Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Ritter SPD vom 00.00.2016 Vermisste unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bayern Nach aktuellen Presseberichten und Informationen der europäischen Polizeibehörde Europol ist von rund 10000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, welche die Europäische Union betreten haben, der aktuelle Aufenthaltsort nicht bekannt; sie gelten als verschwunden. Daher frage ich die Staatsregierung: 1. a) Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden seit dem 01.01.2014 in Bayern in Obhut genommen (bitte aufschlüsseln nach Monaten und Geschlecht )? b) Von wie vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen , die von bayerischen Kommunen in Obhut genommen wurden, hat die Bayerische Staatsregierung keine Kenntnisse über deren aktuellen Aufenthaltsort? c) In wie vielen dieser Fälle wurden die Jugendlichen als vermisst gemeldet? 2. a) An welche Behörden wird seitens der in Obhut nehmenden Stelle eine Vermisstenmeldung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemeldet? b) Welche Informationen werden im Rahmen der Informationsweitergabe übermittelt, um Jugendliche im Fall des Wiederauftauchens oder erneuter Registrierung identifizieren zu können? 3. a) An welche nationalen und internationalen Behörden werden die Informationen weitergegeben? b) Über welche europaweiten Datenbanken werden die Informationen über vermisste jugendliche Flüchtlinge ausgetauscht? 4. In wie vielen Fällen liegen der Staatsregierung Erkenntnisse oder ein Anfangsverdacht vor beziehungsweise gilt es als erwiesen, dass für das „Verschwinden“ eines Jugendlichen eine Straftat zu dessen Lasten ursächlich sein könnte (bitte aufschlüsseln nach Monat, Art des Verdachts, Stand der Ermittlungen und Geschlecht )? 5. a) Welche Erkenntnisse besitzt die Staatsregierung über Straftaten in Verbindung mit der Ausbeutung und/oder sexuellen Ausbeutung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen? b) Welche Maßnahmen ergreifen bayerische Sicherheitsbehörden , wenn ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling vom Jugendamt, der zuständigen Einrichtung und/oder dem Vormund als vermisst gemeldet wird? 6. a) Wie viele Anzeigen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder von deren Vormunden in Ausübung ihrer Funktion wurden seit 01.01.2014 bei der Bayerischen Polizei wegen Straftaten gegen die betreffenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge entlang der Fluchtroute oder innerhalb Bayerns gestellt (bitte aufschlüsseln nach Datum, Gegenstand der Anzeige, Stand der Ermittlung oder des Verfahrens)? b) Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um Straftaten entlang der Fluchtroute gegen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Bayern wohnhaft sind, aufzuklären? c) In welcher Form klärt die Bayerische Polizei unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über ihre Rechte auf und ermutigt diese, Anzeige zu erstatten, falls sie Opfer von Gewalt, sexuellem Missbrauch oder anderen Straftaten entlang der Fluchtroute oder in Bayern geworden sind? Antwort des Staatsministeriums des Staatsministerium des Innern , für Bau und Verkehr 04.04.2016 Die Schriftliche Anfrage wird nach Einbindung des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) wie folgt beantwortet: 1. a) Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden seit dem 01.01.2014 in Bayern in Obhut genommen (bitte aufschlüsseln nach Monaten und Geschlecht)? Nach Auskunft des StMAS wurden seit dem 01.01.2014 insgesamt 22.382 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) in Obhut genommen. Die Inobhutnahmezahlen werden nicht nach Geschlecht differenziert. Nach Rückmeldung der aufnehmenden Jugendämter sind ca. 5–10 % der umF Mädchen/junge Frauen. Seit Mai 2014 gibt es ein neues Meldeverfahren zur Erfassung der umF. Insoweit ist eine differenzierte monatliche Darstellung der Inobhutnahmezahlen erst ab Mai 2014 möglich . Die Zugangszahlen seit 01.01.2014 bis 29.02.2016 stellen sich laut Erfassung im Integrierten-Migranten-Verwal- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 