Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Martin Stümpfig, Jürgen Mistol BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 18.04.2016 Aufstockungspotenzial von Gebäuden in bayerischen Ballungsräumen Vielerorts ist Wohnraum in Bayern zu einem Luxusgut geworden . Insbesondere in den Ballungszentren sind die Mieten in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Der ständige Rückgang der Mittel für die Wohnraumförderung verstärkt dieses Problem noch. Die Technische Universität Darmstadt veröffentlichte im Februar dieses Jahres gemeinsam mit dem Pestel Institut eine Studie zum Thema vertikale Nachverdichtung. In der Untersuchung „Wohnraumpotenziale durch Aufstockungen“ wurden enorme Wohnraumreserven in ungesättigten Wohnungsmärkten Deutschlands aufgedeckt und deren wirtschaftliche Erschließbarkeit nachgewiesen. Insbesondere im Hinblick auf energetische Sanierungen können Aufstockungen zu einer Warmmietenneutralität führen. Darüber hinaus wird Wohnraum generiert, ohne neue Flächen versiegeln zu müssen. In diesem Kontext fragen wir die Staatsregierung: 1. Wie viele Mehrfamilienhäuser mit drei oder mehr Wohnungen gibt es in Bayern? a) Welcher Anteil an Mehrfamilienhäusern findet sich in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf bzw. in Gebieten, in denen die ausreichende Versorgung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist (aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken , Landkreisen und kreisfreien Städten)? 2. Welcher Anteil an Mehrfamilienhäusern befindet sich in der Hand eines Eigentümers, einer Eigentümergemeinschaft , von genossenschaftlichen und öffentlichen Unternehmen sowie von privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen? a) Wie groß ist der Anteil an Mehrfamilienhäusern der Baujahre 1950–1989? b) Welcher Anteil an Mehrfamilienhäusern unterliegt dem Denkmalschutz? 3. Wie hoch ist der Anteil an ausgebauten Dachgeschossen bei Mehrfamilienhäusern? a) Welcher Anteil der Mehrfamilienhäuser reizt den maximalen Grenzwert der Geschossflächenzahl aus? b) Wie hoch ist der Anteil an energetisch sanierten Mehrfamilienhäusern , die mindestens die Anforderungen der ersten Energieeinsparverordnung von 2002 erfüllen ? 4. Wie groß ist der Anteil an frei stehenden Mehrfamilienhäusern , Doppelgebäudehälften, gereihten Mehrfamilienhäusern und Mehrfamilienhäusern, die keine Anforderungen gemäß Energieeinsparverordnung erfüllen ? a) Wie viele Gebäude verfügen über ein Flachdach? b) Wie viele über ein Satteldach? 5. Inwieweit ist der Staatsregierung bekannt, wie viele Bauvorlagen zu Aufstockungen in den letzten Jahren bei bayerischen Baubehörden eingegangen sind? a) Wie viele Aufstockungen wurden in den letzten Jahren vorgenommen und woran scheiterten nichtgenehmigungsfähige Vorhaben? b) Welche Fördermittel sind zurzeit für Aufstockungen abrufbar? 6. Inwieweit ist der Staatsregierung bekannt, wie viele Quadratmeter Wohnfläche in den letzten Jahren durch Aufstockungen generiert wurden? a) Wie viele Aufstockungen gingen mit komplementären energetischen Sanierungen im Sinne der Energieeinsparverordnungen einher? b) Inwieweit stellen Aufstockungen für die Staatsregierung eine Möglichkeit dar, energetische Sanierungen wirtschaftlicher zu machen, um so die Sanierungsquote zu erhöhen? 7. Inwieweit hält die Staatsregierung ordnungsrechtliche Anpassungen für erforderlich, um eine Aufstockung zu erleichtern? a) Was hält die Staatsregierung davon, einzelne ordnungsrechtliche Vorgaben für Aufstockungen auszusetzen , wenn im Gegenzug der geschaffene Wohnraum Belegungsbindung erhält? 8. Wie schätzt die Staatsregierung die in der Studie „Wohnraumpotenziale durch Aufstockungen“ der Technischen Universität (TU) Darmstadt und des Pestel Instituts beschriebenen Potenziale für Bayern ein? a) Welche Konsequenzen wird die Staatsregierung aus der vorliegenden Studie ziehen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 12.08.2016 17/11742 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11742 Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 24.05.2016 1. Wie viele Mehrfamilienhäuser mit drei oder mehr Wohnungen gibt es in Bayern? a) Welcher Anteil an Mehrfamilienhäusern findet sich in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf bzw. in Gebieten, in denen die ausreichende Versorgung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist (aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken, Landkreisen und kreisfreien Städten)? 