Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Volkmar Halbleib SPD vom 10.10.2013 Verzicht auf Steuerforderungen in Milliardenhöhe Aufgrund von Medienberichten über den Verzicht auf Steuerforderungen durch die Steuerverwaltung in Deutschland in Höhe von 6,249 Milliarden Euro in 2009, 5,601 Milliarden Euro in 2010 und 6,033 Milliarden Euro in 2011 (dpa am 7. Oktober: „Steuern....entweder komplett erlassen oder die Forderungen wegen erwiesener Erfolglosigkeit beim Eintreiben intern zu den Akten gelegt“) frage ich die Staatsregierung : 1. In welcher Höhe wurde durch die bayerische Steuerverwaltung jeweils in den Jahren 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011 und – soweit vorhanden – 2012 aus welchen Gründen verzichtet? 2. Ist der Staatsregierung bekannt, wie in diesen Jahren jeweils die Daten über den Verzicht auf Steuerforderungen in den anderen Ländern und in Deutschland insgesamt lauten? 3. Wer entscheidet in Bayern auf welcher Grundlage und beim Vorliegen welcher Gründe über den Forderungsverzicht gegenüber Steuerschuldnern? 4. Welche Maßnahmen und Strategien wurden in der bayerischen Steuerverwaltung in die Wege geleitet, um den Forderungsverzicht gegenüber Steuerschuldnern zu verringern , und welche weiteren Maßnahmen und Strategien sind geplant? Antwort des Staatsministeriums der Finanzen, für Landesent­ wicklung und Heimat Vorbemerkung: Das Bundesministerium der Finanzen hat kürzlich seinen (jährlichen) Bericht über den Stand und die Entwicklung der bundesweiten Rückstände an Besitz- und Verkehrssteuern für das Jahr 2011 veröffentlicht. Darin aufgelistet ist auch der Umfang gewährter Erlasse und erfolgter Niederschlagungen . Eine Niederschlagung führt – anders als ein Erlass – nicht zum Erlöschen eines steuerlichen Anspruchs; sie hat auch nicht die Wirkung einer Stundung. Die Niederschlagung ist eine rein verwaltungsinterne Entscheidung, vorerst keine weiteren Versuche zur Beitreibung eines offenkundig nicht bzw. nicht mit verhältnismäßigen Mitteln durchsetzbaren steuerlichen Anspruchs zu unternehmen. Das Beitreibungsverfahren kann bei veränderter Sachlage, die von den Finanzämtern in regelmäßigen Abständen überprüft wird, jederzeit wieder aufgenommen werden. 1. In welcher Höhe wurde durch die bayerische Steuer­ verwaltung jeweils in den Jahren 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011 und – soweit vorhanden – 2012 aus welchen Gründen verzichtet? Die in der Bundesstatistik angesprochenen Erlasse und Niederschlagungen von Besitz- und Verkehrssteuern sind in ihrer Wirkung nicht vergleichbar (vgl. Vorbemerkung). Bezogen auf Bayern stellen sich diese Maßnahmen in den Jahren 2002 bis 2012 wie folgt dar: Jahre Erlasse in Mio. € Davon ent­ fallen auf Insolvenz­ fälle Anteil am Kassensoll insgesamt Anteil am Kassensoll insolvenz­ bereinigt Nieder­ schlagun­ gen in Mio. € Anteil am Kassensoll 2002 5,33 0,94 0,01 % 0,01 % 958,9 1,52 % 2003 11,53 1,57 0,02 % 0,02 % 758,58 1,23 % 2004 5,04 1,19 0,01 % 0,01 % 747,14 1,21 % 2005 7,45 2,56 0,01 % 0,01 % 663,12 1,07 % 2006 15,52 4,15 0,02 % 0,02 % 671,56 1,03 % 2007 23,80 17,53 0,03 % 0,01 % 569,07 0,79 % 2008 47,30 37,27 0,06 % 0,01 % 554,39 0,72 % 2009 100,86 71,86 0,13 % 0,04 % 704,47 0,91 % 2010 124,78 111,07 0,17 % 0,02 % 764,58 1,05 % 2011 130,40 113,87 0,16 % 0,02 % 628,17 0,79 % 2012 160,50 141,07 0,19 % 0,02 % 616,08 0,74 % Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können gemäß § 227 Abgabenordnung (AO) nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden, wenn deren Einziehung im Einzelfall unbillig wäre. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten strengen Kriterien ist zwischen sachlichen und persönlichen Billigkeitserwägungen zu differenzieren. