Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Natascha Kohnen SPD vom 09.12.2013 Systemrelevanz des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld Vor dem Hintergrund der Debatte zur Systemrelevanz des AKW Grafenrheinfeld für die Versorgungssicherheit in Nordbayern frage ich die Staatsregierung: 1. Wo und wie häufig wurden Netzengpässe in Nordbayern (differenziert nach Übertragungsnetz und Verteilnetz ) seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2013 - bei hoher Grundlastnachfage, - bei hoher Spitzenstromerzeugung registriert? 2. Mit welcher Strommenge und aus welchen Ersatzkapazitäten wurde in den Jahren 1990 bis 2013 die Versorgungssicherheit in Nordbayern sichergestellt, in Zeiten, in denen das AKW Grafenrheinfeld nicht am Netz war? 3. Wie ist der prognositizierte Unterschied zu Frage 2 in Strommenge und Ersatzkapazitäten bezogen auf die Versorgungssituation nach dem endgültigen Abschalten des AKW Grafenrheinfeld? 4. Wie sieht die Staatsregierung die Rückwirkung (Strommenge) auf die Auslastung von Gaskraftwerken wie z. B. Irsching bzw. die Auslastung der Thüringer Strombrücke nach dem Abschalten des AKW Grafenrheinfeld ? Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 10.03.2014 1. Wo und wie häufig wurden Netzengpässe in Nordbayern (differenziert nach Übertragungsnetz und Verteilnetz) seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2013 - bei hoher Grundlastnachfrage, - bei hoher Spitzenstromerzeugung registriert? Detaillierte, auf Nordbayern bezogene Daten liegen nicht vor. Die Zahl der Netzeingriffe nach § 13 (1) und § 13 (2) EnWG hat in der Regelzone der TenneT TSO GmbH, die sich u. a. über ganz Nordbayern erstreckt, in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Im Jahr 2003 waren es im ganzen Jahr insgesamt zwei Ereignisse an zwei Tagen. 2011 und 2012 waren es etwa 1.000 Ereignisse an mehr als 300 Tagen (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Ereignise, die Eingriffe in den Netzbetrieb erfordern – Regelzone TenneT Ein Schwerpunkt der Eingriffe liegt seit einigen Jahren in Nordbayern. Der größte Teil der durchzuführenden Maßnahmen entfällt auf die Kuppelleitung zwischen Bayern und Thüringen (Remptendorf – Redwitz), die sehr stark belastet ist. Zur Entlastung dieser Leitung musste in den letzten Wintern Redispatch in folgender Größenordnung durchgeführt werden: Jahr Dauer (in h) Menge (in MWh) 2010/2011 805 100.150 2011/2012 2.000 2.140.997 2012/2013 983 521.988 Quelle: Bundesnetzagentur nach Meldung der Übertragungsnetzbetreiber Damit gehört diese Leitung zu den am stärksten belasteten Netzelementen im deutschen Übertragungsnetz. Die bayerischen Behörden arbeiten deshalb mit höchster Priorität am Planfeststellungsbeschluss für die Thüringer Strombrücke (380-kV-Leitung Altenfeld – Redwitz – Grafenrheinfeld), die zur Entspannung der Situation beitragen wird. Im Verteilnetz sind größere Netzengpässe infolge der Rückspeisung lokal nicht benötigten Stroms aus erneuerbaren Energien in Nordbayern bisher selten. Genauere Zahlen liegen nicht vor. 2. Mit welcher Strommenge und aus welchen Ersatzkapazitäten wurde in den Jahren 1990 bis 2013 die Versorgungssicherheit in Nordbayern sichergestellt , in Zeiten, in denen das AKW Grafenrheinfeld nicht am Netz war? Der Einsatz von Kraftwerken wird seit der Strommarktliberalisierung durch den europäischen Strommarkt bedingt. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.04.2014 17/1005 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/1005 Abgesehen von möglichen marktlichen Nichtverfügbarkeiten geht das Kraftwerk einmal im Jahr in Revision. Diese Revision stimmt der Kraftwerksbetreiber mit dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber ab. Damit ist sichergestellt, dass Revisionen nicht in Zeiten der Spitzenlast durchgeführt werden. Der Ersatz der Leistung Grafenrheinfelds erfolgt dadurch, dass Kraftwerke mit den nächstgünstigen Preisgeboten über die Merit-Order an der Strombörse zum Zuge kommen. Kurzfristige ungeplante Nichtverfügbarkeiten, wie bspw. ein Kraftwerksausfall, können durch das n-1-Prinzip aufgefangen werden. Dieses besagt, dass sichergestellt sein muss, dass die Netze auch bei Ausfall eines Betriebsmittels stabil betrieben werden können. 3. Wie ist der prognostizierte Unterschied zu Frage 2 in Strommenge und Ersatzkapazitäten bezogen auf die Versorgungssituation nach dem endgültigen Abschalten des AKW Grafenrheinfeld? Wesentlicher Unterschied ist, dass das KKW Grafenrheinfeld dann ganzjährig nicht zur Verfügung steht, während bislang Revisionen in Zeiten mit unkritischer Netzbelastung gelegt werden konnten. Die wegfallende Strommenge von jährlich durchschnittlich 9,6 Terawattstunden wird durch den europäischen Strommarkt gemäß der Einsatzreihenfolge der Kraftwerke nach der Merit-Order abgedeckt werden. Für den Fall, dass Ende 2015 die Thüringer Strombrücke trotz der vorrangigen Bearbeitung des Planfeststellungsverfahrens durch die bayerischen Behörden noch nicht in Betrieb ist, hat die Bundesnetzagentur in ihrem „Bericht und Feststellung zum Bedarf an Reservekraftwerken für den Winter 2015/2016 (t+3)“ nach der Reservekraftwerksverordnung einen Bedarf von 5,3 GW Redispatch in Süddeutschland , davon 2,9 GW Einsatz von Reservekraftwerken in Süddeutschland , sowie Redispatch mit Kraftwerken im Ausland von 1,9 GW ausgewiesen. Die Bayerische Staatsregierung vertritt die Auffassung, dass der Rückgriff auf ausländische, weit entfernte Kraftwerke mit Risiken für die Stabilität der bayerischen Stromversorgung verbunden ist. Die Ausschreibung des Neubaus von Reserve-Gaskraftwerken in Bayern ist deshalb durch die Bundesnetzagentur im Rahmen der Reservekraftwerksverordnung umgehend zu veranlassen, weil bisher nicht verlässliche Ersatzkapazitäten aus europäischen Nachbarländern unter Vertrag stehen. 4. Wie sieht die Staatsregierung die Rückwirkung (Strommenge) auf die Auslastung von Gaskraftwerken wie z. B. Irsching bzw. die Auslastung der Thüringer Strombrücke nach dem Abschalten des AKW Grafenrheinfeld? Der Einsatz von Kraftwerken hängt seit der Strommarktliberalisierung von den aktuellen Marktbedingungen auf dem europäischen Strommarkt ab. Nennenswerte Veränderungen der Auslastung von Gaskraftwerken sind mit der Einführung sogenannter Kapazitätsmärkte zu erwarten, die auch das Zurverfügungstellen von Leistung honorieren. Die Auslastung der Thüringer Strombrücke allerdings wird infolge der Abschaltung des KKW Grafenrheinfeld von Beginn an hoch sein.