Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ruth Müller SPD vom 28.01.2016 Gechlechtsspezifische Medizin in Bayern Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Welchen Nutzen haben Frauen und Männer als Pa tientinnen und Patienten von einer gendersensiblen medizinischen Behandlung? b) Wie manifestiert sich ein gendersensibler Ansatz in der medizinischen und pharmakologischen Forschung? c) Wie manifestiert sich ein gendersensibler Ansatz in der Versorgungsforschung und in gesundheitspoliti schen Entscheidungen? 2. a) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zu den geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Reakti onen auf wichtige Medikamentengruppen (z. B. Anti depressiva, Analgetika, Neurolpetika, Antiarrhythmika, Antiemetika) aus klinischen und Anwendungsstudien vor? b) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im ärztlichen Verordnungsverhalten und der Einnahme von Medika menten vor? c) Wie könnten nach Auffassung der Staatsregierung eine gendersensible Arzneimittelforschung und die gendersensible Anwendung von Medikamenten geför dert werden? 3. a) Welche Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit zwischen Frauen und Männern gibt es bei wichtigen Krankheitsgruppen (z. B. kardiovaskulären Erkrankun gen, Krebserkrankungen, psychischen Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparats, endokrinologi schen und Stoffwechselerkrankungen)? b) Welche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind in der Prävention, Akutbehandlung und Rehabi litation bei wichtigen Krankheitsgruppen (z. B. kar diovaskulären Erkrankungen, Krebserkrankungen, psychischen Erkrankungen, Krankheiten des Bewe gungsapparats, endokrinologischen und Stoffwechsel erkrankungen? gemäß den Ergebnissen der Versor gungsforschung zu beachten? c) Wie könnte nach Auffassung der Staatsregierung eine gendersensible epidemiologische und Versorgungs forschung gefördert werden? 4. a) Welche medizinischen und therapeutischen Einrich tungen in Bayern richten sich speziell an den präventi ven, akuten oder rehabilitativen Bedarf von Frauen? b) Welche medizinischen und therapeutischen Einrichtun gen in Bayern richten sich speziell an den präventiven, akuten oder rehabilitativen Bedarf von Männern? c) Wie beurteilt die Staatsregierung die Versorgung mit medizinischen und therapeutischen Leistungen, die sich jeweils spezifisch an Frauen und Männer richten? 5. An welchen Universitäten und Hochschulen im deut schen Sprachraum sind Lehrstühle oder Studiengän ge für genderspezifische Medizin eingerichtet? 6. Wie beurteilt die Staatsregierung grundsätzlich den Ansatz der geschlechtsspezifischen Medizin (gender medicine)? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 09.06.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst wie folgt beantwortet: 1.a) Welchen Nutzen haben Frauen und Männer als Patientinnen und Patienten von einer gendersensiblen medizinischen Behandlung? b) Wie manifestiert sich ein gendersensibler Ansatz in der medizinischen und pharmakologischen Forschung ? Männer und Frauen unterscheiden sich in Bezug auf Ge sundheit und Krankheit in verschiedener Hinsicht. So lassen sich beispielsweise unterschiedliche Erkran kungshäufigkeiten, geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wahrnehmung und Kommunikation von Symptomen, im gesundheitsrelevanten Verhalten und bei der Inanspruch nahme von Versorgungsangeboten feststellen. Informatio nen über den Gesundheitszustand der Frauen und Männer in Bayern werden im Rahmen der Gesundheitsberichterstat tung (GBE) regelmäßig geschlechtsspezifisch aufbereitet. Die GBE von Bund und Ländern bestätigt bedeutsame Un terschiede und Trends zwischen Frauen und Männern in Be zug auf Mortalität, Morbidität sowie Gesundheitsverhalten. Sie kann dabei auch Hinweise auf mögliche Versorgungsde fizite und auch Erfolge verbesserter Versorgungsstrukturen geben. Darüber hinaus werden Gesundheitsberichte, die sich geschlechtsspezifischen Einzelthemen widmen (z. B. „Brustkrebs“ oder „gesundheitliche Folgen von Gewalt“), von verschiedenen anderen Akteuren herausgegeben. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 12.08.2016 17/12036 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12036 Auch die Auswertung von medizinischen Forschungsda ten erfolgt routinemäßig nach dem Geschlecht der Studien teilnehmer getrennt. In Fallbeschreibungen wird in der medi zinischen Fachliteratur stets das Geschlecht des Patienten bzw. der Patientin angegeben. Geschlechtsspezifische Un terschiede werden somit seit Jahren in allen wissenschaft lichen medizinischen und pharmakologischen Forschungs arbeiten regelmäßig erfasst und beschrieben. Der neuere Ansatz einer „personalisierten Medizin“ ermöglicht darüber hinaus Therapeutinnen und Therapeuten, individuelle Per sonen bzw. Personengruppen mit spezifischen