20.05.2016 17/10982 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/10982 tungssystem des StMAS wie folgt dar: 2014 Januar insgesamt Februar März April 409 Mai 112 Juni 332 Juli 468 August 448 September 423 Oktober 655 November 143 Dezember 425 Summe 2014 3.415 2015 Januar 622 Februar 370 März 485 April 544 Mai 976 Juni 1.353 Juli 1.664 August 2.248 September 2.285 Oktober 1.949 November 2.473 Dezember 1.758 Summe 2015 16.727 2016 Januar 1.282 Februar 958 Summe bis 29.02.2016 2.240 2014/2015/2016 Gesamtsumme 22.382 b) Von wie vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die von bayerischen Kommunen in Obhut genommen wurden, hat die Bayerische Staatsregierung keine Kenntnisse über deren aktuellen Aufenthaltsort? Laut dem StMAS werden die umF von den Jugendämtern am Aufgriffsort in Obhut genommen und innerhalb der Jugendhilfe untergebracht und versorgt. Die Staatsregierung verfügt nur über Kenntnisse, wie viele umF sich in der jugendhilferechtlichen Zuständigkeit der jeweiligen Kommune befinden. Die konkreten Unterbringungsorte liegen im Einzelnen nur bei den örtlichen Jugendämtern vor. c) In wie vielen dieser Fälle wurden die Jugendlichen als vermisst gemeldet? Im Jahr 2015 wurden in Bayern insgesamt 4.452 (2014: 442) unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF), also Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, bei der Polizei als vermisst gemeldet. 2. a) An welche Behörden wird seitens der in Obhut nehmenden Stelle eine Vermisstenmeldung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemeldet? Das StMAS geht davon aus, dass die Vermisstenmeldungen durch die fallzuständigen Jugendämter bei der örtlichen Polizei erfolgen. Sollte im Einzelfall bereits ein Vormund bestellt sein, so ist auch dieser zu informieren. b) Welche Informationen werden im Rahmen der Informationsweitergabe übermittelt, um Jugendliche im Fall des Wiederauftauchens oder erneuter Registrierung identifizieren zu können? Die als vermisst gemeldeten Jugendlichen werden zur Fahndung (Gefahrenabwehr, Ingewahrsamnahme) im Informationssystem der Polizei (IN-POL) national und im Schengener Informationssystem international bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ausgeschrieben; die Daten stehen damit allen Polizeibehörden in Deutschland und im Schengenraum zur Verfügung. Soweit personenbezogene Daten, wie z. B. Fingerabdrücke , Lichtbilder und DNA-Material vorliegen, werden diese im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten durch das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) in die bundesweite Datei „Vermisste, unbekannte Tote“ (VERMI/UTOT) recherchefähig eingegeben, um dadurch eine Identifizierung der vermissten Personen im In- und Ausland zu ermöglichen. Bei Antreffen/Auffindung einer unbekannten Person werden die vorhandenen Daten in der Datei VERMI/UTOT recherchiert. Vermisstenfahndungen und Erkenntnisanfragen mit Auslandsbezug werden durch das BLKA in Einzelfällen gezielt an die jeweiligen Länder gesteuert. 3. a) An welche nationalen und internationalen Behörden werden die Informationen weitergegeben? Siehe Antwort zu Frage 2 b. b) Über welche europaweiten Datenbanken werden die Informationen über vermisste jugendliche Flüchtlinge ausgetauscht? Informationen über vermisste umF werden im Schengener Informationssystem länderübergreifend zur Verfügung gestellt . 4. In wie vielen Fällen liegen der Staatsregierung Erkenntnisse oder ein Anfangsverdacht vor beziehungsweise gilt es als erwiesen, dass für das „Verschwinden“ eines Jugendlichen eine Straftat zu dessen Lasten ursächlich sein könnte (bitte aufschlüsseln nach Monat, Art des Verdachts, Stand der Ermittlungen und Geschlecht)? In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird das Merkmal „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ bundesweit einheitlich nicht erfasst. Entsprechende Aussagen zu den gestellten Fragen sind daher auf Basis der PKS nicht möglich. Insoweit können zur Fragestellung „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als Opfer von Kriminalität“ keine Auskünfte erteilt werden. 