Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gabi Schmidt FREIE WÄHLER vom 09.02.2016 Entwicklung der Bestände geschützter Vogelarten in Mittelfranken Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie hoch waren die Brutbestände streng bzw. besonders geschützter Vogelarten in Mittelfranken in den Jahren 1985, 2000 und 2015 (Bestände bitte je Landkreis und speziell für die Region Aischgrund)? 2. Welche Ursachen haben positive oder negative Bestandstrends bei den jeweiligen Arten in der jeweiligen Region? 3. Für welche der streng bzw. besonders geschützten Vogelarten existieren seit wann Artenhilfsprogramme? 4. Welche Artenhilfsmaßnahmen wurden für die einzelnen Arten umgesetzt? 5. Welche messbaren Effekte auf die Bestandsentwicklung hatten die Artenhilfsprogramme für die einzelnen Arten? a) Von welchen Einrichtungen bzw. Personen sind die Bestände erfasst worden? b) Gibt es eine wissenschaftliche Qualitätsprüfung dieser Ergebnisse? 6. Welche Vogelarten sind in Mittelfranken in den vergangenen 30 Jahren ausgestorben (bitte je Landkreis und speziell für die Region Aischgrund)? a) Was ist die Ursache für das jeweilige Aussterben? b) Was wird getan, um die bereits ausgestorbenen Arten zu schützen und wieder in der jeweiligen Region heimisch zu machen? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 14.03.2016 1. Wie hoch waren die Brutbestände streng bzw. besonders geschützter Vogelarten in Mittelfranken in den Jahren 1985, 2000 und 2015 (Bestände bitte je Landkreis und speziell für die Region Aischgrund )? Nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) gelten alle europäischen Vogelarten als „besonders geschützt“. In Bayern sind dies allein über 200 Brutvogelarten. Zusätzlich „streng geschützt“ sind nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG in Bayern weitere mehr als 70 Brutvogelarten . Der größte Teil dieser Vogelarten brütet auch in Mittelfranken. Für die Erfassungsperioden 1979–1983, 1996–1999 und 2005–2009 gibt es jeweils veröffentlichte umfangreiche Übersichten zu Verbreitung, Bestand und Bestandsentwicklung der bayerischen Brutvogelarten (Bayerische Brutvogelatlanten 1987, 2005 und 2012). Angaben zu Bestandsgröße und -trends auf Bezirksebene liegen dagegen nicht vor. Die notwendigen Recherchen auf Bezirksebene für über 200 Brutvogelarten sind in der Kürze der Beantwortungszeit nicht durchführbar. 2. Welche Ursachen haben positive oder negative Bestandstrends bei den jeweiligen Arten in der jeweiligen Region? Siehe Antwort zu Frage 1. 3. Für welche der streng bzw. besonders geschützten Vogelarten existieren seit wann Artenhilfsprogramme ? Für folgende in Mittelfranken vorkommende Vogelarten gibt es landesweite Artenhilfsprogramme: Weißstorch (seit 1980), Wanderfalke (seit 1982), Wiesenweihe (seit 1999), Uhu (seit 2001), Ortolan (seit 2006), Wiesenbrüter (besonders relevante Arten: Großer Brachvogel, Uferschnepfe, Rotschenkel, Wachtelkönig, Bekassine, Braunkehlchen, Wiesenpieper, Grauammer, Kiebitz, seit 2014). 