Merkmalen passgenau zu behandeln. In diesem Zusammenhang wer den insbesondere das Geschlecht, die genetische Prädispo sition, die Ethnie und spezielle Untertypen einer Erkrankung diskutiert. Vorteile dieses Ansatzes sind u. a. ein besseres Verständnis personen und personengruppenspezifischer Krankheitsmechanismen und eine individuelle Beurteilung von Biomarkern. Es ist zu vermuten, dass die personalisierte Medizin zu künftig die Realisierung genderspezifischer therapeutischer Maßnahmen fördern kann. Diese Entwicklungen stehen je doch erst am Beginn, es liegen noch keine belastbaren Aus sagen zu den tatsächlichen Ergebnissen in der konkreten gesundheitlichen Versorgung vor. Eine spezifische Konzeption von präventiven, therapeu tischen und rehabilitativen Maßnahmen, die einerseits die besonderen Präferenzen, Werte und Lebensbedingungen von Frauen und Männern berücksichtigen, und anderseits das geschlechtsspezifische Gesundheitspotenzial berück sichtigen, erfolgt in der Medizin bereits jetzt in vielen Be reichen. Darüber hinaus haben aktuelle geschlechtsspezifi sche Forschungsansätze das Potenzial, die Prävention, die medizinische Behandlung und die medikamentöse Therapie bei Frauen und Männern weiter zu verbessern. c) Wie manifestiert sich ein gendersensibler Ansatz in der Versorgungsforschung und in gesundheitspolitischen Entscheidungen? Die Gesundheitsunterschiede zwischen Frauen und Män nern bieten für die Versorgungsforschung Ansatzpunkte zur Verbesserung der Frauen und Männergesundheit. Die Bedeutung geschlechterspezifischer Aspekte in der Versor gungsforschung wird allgemein anerkannt, weiterer For schungsbedarf wird aber auch hier gesehen (siehe auch 3 b). In der Vergangenheit führte das damalige StMUGV (Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbrau cherschutz) mehrere Fachtagungen zum Thema ge schlechtsspezifische Medizin durch, etwa die Foren „Brust krebs – Was Frauen wissen müssen“ sowie „AntiAging und Gesundheit“ im Jahr 2005 und „Adipositas, Diabetes, Herz KreislaufErkrankungen bei Frauen und Männern – Hand lungsbedarf für Medizin und Politik“. Im Jahr 2007 und ab 2012 wurden verschiedene präventive Maßnahmen, z. B. im Bereich Männergesundheit, vom damaligen StMUGV) bzw. (ab 2008) Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (StMUG) unterstützt (https://www.stmgp.bayern.de/meine themen/fuermaenner/). Der im Jahr 2012 veröffentlichte Bericht zur Männergesundheit in Bayern gab Ansatzpunkte und Anstoß zu konkreten Initiativen zur Verbesserung der Männergesundheit, wie zum Beispiel Informationsmate rialien zu männerspezifischen Gesundheitsthemen (Vor sorge und Früherkennungsuntersuchungen für Männer, verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol), eine App zur Männergesundheit (https://www.stmgp.bayern.de/meine themen/fuermaenner/). 2. a) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zu den geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Reaktionen auf wichtige Medikamentengruppen (z. B. Antidepressiva, Analgetika, Neurolpetika, Antiarrhythmika, Antiemetika) aus klinischen und Anwendungsstudien vor? Wichtige geschlechtsspezifische Unterschiede bei Arznei mitteln werden nach dem sogenannten biopharmazeu tischen „LADME“Modell beschrieben. Dieses dokumentiert Freisetzung, Resorption, Verteilung, Metabolismus und Elimination (engl: „Liberation, Absorption, Distribution, Me tabolism, Excretion“) von Arzneimitteln im menschlichen Körper. Frauen weisen im Durchschnitt ein ca. 10 kg gerin geres Körpergewicht und eine andere Verteilung zwischen Muskelmasse, Fett und Wassergehalt auf. Dies kann Un terschiede in der Verteilung von Wirkstoffen bedingen. Wei terhin ist im Hinblick auf die Elimination von Wirkstoffen bei Frauen die niedrigere Eliminationsleistung der Nieren zu berücksichtigen. Dies ist z. B. bei bestimmten Antiobiotika (Aminoglykoside, Cephalosporine, Fluorochinolone und Vancomycin) der Fall. Darüber hinaus unterscheiden sich die Bindungsstellen mancher Pharmaka bei Frauen und Männern bzw. unterliegen einer gewissen Modulation durch Sexualhormone. Weitere Beispiele für geschlechtsspezi fisch unterschiedliche Reaktionen auf Medikationsgruppen sind unter anderem: • Unterschiede bei der Wirkung von kardiovaskulären Arzneimitteln (z. B. Primärprävention durch Acetylsa licylsäure: Bei Männern wird signifikant das Herzin farktrisiko gesenkt, bei Frauen das Schlaganfallrisiko), Analgetika/Narkotika (bei Frauen ist eine etwa 50 % nied rigere Morphinkonzentration am Rezeptor erforderlich, um eine vergleichbare Analgesie zu erzielen), • Antidepressiva, Neuroleptika, Parkinsonmedikation (z. B. altersabhängiges und geschlechtsspezifisches Anspre chen auf verordnete Arzneimittel). Die Ansätze zur personalisierten Medizin mit Fokus auf Stoffwechsel oder genspezifische Merkmale finden sich überwiegend in den Medikamentengruppen