicht immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen zu regeln. Auf der Ebene des Landesrechtes kann von den Vorschriften des BImSchG inhaltlich nicht abgewichen werden, d. h. das in § 22 BImSchG abstrakt bestimmte und in der TA Lärm konkretisierte Schutzniveau darf nicht ohne Weiteres durch eine Landesverordnung unterschritten werden. Die Landesverordnung muss vielmehr dem in § 22 BImSchG gesetzlich vorgegebenen Schutzniveau entsprechen. Schöpft die untergesetzliche Konkretisierung die abstrakten gesetzlichen Anforderungen an die Pflichten der Betreiber immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen nicht aus, etwa weil sie schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, nicht verhindert oder, soweit diese unvermeidbar sind, nicht auf das rechtlich gebotene Mindestmaß beschränkt, greift die gesetzliche Regelung ein. Bundesrecht bricht hier Landesrecht (Artikel 31 Grundgesetz). Zwar kann der Verordnungsgeber die im BImSchG allgemein umschriebene Schwelle zumutbarer Lärmbelastung aufgrund abstraktgenereller Abwägung der widerstreitenden Interessen dergestalt verbindlich festlegen, dass für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Zumutbarkeit nur ausnahmsweise Raum ist. Jedoch setzt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Rechtswirksamkeit einer solchen typisierenden Regelung immer voraus, dass sie auf sachverständiger Grundlage die Besonderheiten des geregelten Sachbereichs mit der erforderlichen Differenzierung berücksichtigt, den vorgegebenen Wertungsrahmen durch im Regelfall hinreichende Schutzstandards ausfüllt und – wenn nach Lage der Dinge geboten – bei atypischen Sonderlagen Abweichungen im Einzelfall zulässt. Vor dem Hintergrund dieser hohen rechtlichen Anforde- Drucksache 17/1003 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 rungen an den Erlass einer Landesverordnung, des fehlenden besonderen Bedürfnisses der Privilegierung von Freischankflächen und angesichts der überragenden Bedeutung der Nachtruhe für die Gesundheit der Bevölkerung bestehen erhebliche rechtliche und tatsächliche Bedenken, die Öffnungszeiten von Freischankflächen generell zu verlängern . 4. a) Hält die Staatsregierung die Gestattungspraxis auf der Grundlage des GastG für praktikabel, wonach Reisegastwirte auf Volksfesten neben der auf Lebenszeit erteilten Reisegewerbekarte für jedes einzelne Volksfest eine kostenpflichtige Gestattung beantragen müssen? Die gaststättenrechtliche Gestattung nach § 12 Gaststättengesetz (GastG) hat für die Verwaltungspraxis große Bedeutung . Sie bietet der zuständigen Behörde (d. h. der Gemeinde vor Ort) – im Gegensatz zur Reisegewerbekarte nach § 55 Abs. 2 Gewerbeordnung – die Möglichkeit einer konzentrierten Prüfung aller Aspekte, die bei Veranstaltungen zu beachten sind. Die anlassbezogene Prüfung erlaubt die Berücksichtigung – insbesondere durch die Erteilung von Auflagen – von für die konkrete Veranstaltung spezifischen Gefahrenquellen. b) Gibt es aufseiten der Staatsregierung Erwägungen , auf die derzeit erforderlichen Gestattungen im Rahmen eines Bayerischen Gaststättengesetzes zu verzichten? Nein. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Ausschuss für Wirtschaft und Medien, Infrastruktur, Bau und Verkehr, Energie und Technologie in seiner 8. Sitzung am 20. Februar 2014 einen Antrag des Abgeordneten Josef Zellmeier (Drs. 17/549) betreffend die Herausnahme des Reisegewerbes aus der Gestattungspflicht beim Gaststättenrecht federführend beraten und einstimmig Zustimmung empfohlen hat. Mit diesem Antrag soll die Staatsregierung aufgefordert werden, zu prüfen, wie das Reisegewerbe aus der Gestattungspflicht beim Gaststättengesetz herausgenommen werden kann. Die Staatsregierung wird das Anliegen nach Vorliegen des Landtagsbeschlusses dementsprechend prüfen. c) Welche Gründe sprechen aus Sicht der Staatsregierung für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung (z. B. Aspekte des Verbraucherschutzes, Mehraufwand in der nachgelagerten Kontrolle für die Kommunen)? Wie unter 4. a) erläutert, stellt das Instrument der Gestattung für die Kommunen ein wichtiges Instrument dar, Veranstaltungen unter Sicherheitsaspekten zu planen und so den Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten. 5. Erwägt die Staatsregierung, von ihrem Recht, ein eigenes Bayerisches Gaststättengesetz zu erlassen , Gebrauch zu machen, auch um für die o. g. Fälle eindeutige Regelungen zu schaffen? Nein.