Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Eva Gottstein FREIE WÄHLER vom 14.03.2016 Auswirkungen des neuen Vergaberechts auf die Kommunen Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorbereitete Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts wurde im Dezember 2015 von Bundestag und Bundesrat mit leichten Änderungen verabschiedet . Damit werden die Regelungen für die öffentliche Auftragsvergabe in Deutschland umfassend reformiert und EU-Richtlinien über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen umgesetzt. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Welche Änderungen der Rechtslage ergeben sich durch die Vergaberechtsreform im Allgemeinen für die kommunale Vergabepraxis? b) Welche positiven und negativen Auswirkungen auf die kommunale Vergabepraxis sind durch das neue Vergaberecht zu erwarten? 2. a) Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Vergaberecht auf die Energie- und Wasserversorger? b) Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Vergaberecht für Abfall- und Abwasserentsorger? c) Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Vergaberecht auf die Vergabe sozialer Dienstleistungen? 3. a) Welche Neuregelungen müssen die Kommunen bei der Wohnungswirtschaft beachten? b) Welche Änderungen ergeben sich bezüglich Inhouse- Geschäften und interkommunalen Kooperationen? c) Was muss bei Vertragsanpassungen und Vertragsverlängerungen beachtet werden? 4. In welchen Bereichen belasten die Regelungen des neuen Vergaberechts die Kommunen mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand und -kosten im Vergleich zur bisherigen Rechtslage? 5. Welche personellen und technischen Maßnahmen müssen die Kommunen ergreifen, um das neue Vergaberecht umsetzen zu können? 6. Welche Hilfestellung bietet die Staatsregierung insbesondere kleineren Kommunen, damit diese ihre Vergabepraxis den neuen gesetzlichen Anforderungen entsprechend anpassen können? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 20.04.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie wie folgt beantwortet: 1. a) Welche Änderungen der Rechtslage ergeben sich durch die Vergaberechtsreform im Allgemeinen für die kommunale Vergabepraxis? Bei Aufträgen, deren Wert (ohne Umsatzsteuer) die durch europäisches Recht festgesetzten EU-Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, ergeben sich für die kommunalen Auftraggeber die maßgeblichen Neuerungen der Vergaberechtsreform aus dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG), das den Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ändert, und aus der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsverordnung – VergRModVO). Für die Vergabe von Bauleistungen oberhalb des Schwellenwertes gilt daneben der geänderte Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), Ausgabe 2016. Der wesentliche Teil der neuen Bestimmungen ist zum 18. April 2016 in Kraft getreten. Ab diesem Zeitpunkt sind der Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) und die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) nicht mehr anwendbar; die entsprechenden Verfahrensregeln wurden in die VergRModVO integriert. Die Reform enthält für die kommunale Vergabepraxis bei der Vergabe von Aufträgen oberhalb der EU-Schwellenwerte insbesondere folgende wesentliche Neuerungen: • Die öffentlichen Auftraggeber können nunmehr zwischen dem offenen Verfahren und dem nicht offenen Verfahren (mit vorherigem Teilnahmewettbewerb) frei wählen. Der Anwendungsbereich des Verhandlungsverfahrens mit vorherigem Teilnahmewettbewerb ist erweitert worden. • Mit der Vergaberechtsreform ist eine Verpflichtung zur elektronischen Kommunikation verbunden. Das bedeutet unter anderem, dass auch die kommunalen Auftraggeber ab 18. April 2016 sämtliche Vergabeunterlagen unentgeltlich , uneingeschränkt, vollständig und direkt mithilfe elektronischer Mittel zur Verfügung stellen müssen. Ab dem 18. Oktober 2018 (für zentrale Beschaffungsstellen ab dem 18. April 2017) dürfen Angebote und Teilnahmeanträge nur noch elektronisch entgegengenommen werden . • Künftig können in jeder Phase des Vergabeverfahrens qualitative, soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte unter erleichterten Bedingungen zur Verfolgung strategischer Ziele einbezogen werden, sofern die Merkmale in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen. • Die Mindestfristen in den jeweiligen Verfahren wurden verkürzt. