Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Florian von Brunn, Günther Knoblauch SPD vom 02.05.2016 Grundhochwasserproblematik Tacherting Die starken Niederschläge und hohen Wasserstände der Flüsse haben im Juni 2013 in Teilen Bayerns eine besondere Art der Hochwassergefahr gezeigt, die bislang unterschätzt wurde. In zahlreichen Regionen stiegen die Grundwasserstände stark an, sodass das Wasser an die Oberfläche und auch in die Keller gelangte. In Tacherting, das an der Alz im nördlichen Bereich des Landkreises Traunstein liegt, kam es besonders in den Jahren 1991 und 2013 infolge einsickernden Grundwassers und an die Oberfläche tretendes Grundwasser zu Gebäudeschäden. Die Umsetzung eines Gemeinderatsbeschlusses von 1967, der dieses Gebiet als besonders gefährdet einstufte und daher den Bau der Keller auf höherem Bodenniveau vorschrieb, wurde damals von den Behörden nicht beachtet. Hochwasserschutz ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge , die von den einzelnen Bundesländern und den Kommunen zu leisten ist. Aufgrund eines europäischen Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland erfolgte eine Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG). Danach sind nun auch Starkregenfälle und der Grundwasseranstieg grundsätzlich in den Hochwasserbegriff des WHG mit einbezogen worden. Nur für die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten nach § 76 WHG gelten, auf Antrag des Freistaats Bayern im Bundesrat, diese Regelungen nicht, weil dies als nicht praktikabel erschien und EU-rechtlich auch nicht vorgegeben ist. Für ein erfolgreiches integriertes Hochwasserrisikomanagement muss jedoch auch das Grundwasser als relevante Schadenskomponente mit berücksichtigt werden. Wir fragen daher die Staatsregierung: 1. a) Warum hat sich der Freistaat Bayern gegen die Aufnahme von Gefahren durch Grundwasseranstieg bei der Ausweisung von Überschwemmungsgebieten aus gesprochen? b) Was ist unter „dies sei nicht praktikabel“ ganz konkret zu verstehen? c) Gibt es keine technischen Möglichkeiten, die Gefahren konkret zu erfassen? 2. Wie wird die Wirkung des Grundwasseranstiegs bei Hochwasserereignissen beim Hochwasserrisikomanagement in Bayern berücksichtigt? 3. a) Wie schützt die Staatsregierung die Bürgerinnen und Bürger in Bayern vor auftretendem Grundhochwasser ? b) Welche gesetzlichen Verpflichtungen der öffentlichen Hand zum Schutz vor Risiken durch Grundhochwasser bestehen in Bayern? 4. Erfolgte in Bayern nach dem Hochwasser 2013 auch eine Auswertung der verschiedenen Schadensursachen für die Schäden an den Grundstücken des Freistaates Bayern, wie dies z. B. in Sachsen nach dem August-Hochwasser 2002 erfolgte und für die Schadensursache „Grundwasser“ einen Anteil von 16 Prozent am Gesamtschadensbild ergab? 5. a) Wie beurteilt die Staatsregierung die Auffassung des Bundesumweltministeriums, dass durch Grundwasser verursachtes Hochwasser unter § 72 WHG fällt? b) Wie beurteilt die Staatsregierung ganz konkret die Lage im Ortsteil Tacherting Ost/Galgenpoint in Hinblick auf § 72 WHG? 6. a) Welche Möglichkeiten verfolgt die Staatsregierung konkret, die Bürgerinnen und Bürger in Tacherting vor erneuten Grundhochwasser-/Hochwasserereignissen zu schützen? b) Wer trägt gegebenenfalls für diese Maßnahmen die Kosten (bitte genaue Aufschlüsselung)? c) In welchem Zeitrahmen könnten diese umgesetzt werden bzw. werden diese umgesetzt? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 09.06.2016 1. a) Warum hat sich der Freistaat Bayern gegen die Aufnahme von Gefahren durch Grundwasseranstieg bei der Ausweisung von Überschwemmungsgebieten ausgesprochen? b) Was ist unter „dies sei nicht praktikabel“ ganz konkret zu verstehen? Nach § 72 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) ist „Hochwasser “ die zeitlich begrenzte Überschwemmung von normalerweise nicht mit Wasser bedecktem Land. Durch diese Definition werden grundsätzlich auch durch Grundwasser verursachte Überschwemmungen in den Hochwasserbegriff einbezogen. Es ist jedoch die zusätzliche Voraussetzung zu Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 12.08.2016 17/11972 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/11972 beachten: Ein „Hochwasser“ liegt nur vor, wenn „normalerweise nicht mit Wasser bedecktes Land“ überschwemmt ist. Dies hat zur Folge, dass lediglich Grundwasser, das über Bodenniveau tritt, unter den Hochwasserbegriff zu fassen ist. Davon abzugrenzen sind „hohe Grundwasserstände“, bei denen das Grundwasser zwar (ggf. bis zur Geländeoberkante ) ansteht bzw. ansteigt, das Wasser aber nicht austritt. Die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten stellt ein Instrument des vorbeugenden Hochwasserschutzes dar und ist damit eine (vom Bundesgesetzgeber vorgesehene ) Maßnahme des Hochwasserrisikomanagements. Die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten hat die in § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG genannten Verbote zur Folge. Überschwemmungen aus anderen Hochwasserarten als Hochwasser aus Oberflächengewässern sind schwer örtlich zuordenbar bzw. können nicht in einer ausreichenden Genauigkeit berechnet werden, die das Greifen der Verbote des § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG und die damit verbundenen Eingriffe (Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums , Planungsfreiheit der Gemeinden) als verhältnismäßig erscheinen lassen. c) Gibt es keine technischen Möglichkeiten, die Gefahren konkret zu erfassen? Schwankungen der Grundwasserstände können u. a. durch die Errichtung eines dichten Messnetzes von Grundwassermessstellen und deren langjährige Beobachtung sowie der Erstellung entsprechender Grundwassermodelle aufgezeigt werden. Hierzu ist ein entsprechend dichtes Netz an Bodenaufschlüssen erforderlich. 2. Wie wird die Wirkung des Grundwasseranstiegs bei Hochwasserereignissen beim Hochwasserrisikomanagement in Bayern berücksichtigt? Der wasserrechtliche Hochwasserbegriff ist auch bei der Bewertung von Hochwasserrisiken, der Bestimmung von Risikogebieten, der Erstellung von Gefahren- und Risikokarten sowie der Aufstellung der Risikomanagementpläne zu berücksichtigen. § 74 Abs. 2 Satz 2 WHG sieht aber vor, dass die Erstellung von Gefahrenkarten für Gebiete mit Überschwemmungen aus Grundwasser auf Gebiete beschränkt werden kann, die bei einem Hochwasser mit niedriger Wahrscheinlichkeit oder bei Extremereignissen (mehrhundertjährliche Wiederkehr) überflutet werden. Die gesetzlichen Verpflichtungen zur Erstellung der Gefahrenund Risikokarten sowie Aufstellung der Risikomanagementpläne beschränken sich zudem auf Gebiete mit signifikantem Hochwasserrisiko. Für Überschwemmungen durch ansteigendes Grundwasser wurde im Rahmen der Umsetzung der EG-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken) in Bayern kein signifikantes Hochwasserrisiko festgestellt. 