Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 19.01.2016 Ehemalige Neonazi-Immobilie im Allgäu Anfang August 2015 berichtete die Antifaschistische Informations -, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.) auf ihrer Homepage über eine von Neonazis genutzte Immobilie im schwäbischen Rieggis (https://www. aida-archiv.de/index.php/aktuelles-2/128-rechte-in-bayern/ immobilien/5000-eine-nazi-immobilie-im-allgaeu). Etwa zeitgleich – am 30. Juli 2015 – antwortete das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Bündnis 90/ Die Grünen) Folgendes: „Mit Ausnahme der zuvor genannten Objekte in Kolitzheim und Murnau gibt es in Bayern keine Immobilie, die von Rechtsextremisten über bloße Wohnzwecke hinaus wiederholt und in größerem Ausmaße für politische Zwecke genutzt wird.“ (Drs. 17/7862) Die Immobilie in Rieggis hatten die bayerischen Sicherheitsbehörden also damals – nach eigenen Angaben – nicht im Blick. Dies verdeutlicht auch die von a.i.d.a. zitierte Antwort des Pressesprechers des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, Christian Eckel, auf die Frage nach der Nutzung der Immobilie durch die rechtsextreme ‚Artgemeinschaft‘: „Im Zuständigkeitsbereich des Präsidiums Schwaben Süd/ West sind keine Aktivitäten der ‚Vereinigung Artgemeinschaft ‛ bekannt.“ Nun berichtete auch der Bayerische Rundfunk über die lange Zeit unbehelligten Aktivitäten der Neonazis in Schwaben : „Weitgehend unbemerkt und unbehelligt hatte der Buchversand der Neonazi-Organisation ‚Artgemeinschaft‘ Bestseller der Szene wie ‚Ahnenverehrung‘, ‚Brauchtum im Artglauben‘ und ‚Germanische Schöpfungssagen‘ aus dem Allgäu nach ganz Deutschland verschickt. Über Jahre hinweg hatte kaum einer von dem Buchdienst der nicht unbedeutenden Neonazi-Organisation Notiz genommen.“ (http://www.br.de/nachrichten/schwaben/inhalt/versteigerung -neonazi-immobilie-rieggis-amtsgericht-104.html) Im Widerspruch zur Antwort auf die bereits genannte Schriftliche Anfrage Drs. 17/7862 heißt es im BR-Bericht weiter: „Lediglich der Verfassungsschutz gibt an, ihm sei der Nazi- Buchversand im Oberallgäu bekannt gewesen.“ Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1.1 Seit wann hatte die Staatsregierung Kenntnis von den neonazistischen Aktivitäten im schwäbischen Rieggis? 1.2 Welche konkreten Erkenntnisse hat die Staatsregierung über diese Aktivitäten? 1.3 Standen die Immobilie in Rieggis bzw. die dort agierenden Neonazis unter der Beobachtung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV)? 2. Inwiefern wurde gegen die Aktivitäten strafrechtlich vorgegangen? 3.1 Weshalb wurde die Immobilie in Rieggis in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) (Drs. 17/7862) nicht erwähnt? 3.2 Welche weiteren Immobilien, die in Bayern von Neonazis für politische Zwecke genutzt werden, fanden in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) (Drs. 17/7862) keine Erwähnung – und aus welchem Grund wurden sie verschwiegen? 4. Weshalb wurde das zuständige Polizeipräsidium vom BayLfV nicht über die neonazistischen Aktivitäten in Rieggis informiert? 5. Wie plant die Staatsregierung vor diesem Hintergrund, die Kommunikation zwischen dem BayLfV und der Polizei künftig zu verbessern? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 14.03.2016 Vorbemerkung: Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) definierte bereits in der Vergangenheit rechtsextremistisch genutzte Immobilien als solche, die zum Zwecke der Schaffung regionaler Strukturen und Anlaufstellen erworben oder angemietet wurden (vgl. z. B. Verfassungsschutzberichte der Jahre 2010 und 2012–2014). So werden darunter Immobilien verstanden, zu denen Rechtsextremisten durch Miet-/Pachtvertrag oder Eigentum uneingeschränkt Zugang haben und die überwiegend für rechtsextremistische Veranstaltungen wie Schulungen oder Versammlungen genutzt werden. Davon abzugrenzen sind überwiegend als Wohnobjekte oder zu Geschäftszwecken genutzte Immobilien wie z. B. Vertriebe und Versandhandel. Da das in der vorliegenden Schriftlichen Anfrage der Frau Abgeordneten Katharina Schulze hinterfragte Objekt in Rieggis nach Bewertung des BayLfV nicht unter diese Definition fällt, wurde es in der Antwort vom 30.07.2015 zur vorangegangenen