2. Welcher Anteil an Mehrfamilienhäusern befindet sich in der Hand eines Eigentümers, einer Eigentümergemeinschaft , von genossenschaftlichen und öffentlichen Unternehmen sowie von privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen? a) Wie groß ist der Anteil an Mehrfamilienhäusern der Baujahre 1950–1989? b) Welcher Anteil an Mehrfamilienhäusern unterliegt dem Denkmalschutz? 3. Wie hoch ist der Anteil an ausgebauten Dachgeschossen bei Mehrfamilienhäusern? a) Welcher Anteil der Mehrfamilienhäuser reizt den maximalen Grenzwert der Geschossflächenzahl aus? b) Wie hoch ist der Anteil an energetisch sanierten Mehrfamilienhäusern, die mindestens die Anforderungen der ersten Energieeinsparverordnung von 2002 erfüllen? 4. Wie groß ist der Anteil an frei stehenden Mehrfamilienhäusern , Doppelgebäudehälften, gereihten Mehrfamilienhäusern und Mehrfamilienhäusern, die keine Anforderungen gemäß Energieeinsparverordnung erfüllen? a) Wie viele Gebäude verfügen über ein Flachdach? b) Wie viele über ein Satteldach? Daten zum Wohnungsbestand in regionaler Aufgliederung liegen zum Zensusstichtag 9. Mai 2011 vor. Insofern wird auf www.statistik.bayern.de/statistik/zensus-ergebnisse unter Tabelle „Zensus 2011: Gemeindedaten Gebäude und Wohnungen Ergebnisse für Bayern“ verwiesen. Aktualisierte Daten liegen der Staatsregierung derzeit nicht vor bzw. sind im verfügbaren Zeitrahmen zur Beantwortung der Schriftlichen Anfrage nicht mit zumutbarem Aufwand zu beschaffen. Die Zuordnung der Einzeldaten des Zensus 2011 auf die in der erst zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs bundesrechtlicher Mieterschutzvorschriften (Mieterschutzverordnung – Mi- SchuV – GVBl. 2015, S. 398) bzw. die in der Anlage zu § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Wohnungsrechts und des Besonderen Städtebaurechts (Durchführungsverordnung Wohnungsrecht – DVWoR – GVBl. S. 326, zul. geänd. durch § 1 ÄndV v. 10.11.2015, GVBl. S. 414) bestimmten Gemeinden erscheint nicht folgerichtig. Die Statistiken der Bautätigkeit im Hochbau sind angeordnet durch das Gesetz über die Statistik der Bautätigkeit im Hochbau und die Fortschreibung des Wohnungsbestands (Hochbaustatistikgesetz – HBauStatG) in Verbindung mit dem Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke (Bundesstatistikgesetz – BStatG). Auf Basis der von den Bauaufsichtsbehörden abgegebenen Meldungen erfasst das Bayerische Landesamt für Statistik unter Differenzierung nach verschiedenen Kriterien (u. a. Gebäudearten, Bauherren, Kreisen) periodisch die Zahl der Baugenehmigungen/Baufertigstellungen. Die angefragten Zahlen/Daten werden nicht erfasst und können auch nicht mit vertretbarem Aufwand erhoben werden. 5. Inwieweit ist der Staatsregierung bekannt, wie viele Bauvorlagen zu Aufstockungen in den letzten Jahren bei bayerischen Baubehörden eingegangen sind? a) Wie viele Aufstockungen wurden in den letzten Jahren vorgenommen und woran scheiterten nichtgenehmigungsfähige Vorhaben? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. b) Welche Fördermittel sind zurzeit für Aufstockungen abrufbar? Für das Jahr 2016 stehen in der staatlichen Wohnraumförderung (dritte Säule des Wohnungspakts Bayern) 401,6 Mio. Euro zur Schaffung von Miet- und Eigenwohnraum sowie von Wohnraum für Studierende bereit. Die Förderung einer Aufstockungsmaßnahme bei Wohngebäuden (Mehrfamilienhäusern ) wäre im Grundsatz nach der Einkommensorientierten Förderung (EOF) oder nach der Aufwendungsorientierten Förderung (AOF) möglich. Soweit es sich um Gebäude im Gemeindebesitz handelt, käme grundsätzlich auch eine Förderung nach dem Kommunalen Wohnraumförderungsprogramm (KommWFP – zweite Säule des Wohnungspakts ) in Betracht. Für das KommWFP stehen heuer 150 Mio. Euro bereit. Die genannten Fördermittel stehen allgemein zur Schaffung von Wohnraum zur Verfügung, es werden keine Mittel speziell für Aufstockungsmaßnahmen bereitgestellt. 