3. a) Wie schützt die Staatsregierung die Bürgerinnen und Bürger in Bayern vor auftretendem Grundhochwasser ? b) Welche gesetzlichen Verpflichtungen der öffentlichen Hand zum Schutz vor Risiken durch Grundhochwasser bestehen in Bayern? Wasserschäden durch Grundwasser beruhen überwiegend auf individuellen Baumängeln am Gebäude. Gerade bei alten Gebäuden waren die Kellerräume, bei denen nun Feuchteschäden auftreten, nie für eine höherwertige Nutzung vorgesehen. Für den Schutz des Gebäudes vor Grundwasser ist in erster Linie der Bauherr zuständig. Dieser hat sicherzustellen, dass das Gebäude den örtlichen (Grund-) Wasserverhältnissen angepasst wird. Den Bürgern und Bauherren stehen allerdings Informationsmaterialien zu angepassten Bauweisen zur Verfügung. So enthält beispielsweise die „Hochwasserschutzfibel – Objektschutz und bauliche Vorsorge“ des damaligen Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2013) zu ergreifende Vorsorgemaßnahmen zum Gebäudeschutz. Über den öffentlich zugänglichen Informationsdienst Überschwemmungsgefährdete Gebiete in Bayern werden Hinweise zu überschwemmungsgefährdeten Bereichen und zu wassersensiblen Bereichen, die durch den Einfluss von Wasser geprägt sind, gegeben. Zudem können über den Gewässerkundlichen Dienst Bayern Daten über Grundwasserstände von jedermann abgerufen werden (http://www. gkd.bybn.de/). Das Landesamt für Umwelt arbeitet daran, die Datenlage bei Gefahren durch hohe Grundwasserstände in und außerhalb der wassersensiblen Bereiche zu verbessern. Die Erstellung einer Hinweiskarte „hohe Grundwasserstände“ ist geplant. Binnenentwässerungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Beherrschung des Grundwasseranstiegs werden bei Hochwasserschutzmaßnahmen regelmäßig umgesetzt, wenn durch die Hochwasserschutzmaßnahme Verschlechterungen im Hinblick auf Grundwasseranstiege oder Binnenentwässerungsmöglichkeiten zu besorgen sind (z. B. bei der Neuerrichtung von Deichen). Schutzmaßnahmen bei von Natur aus hohen Grundwasserständen werden nicht durchgeführt . Die damit verbundenen Grundwasserabsenkungen würden unnatürliche Zustände erzeugen und wären in der Regel ein nicht zulässiger Eingriff in den natürlichen Wasserhaushalt . Es liegt auch in der Verantwortung der kommunalen Bauleitplanung , die Flächennutzung an die Grundwassersituation anzupassen. Die Kommune muss im Bebauungsplan, insbesondere wenn Bau- und Gewerbegebiete in Bereichen mit (temporär) hohen Grundwasserständen ausgewiesen werden sollen, zumindest deutlich auf die Gefahren hinweisen und ggf. entsprechende Kennzeichnungen/Festsetzungen treffen (z. B. § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 9 Abs. 5 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2, Nr. 10, Nr. 16, Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuches). Im Rahmen der Beteiligung in Bauleitplanverfahren weisen die Wasserwirtschaftsämter auf wasserwirtschaftlich sensible Bereiche hin. Insbesondere auf Überschwemmungsgefahren , wild abfließendes Oberflächenwasser und auf die Gefahren und Probleme durch hohe Grundwasserstände wird, sofern hierzu Informationen an den Wasserwirtschaftsämtern vorliegen, hingewiesen. Gerade bei Neubaugebieten und sonstigen Neubauten muss auf die Eigenverantwortung der Kommunen, der Bauherren und der Planer verwiesen werden, die Untergrundverhältnisse frühzeitig und umfassend zu untersuchen und bei den weiteren Planungen zu berücksichtigen. 