Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Peter Meyer FREIE WÄHLER vom 10.03.2016 Reaktivierung von Bahnstrecken Für die Reaktivierung von Bahnstrecken setzt Bayern einen Grenzwert von prognostizierten 1.000 Personenfahrten pro Tag (Personenkilometer je Kilometer Streckenlänge) voraus. Begründet wird dies mit dem haushaltsrechtlichen Gebot zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Mitteleinsatzes . Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche gesetzliche oder sonstige rechtliche Vorgabe begründet den Grenzwert von 1.000 Personenfahrten pro Tag (bitte Nennung der konkreten Quellen, eine allgemeine Aussage wie in LT -Drs. 16/9586 ist nicht ausreichend)? 2. Wie wurde der Grenzwert von konkret 1.000 Personenfahrten berechnet und begründet? 3. Ist dieser Grenzwert aufgrund der demografischen Entwicklung in vielen Landesteilen strukturpolitisch noch zeitgemäß? 4. Besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass bei weniger als 1.000 prognostizierten Personenfahrten pro Tag die BEG die Finanzierung des Betriebs nur anteilig übernimmt und die Lücke durch andere Kostenträger (z. B. Landkreise) übernommen wird? 5. Gab es in Bayern seit 1996 Reaktivierungen von Bahnstrecken, bei denen im Vorfeld keine 1.000 Personenfahrten pro Tag prognostiziert wurden? a) Falls ja, warum war dies möglich? 6. Weshalb gilt der Grenzwert nicht bei bestehenden Strecken, wenn sie neu bestellt werden? 7. Auf welchen von der BEG bestellten Streckenabschnitten in Bayern werden die 1.000 Personenfahrten pro Tag nicht erreicht? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 09.05.2016 1. Welche gesetzliche oder sonstige rechtliche Vorgabe begründet den Grenzwert von 1.000 Personenfahrten pro Tag (bitte Nennung der konkreten Quellen, eine allgemeine Aussage wie in LT -Drs. 16/9586 ist nicht ausreichend)? 2. Wie wurde der Grenzwert von konkret 1.000 Personenfahrten berechnet und begründet? Der Grenzwert von 1.000 Reisenden-Kilometer pro Kilometer betriebener Strecke ergibt sich nicht direkt aus einer gesetzlichen oder rechtlichen Vorgabe, sondern lehnt sich an einer Zuwendungsvorgabe des Bundes an. In der vom Bund mit der Deutschen Bahn AG abgeschlossenen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II (LuFV II) ist Nachfolgendes festgeschrieben: „Verbesserungs- und Ausbaumaßnahmen für den Schienenpersonennahverkehr {…} müssen zu ihrer Umsetzung volkswirtschaftlich zu vertreten sein. Eine Förderung {…} ist ausgeschlossen, wenn die folgenden Grenzwerte nicht erreicht werden: Strecken (einschließlich zugehöriger Bahnhöfe und Stationen): Querschnittsbelastung mindestens 1.000 Reisenden-km je km Betriebslänge/Werktag. {…}“. Der Grenzwert wird zudem auch vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Eisenbahnstrecken herangezogen. Außerdem gilt analog § 9 LuFV II i. V. m. Anlage 8.7, Ziffer 6 d – hier allerdings hinsichtlich der Verwendung der Mittel aus den Länderquoten aus der Anlage 8.7 der LuFV II – der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Auch nach dem Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern (BayÖPNVG), zu welchem nach Art. 1 Abs. 1 Satz 3 BayÖPNVG auch der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zählt, ist dieser Grundsatz zu beachten sowie ferner das örtliche Fahrgastpotenzial (vgl. Art. 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 BayÖPNVG). Das Gebot ist auch in Art. 7 der Haushaltsordnung des Freistaates Bayern (BayHO) verankert. Die Staatsregierung hat diesen Wert übernommen, um bayernweit ein einheitliches Nachfragekriterium für die Prüfung von Reaktivierungen zu definieren. 