Virustatika (z. B. HIV), Zytostatika (z. B. Brustkrebs, Leukämie, Darmkrebs, Lungenkrebs), Immunsuppressiva sowie Antiepileptika. Bei der Arzneimittelzulassung besteht die Studienpopu lation in Phase I der klinischen Arzneimittelprüfung in der Regel aus gesunden, jungen, männlichen Probanden. Es handelt sich um Studien, bei denen nicht die Wirkung, son dern zunächst einmal das „Verhalten“ des neuen Wirkstoffs im Körper untersucht werden muss; und dies im einfachs ten Fall, d. h. ohne Einfluss von Hormonschwankungen oder Verhütungsmitteln. Besonders wichtig ist folglich, dass Frauen in Phase II und III der klinischen Studien häufiger eingebunden werden, v. a. wenn die spezifische Erkrankung bei Frauen an sich gehäufter auftritt. Klinische Studien der Phase II bestehen aus wenigen, die der Phase III aus vielen Erkrankten. Studiendaten der vergangenen Jahre zeigen, dass Frau en sowohl in die frühe Phase der klinischen Prüfung (Phase II und III) als auch in spätere klinische Studien (sog. Mega Trials) nur unterproportional eingeschlossen werden. Diese sind von besonderer Bedeutung, da aus diesen Erkenntnis sen i. d. R. Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaf ten resultieren. Die Aufgabe, diese Forschungsergebnisse Drucksache 17/12036 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 zu berücksichtigen bzw. systematisch umzusetzen, obliegt den medizinischen Fachgesellschaften und der forschenden pharmazeutischen Industrie. Auch die Ethikkommissionen können darauf einwirken, dass Frauen in klinischen Studien in einem angemessenen Umfang repräsentiert sind. b) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im ärztlichen Verordnungsverhalten und der Einnahme von Medikamenten vor? Der Einfluss des Geschlechts auf Arzneimittelverbrauch bzw. Arzneimittelverordnungen ist seit Langem gut belegt. Hierzu werden Daten regelmäßig seit Jahren im Arzneiver ordnungsreport (WidO, U. Schwabe und D. Paffrath, Hrsg.) und im Barmer GEK Arzneimittelreport veröffentlicht. Ge mäß dem ArzneiverordnungsReport 2015 (Springer 2015) wurden Frauen mit durchschnittlich 608 Tagesdosen 19 % mehr definierte Tagesdosen (DDD) verordnet als Männern. Ein Mehrverbrauch zeigt sich neben typischen Arzneimit telgruppen wie Sexualhormonen, Gynäkologika, Osteopo rosemitteln oder Schilddrüsentherapeutika vor allem bei Psychopharmaka und Analgetika, die Frauen um 54 % bzw. 58 % häufiger verordnet werden als Männern. Bestimmte Arzneimittelgruppen werden hingegen häufiger für Männer verordnet. Neben Urologika betrifft dies auch antithrombo tische Mittel (+28 %) und Lipidsenker (+25 %). Aussagen zur Selbstmedikation finden sich in der bevölkerungsrepräsen tativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) mit einer Zielpopulation im Alter von 18 bis 79 Jah ren. Der Anteil der Selbstmedikation lag bei Frauen höher als bei Männern. c) Wie könnten nach Auffassung der Staatsregierung eine gendersensible Arzneimittelforschung und die gendersensible Anwendung von Medikamenten gefördert werden? Geschlechtsspezifische Arzneimittelforschung ist bereits regelmäßig Bestandteil klinischer und außerklinischer For schungsaktivitäten. Im Bereich der „personalisierten Me dizin“ haben sich zudem bayerische Unternehmen und Institutionen gemeinsam bei Wettbewerben des Bundesmi nisteriums für Bildung und Forschung (BMBF) erfolgreich beteiligt. In diesem Rahmen ist insbesondere das baye rische Netzwerk Münchener Biotech Cluster M4 zu nennen. Das Münchner Spitzencluster setzt sich zusammen aus Ver tretern der Biotechnologie, Pharmaindustrie, Forschung, Kli niken und des Clustermanagements. Ziel ist der Ausbau des Standorts zum „International Competence Center for Per sonalized Medicine“. Insgesamt standen dem Cluster von 2010 bis 2015 fast 100 Mio. Euro öffentlicher Fördermittel zur Verfügung. Davon stellt das Land Bayern 8,5 Mio. Euro für ein bayernweites Förderprogramm für personalisierte Medizin zur Verfügung. Die gendersensible Anwendung von Arzneimitteln wird in der universitären Lehre Studierenden der Medizin und der Pharmazie vermittelt, auch Weiterbildung und Fortbildungen der Heilberufe umfassen Inhalte zur geschlechtsspezifi schen Medizin. 