Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Michael Piazolo FREIE WÄHLER vom 25.04.2016 Drei-Stufen-Konzept zur Neuvergabe der S-Bahn München ab 2018 Am 3. Februar 2016 gab das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr die Pläne zur Neuvergabe der S-Bahn München ab 2018 bekannt. Das Drei-Stufen-Konzept wirft jedoch einige Fragen zum Verfahren an sich, den rechtlichen Rahmenbedingungen und damit auch zum rechtlichen Bestand des Vorhabens auf. Informationen zu Frage 1: In einem Interview mit dem BR (Br.de | Nachrichten | Oberbayern | Münchner S-Bahn vom 03.02.2016) hat der Chef der staatlichen Bayerischen Eisenbahngesellschaft Dr. Johann Niggl sich mit folgendem Zitat für mehr Wettbewerb auch bei der Münchner S-Bahn ausgesprochen: „Es ist tatsächlich so, dass der Erfolg der letzten 20 Jahre dem Wettbewerb zu verdanken ist – dadurch , dass wir wettbewerbsfähige Preise bekommen haben , also niedrigere Preise, und wir den Preisunterschied wieder investieren konnten.“ Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie bewertet die Staatsregierung diese Aussage insbesondere hinsichtlich des Drei-Stufen-Verfahrens, das in der ersten Stufe gar keinen Wettbewerb zulässt und auch in der zweiten ohne Losaufteilung auch keinen ernsthaften Wettbewerb erwarten lässt? 2. Inwieweit ist mit dem in der zweiten Stufe gewählten Verfahren eine allgemeine Ausschreibung verbunden? a) Ab wann ist geplant, diese zu veröffentlichen bzw. in den Bieterwettbewerb einzusteigen? b) Inwieweit rechnet die Staatsregierung ernsthaft aufgrund der „Einzellosvergabe“ mit weiteren Wettbewerbern außer dem aktuellen Leistungserbringer DB AG? 3. Nach welchen Kriterien, durch wen und bis wann erfolgt schließlich die Bewertung der eingereichten Angebote und abschließende Auswahl des Siegers? 4. Inwieweit wurde v. a. diesbezüglich im Vorfeld der Bekanntgabe eine juristische Prüfung des geplanten Vorgehens vorgenommen? a) Wenn ja, was waren die Ergebnisse dieser Prüfung? b) Wenn nein, warum nicht? c) Inwieweit rechnet man seitens der Staatsregierung und/oder der BEG – auch auf der Zeitachse – bereits mit rechtlichen Auseinandersetzungen etwa durch potenzielle Mitbewerber der DB AG? 5. Welche zeitlichen Fristen und Regelungen sind aufgrund der aktuellen Vertragsgrundlage gegeben? a) Welche (maximalen) Vorgaben sieht die Rechtslage für eine Verlängerung – und sei es auch nur zeitweilig – des Vertrages ohne neue Ausschreibung vor? 6. Inwieweit sieht das Vergaberecht eine Aufteilung in unterschiedliche Losgrößen für derartige ÖPNV- Schienenverkehrsdienstleistungen vor? a) Wie fügen sich die drei Stufen des Vergabekonzeptes in diese Vorgaben? 7. Inwieweit ist es vergabe-, wettbewerbs- und betriebsrechtlich zulässig, ein Bauvorhaben wie den geplanten zweiten Stammstreckentunnel zu einem zentralen Parameter dieses Vergabeverfahrens zu machen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 06.06.2016 1. Wie bewertet die Staatsregierung diese Aussage insbesondere hinsichtlich des Drei-Stufen- Verfahrens, das in der ersten Stufe gar keinen Wettbewerb zulässt und auch in der zweiten ohne Losaufteilung auch keinen ernsthaften Wettbewerb erwarten lässt? Es ist grundsätzlich der Anspruch der Staatsregierung, möglichst viele Schienennahverkehrsleistungen im Wettbewerb zu vergeben. Nur so konnte trotz zunehmend beschränkter finanzieller Mittel das Angebot im Bahnland Bayern kontinuierlich verbessert werden. Aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Verkehrsleistungen im Münchner S-Bahn-Netz ist Wettbewerb in diesem Fall jedoch weitaus schwieriger zu realisieren als in anderen Fällen. Mit verschiedenen Maßnahmen, allen voran der Umstellung auf einen Bruttovertrag mit Anreizelementen , versucht die Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH (BEG) dennoch, möglichst optimale Voraussetzungen für Wettbewerb zu generieren. Oberste Priorität hat hierbei stets, dass die Betriebsstabilität nicht gefährdet werden darf. Die BEG kam nach einer detaillierten Analyse der Auswirkungen einer Losaufteilung auf den Betrieb der S-Bahn München zu der Einschätzung, dass eine Losaufteilung erst ab der dritten Stufe, also nach Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke, vertretbar ist. