Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 23.03.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst wie folgt beantwortet: 1. Schließt sich Bayern dem Ziel des Bundeslandwirtschaftsministers an, Tierversuche komplett zu ersetzen und Alternativmethoden noch stärker zu fördern? Wenn nein, warum nicht? Nach dem Stand der Wissenschaft sind heute Tierversuche nach wie vor in bestimmten Bereichen unverzichtbar. Gemäß den Festlegungen in der EU-Richtlinie 2010/63/ EU vom 22.09.2010 und im nationalen Tierschutzgesetz wird genau darauf geachtet, dass nur die schonendsten Methoden ausgewählt und nur so viele Versuche durchgeführt werden, wie unbedingt nötig sind, um zu wissenschaftlich fundierten Ergebnissen zu gelangen. Trotz der Bemühungen um eine Minimierung von Tierversuchen ist das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst der Überzeugung, dass Tierversuche zwar auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden müssen, auf sie aber v. a. in der biologischen und medizinischen Forschung weiterhin nicht ganz verzichtet werden kann. Auch die Europäische Kommission kommt zu dieser Auffassung, indem sie etwa in der Mitteilung über die Europäische Bürgerinitiative „Stop Vivisection“ die klare Einschätzung formuliert, dass es derzeit nicht möglich sei, Tierstudien vollständig zu ersetzen. So wäre es zukünftig unmöglich, die Auswirkung neuartiger Umweltgifte auf Organismen oder Ökosysteme zu untersuchen, neue grundlegende physiologische Prozesse zu entdecken oder derzeit noch unverstandene Krankheiten zu erforschen. Unzählige wesentliche Fortschritte in Diagnostik und Therapie wären ohne Tierversuche nicht möglich gewesen und sind auch in Zukunft zu erwarten. Gerade in der Krebsforschung sind für die Erforschung neuer Therapiestrategien und diagnostischer Verfahren aussagekräftige Erkenntnisse oft nur anhand von In-vivo-Versuchen zu erhalten. Computergestützte Simulationen, Versuche an Zellkulturen oder andere alternative Ansätze sind zwar sinnvoll , in manchen Bereichen möglich und werden angewandt (s. auch Antwort zu Frage 4), können aber noch nicht umfassend gleichwertige Ergebnisse liefern. 2. Wie werden in Bayern Alternativmethoden zu Tierversuchen bereits gefördert? Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst stehen keine Mittel zur Unterstützung von einzelnen Forschungsprojekten zur Verfügung . Vielmehr werden die im Haushalt für Forschung und Lehre bereitstehenden Mittel an die Hochschulen ausge- 17. Wahlperiode 18.05.2016 17/10696 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Rosi Steinberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 03.11.2015 Tierversuche 2 – Förderung alternativer Methoden und vollständigen Ersatz in Bayern Am 25. September 2015 hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt erklärt, es sei sein langfristiges Ziel, Tierversuche komplett zu ersetzen. Kurzfristig wolle er Alternativmethoden noch stärker fördern. Das Ziel, „Verfahren mit lebenden Tieren für wissenschaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen“, findet sich auch in der Richtlinie 2010/63/EU. Die EU-Kommission fordert in Ihrer Drucksache C(2015) 3773 vom 03.06.2015 die Mitgliedstaaten auf, „noch mehr Anstrengungen zu unternehmen , um die Richtlinie 2010/63/EU vollständig um- und durchzusetzen sowie aktiv an der Entwicklung alternativer Ansätze mitzuwirken“. Auch in Bayern finden Tierversuche statt. Die gesellschaftliche Akzeptanz für Tierversuche schwindet auch in Bayern rasant. Auch Bayern muss vermehrt Anstrengungen unternehmen, im Sinne des Bundeslandwirtschaftsministers , der EU-Kommission und der bayerischen Bevölkerung Alternativmethoden zu Tierversuchen zu fördern und Tierversuche zukünftig komplett zu ersetzen. Ich frage die Staatsregierung: 1. Schließt sich Bayern dem Ziel des Bundeslandwirtschaftsministers an, Tierversuche komplett zu ersetzen und Alternativmethoden noch stärker zu fördern? Wenn nein, warum nicht? 2. Wie werden in Bayern Alternativmethoden zu Tierversuchen bereits gefördert? 