3. Ist dieser Grenzwert aufgrund der demografischen Entwicklung in vielen Landesteilen strukturpolitisch noch zeitgemäß? Der Grenzwert ist ein Wirtschaftlichkeitsmaßstab, der in der zwischen Bund und DB abgeschlossenen LuFV I (Zeitraum 2009 bis 2014) sowie in der aktuellen LuFV II (Zeitraum 2015 bis 2019) unverändert geblieben ist. Die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr decken in ländlichen Regionen bereits bislang oft nur einen Bruchteil der Kosten für die Verkehrsleistung. Der weit überwiegende Teil wird von der öffentlichen Hand finanziert, wobei hier der SPNV deutlich höhere Zuschüsse benötigt als der öffentli- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 25.07.2016 17/11457 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11457 che Nahverkehr mit Bussen (ÖPNV). Bei weniger als 1.000 Fahrgästen an Werktagen ist der Bus jedoch in aller Regel das ökologisch und ökonomisch vernünftigere Verkehrsmittel . 4. Besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass bei weniger als 1.000 prognostizierten Personenfahrten pro Tag die BEG die Finanzierung des Betriebs nur anteilig übernimmt und die Lücke durch andere Kostenträger (z. B. Landkreise) übernommen wird? Nein. Zum einen besteht gemäß BayÖPNVG eine eindeutige Zuständigkeit des Freistaats für das SPNV-Angebot auf Schienenstrecken in Bayern. Zum anderen widerspricht es dem Prinzip der Chancengleichheit, wenn finanzkräftigere Regionen sich durch eine Anteilsfinanzierung einen Vorteil einkaufen würden. Selbstverständlich steht es Dritten frei, eigenständig ein regionales Zugangebot auf einer nicht mit SPNV bedienten Strecke ohne finanzielle Unterstützung des Freistaats für den Betrieb anzubieten. Ein finanzielles Engagement einer Kommune wäre nur innerhalb ihrer Aufgaben zulässig. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass das Fahrgastkriterium nur eines von mehreren ist, die erfüllt sein müssen, damit der Freistaat Bayern eine Bestellung von SPNV-Zügen auf einer zu reaktivierenden Strecke prüft. 5. Gab es in Bayern seit 1996 Reaktivierungen von Bahnstrecken, bei denen im Vorfeld keine 1.000 Personenfahrten pro Tag prognostiziert wurden? a) Falls ja, warum war dies möglich? Reaktivierungen von Bahnstrecken, bei denen im Vorfeld keine 1.000 Personenfahrten pro Tag prognostiziert wurden, wurden in diesem Zeitraum in Bayern nicht umgesetzt. 6. Weshalb gilt der Grenzwert nicht bei bestehenden Strecken, wenn sie neu bestellt werden? Auch eine Neubestellung auf einer bestehenden, aber bisher nicht bedienten Strecke wäre eine Reaktivierung, für die die Reaktivierungskriterien in gleicher Weise gelten wie für eine Neubestellung auf einer erst wieder zu errichtenden Strecke. Die Stilllegung bereits betriebener Strecken konnte unabhängig davon, wie hoch die Nutzerzahlen waren, dank der erfolgreichen Wettbewerbsstrategie im SPNV vermieden werden. Diese hat es bislang ermöglicht, trotz knapper Regionalisierungsmittel das bestehende Angebot zu erhalten und deutlich auszuweiten. Gerade die seit 1995 vollzogene Kehrtwendung weg von Streckenstillegungen ist eine der Errungenschaften der Regionalisierung im SPNV. 7. Auf welchen von der BEG bestellten Streckenabschnitten in Bayern werden die 1.000 Personenfahrten pro Tag nicht erreicht? Auf folgenden im SPNV bedienten Streckenabschnitten liegen die Personenfahrten pro Tag bei unter 1.000: • Murnau – Oberammergau • Fischhausen-Neuhaus – Bayrischzell • Garching – Traunstein • Traunstein – Waging • Hörpolding – Traunreut • Garching – Freilassing • Ebersberg – Wasserburg • Prien – Aschau • (Mühldorf) Waldkraiburg – Wasserburg • (Neumarkt St. Veit) Pfarrkirchen – Passau • Zwiesel – Grafenau • Zwiesel – Bodenmais • Zwiesel – Bayerisch-Eisenstein • Cham – Waldmünchen • Cham – Bad Kötzting – Lam • Kirchenlaibach – Weiden • Marktredwitz – Cheb • (Hof) Oberkotzau – Selb-Stadt • Hof – Bad Steben • Altenstadt (Waldnaab) – Neustadt (Waldnaab) • Bayreuth – Weidenberg • Münchberg – Helmbrechts • Coburg – Bad Rodach • Breitengüßbach – Ebern • Forchheim – Ebermannstadt • (Siegelsdorf) Langenzenn – Markt Erlbach • Neustadt – Bad Windsheim – Steinach • Gemünden – Bad Kissingen • Gemünden – Jossa • Wicklesgreuth – Windsbach • Roth – Hilpoltstein • Gunzenhausen – Pleinfeld • Günzburg – Mindelheim • Miltenberg – Wertheim • Garmisch-Partenkirchen – Ehrwald • Straubing – Bogen • Kempten – Pfronten-Steinach