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen kann in Betracht kommen, wenn die Steuereinziehung infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint. Aus persönlichen Gründen kann ein Erlass im Allgemeinen nur dann gewährt werden, wenn ein Steuerpflichtiger ohne den Erlass seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten oder seine Erwerbstätigkeit nicht mehr fortsetzen könnte. Im Rahmen persönlicher Billigkeitserwägungen müssen gegebenenfalls aber auch die Intentionen und Wirkungen des Insolvenzrechts berücksichtigt werden. Insbesondere für Verbraucherinsolvenzfälle wurden deshalb bundeseinheitliche Maßstäbe für das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren aufgestellt. Ebenso ist der Fiskus in Fällen, in denen Insolvenzgerichte nach den Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 15.01.2014 17/102 Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/102 Regelungen der Insolvenzordnung (InsO) eine Restschuldbefreiung aussprechen (vgl. §§ 286 ff. InsO), an der Geltendmachung steuerlicher Insolvenzforderungen gesetzlich gehindert, was einem Erlass faktisch gleichkommt und deshalb auch als solcher statistisch erfasst wird. 2. Ist der Staatsregierung bekannt, wie in diesen Jahren jeweils die Daten über den Verzicht auf Steuerforde­ rungen in den anderen Ländern und in Deutschland insgesamt lauten? Die Steuerverwaltungen der Länder stellen dem Bundesministerium der Finanzen die notwendigen Daten zur Erstellung der jährlichen Berichte über den Stand und die Entwicklung der Rückstände an Besitz- und Verkehrssteuern mit der Maßgabe der Veröffentlichung in konsolidierter Form zur Verfügung. Die Erlasse und Niederschlagungen von Besitz- und Verkehrssteuern stellen sich im Bundesgebiet in den Jahren 2002 bis 2011 wie folgt dar (ein Bericht des Bundesministeriums der Finanzen für das Jahr 2012 liegt noch nicht vor): Jahre Erlasse in Mio. € Anteil am Kassensoll insgesamt Niederschlagun­ gen in Mio. € Anteil am Kassensoll 2002 38,47 0,01 % 6.191,20 1,67 % 2003 78,52 0,02 % 5.699,80 1,56 % 2004 40,79 0,01 % 5.580,52 1,53 % 2005 386,55 0,10 % 5.201,42 1,41 % 2006 66,62 0,02 % 5.390,02 1,37 % 2007 113,93 0,03 % 4.157,46 0,95 % 2008 318,34 0,07 % 4.333,18 0,95 % 2009 622,58 0,14 % 5.626,46 1,29 % 2010 845,92 0,20 % 4.755,96 1,12 % 2011 885,23 0,20 % 5.147,99 1,16 % 3. Wer entscheidet in Bayern auf welcher Grundlage und beim Vorliegen welcher Gründe über den Forde­ rungsverzicht gegenüber Steuerschuldnern? Über den Erlass von Besitz- und Verkehrssteuern (i. S. der Bundesstatistik; ohne Kommunalabgaben) entscheiden die örtlich zuständigen Finanzämter im Rahmen des Steuererhebungsverfahrens (§ 17 Abs. 2 Finanzverwaltungsgesetz – FVG – i. V. m. §§ 16 ff. AO). Das steuerliche Erlassverfahren ist bundesweit einheitlich geregelt. Je nach Umfang des zu gewährenden Erlasses müssen die Finanzämter hierzu vorher die Zustimmung ihrer vorgesetzten Dienstbehörden einholen. Die Zustimmungserfordernisse und -grenzen ergeben sich aus einem gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 15. April 2008 sowie einer Anweisung des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. Juli 2003. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage und der Voraussetzungen für einen Erlass wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Welche Maßnahmen und Strategien wurden in der bayerischen Steuerverwaltung in die Wege gelei­ tet, um den Forderungsverzicht gegenüber Steuer­ schuldnern zu verringern, und welche weiteren Maß­ nahmen und Strategien sind geplant? Für den Vollzug der Steuergesetze gelten bereits jetzt strenge Regelungen. Insbesondere für einen Steuererlass haben sich im Laufe der Zeit durch die Gesetzgebung und die hierzu ergangene Rechtsprechung der Finanzgerichte hohe Hürden herausgebildet. Die statistischen Auswertungen der letzten Jahre bestätigen das Ergebnis vielfacher Geschäftsprüfungen durch das Bayerische Landesamt für Steuern, dass die bayerische Steuerverwaltung das Instrument des Billigkeitserlasses sehr zurückhaltend anwendet. Die erlassenen steuerlichen Ansprüche sind zudem beginnend ab dem Jahr 2007 meist insolvenzrechtlich begründet.