Schriftlichen Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze vom 02.07.2015 konsequenterweise auch nicht erwähnt (vgl. Drs. 17/7862 vom 30.09.2015). Darüber hinaus unterliegen personenbezogene Daten (wie z. B. die Wohnanschriften von Extremisten aus allen Phänomenbereichen) dem Datenschutz und dürfen der Öffentlichkeit nur unter den Voraussetzungen des Art. 15 Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.04.2016 17/10560 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/10560 Satz 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) bekanntgegeben werden. Hierzu muss das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Personen an der Wahrung ihrer Anonymität überwiegen. Dabei sind die Wohnorte als privater Lebensmittelpunkt besonders schützenswert. Stets zu beachten ist zudem, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Antiterrordateigesetz vom 24.04.2013 (Az. 1 BvR 1215/07) einer Informationsübermittlung der Verfassungsschutzbehörden an die Polizei zum Zwecke des operativen Tätigwerdens sehr enge Grenzen gesetzt hat (sog. informationelles Trennungsprinzip). 1.1 Seit wann hatte die Staatsregierung Kenntnis von den neonazistischen Aktivitäten im schwäbischen Rieggis? Die benannte Immobilie ist dem BayLfV seit Ende 2012 als Wohnsitz von Rechtsextremisten bekannt. 1.2 Welche konkreten Erkenntnisse hat die Staatsregierung über diese Aktivitäten? In der Immobilie waren zwei dem BayLfV bekannte Rechtsextremisten mit erstem Wohnsitz gemeldet. Das Objekt beherbergte in der Vergangenheit den Buchdienst der rechtsextremistischen Gruppierung „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V.“. Wie u. a. der Bayerische Rundfunk auf seiner Homepage am 15.01.2016 berichtete, ist die Immobilie mittlerweile versteigert worden. 1.3 Standen die Immobilie in Rieggis bzw. die dort agierenden Neonazis unter der Beobachtung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV)? Die vormals dort wohnhaften Rechtsextremisten sind dem BayLfV bekannt und unterliegen der Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden . 2. Inwiefern wurde gegen die Aktivitäten strafrechtlich vorgegangen? Im Benehmen mit dem Staatsministerium der Justiz wird mitgeteilt, dass aufgrund einer zivilrechtlichen Streitigkeit zwischen den beiden in Frage 1.2 erwähnten Rechtsextremisten und hierauf wechselseitig erstatteten Anzeigen bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft gegen einen der Bewohner ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung (§ 241 Strafgesetzbuch – StGB) u. a., gegen den anderen Bewohner ein Vorermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB) eingeleitet wurde. Das Vorermittlungsverfahren wurde auf Grundlage des § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt , da ein „Verwenden“ von Kennzeichen im Sinne des § 86 a StGB nicht gegeben war. Das gegen den anderen Bewohner wegen des Tatvorwurfs der Bedrohung geführte Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. 3.1 Weshalb wurde die Immobilie in Rieggis in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) (Drs. 17/7862) nicht erwähnt? Zur Beantwortung von Frage 3.1 wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 3.2 Welche weiteren Immobilien, die in Bayern von Neonazis für politische Zwecke genutzt werden, fanden in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Bündnis 90/ Die Grünen) (Drs. 17/7862) keine Erwähnung – und aus welchem Grund wurden sie verschwiegen? Die Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Drs. 17/7862) besitzt unter den in der Vorbemerkung genannten Kriterien weiterhin Gültigkeit. 4. Weshalb wurde das zuständige Polizeipräsidium vom BayLfV nicht über die neonazistischen Aktivitäten in Rieggis informiert? Zu den dort wohnhaften Rechtsextremisten wurden Informationen mit den zuständigen Dienststellen der Polizei ausgetauscht . 5. Wie plant die Staatsregierung vor diesem Hintergrund , die Kommunikation zwischen dem BayLfV und der Polizei künftig zu verbessern? Die Zusammenarbeit zwischen dem BayLfV und den verschiedenen Polizeidienststellen ist gut. Es findet sowohl ein intensiver regelmäßiger als auch ein anlassbezogener Informationsaustausch zwischen dem BayLfV und den Polizeidienststellen statt. Darüber hinaus wird auf die Vorbemerkung verwiesen.