3. Welche weiteren Maßnahmen zur Förderung der Forschung nach Alternativmethoden will die Staatsregierung umsetzen und in welchem zeitlichen Rahmen? 4. In welchen staatlichen und privaten Einrichtungen wird bereits zu Alternativmethoden zu Tierversuchen geforscht? 5. Sollen weitere Forschungseinrichtungen für die Suche nach Alternativmethoden eingerichtet werden? Wenn ja, welche und wann? 6. Bis wann will die Staatsregierung Tierversuche in Bayern vollständig durch Alternativmethoden ersetzt haben? 7. Auf welche Weise will die Staatsregierung den vollständigen Ersatz von Tierversuchen durch Alternativmethoden konkret erreichen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/10696 zahlt, die im Rahmen ihrer Wissenschaftsfreiheit eigenständig über die Gegenstände ihrer Forschung entscheiden. Je nach Fächerportfolio und Schwerpunktsetzung können die Hochschulen diese auch für die Erprobung und Entwicklung tierversuchsfreier Forschungsmethoden einsetzen. Auf die Antwort zu Frage 4 wird insoweit verwiesen. 3. Welche weiteren Maßnahmen zur Förderung der Forschung nach Alternativmethoden will die Staatsregierung umsetzen und in welchem zeitlichen Rahmen? Siehe Antwort zu Frage 2. 4. In welchen staatlichen und privaten Einrichtungen wird bereits zu Alternativmethoden zu Tierversuchen geforscht? Nach Abfrage bei den Universitäten kann im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst insoweit exemplarisch insbesondere auf folgende Entwicklungen/Projekte an den Universitäten hingewiesen werden: Mit der Implementierung des ersten Stiftungslehrstuhls für Innovationen im Tier- und Verbraucherschutz (Doerenkamp -Stiftungsprofessur, 2003–2013) blickt die Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg auf eine erfolgreiche Historie in der Forschung nach Alternativmethoden zurück und führt diese insbesondere durch Reduce- und Refinement -Forschung an verschiedenen Einrichtungen fort: a) So forscht das Präklinische Experimentelle Tierzentrum (PETZ) gemeinsam mit der Experimentell-Therapeutischen Abteilung am Universitätsklinikum Erlangen (Professor von Hörsten) zu Alternativmethoden im Sinne von Refinement- und Reduce-Forschung. Zu nennen sind hier vor allem Untersuchungsansätze zur belastungsfreien Phänotypisierung im Haltungskäfig (PhänoMaster, IntelliCage, PhenoTyper, etc.) sowie vergleichende Untersuchungen unterschiedlicher Käfighaltungsformen bei Ratten mit neurodegenerativen Erkrankungen im Hinblick auf die Reliabilität und Validität der Modelle. Das PETZ ist außerdem federführend an der Fortentwicklung einer Datenbank (PY-RAT) beteiligt, die zur Erfassung von Versuchstierbeständen sowie zur Katalogisierung von genetisch veränderten Maus- und Rattenstämmen dient. Die strukturelle Datenerfassung dient dem Ziel, eine Verdopplung von Zuchten genetisch veränderter Nager zu vermeiden, und hilft mithin, die Zahl der benötigten Versuchstiere vor Ort zu vermindern. b) Dazu führt das PETZ gemeinsam mit der Experimentell- Therapeutischen Abteilung gezielt eine Weiterentwicklung von Lehrformen in der Versuchstierkunde an der Universität durch. Hierbei wurden sehr positiv evaluierte Praktika im Rahmen von Lehre und Praktikum zur Erlangung der Qualifikationen nach FELASA B zu tierversuchlichem Arbeiten entwickelt, die kontinuierlich verbessert werden. An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen -Nürnberg stellt die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen , die inhaltlich an dem „3R-Prinzip“ ausgerichtet sind, die Voraussetzung für die tierexperimentelle Arbeit der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dar. c) An der bildgebenden zentralen Einheit PIPE (Preclinical Imaging Platform Erlangen) am Radiologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen wird an der Entwicklung von Alternativmethoden im Sinne von Refinementund Reduce-Forschung gearbeitet, indem Bildgebungstechniken im Hinblick auf eine erhöhte Sensitivität kombiniert (refinement) und konsequent im Sinne intraindividueller wiederholter Messungen angewandt werden (reduce an