5. a) Welche Erkenntnisse besitzt die Staatsregierung über Straftaten in Verbindung mit der Ausbeutung und/oder sexuellen Ausbeutung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen? Beim BLKA liegen derzeit keine Erkenntnisse über Flüchtlinge (Erwachsene und auch umF) vor, die Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft geworden sind. b) Welche Maßnahmen ergreifen bayerische Sicherheitsbehörden , wenn ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling vom Jugendamt, der zuständigen Drucksache 17/10982 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Einrichtung und/oder dem Vormund als vermisst gemeldet wird? Siehe Antwort zu Frage 2 b. Ergänzend dazu werden von den örtlich zuständigen Polizeidienststellen die Vermisstenmeldungen entgegengenommen und Sofortmaßnahmen, wie z. B. örtliche Suchmaßnahmen , getroffen. 6. a) Wie viele Anzeigen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder von deren Vormunden in Ausübung ihrer Funktion wurden seit 01.01.2014 bei der Bayerischen Polizei wegen Straftaten gegen die betreffenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge entlang der Fluchtroute oder innerhalb Bayerns gestellt (bitte aufschlüsseln nach Datum, Gegenstand der Anzeige, Stand der Ermittlung oder des Verfahrens)? Da das Merkmal „unbegleitet“ nicht strukturiert erfasst wird, können zu der Fragestellung „Anzahl der Anzeigen mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen als Opfer“ keine Auskünfte erteilt werden. Hinsichtlich von Straftaten gegen umF entlang der Fluchtroute dürfen wir darauf hinweisen, dass für im Ausland gegen ausländische Staatsangehörige begangene Straftaten das deutsche Strafrecht grundsätzlich nicht gilt. b) Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um Straftaten entlang der Fluchtroute gegen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Bayern wohnhaft sind, aufzuklären? Unbegleitete Minderjährige sind bayernweit innerhalb der Jugendhilfestrukturen untergebracht. Sollten Straftaten gegen diese umF erfolgen, werden diese im üblichen Verfahren der Strafanzeige bei den örtlichen Polizeidienststellen verfolgt. Der weit überwiegende Teil der Vermisstenmeldungen betrifft umF, die relativ kurz nach ihrer Inobhutnahme und erfolgter Erstversorgung oder kurz vor einer beabsichtigten Verlegung innerhalb Bayerns oder in ein anderes Bundesland ihre Reise zum ursprünglich geplanten Ziel fortsetzen oder eigenständig ein ihnen günstiger erscheinendes Ziel ansteuern. Für diese Fälle ist im Rahmen der Jugendhilfe die Vermisstmeldung der umF ausreichend. c) In welcher Form klärt die Bayerische Polizei unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über ihre Rechte auf und ermutigt diese, Anzeig zu erstatten, falls sie Opfer von Gewalt, sexuellem Missbrauch oder anderen Straftaten entlang der Fluchtroute oder in Bayern geworden sind? Erhält die Bayerische Polizei Kenntnis von einer Straftat im Zusammenhang mit einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, dann ist sie aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet , die Straftat zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Alle Polizeibeamt(-inn)en in Bayern sind entsprechend sensibilisiert , um für Opfer von Gewalterfahrungen alle Möglichkeiten zum Thema Opferschutz/-hilfe auszuschöpfen und ein professionelles Informationsverhalten gegenüber allen Opfern zu gewährleisten. Ergänzend dazu gibt es bei allen Präsidien der Bayer. Polizei zudem die „Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder“ (BPFK), zu deren primärer Aufgabe die Information , Beratung und Unterstützung der Opfer nach sexueller, körperlicher, seelischer und häuslicher Gewalt gehört. Im konkreten Einzelfall informieren und unterstützen die BPFK das Gewaltopfer, klären das Opfer über den Ablauf eines Ermittlungsverfahrens und seine Rechte im Strafverfahren auf, stellen bei Bedarf den Kontakt zur zuständigen Polizeidienststelle her, weisen auf Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen hin und vermitteln im Einzelfall direkt dorthin.