4. Welche Artenhilfsmaßnahmen wurden für die einzelnen Arten umgesetzt? Weißstorch: Schutz und Sicherung von Nahrungshabitaten, Bereitstellung von Horstunterlagen, Sicherung von gefährlichen Energiefreileitungen nach § 41 BNatSchG, Ausweisung von Europäischen Schutzgebieten (SPA), Öffentlichkeitsarbeit , Monitoring von Brutbestand und Bruterfolg, Aufbau ehrenamtliches Mitarbeiternetz. Wanderfalke: Horstbewachung, Beruhigung im Horst-Umfeld , Kletterkonzepte zum Schutz von Brutfelsen, Ausweisung von Europäischen Schutzgebieten (SPA) in Schwerpunktvorkommen , Öffentlichkeitsarbeit vor allem im Hinblick Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.04.2016 17/10627 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/10627 auf gezielte Vergiftungen, Monitoring von Brutbestand und Bruterfolg, Aufbau ehrenamtliches Mitarbeiternetz. Wiesenweihe: Schutz der Bruten vor dem Ausmähen bei der Getreideernte durch „Restflächenmethode“ (Stehenlassen einer Getreidefläche von 50 x 50 m um die Bodenhorste bis zum Ausfliegen der Jungvögel), Brut- und Nahrungsflächen -Management, intensive Zusammenarbeit mit Landwirten , Vermeidung von Anbau von Grünroggen und Feldgras, Ausweisung von Europäischen Schutzgebieten (SPA), Öffentlichkeitsarbeit , Durchführung von zwei internationalen Wiesenweihen-Workshops zum länderübergreifenden Informationsaustausch und zur gegenseitigen Unterstützung bei Schutzmaßnahmen für die Wiesenweihe, Koptereinsatz für die störungsarme Überprüfung des Brutfortschrittes in Bezug auf Mahdtermin, Monitoring des Brutbestandes und Bruterfolgs, Aufbau ehrenamtliches Mitarbeiternetz. Uhu: Betreuung von Uhu-Brutplätzen, Beruhigung im Horst-Umfeld, Kletterkonzepte zum Schutz von Brutfelsen, Steinbruchpakt zum Schutz von Brutplätzen in Abbaustellen , die noch im Betrieb sind, Sicherung von gefährlichen Energiefreileitungen nach § 41 BNatSchG, Ausweisung von Europäischen Schutzgebieten (SPA) in Schwerpunktvorkommen , Schutz und Sicherung von günstigen Nahrungshabitaten , Öffentlichkeitsarbeit, Monitoring von Brutbestand und Bruterfolg, Aufbau ehrenamtliches Mitarbeiternetz . Ortolan: Schutz und Sicherung geeigneter Brutlebensräume mit ausreichendem Singwartenangebot, Bewirtschaftungsvereinbarungen mit Landwirten für eine an die Ansprüche des Ortolans angepasste Nutzung, Beratung bei forstwirtschaftlichen Eingriffen und Flurneuordnungsverfahren , Öffentlichkeitsarbeit, Monitoring des Brutbestandes, Aufbau ehrenamtliches Mitarbeiternetz. Wiesenbrüter: Einrichten einer Projektstelle „Wiesenbrüter “ am Bayerischen Landesamt für Umwelt (2013–2018) zum Installieren des Artenhilfsprogramms und zur Umsetzung der sog. Wiesenbrüteragenda, Bewirtschaftungsmaßnahmen im Sinne des Wiesenbrüterschutzes nach dem Vertragsnaturschutzprogramm (VNP), Besucherlenkung, Grünlanderhalt, -vermehrung und -Umbruchverbot, Verbesserung des Wasserhaushalts, Besucherlenkung, Ausweisung von Europäischen Schutzgebieten (SPA), Installierung von Wiesenbrüter-Beratern, Monitoring des Brutbestandes und Bruterfolgs, Aufbau ehrenamtliches Mitarbeiternetz. 5. Welche messbaren Effekte auf die Bestandsentwicklung hatten die Artenhilfsprogramme für die einzelnen Arten? Weißstorch: Der Brutbestand in Bayern steigt seit dem Tiefstand 1991 mit 53 Paaren stetig an. 2015 brachten 372 Storchenpaare insgesamt 796 Jungvögel zum Ausfliegen. Beides sind neue Rekordwerte seit Beginn der landesweiten Bestandserfassung im Jahr 1980. Wanderfalke: Der Brutbestand in Bayern wird derzeit auf 260–280 Paare geschätzt. Damit hat sich der Bestand mindestens auf dem Niveau vor dem pestizidbedingten Bestandsniedergang der 1950er- und 1960er-Jahre (DDT) stabilisiert . Mitte des letzten Jahrhunderts stand der Wanderfalke