Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 19.02.2014 Automatische Abschaltung des AKWs Gundremmingen Beim außerplanmäßigen „Runterfahren“ des Gundremminger Blocks B am 07.01.14 kam es zu einer automatischen Schnellabschaltung. Das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz schildert den Vorfall am 28.01.2014 wie folgt: „Ausgangslage war, dass Block B des Kernkraftwerks Gundremmingen in Vorbereitung des Sonderstillstands zum Tausch der Messlanzen abgefahren wurde. Ab einem Leistungsbereich von knapp unter 10 % sollten die Steuerstäbe bis zum Erreichen einer Leistung von 3 % per Handsteuerung weiter eingefahren werden. Nach Erreichen der Reaktorleistung von 3 % sollte der Reaktor durch Betätigung von „Steuerstabsammeleinfahren“ abgeschaltet werden. Aus folgendem Grund wurde jedoch das automatische Sammeleinfahren der Steuerstäbe ausgelöst. Für niedrige Reaktorleistungsbereiche kleiner 8 % sind spezielle Detektoren vorgesehen, die kleine Leistungen messgenauer erfassen können. So fahren bei 8 % Leistung automatisch die Übergangsdetektoren und bei 5 % Leistung die Anfahrdetektoren in den Kern ein. Ein Schutzsystem überwacht hierbei, dass die Übergangsdetektoren plausible Messwerte anzeigen, bevor die Anfahrdetektoren ihre Messwerte erfassen. Die bei 8 % Leistung automatisch einfahrenden Übergangsdetektoren benötigen 90 Sekunden, bis sie eingefahren sind. In dieser Zeit sollte vermieden werden, dass die Leistung unter 5 % fällt und somit auch die Anfahrdetektoren automatisch in den Kern einfahren. Das Absenken der Leistung von Hand erfolgte in diesem Fall aber schneller als geplant und führte zum Einfahren der Anfahrdetektoren, bevor die Übergangsdetektoren ihre EIN-Position erreicht hatten. Durch diesen Umstand kam es zur Anregung des Schutzsystems und zum automatischen Einfahren aller Steuerstäbe. Die Auslösung des automatischen Sammeleinfahrens erfolgte dabei nur kurz bevor die Handauslösung des Sammeleinfahrens vorgenommen worden wäre. Die Abfahrprozedur des Reaktors wurde dabei nicht negativ beeinflusst. Das Schutzsystem wurde aufgrund der eingetretenen Detektorenkonstellation angeregt und griff planmäßig ein. Zukünftig wird in der Abfahrprozedur bei 8 % ein Warteschritt vorgesehen, um den Detektoren die notwendige Zeit zum Einfahren zu geben. Die Anregung des Reaktorschutzsystems ist gemäß AtSMV meldepflichtig. ....“ Es stellen sich daher hinsichtlich der sicherheitstechnischen Bedeutung, der Einhaltung von Vorgaben des Betriebshandbuches durch die Schichtmannschaft und der Qualitätssicherung des Betriebshandbuches Fragen. Es kam zur Anregung des Reaktorschutzsystems, eines Systems , das nur zum Einsatz kommt, wenn vorgelagerte Sys- teme, die die Anlage in einem sicheren Zustand halten sollen , versagt haben. Die Anregung des Reaktorschutzsystems ist von mehr als nur sicherheitstechnisch geringer Bedeutung, wie von den Betreibern dargestellt. Bezüglich der Frage, warum es zur Anregung des Reaktorschutzsystems kam, gibt es zwei Möglichkeiten oder eine Kombination von beiden. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass der Schichtleiter und der Reaktorfahrer die Vorgaben des Betriebshandbuches beim Abfahren der Anlage fahrlässig oder vorsätzlich nicht beachtet haben, die zweite darin, dass das Betriebshandbuch fehlerhaft ist. Ich stelle daher folgende Anfrage: 1. Haben Schichtleiter und/oder Reaktorfahrer die Vorgaben des Betriebshandbuches beim Abfahren der Anlage fahrlässig oder vorsätzlich nicht beachtet? Wurden hierüber Untersuchungen angestellt? Wenn ja, mit welchen Ergebnis? 