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 29.07.2016 17/11877 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11877 2. Inwieweit ist mit dem in der zweiten Stufe gewählten Verfahren eine allgemeine Ausschreibung verbunden ? Die Leistung bei der S-Bahn München wird in einem europaweiten Wettbewerbsverfahren vergeben. Die Vorinformation hierzu ist im EU-Amtsblatt vom 6. Februar 2016 unter der Nr. 2016/S 026-042026 bereits erfolgt. Als Verfahrensart wurde eine „Freihändige Vergabe mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb“ gewählt. In gleichem Maße wie bei einer „Öffentlichen Ausschreibung“ können sich auch bei einer „Freihändigen Vergabe mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb “ Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) europaweit im Wettbewerb um die zu vergebende Leistung bewerben. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Verfahrensarten ist folgender: Die Verfahrensart „Freihändige Vergabe mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb “ ermöglicht während des Verfahrens Gespräche mit den Bietern über die Vertragsinhalte; bei der Verfahrensart „Öffentliche Ausschreibung“ sind dagegen während des Verfahrens keine Gespräche mit den Bietern über die Vertragsinhalte möglich. Insbesondere bei komplexen, vorab nicht abschließend beschreibbaren Vertragsbedingungen können solche Bietergespräche sehr hilfreich sein. Vor diesem Hintergrund wurde bei dem Verfahren S-Bahn München die Verfahrensart „Freihändige Vergabe mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb“ gewählt. Eine Einschränkung des Wettbewerbs ist damit nicht verbunden. a) Ab wann ist geplant, diese zu veröffentlichen bzw. in den Bieterwettbewerb einzusteigen? Es ist vorgesehen, im Laufe des ersten Halbjahres 2017 mit dem Teilnahmewettbewerb zu beginnen. Die Auswertung der Teilnahmeanträge und der Versand der Vergabeunterlagen an die im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Bewerber werden voraussichtlich ebenfalls im Jahr 2017 erfolgen. b) Inwieweit rechnet die Staatsregierung ernsthaft aufgrund der „Einzellosvergabe“ mit weiteren Wettbewerbern außer dem aktuellen Leistungserbringer DB AG? Die Beteiligung am Teilnahmewettbewerb für die Ausschreibung des 1. Münchner S-Bahnvertrags steht grundsätzlich allen Eisenbahnverkehrsunternehmen offen. Gleichwohl legen die Gesamtumstände nahe, dass die DB Regio AG die deutlich beste Ausgangsposition haben wird. Dies liegt nicht ausschließlich an der Gesamtlosvergabe, sondern etwa auch daran, dass bei DB Regio bereits die Fahrzeuge in entsprechender Anzahl vorhanden sind und diese auch für das Vergabeverfahren zugelassen werden. 3. Nach welchen Kriterien, durch wen und bis wann erfolgt schließlich die Bewertung der eingereichten Angebote und abschließende Auswahl des Siegers ? Die Angebote werden von der Vergabestelle, also der BEG, ausgewertet. Zunächst werden die Angebote auf die Einhaltung der in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen geprüft. Angebote, die diese Anforderungen nicht erfüllen, werden ausgeschlossen. Den Zuschlag erhält schließlich gemäß § 97 Abs. 5 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB das Angebot, welches am wirtschaftlichsten ist. Neben dem Preis können hier auch über die Mindestanforderungen hinausgehende Qualitätskriterien (z. B. Fahrgastinformation, Sauberkeit oder Servicepersonal im Zug) und Fahrzeugkriterien (z. B. Vis-à-vis-Anteil, Übereinstimmung von Fenster- und Sitzteiler) in die Wertung eingehen. Ob und welche dieser Kriterien bei der S-Bahn München in die Angebotswertung eingehen werden, ist aktuell noch nicht entschieden. Der Zuschlag soll im Laufe des Jahres 2019 erteilt werden. 4. Inwieweit wurde v. a. diesbezüglich im Vorfeld der Bekanntgabe eine juristische Prüfung des geplanten Vorgehens vorgenommen? a) Wenn ja, was waren die Ergebnisse dieser Prüfung ? b) Wenn nein, warum nicht? Die BEG hat sowohl die Planungen zum Übergangsvertrag (erste Stufe) als auch zum 1. Münchner S-Bahnvertrag (zweite Stufe) juristisch begleiten und prüfen lassen. Ergebnis war, dass es sich um einen juristisch gangbaren Weg handelt. c) Inwieweit rechnet man seitens der Staatsregierung und/oder der BEG – auch auf der Zeitachse – bereits mit rechtlichen Auseinandersetzungen etwa durch potenzielle Mitbewerber der DB AG? Derzeit wird nicht von einer rechtlichen Auseinandersetzung ausgegangen. Dennoch kann ein Rechtsstreit nie ausgeschlossen werden. 