in Deutschland kurz vor dem Aussterben. Wiesenweihe: Der Brutbestand in Bayern beläuft sich 2015 auf 227 Paare. Diese brachten 616 Jungvögel zum Ausfliegen. Beide Größen stellen neue Rekordwerte seit Beginn der regelmäßigen Erfassungen dar. Ausgangspunkt der Entwicklung war das absolute Bestandstief 1994 mit nur noch 2 Brutpaaren in Bayern. Der sehr gute Bruterfolg 2015 ist vor allem auf die hohe Feldmausdichte im Vorjahr zurückzuführen . Für den Erfolg im Wiesenweihenschutz ist jedoch von essenzieller Bedeutung, dass die noch nicht flüggen Jungvögel vor dem Ausmähen geschützt werden. Uhu: Der Brutbestand in Bayern wird aktuell auf 450–550 Paare geschätzt. Um 1935 wurde der Bestand noch mit 22 Paaren angegeben. Der Bruterfolg ist in weiten Teilen Bayerns derzeit jedoch nur gering. Ob sich dies mittel- bis langfristig auf die Bestandsentwicklung auswirken wird, ist aktuell nicht sicher einschätzbar. Daher ist eine Fortführung der etablierten Schutzmaßnahmen erforderlich. Ortolan: Der Brutbestand in Bayern wird derzeit auf ca. 250 Paare geschätzt. Der Bestandseinbruch seit Ende der 1980er-Jahre von 900 auf unter 200 Paare (2009) konnte durch gezielte Artenhilfsmaßnahmen gebremst werden. 2015 wurde eine geringe Bestandszunahme ermittelt. Wiesenbrüter: Generell wird bei allen untersuchten Wiesenbrüterarten ein Rückzug aus der Fläche und eine Konzentration in wenigen Gebieten beobachtet. Von den 9 genannten Arten sind aktuell sechs Arten „vom Aussterben bedroht“ und zwei gelten als „stark gefährdet“. Das landesweite Artenhilfsprogramm wurde erst 2014 gestartet, sodass langfristige Effekte noch nicht nachweisbar sind. Zuvor wurden vor allem Maßnahmen des VNP und eine Vielzahl an „Klein“-Maßnahmen durchgeführt, mit denen der dramatische Bestandsrückgang in einigen Gebieten zumindest gebremst werden konnte. 5. a) Von welchen Einrichtungen bzw. Personen sind die Bestände erfasst worden? Die Erfassungen werden − koordiniert vom Landesamt für Umwelt − in Zusammenarbeit mit den relevanten Naturschutzverbänden (vor allem Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V.) und ehrenamtlich arbeitenden Art- und Gebietskennern durchgeführt. b) Gibt es eine wissenschaftliche Qualitätsprüfung dieser Ergebnisse? Ja. Durch die mit den Artenhilfsprogrammen beauftragten Fachleute des Landesbundes für Vogelschutz e.V. (LBV) sowie in Form von Plausibilitätskontrollen durch das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU). 6. Welche Vogelarten sind in Mittelfranken in den vergangenen 30 Jahren ausgestorben (bitte je Landkreis und speziell für die Region Aischgrund)? a) Was ist die Ursache für das jeweilige Aussterben? Zwischen 1985 und 2015 sind in Mittelfranken fünf Arten als Brutvögel verschwunden: Steinkauz: Der Steinkauz wurde in der bayernweiten Kartierung zwischen 1979 und 1983 in den Landkreisen Fürth, Ansbach und Neustadt a. d. Aisch als Brutvogel nachgewiesen . In dem wohl größten mittelfränkischen Vorkommen bei Bad Windsheim wurden 1974 noch 30, 1992 jedoch nur noch drei Brutpaare festgestellt. Seit 2000 ist der Steinkauz dort als Brutvogel verschwunden. In den anderen beiden Landkreisen ist die Art bereits vor 1996 ausgestorben. Als Rückgangsursachen sind vor allem Lebensraumverlust und -zerschneidung durch Siedlungs- und Straßenbau zu nennen, sowie die Ausräumung der Landschaft und die Aufgabe extensiver