3. a) Welche Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit zwischen Frauen und Männern gibt es bei wichtigen Krankheitsgruppen (z. B. kardiovaskulären Erkrankungen, Krebserkrankungen, psychischen Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparats , endokrinologischen und Stoffwechselerkrankungen )? Die Priorisierung von Krankheitsgruppen nach „Wichtig keit“ kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. Hier werden die fünf häufigsten Krankheitsgruppen bei den Krankenhausbehandlungen (Krankenhausstatistik), den Sterbefällen (Todesursachenstatistik), den Arbeitsunfähig keitstagen bei DAKVersicherten (DAKGesundheitsreport 2016), den ambulanten Diagnosen bei Barmer GEKVersi cherten (Barmer GEK Arztreport 2016) sowie den Angaben zu Krankheiten aus den großen Surveys des RobertKoch Instituts (Gesundheit in Deutschland aktuell – GEDA, Erste Welle der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutsch land – DEGS1, Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – KiGGS) zugrunde gelegt. Ergänzend werden Daten über Krebsneuerkrankungen aus der epidemiologischen Krebsregistrierung berichtet. Je nach Planungszweck könnten auch andere Priorisierungsverfah ren verfolgt werden, z. B. nach Ausgabenvolumen oder nach Präventionspotenzial. Krankenhausstatistik: Männer mussten im Jahr 2014 deutlich öfter als Frauen auf grund von HerzKreislaufErkrankungen, Verletzungen und Vergiftungen sowie gastrointestinalen Beschwerden statio när behandelt werden. Krankenhausfälle infolge von Mus kelSkelettErkrankungen waren bei Frauen etwas häufiger. Bei den Krebserkrankungen war die häufigste Diagnose bei Frauen Brustkrebs, bei Männern das Lungenkarzinom. Krankenhausfälle je 100.000 Ew., 2014 (Raten altersstandardisiert an der alten Europastandardbevölkerung) Männer Frauen Deutschland Bayern Deutschland Bayern HerzKreislauf Erkrankungen 2.606 2.509 1.703 1.637 Verletzungen und Vergiftungen 2.207 2.381 1.738 1.832 Krankheiten des Verdauungssys tems 2.051 1.989 1.773 1.645 MuskelSkelett Erkrankungen 1.580 1.731 1.765 1.837 Krebserkrankun gen 1.648 1.555 1.569 1.498 Datenquelle: Statistisches Bundesamt Todesursachenstatistik: Hier ergibt sich eine etwas andere Reihenfolge als bei den Krankenhausfällen, und es sind auch andere Krankheits gruppen unter den fünf häufigsten. Auf die HerzKreislauf Erkrankungen folgen bei den Todesursachen die Krebser krankungen. HerzKreislauf und Krebserkrankungen stellen etwa zwei Drittel aller Todesursachen dar. Männer haben, verglichen mit Frauen, ein deutlich höheres Risiko, daran und an den fünf häufigsten Todesursachen insgesamt zu sterben. Insbesondere bei HerzKreislaufErkrankungen ist im Langzeittrend eine Annäherung der Rate zwischen Män nern und Frauen erkennbar. Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12036 Sterbefälle je 100.000 Ew., 2014 (Raten altersstandardisiert an der alten Europastandardbevölkerung) Männer Frauen Deutschland Bayern Deutschland Bayern HerzKreislauf Erkrankungen 224 219 153 152 Krebserkran kungen 197 179 128 121 Krankheiten des Atmungssystems 47 43 25 23 Verletzungen und Vergiftungen 40 37 16 14 Krankheiten des Verdauungs systems 33 31 20 18 Datenquelle: Statistisches Bundesamt DAK-Arbeitsunfähigkeitsstatistik: Auch hier ergibt sich wiederum eine abweichende Reihen folge. MuskelSkelettErkrankungen führten sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu den meisten Arbeitsun fähigkeitstagen, wobei Männer diesbezüglich etwas mehr Fehltage aufwiesen als Frauen. Frauen wiesen deutlich mehr Arbeitsunfähigkeitstage wegen Atemwegserkran kungen und vor allem aufgrund psychischer Störungen wie Depressionen auf. Des Weiteren gab es bei Männern mehr Fehltage aufgrund von Verletzungen. Arbeitsunfähigkeitstage je 100 DAK-Versicherte, Deutschland 2015 Männer Frauen MuskelSkelettErkrankungen 335 315 Krankheiten des Atmungssystems 221 281 Verletzungen und Vergiftungen 206 139 Psychische Störungen 187 311 Krankheiten des Verdauungssystems 82 75 Datenquelle: DAKGesundheitsreport 2016 Diese Krankheitsarten stehen auch bei den Versicherten anderer Krankenkassen im Vordergrund, kassenartenüber greifende Daten zur Arbeitsunfähigkeit gibt es nicht. Ambulante Diagnosen: Bei den fünf häufigsten ambulanten Diagnosen stehen bei den Frauen Krankheiten des Urogenitalsystems an erster Stelle, bei den Männern die MuskelSkelettErkrankungen. Bei allen der fünf häufigsten Diagnosen sind die Frauen häufiger betroffen als die Männer. Anteil der Bevölkerung mit Diagnosen aus der ambulanten Versorgung, Deutschland 2014 Männer Frauen MuskelSkelettErkrankungen 47,0 % 55,8 % Krankheiten des Atmungssystems 45,7 % 49,2 % HerzKreislaufErkrankungen 36,8 % 42,9 % Endokrine, Ernährungs und Stoffwechsel krankheiten 35,0 % 47,6 % Krankheiten des Urogenitalsystems 21,4 % 56,0 % Datenquelle: Barmer GEK Arztreport 2016 Kassenartenübergreifende Daten zur ambulanten Versor gung liegen grundsätzlich über die Datentransparenzrege lung nach SGB V vor, sind aber derzeit nur über ein aufwen diges und langwieriges Antragsverfahren beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) verfügbar. Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat daher eine Machbarkeitsstudie für ein Baye risches Gesundheitsdatenzentrum in Auftrag gegeben, das u. a. Lösungsvorschläge für diese Problematik erarbeiten soll. Geschlechterunterschiede in der Häufigkeit ausgewählter Krankheitsgruppen in den Surveys des Robert- Koch-Instituts (GEDA, DEGS1, KiGGS): Zu den wichtigsten oben genannten Krankheitsarten gibt es auch Daten aus den großen Surveys des Robert Koch Instituts. Im Folgenden werden dazu sowie zu den Allergien als einer weitverbreiteten Erkrankung Geschlechterunter schiede dargestellt. Häufigkeit wichtiger Krankheitsarten in der Bevölkerung, Deutschland Männer Frauen HerzKreislauf Erkrankungen Koronare Herzkrankheit (Anteil ärztlicher Diagnosen im Alter 4079 Jahre, DEGS1) 12,3 % 6,4 % Herzinfarkt (Anteil ärztlicher Diagnosen im Alter 40–79 Jahre, DEGS1) 7,0 % 2,5 % Angina pectoris, andere koronare Herzkrankheiten (Anteil ärztlicher Diagnosen im Alter 40–79 Jahre, DEGS1) 10,4 % 5,7 % Psychische Störungen Depression (12Monatsprävalenz ärztlicher Diagnosen, ab 18 Jahre, GEDA 2012) 6,1 % 9,8 % Angststörungen (12Monatspräva lenz ärztlicher Diagnosen, Alter 18 bis 79 Jahre, DEGS1) 9,7 % 22,6 % Alkoholbedingte Störungen (12Mo natsprävalenz ärztlicher Diagnosen, Alter 18 bis 79 Jahre, DEGS1) 18,4 % 3,9 % ADHS (Lebenszeitprävalenz, Alter 3–17 Jahre, KiGGS) 8 % 1,7 % MuskelSkelett Erkrankungen Arthrose (Lebenszeitprävalenz, ab 18 Jahre, GEDA 2012) 19,7 % 27,8 % Osteoporose, ab 50 Jahre (GEDA 2012) 5,5 % 14,5 % Stoffwechsel erkrankungen Diabetes mellitus (Lebenszeitpräva lenz, ab 18 Jahre, GEDA 2012) 8,7 % 9,1 % Allergien Mindestens eine allergische Er krankung, Kinder und Jugendliche (KiGGS) 27,8 % 24,1 % Mindestens eine allergische Erkran kung, Erwachsene (DEGS1) 24,1 % 35,8 % Datenquellen: DEGS1, GEDA, KiGGS Krebsneuerkrankungen: Daten zu Krebsneuerkrankungen sind über die epidemiolo gische Krebsregistrierung verfügbar. Im höheren Lebensal ter sind deutlich mehr Männer als Frauen von einer Krebser krankung betroffen, bis ungefähr zum 55. Lebensjahr ist die Krebsrate (vor allem aufgrund von Brustkrebs) bei Frauen höher. Krebsneuerkrankungen, Deutschland 2012 Männer Frauen Neuerkrankungsrate je 100.000, altersstandardisiert 440,2 348,9 Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken 51 % 43 % Häufigste Krebsneuerkrankungen Jahr nach Tumorlokalisation, prozentualer Anteil an allen Krebsneuerkrankungen Prostata (25,3 %) Lunge (13,7 %) Darm (13,4 %) Brustdrüse (30,8 %) Darm (12,6 %) Lunge (8,0 %) Datenquelle: RKI, Krebs in Deutschland 2011/2012 Zu Geschlechterunterschieden bei einzelnen Krankheitsbil dern sei des Weiteren auf die Datenangebote der Bayeri schen Gesundheitsberichterstattung, insbesondere auf den Bayerischen Gesundheitsindikatorensatz (www.lgl.bayern. Drucksache 17/12036 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 de/gesundheit/gesundheitsberichterstattung/gesundheitsin dikatoren/index.htm) sowie die Gesundheitsreporte (www. lgl.bayern.de/gesundheit/gesundheitsberichterstattung/ themen/index.htm) hingewiesen. Speziell Geschlechterun terschiede behandelt auch der Bericht „Männergesundheit“ des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (https:// www.stmgp.bayern.de/meinethemen/fuermaenner/). Um fangreiche Daten zu Geschlechterunterschieden bei einzel nen Krankheiten sind zudem über die Gesundheitsberichter stattung des Bundes unter www.gbebund.de abrufbar. b) Welche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind in der Prävention, Akutbehandlung und Rehabilitation bei wichtigen Krankheitsgruppen (z. B. kardiovaskulären Erkrankungen, Krebserkrankungen , psychischen Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparats, endokrinologischen und Stoffwechsel erkrankungen? gemäß den Ergebnissen der Versorgungsforschung zu beachten? In Bezug auf die Primärprävention sollten bei allen genann ten Krankheitsgruppen die geschlechtsspezifische Inan spruchnahme von Maßnahmen sowie das unterschiedliche Informations und Kommunikationsverhalten Beachtung finden. In diesem Zusammenhang ist neben gendersen siblen Angeboten insbesondere auch die Aufklärung über geschlechtsabhängige Symptome von hoher Bedeutung. So ist z. B. eine gezielte Aufklärung über kardiovaskuläre Risikofaktoren von Frauen sowie eine Aufklärung über Symp tome, die Hinweise auf eine kardiovaskuläre Erkrankung ge ben könnten, essenziell. In der Diagnostik wird in der Regel von einem männlichen Normsystem ausgegangen und da her werden Symptome von Frauen häufig als atypisch be wertet. Dies wiederum kann den Zeitraum zwischen Symp tombeginn und adäquater Diagnosestellung bzw. Therapie vergrößern. Ergebnisse der CORAStudie (Coronary Risk for Atherosclerosis in Women Study) weisen darauf hin, dass Frauen mit neu aufgetretener koronarer Herzkrankheit (KHK) häufig über Jahre hinweg behandelte Risikofaktoren haben, die sie jedoch nicht als gesundheitsgefährdend wahrneh men. Im Zusammenhang mit KHK sind arterielle Hypertonie oder auch Diabetes mellitus Typ II wichtige Risikofaktoren für Frauen. Bei Frauen mit manifester Hypertonie besteht ein 4fach erhöhtes Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu entwickeln im Vergleich zu Frauen ohne Diabetes. Bei Männern