Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Christian Magerl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 08.03.2016 Rückgang der Insektenfauna in Bayern In der 73. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz , Bau und Reaktorsicherheit (Deutscher Bundestag) wurde am 13. Januar 2016 ein deutlicher Rückgang bei den Insektenarten und der Insektenbiomasse thematisiert. Untersuchungen in NRW belegen einen Rückgang der Insektenbiomasse in den vergangenen 25 Jahren um bis zu 80 %. Diese Schriftliche Anfrage richtet den Fokus auf die Situation in Bayern. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Wie viele Insektenarten gibt es in Bayern und wie ist die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren (Angaben möglichst nach Ordnungen)? b) Wie viele Insektenarten stehen auf der Roten Liste? 2. a) Gibt es in Bayern ähnliche Untersuchungen zur Insektenbiomasse wie in Nordrhein-Westfalen? b) Wie ist die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren ? c) Bei welchen Insektenordnungen können deutliche Rückgänge der Populationen bzw. der Biomasse beobachtet werden? 3. Wie ist die Entwicklung der Insektenarten und der Insektenanzahl bzw. der Biomasse im Agrarland, in Siedlungsbereichen und im Wald? 4. a) Welche Gründe sieht die Staatsregierung für die Entwicklung ? b) Welche Rolle spielt dabei aus Sicht der Staatsregierung die Habitatzerstörung, die Überdüngung mit Stickstoff (u. a. durch die Luftverschmutzung) und der Einsatz von Neonicotinoiden? 5. Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um die Entwicklung der Insektenbiodiversität zu beobachten und negativen Entwicklungen entgegenzuwirken? 6. Wann und für welche Insektenordnungen ist eine Aktualisierung der inzwischen 13 Jahre alten Roten Liste der gefährdeten Tierarten Bayerns vorgesehen? 7. Gibt es im Rahmen der Bestandsaufnahme zur Wasserrahmenrichtlinie Untersuchungen zur Entwicklung der Biomasse und Artenzahl bei in Gewässern lebenden Insekten, wenn ja, mit welchen Ergebnissen? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 05.04.2016 1. a) Wie viele Insektenarten gibt es in Bayern und wie ist die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren (Angaben möglichst nach Ordnungen)? Die Anzahl der Insektenarten in Bayern wird – wie im Artenschutzbericht Bayern dargestellt – auf ca. 26.100 geschätzt. Artenverluste und die Etablierung neuer Arten in Bayern (z. B. aufgrund des Klimawandels) halten sich in der Gesamtbilanz der letzten 25 Jahre etwa die Waage. b) Wie viele Insektenarten stehen auf der Roten Liste ? Auf der Roten Liste gefährdeter Tiere Bayerns (2003) werden derzeit 5.571 Insektenarten geführt. 2. a) Gibt es in Bayern ähnliche Untersuchungen zur Insektenbiomasse wie in Nordrhein-Westfalen? Bislang gibt es in Bayern keine systematischen Untersuchungen zur Entwicklung der Biomasse an Insekten. Umfangreiche Bestandserhebungen zum Artenbestand der Insektenfauna in Bayern werden seit einigen Jahren in Kooperation des Landesamtes für Umwelt (LfU) mit der Zoologischen Staatssammlung München im Rahmen des Projektes „Barcoding Fauna Bavarica“ durchgeführt. b) Wie ist die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren? Bei den seit Langem heimischen Arten ist von einem vorherrschenden Rückgang der Arten- und Individuenzahlen auszugehen. Gleichzeitig treten neue Insektenarten in Bayern auf, sei es auf natürlichem Weg über die Ausdehnung des Areals (z. B. von Südeuropa, Karstweißling Pieris mannii ) oder durch Verschleppung (Neozoen, z. B. Amerikanische Kiefernwanze Leptoglossus occidentalis). c) Bei welchen Insektenordnungen können deutliche Rückgänge der Populationen bzw. der Biomasse beobachtet werden? Der Rückgang trifft alle Insektenordnungen. Entscheidend sind vor allem die artspezifischen Ansprüche an den Lebensraum . Wie die Roten Listen zeigen, sind Arten von extensiv genutzten Offenlandlebensräumen wie Magerrasen, vegetationsarmen Rohböden, Extensivwiesen und Feuchtwiesen vom Rückgang in besonderem Maße betroffen. Eine überdurchschnittlich stark gefährdete Tiergruppe sind z. B. Tagfalter, von denen zahlreiche Arten überwiegend in den o. g. Lebensräumen vorkommen. 