4. Erfolgte in Bayern nach dem Hochwasser 2013 auch eine Auswertung der verschiedenen Schadensursachen für die Schäden an den Grundstücken des Freistaates Bayern, wie dies z. B. in Sachsen nach dem August-Hochwasser 2002 erfolgte und für die Schadensursache „Grundwasser“ ei- Drucksache 17/11972 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 nen Anteil von 16 Prozent am Gesamtschadensbild ergab? Es erfolgte nach dem Hochwasserereignis im Juni 2013 keine aufgegliederte Auswertung nach Schadensursachen für die Schäden an den Grundstücken des Freistaats Bayern. 5. a) Wie beurteilt die Staatregierung die Auffassung des Bundesumweltministeriums, dass durch Grundwasser verursachtes Hochwasser unter § 72 WHG fällt? Die Regelung des § 72 WHG beruht auf der Umsetzung der EG-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie. Insofern werden vonseiten der Staatsregierung und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen vertreten. b) Wie beurteilt die Staatsregierung ganz konkret die Lage im Ortsteil Tacherting Ost/Galgenpoint in Hinblick auf § 72 WHG? Im genannten Ortsteil können bei entsprechenden Ereignissen und je nach lokalem Standort sowohl hohe Grundwasserstände als auch Grundwasser, das über die Geländeoberkante tritt (also durch Grundwasser verursachtes Hochwasser), eintreten. 6. a) Welche Möglichkeiten verfolgt die Staatsregierung konkret, die Bürgerinnen und Bürger in Tacherting vor erneuten Grundhochwasser-/Hochwasserereignissen zu schützen? Hochwasserschutzmaßnahmen zum Schutz vor Hochwasser der Alz werden vom Freistaat Bayern durchgeführt. Aktuell laufen die Planungen für die Deichrückverlegung und Deichsanierung in Wajon. Bei der Planung wird auch untersucht, ob Synergieeffekte möglich und gleichzeitig die Grundwasserhöchststände gekappt werden können. Im Rahmen dieser Planungen hat sich der Freistaat Bayern an einem Gutachten der Technischen Universität München zur Untersuchung der Grundwasser-Problematik in Tacherting beteiligt. Im Bereich Tacherting-Unterdorf sind noch Ansätze von ehemaligen Gräben erkennbar. Eine Wiederöffnung und Verbindung dieser Gräben auf neuer Trasse als Gewässer 3. Ordnung unter der Vorhabenträgerschaft der Gemeinde Tacherting könnte bei ökologischer Gestaltung und dauerhafter Wasserführung grundsätzlich nach den Richtlinien für Zuwendungen zu wasserwirtschaftlichen Vorhaben (RZ- Was) gefördert werden. Für die Planung mit überwiegender Zielrichtung des ökologischen Gewässerausbaus und deren Auswirkungen auf den Grundwasserstand wurde der Gemeinde ein Zuwendungssatz von 75 % in Aussicht gestellt. b) Wer trägt gegebenenfalls für diese Maßnahmen die Kosten (bitte genaue Aufschlüsselung)? Die Kosten für die Deichsanierung und Deichrückverlegung an der Alz trägt grundsätzlich der Freistaat Bayern als Ausbauunternehmer . Eine staatliche Förderung für Maßnahmen der Gemeinden zum Schutz vor hohen Grundwasserständen oder durch Grundwasser verursachtes Hochwasser gibt es nicht. Ansonsten ist grundsätzlich, wie oben (Frage 3) ausgeführt , der Bauherr für den Schutz seines Gebäudes vor Grundwasser zuständig, dieser hat damit auch die Kosten für individuelle Schutzmaßnahmen (Abdichtungen, Anpassungen Lichtschächte etc.) zu tragen. c) In welchem Zeitrahmen könnten diese umgesetzt werden bzw. werden diese umgesetzt? Das für die Deichsanierung und -rückverlegung erforderliche wasserrechtliche Zulassungsverfahren soll noch in diesem Jahr eingeleitet werden. Sofern sich keine unerwarteten Verzögerungen ergeben, könnte bereits im kommenden Jahr mit der baulichen Umsetzung begonnen und die Maßnahme 2019 fertiggestellt werden. Der Ausführungszeitraum von Schutzmaßnahmen durch die Gemeinde in Bezug auf Grundwasser ist der Staatsregierung nicht bekannt.