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.06.2016 17/11167 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11167 • Die bereits bestehenden Statistikpflichten wurden sowohl oberhalb als auch unterhalb der Schwellenwerte ausgeweitet . • Erstmals unterliegen Dienstleistungskonzessionen ab einem Auftragswert von 5,225 Mio. € (ohne Umsatzsteuer ) einem eigenen vergaberechtlichen Regelwerk sowie der Nachprüfbarkeit durch die Vergabekammern und Vergabesenate . Bei der Gestaltung des Verfahrens hat der Auftraggeber Handlungsspielräume. b) Welche positiven und negativen Auswirkungen auf die kommunale Vergabepraxis sind durch das neue Vergaberecht zu erwarten? Die neuen Bestimmungen führen in einer Reihe von Punkten zu mehr Rechtsklarheit (zum Beispiel bei der Anwendbarkeit des Vergaberechts bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit , siehe Antwort zu Frage 3 b). Sie erweitern die Handlungsmöglichkeiten für die kommunalen Auftraggeber, indem sie zum Beispiel vorsehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei eigenverantwortlichen Beschaffungen durch eigenständige Organisationseinheiten (z. B. Schulen) die Auftragswerte gesondert betrachtet werden können und damit häufiger von europaweiten Verfahren abgesehen werden kann. Mehr Flexibilität ergibt sich außerdem durch die erweiterten Einsatzmöglichkeiten des nicht offenen Verfahrens (mit Teilnahmewettbewerb) und des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb. Die Handlungs- und Gestaltungsspielräume für die Berücksichtigung strategischer Ziele werden vergrößert. Durch die kürzeren Mindestfristen können die Verfahren beschleunigt werden. Zu den negativen Auswirkungen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 2. a) Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Vergaberecht auf die Energie- und Wasserversorger ? Spezifische Auswirkungen für Energie- und Wasserversorger hat das neue Vergaberecht nicht, da es sich in weiten Teilen an der bereits ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs orientiert. Die Trinkwasserversorgung und die mit ihr im Zusammenhang stehende Abwasserbeseitigung oder -behandlung ist vom Anwendungsbereich des neuen Regelwerkes für Dienstleistungskonzessionen ausgenommen. b) Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Vergaberecht für Abfall- und Abwasserentsorger? Spezifische Auswirkungen für Abfallentsorger hat das neue Vergaberecht nicht. Zu Abwasserentsorgern wird auf die Antwort zu Frage 2 a hingewiesen. c) Welche konkreten Auswirkungen hat das neue Vergaberecht auf die Vergabe sozialer Dienstleistungen ? Bisher mussten beispielsweise Tätigkeiten im Gesundheitsund Sozialwesen, im Unterrichtswesen und in den Bereichen Erholung, Kultur und Sport nicht europaweit, sondern nur national ausgeschrieben werden. Mit dem neuen Vergaberecht müssen die genannten sozialen Dienstleistungen ab einem Auftragswert von 750.000 € (ohne Umsatzsteuer ) künftig grundsätzlich einem europaweiten Wettbewerb unterworfen werden. Für die im Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU aufgelisteten sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen ergeben sich dennoch Erleichterungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. So kann frei gewählt werden, welches der im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehenen Verfahren angewendet wird, sofern ein (europaweiter) Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet wird. Es wird außerdem durch die Möglichkeit abweichender Fristen und erweiterter Zuschlagskriterien mehr Flexibilität ermöglicht. 3. a) Welche Neuregelungen müssen die Kommunen bei der Wohnungswirtschaft beachten? Spezifische Auswirkungen auf die Wohnungswirtschaft hat das neue Vergaberecht nicht. b) Welche Änderungen ergeben sich bezüglich Inhouse -Geschäften und interkommunalen Kooperationen ? Das nationale Vergaberecht trifft erstmals Regelungen, unter welchen Voraussetzungen das Vergaberecht bei Inhouse -Geschäften und interkommunalen Kooperationen nicht anwendbar ist. Da die Bestimmungen an die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anknüpfen , ist damit keine wesentliche inhaltliche Neuerung verbunden. Die Kodifizierung der Rechtsprechung führt zu mehr