6. Inwieweit ist der Staatsregierung bekannt, wie viele Quadratmeter Wohnfläche in den letzten Jahren durch Aufstockungen generiert wurden? a) Wie viele Aufstockungen gingen mit komplementären energetischen Sanierungen im Sinne der Energieeinsparverordnungen einher? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. b) Inwieweit stellen Aufstockungen für die Staatsregierung eine Möglichkeit dar, energetische Sanierungen wirtschaftlicher zu machen, um so die Sanierungsquote zu erhöhen? Es ist nicht regelmäßig davon auszugehen, dass durch Aufstockungen energetische Sanierungen wirtschaftlicher gemacht werden können. Aufstockungen sind daher grundsätzlich kein geeignetes Mittel, die Sanierungsquote zu erhöhen . 7. Inwieweit hält die Staatsregierung ordnungsrechtliche Anpassungen für erforderlich, um eine Aufstockung zu erleichtern? a) Was hält die Staatsregierung davon, einzelne ordnungsrechtliche Vorgaben für Aufstockungen auszusetzen, wenn im Gegenzug der geschaffene Wohnraum Belegungsbindung erhält? Die Bayerische Bauordnung (BayBO) wurde in den vergangenen Jahren bereits mehrfach novelliert, um u. a. die Drucksache 17/11742 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Schaffung von Wohnraum zu erleichtern bzw. zu vereinfachen . Insbesondere wurden: • die Tatbestände der Verfahrensfreiheit im Wesentlichen ausgeweitet, um überflüssige Verfahren zu vermeiden, • der Anwendungsbereich des Genehmigungsfreistellungsverfahrens (im Geltungsbereich qualifizierter Bebauungspläne ) auf Gebäude bis zur Sonderbautengrenze erweitert, • der Umfang bauaufsichtlicher Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren (bis zur Sonderbautengrenze anwendbar) im Wesentlichen auf das Bauplanungsrecht beschränkt und • die materiellen Anforderungen auf das im Wesentlichen aus Sicherheitsgründen notwendige Maß zurückgeführt. Auch Vorhaben zur Aufstockung von Gebäuden zu Wohnzwecken sind durch diese Erleichterungen grundsätzlich vereinfacht worden. Eine weitere Anpassung bzw. eine Aussetzung insbesondere der verbliebenen bauaufsichtlichen materiell-rechtlichen Anforderungen (vor allem Brandschutz und Standsicherheit ) kann – selbst vor dem Hintergrund des dringenden Erfordernisses zur Schaffung von Sozialwohnungen – für Vorhaben zur Aufstockung nicht befürwortet werden. Sowohl die Bauministerkonferenz der Länder als auch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr lassen derzeit jedoch prüfen, inwieweit bei den Verfahren und Anforderungen u. a. im Bauordnungsrecht noch Vereinfachungspotenzial besteht, um die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum weiter zu fördern. 8. Wie schätzt die Staatsregierung die in der Studie „Wohnraumpotenziale durch Aufstockungen“ der Technischen Universität (TU) Darmstadt und des Pestel Instituts beschriebenen Potenziale für Bayern ein? a) Welche Konsequenzen wird die Staatsregierung aus der vorliegenden Studie ziehen? Die Studie mit ihren dargestellten Beispielen für bereits realisierte Projekte der Aufstockung von Wohngebäuden zeigt, dass in der Aufstockung ein beträchtliches Potenzial zur Schaffung von Wohnraum bestehen kann. Ob sich die Potenziale allerdings auch realisieren lassen, kann nur eine Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls zeigen. Voraussetzung ist, dass für die Aufstockung die planungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen oder von der Gemeinde geschaffen werden können, das Vorhaben bauordnungsrechtlich zulässig ist (Abstandsflächen, Rettungswege , Anleiterbarkeit, Feuerwiderstand der Tragkonstruktion , zusätzlicher Stellplatzbedarf, etc.) und technisch mit vertretbarem Aufwand möglich ist (Abtragen der zusätzlichen Lasten, Eignung der vorhandenen Haustechnik für eine Erweiterung u. Ä.). Belange des Denkmalschutzes und des Ortsbildes können die Möglichkeiten ebenfalls einschränken . Die Studie trifft hier – notwendigerweise – pauschalierende , vielleicht aber auch an manchen Stellen sehr optimistische Annahmen.