Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 06.06.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst wie folgt beantwortet: 1. Was genau versteht die Staatsregierung unter Leitkultur ? Die Präambel des Entwurfs der Staatsregierung eines Bayerischen Integrationsgesetzes definiert die Leitkultur als identitätsbildende Prägung unseres Landes. Die Präambel führt dazu aus: „Bayern ist Teil der deutschen Nation mit gemeinsamer Sprache und Kultur. Es ist tief eingewurzelt in Werte und Traditionen des gemeinsamen christlichen Abendlandes und weiß zugleich um den jüdischen Beitrag zu seiner Identität . Die Würde des Menschen, die Freiheit der Person, die Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen und das Recht jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes, aber auch selbstverantwortliches Leben sind als Frucht der Aufklärung tragende Grundlage unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung . Die nationalsozialistische Willkürherrschaft, die Verbrechen des Dritten Reichs und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges haben gelehrt, dass allein eine grundrechtlich ausgerichtete Herrschaft des Rechts vor Terror, Diktatur und Spaltung bewahrt und Voraussetzung für Frieden und Freiheit ist. Jeder Einzelne ist daher zur Wahrung des Rechts und zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet. Die demokratische Verfasstheit des Gemeinwesens bindet umgekehrt alle Staatsgewalt an die Stimme des Volkes. Die Solidarität mit den Schwächeren und Hilfsbedürftigen ist Gebot der Gemeinschaft wie jedes Einzelnen, setzt aber zugleich voraus, dass in erster Linie jeder zunächst selbst verpflichtet ist, Verantwortung für sich und die Seinen zu übernehmen und sein Möglichstes dazu beizutragen. Die Gemeinschaft kann nur leisten, was gemeinsam von allen erwirtschaftet wird, und darf daher von jedem seinen Beitrag erwarten. Ganz Bayern ist geformt von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist es so zur neuen Heimat für viele geworden , die sich hier eingebracht und eingelebt haben. Das lange geschichtliche Ringen unserer Nation und unseres ganzen Kontinents um Einheit, Frieden und Freiheit verpflichtet auf das errungene gesamteuropäische Erbe und das Ziel eines gemeinsamen europäischen Weges.“ 2. Woraus besteht die identitätsbildende Prägung des Landes (bitte vollständige Aufzählung aller Bestandteile )? Die identitätsbildende Prägung unseres Landes ist in der Präambel des Entwurfs des Bayerischen Integrationsgeset- 17. Wahlperiode 11.08.2016 17/11872 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25.04.2016 Was versteht die Staatsregierung unter Leitkultur Die Staatsregierung will in ihrem Integrationsgesetzentwurf den umstrittenen und nicht definierten Begriff Leitkultur zur Pflicht machen. Menschen mit Migrationshintergrund sollen dazu verpflichtet werden, die Leitkultur unabdingbar zu achten. Schulen, Kindertagesstätten, Rundfunk, Medien, Wirtschaft und andere sollen die Leitkultur vermitteln. Es ist jedoch unklar, was unter Leitkultur zu verstehen ist. Aus diesem Anlass frage die Staatsregierung: 1. Was genau versteht die Staatsregierung unter Leitkultur? 2. Woraus besteht die identitätsbildende Prägung des Landes (bitte vollständige Aufzählung aller Bestandteile)? 3. Welche Elemente der hiesigen Kultur sollen die Migrantinnen und Migranten als den „für sie nun geltenden Maßstab“ annehmen? 4. Auf welches gewachsene Brauchtum, welche Sitten und welche Traditionen soll im Rahmen der Integrationspflicht zu achten sein? 5. An welchen in der heimischen Bevölkerung vorherrschenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuchen haben sich die Migranten und Migrantinnen zu orientieren? 6.1 Welche lokalen Dialekte sollen in den Kitas unterstützt und gepflegt werden (bitte alle entsprechenden Dialekte auflisten)? 6.2 Sollen Zuwandererkinder aus anderen Regierungsbezirken oder Bundesländern nun in einer fränkischen, schwäbischen oder oberbayerischen Kita speziell in dem lokalen oder stattdessen in ihrem muttersprachlichen Dialekt geschult werden? 6.3 Soll das Beherrschen des lokalen Dialekts zukünftig Einstellungskriterium bei der Besetzung einer Erzieherinnen - bzw. Erzieherstelle sein? 7. Welche zentralen Elemente der christlich-abendländischen Kultur sollen zukünftig in den Schulen unterrichtet werden? 8.1 Auf welche Weise soll zukünftig Leitkultur durch Unternehmen vermittelt werden? 8.2 Welchen konkreten Beitrag sollen Rundfunk und Medien bei der Vermittlung der Leitkultur leisten? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11872 zes als „Leitkultur“ legaldefiniert. Es wird somit auf die Ausführungen unter Frage 1 verwiesen. 3. Welche Elemente der hiesigen Kultur sollen die Migrantinnen und Migranten als den „für sie nun geltenden Maßstab“ annehmen? Es gilt das zu Frage 1 Gesagte. 4. Auf welches gewachsene Brauchtum, welche Sitten und welche Traditionen soll im Rahmen der Integrationspflicht zu achten sein? Die Integrationspflicht ist an der Leitkultur auszurichten. Es gilt das zu Frage 1 Gesagte entsprechend. 5. An welchen in der heimischen Bevölkerung vorherrschenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuchen haben sich die Migrantinnen und Migranten zu orientieren ? Die vorherrschenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuche , die im Einklang mit Recht und Gesetz stehen, sind zu respektieren. 6.1 Welche lokalen Dialekte sollen in den Kitas unterstützt und gepflegt werden (bitte alle entsprechenden Dialekte auflisten)? Im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan erfährt generell die individuelle Familiensprache des Kindes – und dabei auch ganz explizit der jeweilige vom Kind gesprochene Dialekt – eine ganz besondere Wertschätzung. Eine Einschränkung auf ausgewählte lokale Dialekte erfolgt dabei nicht. 6.2 Sollen Zuwandererkinder aus anderen Regierungsbezirken oder Bundesländern nun in einer fränkischen , schwäbischen oder oberbayerischen Kita speziell in den lokalen oder stattdessen in ihrem muttersprachlichen Dialekt geschult werden? Bei der Dialektförderung sind nur deutsche Dialekte erfasst. Der jeweilige Dialekt des Kindes wird von den Fachkräften im Sinne des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans in besonderer Weise respektiert. Kinder werden so von den Fachkräften darin unterstützt, auch weiterhin ihren Dialekt, ihre Mundart, zu sprechen. Selbstverständlich können pädagogische Fachkräfte die Kinder spezifisch nur in dem Dialekt stärken, den sie selbst beherrschen. 6.3 Soll das Beherrschen des lokalen Dialekts zukünftig Einstellungskriterium bei der Besetzung einer Erzieherinnen - bzw. Erzieherstelle sein? Die Einbettung der Mundart und des Dialektes in authentische Situationen im pädagogischen Alltag ist – sofern die pädagogische Fachkraft selbst Mundartsprecherin ist – vor allem im Sinne der gelebten Mehrsprachigkeit sinnvoll und wird auch im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (BayBEP) ausdrücklich begrüßt. Das Beherrschen des lokalen Dialektes ist auch zukünftig kein Einstellungskriterium. 7. Welche zentralen Elemente der christlich-abendländischen Kultur sollen zukünftig in den Schulen unterrichtet werden? Im Entwurf des Bayerischen Integrationsgesetzes sind keine Änderungen in den schulischen Lehrplänen vorgesehen. Wie bisher gilt: Die Verfassung und die Gesetze erteilen den Schulen einen eigenständigen Erziehungsauftrag. Kernstück ist die Vermittlung von Werten und Normen, an denen der Einzelne sein Handeln und Verhalten orientiert. Wertorientierung wird zwar zunächst im Elternhaus erworben. Das Grundgesetz (GG) und die Bayerische Verfassung (BV) weisen den Eltern die Erziehung der Kinder als „natürliches Recht und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht“ zu (Art. 6 Abs. 2 GG; Art. 126 Abs. 1 BV). Das Elternrecht wird aber durch den Erziehungsauftrag der Schule ergänzt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 126 Abs. 1 Satz 2 BV). Die Schule hat dementsprechend neben dem Auftrag der Wissensvermittlung auch den Auftrag zur Persönlichkeitsbildung und -entwicklung (Art. 1 Abs. 1 BayEUG, Art. 131 BV), um die Eltern bei der Erziehung zu unterstützen. Die dabei zu vermittelnden Werte und Normen orientieren sich an den obersten Bildungszielen gem. Art. 131 Abs. 2 BV. Diese Leitbegriffe der Verfassung setzen ethische Standards und verweisen insbesondere auf die christlich-abendländische Tradition als prägenden Kultur- und Bildungsfaktor auch in einem weltanschaulichreligiös neutralen Staat. 8.1 Auf welche Weise soll zukünftig Leitkultur durch Unternehmen vermittelt werden? Den Unternehmen ist es freigestellt, ob und wie sie ihrerseits auf Unternehmenskosten Angebote zur Vermittlung der deutschen Sprache und der im Gesetzentwurf legaldefinierten Leitkultur unterbreiten wollen. 8.2 Welchen konkreten Beitrag sollen Rundfunk und Medien bei der Vermittlung der Leitkultur leisten? Im Entwurf der Staatsregierung eines Bayerischen Integrationsgesetzes ist keine Erweiterung des Programmauftrags der Medien und des Rundfunks vorgesehen. Der Bayerische Rundfunk und die nach dem Bayerischen Mediengesetz an der Veranstaltung von Rundfunk Beteiligten unterstützen im Rahmen ihres Programmauftrags die Integration. Die Angebote in Rundfunk und Telemedien sollen einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der im Gesetzentwurf legaldefinierten Leitkultur leisten.