Rechtssicherheit, auch wenn aufgrund der Vielzahl an möglichen Konstellationen Auslegungsfragen bleiben. c) Was muss bei Vertragsanpassungen und Vertragsverlängerungen beachtet werden? Das neue Vergaberecht regelt erstmals ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen Auftragsänderungen kein neues Vergabeverfahren erfordern. Neben einer Reihe von materiellen Anforderungen wurde auch eine De-Minimis-Regel eingeführt, wonach ein neues Verfahren nicht erforderlich ist, wenn sich der Wert der Änderung gegenüber dem ursprünglichen Auftragswert um nicht mehr als 10 % bei Liefer - und Dienstleistungen bzw. um nicht mehr als 15 % bei Bauleistungen ändert. Voraussetzung bei der Anwendung der De-Minimis-Regel ist, dass sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung den jeweiligen EU-Schwellenwert nicht übersteigt. 4. In welchen Bereichen belasten die Regelungen des neuen Vergaberechts die Kommunen mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand und -kosten im Vergleich zur bisherigen Rechtslage? Zusätzlicher Verwaltungsaufwand wird durch die Erfüllung der neuen statistischen Verpflichtungen entstehen. Er soll dadurch reduziert werden, dass oberhalb der Schwellenwerte die Daten aus den Bekanntmachungsformularen durch ein vom Bund bereitgestelltes vollautomatisiertes Verfahren ausgelesen werden. Unterhalb der Schwellenwerte sollen webbasierte Eingabemasken und Schnittstellen zu vorhandenen Vergabeportalen genutzt werden. Gleichwohl wird bei den Kommunen Ermittlungs- und Erfassungsaufwand anfallen . Sobald sichergestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine elektronische Datenübermittlung gegeben sind, muss das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie dies im Bundesanzeiger bekannt geben. Die neuen Statistikpflichten treten erst drei Monate nach dieser Bekanntmachung in Kraft. Die Einführung der elektronischen Kommunikation wird für Kommunen, die noch keine Vergabeplattform nutzen, einen Umstellungsaufwand bedeuten, der von der im Einzelfall gewählten technischen und/oder organisatorischen Drucksache 17/11167 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Lösung abhängt (siehe auch Antwort zu Frage 5). Zusätzlicher Aufwand wird außerdem für Kommunen entstehen, die Dienstleistungskonzessionen vergeben wollen. 5. Welche personellen und technischen Maßnahmen müssen die Kommunen ergreifen, um das neue Vergaberecht umsetzen zu können? Für die Einführung der elektronischen Kommunikation schreibt das neue Vergaberecht keine bestimmten elektronischen Programme vor. Für den elektronischen Abruf der Vergabeunterlagen ab 18. April 2016 genügt es, diese auf der Homepage der Kommune zur Verfügung zu stellen. Die elektronische Einreichung von Angeboten ist nur über eine elektronische Vergabeplattform umsetzbar. Jede Kommune muss hier unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Bedürfnisse die für sie sinnvollste Lösung auswählen und umsetzen . Zur Umsetzung der neuen Statistikpflichten müssen die Kommunen voraussichtlich keine eigenen technischen Maßnahmen ergreifen (siehe hierzu Antwort zu Frage 4). Ob ein personeller Mehraufwand bei der Umsetzung des neuen Vergaberechts entsteht, hängt von den Rahmenbedingungen in der jeweiligen Kommune ab und kann von der Staatsregierung daher nicht bewertet werden. 6. Welche Hilfestellung bietet die Staatsregierung insbesondere kleineren Kommunen, damit diese ihre Vergabepraxis den neuen gesetzlichen Anforderungen entsprechend anpassen können? Grundsätzlich liegt es in der Eigenverantwortung der kommunalen Auftraggeber, ihre Vergabepraxis an die neuen gesetzlichen Anforderungen anzupassen. Das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr unterstützt die Kommunen, indem es in Kooperation mit den kommunalen Spitzenverbänden und unter Beteiligung des Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie Informationsveranstaltungen für kommunale Auftraggeber durchführen wird. Praktische Informationen zur Einführung elektronischer Vergabeverfahren durch die Kommunen hat das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr außerdem im November 2015 in einer Liste häufiger Fragen und Antworten bereitgestellt, die in seinem Internetangebot (http://www.innenministerium.bayern.de/buw/bauthemen/ vergabeundvertragswesen/kommunalerbereich/index.php) verfügbar ist.