Nutzungsformen (v. a. Streuobstwiesen ). Folgen sind nicht nur der Mangel an Brutplätzen, sondern auch die Verschlechterung der Nahrungsgrundlage (Großinsekten, Würmer und Kleinsäuger). Drucksache 17/10627 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Rotkopfwürger: Das einzige mittelfränkische Vorkommen befand sich im Landkreis Neustadt a. d. Aisch. Während der bayernweiten Kartierung zwischen 1979 und 1983 konnte die Art dort noch in acht Rasterfeldern als wahrscheinlich oder möglicherweise brütend nachgewiesen werden. 1988 wurde die letzte Brut im Landkreis Ansbach festgestellt, seit 1992 ist die Art in ganz Bayern als Brutvogel ausgestorben. Die bayerischen Vorkommen lagen an der nördlichen Arealgrenze. Das Aussterben der wärmeliebenden Art wurde wohl vor allem durch die Zerstörung der Lebensräume, durch Zersiedelung und die Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung hervorgerufen. Haubenlerche: Spätestens Anfang des 19. Jahrhunderts wanderte die Haubenlerche in Bayern als Brutvogel ein, wo durch die Industrialisierung neue Bruthabitate entstanden. Die Art besiedelte hauptsächlich Nordbayern, wo sie im kurzrasigen Brach- und Ödland geeignete Brutplätze fand. Mit der Erschließung neuer Wohn- und Gewerbegebiete im letzten Viertel des 20sten Jahrhunderts wurden frühere Brutplätze zunehmend aufgegeben. Dies ist für Bayern in den Brutvogelatlanten gut dokumentiert. Der Zeitpunkt des Erlöschens der mittelfränkischen Brutvorkommen ist sehr wahrscheinlich um die Jahrtausendwende erfolgt. Sperbergrasmücke: Die bayerischen Vorkommen liegen an der westlichen Verbreitungsgrenze. Durch klimatische Änderungen mit hohen Juni-Temperaturen wurden die im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts aufgegebenen Brutgebiete zunächst wieder besiedelt. Seit 2002 ist der kleine Brutbestand im Landkreis Neustadt a. d. Aisch aber wieder erloschen. Brachpieper: Laut dem Atlas der Brutvögel Bayerns 1979–1983 kam der Brachpieper damals noch in einigen Gebieten mit trocken-warmem Sommerklima in Unter- und Mittelfranken als Brutvogel vor. Brutvorkommen wurden u. a. noch in den Landkreisen Roth, Weißenburg-Gunzenhausen, Fürth und Neustadt a. d. Aisch festgestellt. Die Art brütete auf kurzrasigen Wiesen und Brachflächen, Wacholderheiden , Trockenrasen und in trockenen Sand- und Kiesgruben. Danach wurden die letzten Brutreviere sukzessive aufgegeben . Die letzten Brachpieper Mittelfrankens und damit Bayerns haben wahrscheinlich um 2005 im Stadtgebiet Fürth auf dem Standortübungsplatz Hainberg gebrütet. Als Grund für das Aussterben in Bayern ist v. a. die Aufgabe traditioneller Bewirtschaftungsformen wie insbesondere der Schafbeweidung zu sehen. Ebenso dürfte die rasche Sukzession oder die Verfüllung in den Abbaugebieten eine Rolle gespielt haben. b) Was wird getan, um die bereits ausgestorbenen Arten zu schützen und wieder in der jeweiligen Region heimisch zu machen? Die Wiedereinbürgerung bereits ausgestorbener Arten ist kein Schwerpunkt des Artenschutzes in Bayern, zumal in der Regel kaum noch geeignete Lebensräume für diese zumeist anspruchsvollen Arten existieren. Die Schutzbemühungen konzentrieren sich auf noch vorkommende bestandsbedrohte Arten. Bei Wiederauftreten ausgestorbener Brutvogelarten ergreifen die Naturschutzbehörden selbstverständlich geeignete Maßnahmen zum Schutz der Vorkommen.