ist das Risiko lediglich 2fach erhöht. Lungenkrebs ist mit einem Anteil von 25 % die häufigste Krebstodesursache bei Männern und mit 15 % die zweithäu figste bei Frauen in Deutschland. Tabak ist seit Langem als Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs identifiziert. Rauchver zicht ist die wichtigste präventive Maßnahme bei Lungen krebs. Geschlechterspezifisch betrachtet ist der Anteil der rauchenden Männer in den vergangenen Jahren gesunken, der Anteil rauchender Frauen hingegen stetig gestiegen. In der Krebsprävention ist es daher wichtig, auf geschlechter bezogene Aspekte zu achten. Ein Beispiel für gezielte ge schlechterbezogene Prävention ist die Unterstützung des Tabakverzichts bei Frauen in der Schwangerschaft. In der Schwangerschaft sind Frauen mehr als zu anderen Zeiten bereit, verstärkt auf ihre Gesundheit und die ihres Kindes zu achten. Sie bietet daher eine große Chance für derartige präventive Maßnahmen. Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Frauen erhalten deutlich häufiger die Diagnose einer Depression als Männer. Die hohen Depressionsraten bei Frauen sind vor allem durch psychosoziale Faktoren zu erklären. Bei Männern ist die De pressionsdiagnoserate zwar niedriger, die Suizidrate aber gegenüber den Frauen vor allem im Alter deutlich erhöht. Geschlechtersensible Prävention sollte bei Männern beson deres Augenmerk auf ihr häufig geringes Hilfesuchverhal ten und ihre Stressverarbeitung richten. Männer nehmen an präventiven Maßnahmen wie z. B. Kursen zu Themen wie Ernährung, Bewegung oder Entspannung in geringe rem Maße teil als Frauen. Damit auch Männer solche Maß nahmen vermehrt in Anspruch nehmen, müssen solche Angebote männergerecht kommuniziert und durchgeführt werden. Besonders wichtig ist es hierbei auch, mögliche Teilnehmer in ihrem Setting, d. h. ihrer Lebenswelt anzu sprechen. Hier ist beispielsweise das für Männer besonders wichtige Setting Arbeitsplatz zu nennen, das mit Maßnah men zur betrieblichen Gesundheitsförderung – wie z. B. den zur Depressionsprävention dienenden Bewegungs und Stressbewältigungsseminaren – einbezogen werden kann. Weitere Hinweise speziell zu geeigneten Präventionsansät zen für Männer gibt der bereits erwähnte Bericht „Männerge sundheit“ des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (https://www.stmgp.bayern.de/meinethemen/fuermaen ner/) Die geringere Inanspruchnahme der Akutbehand lung und Rehabilitation von Männern im Vergleich zu der von Frauen ist in der Literatur vielfach beschrie ben, jedoch ist das Wissen über die geschlechtsspezi fischen Unterschiede im Versorgungsbedarf bei Men schen mit chronischen Krankheiten noch im Aufbau. Trotzdem lassen sich einzelne Ergebnisse aufgreifen: HerzKreislaufKrankheiten stellen die wichtigste Todes ursache für beide Geschlechter dar. Frauen und Männer haben aber verschiedene Risikoprofile für die Entwicklung chronischer Krankheiten, darunter HerzKreislaufErkran kungen. Im Bereich der HerzKreislaufErkrankungen gibt es allerdings Hinweise, dass die psychische Komorbidität wie Depressionen und Ängste nach einer Diagnose sehr oft und häufiger bei Frauen auftreten und dies wiederum eine schlechtere Lebensqualität zur Folge hat als bei Männern. Im Vergleich zu Männern erhalten Frauen von ihrer Umge bung eine geringere Unterstützung bei notwendigen Lebens stilveränderungen (z. B. körperliche Bewegung, Umstellung von Ernährung, Rauchentwöhnung), da sie es vermeiden, ihren Partner und ihre Familie in die erforderlichen Verände rungen des Lebensstils einzubeziehen (Bjarnason-Wehrens B, et al. Gender-specific issues in cardiac rehabilitation: do women with ischaemic heart disease need specially tailored programmes? European Journal of Cardiovascular Prevention & Rehabilitation 2007;14(2):163-71.). Es ist zu vermuten, dass psychosoziale Unterschiede, die in Zusammenhang mit HerzKreislaufErkrankungen auftre ten, auch für andere chronische Krankheiten relevant sind. Die geschlechtsspezifischen, psychosozialen Unterschiede weisen auf verschiedene Bedürfnisse von Frauen und Män nern im Bereich Beratung, Rehabilitationsprogramme und ambulante Nachsorge hin. Besondere Bedeutung hat die medizinische beruflich ori entierte Rehabilitation, die darauf zielt, die Erwerbsfähigkeit der Versicherten zu erhalten oder gegebenenfalls wieder herzustellen. Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Deutschen Rentenversicherung Bund in Auftrag gegebener Bericht zeigt allerdings, dass sich Frau en und Männer hinsichtlich ihrer eigenen Ziele und Erwar Seite 6 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12036 tungen an die medizinische Rehabilitation unterscheiden (http://www.deutscherentenversicherung.de). Während Frauen Erholung und Abstand von Alltagssorgen und die Hilfestellung bei der Krankheitsbewältigung als Ziele wichtig sind, stehen bei Männern vor allem körper und berufsbe zogene Erwartungen an die Rehabilitation im Vordergrund. Solche geschlechtsspezifischen Unterschiede in der ambu lanten und stationären Rehabilitation sollten stärker beach tet werden. Durch die vorliegenden Ergebnisse der Versorgungsfor schung kann festgestellt werden, dass bei der Inanspruch nahme von Rehabilitationsmaßnahmen insgesamt keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestehen (Marschall J. et al. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung. Gesundheitsreport 2016 Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten. Schwerpunkt: Gender und Gesundheit. In: Rebscher H, editor. Heidelberg: DAK-Gesundheit / IGES, 2016:191.). Die Zahlen unterscheiden sich geschlechtsspezifisch, wenn es um einzelne Indikatoren geht (z. B. bei psychosomatischen Rehabilitationsmaßnah men, bei Maßnahmen im Falle von Stoffwechselerkrankun gen oder bei HerzKreislaufErkrankungen). Darüber hinaus weisen die Ergebnisse bei Frauen eine höhere Zufriedenheit mit den Rehabilitationsmaßnahmen aus als bei Männern. Obwohl die aktuellen Versorgungsforschungsergebnisse wenige Hinweise zu geschlechtsspezifischen Unterschie den bei der Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnah men liefern, haben Frauen und Männer unterschiedlichen Rehabilitierungsbedarf. Beispielsweise zeigen die Ergeb nisse eines speziell auf die Bedürfnisse von herzkranken Frauen abgestimmten Rehabilitationsprogramms auf, dass dessen Teilnehmerinnen insgesamt zufriedener wirkten als die Frauen, die an einem Standardprogramm in geschlech tergemischten Gruppen teilnahmen (Hochleitner M. Gender medicine: Sexualität. Wien: Facultas.wuv, 2010.). Zudem ist die Erforschung rein männlicher Rehabilitationsaspekte ein bisher noch wenig beachtetes Thema. c) Wie könnte nach Auffassung der Staatsregierung eine gendersensible epidemiologische und Versorgungsforschung gefördert werden? Die Durchführung von geschlechtsspezifischen (gender sensiblen) Maßnahmen ist in Deutschland z. B. im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung gesetzlich verankert (§ 2 b und § 20 SGB V). In den Berichterstattungen wer den spezifisch epidemiologische Daten über die Gesundheit von Frauen und Männern ausgewertet, um geschlechts spezifische Erkenntnisse zu fördern. Das Wissen über geschlechtsspezifische Lebensumstände, Gesundheits verhältnisse, die Mortalität, Morbidität und die Inanspruch nahme von Gesundheitsleistungen ist zwar bekannt, jedoch besteht noch weiterer Forschungsbedarf. Insbesondere spezielle Zielgruppen, wie z. B. Migrantinnen, sollten auf geschlechtsspezifische Unterschiede, auch in Verbindung mit spezifischen kulturellen Wirkmechanismen, näher unter sucht werden. Um eine geschlechtersensible Perspektive in der Versorgungsforschung zu fördern und die geschlechts spezifische Angemessenheit von Gesundheitsleistungen einschätzen zu können, ist mehr Wissen in mindestens vier Bereichen erforderlich: 1. Forschung hinsichtlich der Präferenzen und Erwartungen an die medizinischen und therapeutischen Maßnahmen von Patienten und Patientinnen, um ein tieferes Ver ständnis ihrer Bedarfe zu erhalten. 2. Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede hin sichtlich ihrer sozialen und ökonomischen Determinan ten, Folgen von Erkrankungen sowie Unterschiede in der Veränderung der Lebensqualität nach einer chronischen Erkrankung. Solche Erkenntnisse können auf wesentli che Unterschiede im Behandlungsbedarf von Frauen und Männern hinweisen. 3. Darstellung geschlechtsspezifischer Unterschiede im Ge sundheitsverhalten, wie z. B. die geringere Inanspruch nahme von rechtzeitigen, ambulanten Leistungen und die Teilnahme an Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten. Durch die besondere Bedeutung für die Gesundheit und den Versorgungsbedarf von Frauen und Männern in Bayern ist ein detailliertes Wissen über ge schlechtsspezifische und effiziente Maßnahmen zur Er höhung der Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen relevant. Hier könnten innovative Forschungsansätze, u. a. unter Einbezug von Primär und Routinedaten in ano nymisierter Form als Grundlage für die Konzeption und Durchführung von Modellprojekten zur Anwendung kommen. 4. Generierung von mehr Wissen über geschlechtsspezifi sche Einflüsse von Gesundheitsinterventionen oder stra tegien. Auch die Überlegungen für ein Bayerisches Gesundheits datenzentrum sind unter diesem Gesichtspunkt relevant, da hier bei geeigneter Ausgestaltung über das bereits beste hende Datenangebot der Gesundheitsberichterstattung hi naus auch mehr geschlechterspezifische Versorgungsdaten verfügbar gemacht werden können. 