3. Wie ist die Entwicklung der Insektenarten und der Insektenanzahl bzw. der Biomasse im Agrarland, in Siedlungsbereichen und im Wald? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 20.05.2016 17/10801 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/10801 Ein überdurchschnittlicher Rückgang der Arten- und Individuenzahlen von Insekten in der Agrarlandschaft kann als gesichert gelten. Auch in Siedlungsbereichen dürfte die Bilanz wegen Verlusten naturnaher Strukturen negativ sein. In Waldlebensräumen ist eine vergleichsweise stabile Situation anzunehmen, allerdings sind auch hier verschiedene Lebensgemeinschaften auf geringe Restflächen zurückgedrängt , z. B. typische Arten lichter Wälder und anspruchsvolle Totholzbewohner. 4. a) Welche Gründe sieht die Staatsregierung für die Entwicklung? Die Ursachen sind vielschichtig. Im Wesentlichen sind die durch den Nutzungs- und Landschaftswandel bedingten Lebensraumverluste für die Rückgänge verantwortlich. b) Welche Rolle spielt dabei aus Sicht der Staatsregierung die Habitatzerstörung, die Überdüngung mit Stickstoff (u. a. durch die Luftverschmutzung) und der Einsatz von Neonicotinoiden? Verlust, Degeneration und Fragmentierung von Habitaten sind nach wie vor die dominierenden Gefährdungsfaktoren. Nährstoffeinträge aus der Luft führen vor allem in nährstoffarmen Lebensräumen zu negativen Veränderungen, z. B. in lückigen Magerrasen zu zunehmender Verfilzung der Vegetationsdecke . Neonicotinoide stehen im Verdacht, für den Rückgang an Insekten in der Agrarlandschaft mit verantwortlich zu sein. Eine nähere Quantifizierung der Bedeutung der verschiedenen Gefährdungsfaktoren für den Rückgang der Insektenfauna ist nicht möglich. 5. Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um die Entwicklung der Insektenbiodiversität zu beobachten und negativen Entwicklungen entgegenzuwirken ? Bayern unternimmt seit Jahrzehnten erhebliche Anstrengungen zur Bewahrung der Artenvielfalt. Ein Meilenstein auf diesem Weg war der Beschluss der Bayerischen Biodiversitätsstrategie durch die Staatsregierung im Jahr 2008. Mit dem Biodiversitätsprogramm Bayern 2030 sind vielfältige Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität aufgeführt. Zentrale Instrumente hierfür sind die Artenhilfsprogramme (AHP), das Vertragsnaturschutzprogramm (VNP) sowie die Landschaftspflege- und Naturpark-Richtlinie (LNPR). Im Rahmen naturschutzfachlicher Kartierungen werden verschiedene Insektengruppen regelmäßig erfasst und die Ergebnisse in der landesweiten Datenbank Artenschutzkartierung am LfU dokumentiert (z. B. Naturschutzfachkartierung , FFH-Monitoring, Artenhilfsprogramme). Auf dieser Datengrundlage sind z. B. verschiedene Verbreitungsatlanten entstanden (Libellen, Heuschrecken, Tagfalter) und auch die Roten Listen fußen auf dieser Datengrundlage. 6. Wann und für welche Insektenordnungen ist eine Aktualisierung der inzwischen 13 Jahre alten Roten Liste der gefährdeten Tierarten Bayerns vorgesehen ? Das LfU bearbeitet derzeit Fortschreibungen zur Roten Liste gefährdeter Tiere Bayerns. Demnächst werden im Internet aktualisierte Rote Listen für Heuschrecken und Tagfalter veröffentlicht. Weitere Rote Listen beispielsweise für Libellen sollen folgen. 7. Gibt es im Rahmen der Bestandsaufnahme zur Wasserrahmenrichtlinie Untersuchungen zur Entwicklung der Biomasse und Artenzahl bei in Gewässern lebenden Insekten, wenn ja, mit welchen Ergebnissen? Schon vor Inkrafttreten der EG-Wasserrahmenrichtlinie wurde die Insektenfauna in vielen Fließgewässern in Bayern im Rahmen der Technischen Gewässeraufsicht regelmäßig untersucht. Die Methodik zur Bewertung der Fließgewässerqualität wurde mit Einführung der Wasserrahmenrichtlinie geändert. Arten und Häufigkeiten im Wasser lebender Insekten werden nun im Rahmen der Untersuchung der biologischen Qualitätskomponente Makrozoobenthos erfasst. Dabei werden 20 Teilproben mit einer Fläche von 0,25 m x 0,25 m in einem Gewässerabschnitt beprobt. Die Probestellen repräsentieren die vorherrschenden Substrattypen und somit auch Lebensräume im Gewässer (Multi-Habitat-Sampling). Insgesamt wird eine Fläche von etwa 1,25 m² Gewässersohle beprobt. Die beschriebene Methodik wird in Bayern seit 2003 angewendet.