Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jutta Widmann FREIE WÄHLER vom 22.02.2016 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Ich frage die Staatsregierung: 1. Wer ist zuständig für die Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Asylbewerber ? a) Aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage geschieht dies? 2. Inwieweit liegt die Verantwortung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber bei den zuständigen Behörden in ihren Heimatländern bzw. den dort ansässigen Eltern? 3. Mit welcher rechtlichen Grundlage übernehmen deutsche Behörden in diesem Zusammenhang die Verantwortung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber? 4. Inwieweit werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückgeführt ? 5. Wie hoch liegen die Kosten aktuell für die Betreuung und Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Asylbewerber in Bayern a) im Durchschnitt pro Person? b) insgesamt für 2015? 6. Wie erfolgt die Alterseinschätzung a) nach Angaben der betroffenen Personen? b) nach ärztlicher Einschätzung? c) nach medizinischer Untersuchungen? 7. Inwiefern gibt es Unterschiede aufgrund der unterschiedlichen Herkunftsländer, d. h. werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern oder Nichtkriegsgebieten wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 01.04.2016 Die Schriftliche Anfrage wird in Abstimmung mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet : Vorbemerkung zum möglichen Rechtsstatus von unbegleiteten Minderjährigen: Stellen unbegleitete Minderjährige einen Asylantrag, ist ihnen als Asylbewerber während ihres laufenden Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet kraft Gesetzes gestattet. Sie sind während des Asylverfahrens nicht ausreisepflichtig und werden daher auch nicht zwangsweise zurückgeführt. Erst nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann man in juristischer Hinsicht von einem Flüchtling sprechen . Diese haben auf der Grundlage des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Satz 559, 560) ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland. 1. Wer ist zuständig für die Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Asylbewerber? Die Landkreise und kreisfreien Städte sind als Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) für die Unterbringung der unbegleiteten Minderjährigen zuständig. Für die vorläufige Inobhutnahme ist das Jugendamt am Aufgriffsort zuständig. Seit dem 01.11.2015 haben die Jugendämter werktäglich jeden aufgegriffenen unbegleiteten Minderjährigen an die Bundesstelle, das Bundesverwaltungsamt , zu melden, dieses informiert noch am selben Tag die Landesstellen in Bezug auf die bundesweite Datenlage und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zur bundesweiten Verteilung. Die Bundesstelle hat auf dieser Datengrundlage für jeden Einzelfall ein aufnahmepflichtiges Land zu bestimmen. Aufgabe der jeweiligen Landesstelle ist es dann, den unbegleiteten Minderjährigen einem aufnahmepflichtigen Jugendamt zuzuweisen. Dieses ist für die Inobhutnahme und die Anschlussunterbringung zuständig. a) Aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage geschieht dies? Die gesetzliche Grundlage für die Unterbringung und bundesweite Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen ist das Achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Landesrechtlich wurden ergänzend eine Verordnungsermächtigung in Art. 65 Abs. 1 des AGSG sowie eine Regelung zur Ausgestaltung der Verteilung in der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) geschaffen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 20.05.2016 17/10744 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/10744 2. Inwieweit liegt die Verantwortung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber bei den zuständigen Behörden in ihren Heimatländern bzw. den dort ansässigen Eltern? Wenn ein ausländisches Kind oder ein Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland einreist, hat dies rechtlich grundsätzlich keinen Einfluss auf die Verpflichtung seiner Eltern, für ihr Kind zu sorgen. Aus der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 22) kann sich allerdings bspw. die Verpflichtung der Heimatländer ergeben, die Eltern oder andere Familienangehörige eines Flüchtlingskinds ausfindig zu machen. 3. Mit welcher rechtlichen Grundlage übernehmen deutsche Behörden in diesem Zusammenhang die Verantwortung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber? Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII sind die Jugendämter verpflichtet, einen ausländischen Minderjährigen in ihre Obhut zu nehmen, wenn dieser unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Gesetzeszweck ist es, die Versorgung des Minderjährigen in einer Situation sicherzustellen, in der die sorgeberechtigten Eltern dazu nicht in der Lage sind. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Minderjährige sich in einem für ihn häufig vollkommen unbekannten Kulturkreis, dessen Sprache er nicht kennt, zurechtfinden muss. 4. Inwieweit werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückgeführt? Grundsätzlich sind alle ausländischen Staatsangehörigen, unabhängig von ihrem Alter, kraft Gesetzes zur Ausreise verpflichtet, wenn sie kein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besitzen. Sollten sie dieser Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachkommen, sind sie entsprechend den bundesrechtlichen Vorgaben unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls abzuschieben. Soweit nicht die besonderen Bestimmungen der Dublin-Verordnung gelten , setzt die Abschiebung die Bereitschaft des Herkunftsstaates voraus, seine Staatsangehörigen wieder aufzunehmen und ihnen zu diesem Zweck, soweit kein gültiger Pass vorliegt, Heimreisepapiere auszustellen. Daran ist der Ausländer verpflichtet mitzuwirken. Zu Abschiebungen von ausreisepflichtigen unbegleiteten Minderjährigen kommt es nur selten, in der Regel schon deshalb, weil zwischenzeitlich Volljährigkeit eingetreten ist. Es handelt sich nahezu ausschließlich um Überstellungen im Rahmen des Dublin- Verfahrens. Der in Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in das Aufenthaltsgesetz eingefügte § 58 Abs. 1a enthält Anforderungen an die Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen in ihren Herkunftsstaat, die in der Praxis nur schwer zu erfüllen sind. 5. Wie hoch liegen die Kosten aktuell für die Betreuung und Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Asylbewerber in Bayern a) im Durchschnitt pro Person? b) insgesamt für 2015? Der Staatsregierung liegen keine differenzierten Informationen zu den Jugendhilfekosten des Jahres 2015 für unbegleitete Minderjährige vor. Das bundesweite Kostenerstattungsverfahren ist zum 31.10.2015 abgeschafft worden. Bis dahin erfolgte die Kostenerstattung im Rahmen des bundesweiten Kostenerstattungsverfahrens nach § 89 d SGB VIII. Der Freistaat hat ab dem 01.11.2015 die finanzielle Verantwortung für die unbegleiteten Minderjährigen übernommen. Für 2015 wurden rd. 126 Mio. Euro im Haushalt eingestellt, für 2016 rd. 632 Mio. Euro. Diese Mittel werden den Bezirken zur Verfügung gestellt, die gemäß Art. 52 AGSG, § 89 g SGB VIII für die Erstattung der Kosten an die Jugendämter zuständig sind. 6. Wie erfolgt die Alterseinschätzung a) nach Angaben der betroffenen Personen? b) nach ärztlicher Einschätzung? c) nach medizinischer Untersuchungen? Gemäß § 42 f Abs. 1 SGB VIII sind die Jugendämter verpflichtet , die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen . Gemäß § 42 f Abs. 1 SGB VIII hat das Jugendamt in Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Laut der Begründung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BT-Drs. 18/6392, S. 19) ist die ärztliche Untersuchung mit den schonendsten und, soweit möglich zuverlässigsten Methoden von qualifizierten medizinischen Fachkräften durchzuführen. Bestimmte medizinische Untersuchungen sind nicht gesetzlich festgelegt worden. Die betroffene Person ist umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen des Untersuchungsergebnisses aufzuklären (§ 42 f Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration hat Empfehlungen unter dem Titel „Grundsätze für die Altersbeurteilung“ veröffentlicht (abrufbar unter: www.inobhutnahme-bayern.de). 7. In wie fern gibt es Unterschiede aufgrund der unterschiedlichen Herkunftsländer, d. h. werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern oder Nichtkriegsgebieten wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt? Über die Ausreisepflicht von Asylbewerbern entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das in seiner Entscheidung über den Asylantrag die Situation im Herkunftsland , persönliche Umstände beim Asylbewerber und die rechtlichen Vorgaben, wie die Aufnahme eines Herkunftsstaats in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten, prüft. Lehnt das Bundesamt den Asylantrag ab und erlässt eine Abschiebungsandrohung, ist die Ausländerbehörde zur Abschiebung verpflichtet, wenn der Ausländer seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist nachkommt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen.