7. Existieren am Markt Futtermittel, die die hohe Produktqualität , vergleichbar den wild gefangenen Felchen , sicherstellen? a) Können auf dieser Grundlage alle bestehenden Bodenseefischereibetriebe weiter existieren? 8. Bestehen andere Konzepte zur Sicherung und Verbesserung des Angebots an hochwertigen regional erzeugten Fischprodukten aus dem Bodensee und deren Verfügbarkeit in der heimischen Gastronomie? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 13.05.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wie folgt beantwortet: 1. Nachdem die Fangerträge in der Bodenseefischerei seit einigen Jahren stark rückläufig sind, frage ich die Staatsregierung, wie sie diese angeblich von normalen seetypischen Schwankungen klar unterschiedenen nährstoffbedingten Ertragsrückgänge einschätzt? Der Bodensee war in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts einer starken Nährstoffbelastung ausgesetzt, die zu einer Veränderung des Planktons und Zunahme der Nährtierdichte und damit des Fischertrags führte. Die daraufhin ergriffenen umfangreichen Sanierungsmaßnahmen bei der Abwasserreinigung haben zu einem guten ökologischen Zustand nach EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) geführt. Dies gilt auch für die biologische Qualitätskomponente Fischfauna. Die fischereilichen Fangerträge sind in den letzten Jahren zurückgegangen und bewegen sich zwischenzeitlich wieder auf dem Niveau der 1950er-Jahre wie vor Beginn der starken Nährstoffbelastung. Aktuell scheint es laut den Berufsfischern am Bodensee zu weiteren Fangrückgängen zu kommen. Neben dem Nährstoffgehalt gibt es weitere Einflüsse auf die Nahrungskette. In der jüngsten Vergangenheit gab es eine Bestandsexplosion des Stichlings im Bodensee. Diese Kleinfischart ist fischereilich nicht verwertbar, kann aber eine Nahrungskonkurrenz für die Bodenseefelchen darstellen und Felchenlaich und -brut fressen. Nach Mitteilung der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung & Gewässerschutz – EAWAG (Schweiz) könnte eventuell auch eine gebietsfremde, invasiv auftretende Körbchenmuschelart Nährstoffe in einem hohen Umfang aus dem Bodenseewasser filtern und damit indirekt die Fischfangmenge ungünstig beeinflussen. 17. Wahlperiode 21.07.2016 17/11527 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Leopold Herz FREIE WÄHLER vom 14.04.2016 Aktuelle Situation in der Bodenseefischerei und ökologischer Zustand des Bodensees Ich frage die Staatsregierung: 1. Nachdem die Fangerträge in der Bodenseefischerei seit einigen Jahren stark rückläufig sind, frage ich die Staatsregierung, wie sie diese angeblich von normalen seetypischen Schwankungen klar unterschiedenen nährstoffbedingten Ertragsrückgänge einschätzt? 2. In Bezug auf die Nährstoffverhältnisse stellt sich die Frage, welche Maßnahmen wurden getroffen oder welche Ziele sind künftig angestrebt, um den Belangen der EU-WRRL – Punkt 12 / 16 / 23 Rechnung zu tragen? 3. Welche Einstufung des ökologischen Zustandes erreicht der Bodensee anhand der maßgeblichen biologischen Qualitätskriterien derzeit (sehr gut, gut, mäßig)? a) Sofern er nicht den sehr guten Zustand erreicht, wieso wird der zulässige Phosphatgehalt (P) immer am sehr guten Zustand bemessen (<8 mg/m³ P im geschichteten Alpensee)? b) Könnte der für den guten ökologischen Zustand benannte Wert von 9–12 mg/m³ P als Orientierungsgröße für ein zulässiges verbessertes Nährstoffangebot dienen? 4. Sieht die Staatsregierung die Umklassifizierung des Bodensees vom Voralpensee zum Alpensee als zwingend geboten an? a) War diese weitreichende Maßnahme zwischen den beteiligten Länderarbeitsgemeinschaften Wasser (LAWA) (Phytoplankton, Makroinvertebraten, Fische) einvernehmlich abgestimmt und mit der Internationale Bevollmächtigten Konferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) beraten? 5. Nachdem hydromorphologische und chemisch-physikalische Parameter nach WRRL in Unterstützung der biologischen Parameter eingesetzt werden können, frage ich die Staatsregierung, inwieweit sich ein solcher unterstützender Parameter wie PO4-P ändern / verschlechtern darf, wenn sich die maßgebliche biologische Qualitätskomponente nicht verändert? a) Existieren rechtliche Bewertungen dieser Frage? 6. Nachdem in der bodenseeweiten Diskussion die alternative Produktion der Bodenseefelchen in Aquakulturanlagen empfohlen wird, frage ich die Staatsregierung, ob sie sich dieser Empfehlung anschließt? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11527 2. In Bezug auf die Nährstoffverhältnisse stellt sich die Frage, welche Maßnahmen wurden getroffen oder welche Ziele sind künftig angestrebt, um den Belangen der EU-WRRL – Punkt 12 / 16 / 23 Rechnung zu tragen? Die auf der Grundlage der Bodenseerichtlinie vereinbarten Maßnahmen an Kläranlagen zur Reduzierung des Phosphoreintrags, zu denen sich die Anliegerstaaten verpflichtet haben, sind seit vielen Jahren abgeschlossen. Weitere Maßnahmen im Bereich der Abwasserbehandlung zu einer weitergehenden Nährstoffreduzierung am Bodensee sind in Bayern und auch bei den weiteren Anliegerstaaten nicht vorgesehen. Aus den Kläranlagen werden auch heute noch >80 t Phosphor pro Jahr in den See eingetragen . Hinzu kommen nochmals Einträge aus diffusen Quellen (Erosion, Landwirtschaft) in gleicher Größenordnung . Die Phosphorgehalte des Bodensees liegen seit etwa 10 Jahren wieder auf dem Niveau wie zu Beginn der 1950er- Jahre, in denen bereits Eutrophierung des Sees auftrat, jedoch noch vor der starken Eutrophierungswelle. Seit 2010 steigen die Phosphorgehalte des Bodensees wieder leicht an (6 mg P/m3 in 2010 auf 8 mg P/m3 in 2015). Der Phosphor -Gehalt des Bodenseewassers ist nicht nur vom Phosphoreintrag allein, sondern u. a. von der Durchmischung (Umwälzung) des Sees abhängig. Der Phosphorgehalt des Sees ist daher nicht auf einen bestimmten Wert „einstellbar“. Die bisher durchgeführten Gewässerschutzmaßnahmen stehen im Einklang mit dem Erwägungsgrund Nr. 12 für die WRRL, der auf eine ausgewogene Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft abstellt, als auch mit den Gründen Nr. 16, welcher eine Integration einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Gewässer u. a. explizit in die Fischereipolitik fordert sowie Nr. 23, welcher auf allgemeine Grundsätze für Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung des Gewässerschutzes in der Gemeinschaft abzielt. 3. Welche Einstufung des ökologischen Zustandes erreicht der Bodensee anhand der maßgeblichen biologischen Qualitätskriterien derzeit (sehr gut, gut, mäßig)? Den guten ökologischen Zustand (siehe auch 1.), wenngleich lokal an manchen Probestellen Nährstoffbelastungen erkennbar sind. a) Sofern er nicht den sehr guten Zustand erreicht, wieso wird der zulässige Phosphatgehalt (P) immer am sehr guten Zustand bemessen (<8 mg/m3 P im geschichteten Alpensee)? b) Könnte der für den guten ökologischen Zustand benannte Wert von 9–12 mg/m3 P als Orientierungsgröße für ein zulässiges verbessertes Nährstoffangebot dienen? Die naturnahen Lebensbedingungen und der gute ökologische Zustand des Bodensees nach WRRL sind unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes insbesondere vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels zu sichern. Der Bodensee dient zudem als Trinkwasserspeicher für etwa fünf Millionen Einwohner. Die gute Wasserqualität des Bodensees ist auch für die Naherholung der ansässigen Bevölkerung bedeutend und ein herausragendes Standbein des Tourismus. Eine Verminderung der Abwasserreinigung ist wasserrechtlich nicht genehmigungsfähig und würde auch völkerrechtlichen Vereinbarungen widersprechen. Die Haltung zum Gewässerschutz am Bodensee ist in der Internationalen Gewässerschutzkommission am Bodensee (IGKB) mit allen Anliegerstaaten einvernehmlich abgestimmt. Trotz der seit wenigen Jahren wieder leicht ansteigenden Phosphorwerte im Bodenseewasser gehen die Fischereierträge möglicherweise wegen der oben genannten Konkurrenzsituation von Felchen mit Stichlingen und Körbchenmuschel zurück. 4. Sieht die Staatsregierung die Umklassifizierung des Bodensees vom Voralpensee zum Alpensee als zwingend geboten an? a) War diese weitreichende Maßnahme zwischen den beteiligten Länderarbeitsgemeinschaften Wasser (LAWA) (Phytoplankton, Makroinvertebraten, Fische ) einvernehmlich abgestimmt und mit der Internationale Bevollmächtigten Konferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) beraten? Die gewässertypologische Einstufung des Bodensees als deutscher Seetyp 4 (geschichteter Alpensee) erfolgte auf der Basis der deutschen Seetypologie und ist im Rahmen des EU-weiten Interkalibrierungsprozesses international abgestimmt und bestätigt. Alle alpin geprägten Großseen der Alpen und des Alpenvorlandes (z. B. Gardasee, Lago Maggiore) gehören mit dem Bodensee international in den gleichen Seentyp. Entscheidendes Kriterium ist die Beeinflussung dieser Seen durch alpine Zuflüsse (kühles Temperaturregime , hohe Schwebstoffeinträge, oft hohe Trübung, sehr geringe Nährstoffkonzentrationen). Die geografische Lage ist nachrangig. Der Bodensee wird eindeutig durch den Hauptzufluss Alpenrhein maßgeblich alpin beeinflusst, er erhält durch diesen erhebliche Schwebstoffmengen (Beeinflussung von Sichttiefe, Plankton, Wasserpflanzen mit Auswirkungen u. a. Fische) und hat ein Temperaturregime mit alpiner Beeinflussung. Eine Umklassifizierung des Bodensees vom Voralpensee zum Alpensee erfolgte nicht. 5. Nachdem hydromorphologische und chemischphysikalische Parameter nach WRRL in Unterstützung der biologischen Parameter eingesetzt werden können, frage ich die Staatsregierung, inwieweit sich ein solcher unterstützender Parameter wie PO4-P ändern / verschlechtern darf, wenn sich die maßgebliche biologische Qualitätskomponente nicht verändert? a) Existieren rechtliche Bewertungen dieser Frage? Orientierungswerte für z. B. allgemeine physikalisch-chemische Qualitätskomponenten sind keine Grenzwerte. Sie wirken unterstützend, maßgeblich ist aber die biologische Bewertung. Nach den Bestimmungen der WRRL sind jedoch die allgemeinen physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten in Unterstützung der biologischen Komponenten bei der Einstufung des ökologischen Zustandes heranzuziehen. Ob auch nur eine Verschlechterung unterstützender Qualitätskomponenten ebenfalls bereits als eine Verschlechterung im Sinne der WRRL angesehen werden muss, wird derzeit bundesweit auf Ebene der LAWA diskutiert. 6. Nachdem in der bodenseeweiten Diskussion die alternative Produktion der Bodenseefelchen in Aquakulturanlagen empfohlen wird, frage ich die Drucksache 17/11527 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Staatsregierung, ob sie sich dieser Empfehlung anschließt? Eine Empfehlung allein hätte noch nicht den Beginn einer Aquakulturproduktion zur Folge. Die bayerischen Bodensee -Berufsfischer stehen der Beteiligung an einer solchen Felchenerzeugung zur Kompensation ihrer stark abnehmenden Fangerträge derzeit noch kritisch gegenüber. Dies trifft besonders für die Aufzucht von Felchen in Teichen oder Beckenanlagen zu. Ob eine andere Form der Aquakultur, die Haltung in Netzgehegen im See selbst, denkbar wäre, muss in den internationalen Gremien für den Bodensee erörtert werden. 7. Existieren am Markt Futtermittel, die die hohe Produktqualität , vergleichbar den wild gefangenen Felchen, sicherstellen? Auf dem deutschen Markt wird ein solches, für Renken spezifisches Futtermittel nicht angeboten. Doch werden in den Seen Finnlands seit einigen Jahren gut 1.000 Tonnen Renken jährlich aufgezogen, die mit einem speziellen, für Renken konzipierten Futtermittel gefüttert werden. Ein geeignetes Futtermittel ist also auf dem europäischen Markt erhältlich. Versuche der Fischereiforschungsstelle Langenargen ergaben, dass die Produktqualität von Zuchtfischen vergleichbar mit der von Wildfischen ist. a) Können auf dieser Grundlage alle bestehenden Bodenseefischereibetriebe weiter existieren? Die weitere Existenz der Betriebe hängt von vielen Faktoren ab, z. B. von der Familien- und Betriebssituation oder von der Vermarktungsform. Zudem müssten auf allen Stufen der Entwicklung einer Aquakultur positive Entscheidungen getroffen werden. Dies erstreckt sich von der fachlichen und organisatorischen Konzeption und der wasserrechtlichen Genehmigung über die Finanzierung hin zum Erfolg bei der Erzeugung selbst. 8. Bestehen andere Konzepte zur Sicherung und Verbesserung des Angebots an hochwertigen regional erzeugten Fischprodukten aus dem Bodensee und deren Verfügbarkeit in der heimischen Gastronomie ? Es besteht in begrenztem Umfang die Möglichkeit, andere und bisher kaum genutzte Fischarten, insbesondere aus der Gruppe der Karpfenartigen (sogenannte Weißfische, wie z. B. Rotaugen, Rotfedern oder Brachsen), zu hochwertigen Produkten zu verarbeiten und direkt an den Verbraucher oder die Gastronomie zu vermarkten. Fischer an den oberbayerischen Seen setzen dieses Konzept bereits erfolgreich um. Ende 2015 wurde die Studie der Hochschule Weihenstephan -Triesdorf „Gemeinschaftsmarketing für Weißfische aus dem Bodensee“ vorgestellt. Darin wurde umfassend die Situation der bayerischen Bodenseefischerei und der Erzeuger- und Verbraucherwünsche dargestellt, die dann zu konkreten Vorschlägen für die Verarbeitung und Vermarktung führten. Die ebenfalls integrierte Marktanalyse ergab optimistische Perspektiven für die Nutzung der Weißfische.