Versuchstieren). Die Einrichtung eröffnet Forscher - und Arbeitsgruppen der Universität – aber auch externen Kooperationspartnern – den Zugang zur multimodalen Kleintierbildgebung. Die Integration verschiedener nicht-invasiver Bildgebungsmodalitäten an einem Ort bildet die Voraussetzung für zielgerichtete, moderne bildgebende Forschung. Mit PIPE stehen präklinische Scanner der Modalitäten MRT (7 Tesla ClinScan, Bruker), CT, PET und SPECT (Hybridscanner) zur Verfügung, um in vivo und ex vivo Untersuchungen durchzuführen. Daneben stellen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in nahezu allen Forschungseinrichtungen In-vitro-Methoden einen überwiegenden und wesentlichen Bestandteil der biomedizinischen Forschung dar. Diese In-vitro-Methoden sind vielfach der tierexperimentellen Forschung vorgeschaltet und von daher geeignet, Tierversuche a priori zu vermeiden. Hierunter fallen unter anderem hochmoderne Zellkulturmethoden und molekularbiologische Analysen, sowie computergestützte Simulationen. Grundsätzlich sind diese Methoden auch geeignet, Tierversuche zu ersetzen. Auch die Universität Würzburg weist darauf hin, dass tierversuchsfreie Methoden im Bereich der biomedizinischen Forschung sehr weitverbreitet sind und weit häufiger als In-vivo-Versuche eingesetzt werden. Die tierversuchsfreien Methoden werden nach den Anforderungen des jeweiligen Fachgebietes zur Klärung von Fragestellungen aus zahlreichen Forschungsschwerpunkten permanent weiterentwickelt . Als Beispiel seien an der Universität Würzburg insoweit die Aktivitäten für die Entwicklung von Verfahren des tissue engineering erwähnt, einem der Forschungsschwerpunkte am Standort Würzburg. Da bereits die Züchtung von belasteten Tieren (meist gentechnisch veränderte Mäuse) nach § 7 Tierschutzgesetz (TierSchG) ein Tierversuch ist, wird die Kryokonservierung von Maus-Embryonen und Maus-Spermien, die zu einer erheblichen Reduktion der für den Erhalt einer Linie erforderlichen Tierzahl führt, als Alternativmethode zum Tierversuch gewertet. In den Zentralen Tierlaboratorien der Universität Regensburg wurde die Kryokonservierung in den letzten beiden Jahren eingeführt. Sie wird aktuell weiterentwickelt und um die Methode der In-vitro-Fertilisation ergänzt. Auch an der Universität Bayreuth gibt es hinsichtlich Tierversuchsalternativen ein gefördertes Projekt am Lehrstuhl Tierphysiologie und ein Vorhaben am Lehrstuhl für Bioanalytik und Lebensmittelanalytik. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass auch dort, wo alternative Methoden zum Tierversuch nicht als eigenständiges Forschungsthema bearbeitet werden, in zahlreichen Forschungsprojekten bereits etablierte Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch im Sinne der „3R“ eingesetzt werden und die Einhaltung der angesprochenen Normen streng kontrolliert wird. 5. Sollen weitere Forschungseinrichtungen für die Suche nach Alternativmethoden eingerichtet werden? Wenn ja, welche und wann? An der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bestehen Bestrebungen, die Bildgebung noch weiter auszubauen, insbesondere durch die Erweiterung um ein optisches Bildgebungsverfahren. Auch die Drucksache 17/10696 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 belastungsfreien Analyseverfahren zur Phänotypisierung von Maus- und Rattenlinien, die in der zentralen Tierhaltungseinrichtung durchgeführt werden, stellen einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Tierschutzes in der experimentellen Forschung dar. Die Friedrich-Alexander-Universität weist jedoch darauf hin, dass eine umfassende Replacement-Forschung nur in wenigen Bereichen, beispielsweise cutaner Noxen und Erkrankungsprozesse sowie im Bereich des Toxizitätsscreening , grundsätzlich targetierbar ist. 6. Bis wann will die Staatsregierung Tierversuche in Bayern vollständig durch Alternativmethoden ersetzt haben? Vgl. Antwort zu Frage 1. 7. Auf welche Weise will die Staatsregierung den vollständigen Ersatz von Tierversuchen durch Alternativmethoden konkret erreichen? Vgl. Antwort zu Frage 1.