2. Kam es zum schnelleren Herunterfahren der Leistung aufgrund fehlerhafter oder unvollständiger Anweisungen im Betriebshandbuch, war das Betriebshandbuch fehlerhaft oder unvollständig, lag somit ein Qualitätssicherungsmangel vor? 3. Wenn ja, wie kam es zu dieser fehlerhaften Vorgabe des Betriebshandbuches, war den entsprechenden Vorgaben im Betriebshandbuch von der Bayerischen Atomaufsicht die Zustimmung erteilt worden? 4. Welche Maßnahmen ergriff die Bayerische Atomaufsicht nach der unbeabsichtigten Anregung des Reaktorschutzsystems ? 5. Sind der Bayerischen Atomaufsicht weitere Vorfälle unbeabsichtigter Anregung des Reaktorschutzsystems in bayerischen Atomkraftwerken bekannt? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 19.03.2014 Vorbemerkung: Vorweg ist richtig zu stellen, dass beim Abfahren von Block B am 07.01.2014 keine Reaktor-Schnellabschaltung (RESA) ausgelöst wurde. Bei dem durch das Reaktorschutzsystem automatisch angeregten Sammeleinfahren werden die Steu- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 25.04.2014 17/1079 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/1079 erstäbe mittels elektrischen Antrieben langsam eingefahren und nicht wie im Falle einer RESA durch das hydraulische Abschaltsystem schnell eingeschossen. Der vorliegende Sachverhalt ist gemäß AtSMV meldepflichtig und wurde vom Betreiber des Kernkraftwerks Gundremmingen frist- und ordnungsgerecht an das StMUV als zuständiger Aufsichtsbehörde gemeldet. Nach internationaler INES-Skala handelt es sich um ein Ereignis mit keiner bzw. sehr geringer sicherheitstechnischer Bedeutung. 1. Haben Schichtleiter und/oder Reaktorfahrer die Vor- gaben des Betriebshandbuches beim Abfahren der Anlage fahrlässig oder vorsätzlich nicht beachtet? Wurden hierüber Untersuchungen angestellt? Wenn ja, mit welchen Ergebnis? Die Bewertung des Sachverhalts zeigt, dass die Vorgaben des Betriebshandbuchs beachtet wurden. 2. Kam es zum schnelleren Herunterfahren der Leistung aufgrund fehlerhafter oder unvollständiger Anweisungen im Betriebshandbuch, war das Betriebshandbuch fehlerhaft oder unvollständig, lag somit ein Qualitätssicherungsmangel vor? Nein. 3. Wenn ja, wie kam es zu dieser fehlerhaften Vorgabe des Betriebshandbuches, war den entsprechenden Vorgaben im Betriebshandbuch von der Bayerischen Atomaufsicht die Zustimmung erteilt worden? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. Welche Maßnahmen ergriff die Bayerische Atomaufsicht nach der unbeabsichtigten Anregung des Reaktorschutzsystems ? Besondere Maßnahmen waren nicht angezeigt. Gleichwohl wird der Sachverhalt konsequent aufsichtlich verfolgt. 5. Sind der Bayerischen Atomaufsicht weitere Vorfälle unbeabsichtigter Anregung des Reaktorschutzsystems in bayerischen Atomkraftwerken bekannt? Die automatische Auslösung des Steuerstabsammeleinfahrens ist ein Spezifikum von Siedewasserreaktoren und trat im Kernkraftwerk Gundremmingen am 07.01.2014 erstmalig auf. Ein ähnlicher, wenn auch nicht unmittelbar übertragbarer Sachverhalt ereignete sich 2007 im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (Druckwasserreaktor), wo es zur unbeabsichtigten automatischen Auslösung einer RESA kam, welche die geplante Hand-RESA um wenige Sekunden vorwegnahm.