5. Welche zeitlichen Fristen und Regelungen sind aufgrund der aktuellen Vertragsgrundlage gegeben ? a) Welche (maximalen) Vorgaben sieht die Rechtslage für eine Verlängerung – und sei es auch nur zeitweilig – des Vertrages ohne neue Ausschreibung vor? Aktuelle Vertragsgrundlage für den Betrieb der S-Bahn München ist der 2. VDV (Verkehrsdurchführungsvertrag) mit der DB Regio AG. Dieser Vertrag läuft am 31. Dezember 2017 aus. Eine Verlängerung des Vertrages wäre prinzipiell auf Basis von Art. 5 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 als sogenannte Notmaßnahme möglich. Eine derartige Maßnahme kann im Fall einer Unterbrechung des Verkehrsdienstes oder bei unmittelbarer Gefahr des Eintretens einer solchen Situation ergriffen werden. Die Vergabe oder Ausweitung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags als Notmaßnahme ist für längstens zwei Jahre zulässig. Die BEG hat sich jedoch gegen diese Variante und für die Vergabe eines neuen Vertrages entschieden. Die beabsichtigte Vergabe des neuen Vertrages wurde im EU-Amtsblatt am 6. Februar 2016 unter der Nr. 2016/S 026-042104 veröffentlicht . Neben der DB hatten dabei auch andere EVU die Möglichkeit, bei Nachweis ihrer grundsätzlichen Eignung zur wirtschaftlichen Erbringung der Leistung, ihr Interesse an den zu vergebenden Leistungen kundzutun. Es machte jedoch kein EVU von der Option der Interessenbekundung Gebrauch. Drucksache 17/11877 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 6. Inwieweit sieht das Vergaberecht eine Aufteilung in unterschiedliche Losgrößen für derartige ÖPNV- Schienenverkehrsdienstleistungen vor? a) Wie fügen sich die drei Stufen des Vergabekonzeptes in diese Vorgaben? § 97 Abs. 4 GWB enthält das Gebot der Losaufteilung. Gesamtvergaben sind nur zulässig, wenn technische und wirtschaftliche Gründe gegen eine Losaufteilung sprechen. Die Stammstrecke der S-Bahn München ist mit bis zu 30 Zügen pro Stunde und Richtung eine der am dichtesten befahrenen Eisenbahnstrecken Deutschlands. Da alle Linien außer der S 20 durch die Stammstrecke fahren, kann eine einzelne Betriebsstörung zu einem Dominoeffekt und ggf. zu einem gestörten Betrieb im ganzen Netz führen. Unter anderem aus diesem Grund kam die BEG nach detaillierter Analyse zu dem Schluss, dass technische Gründe gegen eine Losaufteilung sprechen, weil in der Zeit vor Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke ein Betrieb der S-Bahn mit mehreren EVU zu unvertretbaren Risiken insbesondere für die Betriebsstabilität, aber auch für eine korrekte und widerspruchsfreie Fahrgastinformation in Echtzeit führen würde. Ziel der Staatsregierung ist gleichwohl, dass die BEG Anfang der 2030er-Jahre die Möglichkeit hat, die S-Bahn München in Losen zu vergeben. Der 1. Münchner S-Bahn- Vertrag schafft deshalb die Voraussetzungen für eine anschließende Vergabe in Teillosen, er schließt aber nicht aus, im Falle einer Veränderung der Rahmenbedingungen ggf. auch ein anderes Vorgehen zu wählen. 7. Inwieweit ist es vergabe-, wettbewerbs- und betriebsrechtlich zulässig, ein Bauvorhaben wie den geplanten zweiten Stammstreckentunnel zu einem zentralen Parameter dieses Vergabeverfahrens zu machen? Bei der Vergabe von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) liegt es aufgrund der langen Vertragslaufzeiten in der Natur der Sache, dass sich auch während der Vertragslaufzeit die Infrastruktur und das Betriebsprogramm ändern können. In den Vergabeunterlagen wird diesem Umstand mit Betriebsstufen Rechnung getragen. Diese sind vom Auftraggeber möglichst präzise darzustellen (z. B. durch Betriebsprogramm, Kapazitätsvorgaben, etc.), sodass die Bieter eine fundierte Kalkulationsgrundlage erhalten . So soll auch bei der Ausschreibung des 1. Münchner S-Bahnvertrages vorgegangen werden. Dass die voraussichtliche Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke während eines laufenden Vertrages erfolgen wird, ist folglich weder im SPNV ein Novum noch grundsätzlich vergaberechtlich bedenklich. Auch wettbewerbsrechtliche Bedenken sind nicht ersichtlich, da die Planungen der Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke keinen Bieter bevorzugen.