4. a) Welche medizinischen und therapeutischen Einrichtungen in Bayern richten sich speziell an den präventiven, akuten oder rehabilitativen Bedarf von Frauen? b) Welche medizinischen und therapeutischen Einrichtungen in Bayern richten sich speziell an den präventiven, akuten oder rehabilitativen Bedarf von Männern? Präventive und gesundheitsförderliche Maßnahmen sind besonders erfolgreich, wenn sie im Setting, also in der Le benswelt der Zielgruppe, z. B. in der Schule oder im Stadt teil, stattfinden. In Bayern gibt es eine große Zahl an Kran kenkassenProgrammen, VolkshochschulAngeboten und Projekten, die im Setting speziell den präventiven Bedarf von Frauen bzw. Männern adressieren. Allgemeine Informationen über Männer bzw. Frauen gesundheit, Beratungs und Betreuungsangebote finden sich auf dem Männer bzw. Frauengesundheitsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (www.maennergesundheitsportal.de bzw. www.frauenge sundheitsportal.de) und in Bayern auf den Internetportalen des Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) „Meine Themen – Für Frauen“ https://www.stmgp.bayern. de/meinethemen/fuerfrauen/ und „Meine Themen – Für Männer“ https://www.stmgp.bayern.de/meinethemen/fuer maenner/. Weiterführende Informationen zu präventiven Projekten für Frauen und Männer finden sich beim Bayerischen Zent rum für Prävention und Gesundheitsförderung (http://www. zpgbayern.de/projektefuerfrauen.html bzw. http://www. zpgbayern.de/projektefuermaenner.html) Drucksache 17/12036 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 7 Die Koordinierungsstelle der bayerischen Suchthilfe (www. kbsbayern.de) teilte auf Anfrage mit, dass folgende Einrich tungen für Frauen in Bayern existieren: • FrauenTherapieZentrum (FTZ), München, www.ftz muenchen.de • Extra – Beratungs und Kontaktzentrum für drogenab hängige und gefährdete Frauen und Mädchen, Mün chen, www.extraev.org/ • Cinderella – Beratungsstelle für EssStörungen, Mün chen, www.cinderellaratbeiessstoerungen.de • Beratungsstelle Waagnis zu Essstörungen, Regensburg http://www.waagnis.de/ • Lilith e. V. Verein zur Unterstützung von Frauen mit Dro genproblematik, Nürnberg www.lilithev.de/ • Kassandra, Beratungsstelle für Prostituierte, Nürnberg, www.kassandranbg.de • Bayerische Psychosoziale Suchtberatungsstellen – mit geschlechtsspezifischen Einzelberatungen http://www. baybezirke.de/baybezirke.php?id=241 • Suchthilfezentrum der Stadtmission Nürnberg e. V. – frauenspezifische Suchtberatung, http://www.stadtmissi onnuernberg.de/suchthilfe/suchthilfezentrum/ • Frauennetzwerk DingolfingLandau – Hilfsangebote für Frauen in speziellen Lebenssituationen http://www. caritaslandau.de/hilfeundberatung/beratungsstellefuer seelischegesundheit/faltblattfrauennetzwerk Von der Koordinierungsstelle der bayerischen Suchthilfe wurde lediglich auf ein spezifisches Angebot für Männer hin gewiesen, nämlich eine RehaNachsorgegruppe für Männer mit dem Schwerpunkt Alkohol. Je nach Personalausstattung der PSBs gibt es vereinzelt gemeinsame, frauen oder män nerspezifische Freizeitaktivitäten mit professioneller bzw. therapeutischer Begleitung, die aber eher von Frauen wahr genommen werden. Die dem StMGP im Bereich Suchterkrankungen bekann ten aktuellen Daten und Zahlen und die entsprechenden Versorgungsstrukturen wurden in der Interpellation: „Ent wicklung der ambulanten, teilstationären und stationären Versorgung psychisch erkrankter, seelisch behinderter und suchtkranker Menschen in Bayern“ (LTDrs. 17/482) aus führlich dargestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns meldete auf An frage, dass in Arztpraxen in Bayern von allen gesetzlichen Krankenversicherungen finanzierte präventive Leistungen spezifisch für Männer bzw. Frauen angeboten werden: 1. Für Mädchen und Frauen: • Gynäkologische Krebsfrüherkennung (ab 20 J. / 30 J. / 50 J.) durch alle in Bayern vertragsärztlich zugelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen • HPVImpfung (Humanes PapillomVirus von 8 bis 17 J.) durch alle in Bayern vertragsärztlich zugelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen, in Ausnahmefällen durch Hausärzte 2. Für Männer: • Urologische Krebsfrüherkennung (ab 45 J.): alle in Bay ern vertragsärztlich zugelassenen Urologen Außerdem ist auf die Schwangerschaftsvorsorge hinzuwei sen, die als Leistung aller gesetzlichen Krankenversiche rungen sämtliche in Bayern vertragsärztlich zugelassenen Gynäkologen anbieten. Informationen zur Schwangeren vorsorge finden sich unter http://www.bmg.bund.de/themen/ krankenversicherung/leistungen/schwangermutterschaft. html. Die Anzahl der entsprechenden Ärzte kann dem Ver sorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) entnommen werden (https://www.kvb.de/ueberuns/ versorgungsatlas). Abhängig von der jeweiligen Erkran kung und vom Patienten selbst kann es darüber hinaus geschlechtsspezifische Unterschiede in der individuellen Behandlung geben (präventiv, akut und rehabilitativ). Die Abrechnungsleistungen sind jedoch nicht geschlechterspe zifisch getrennt. Der KVB liegen daher keine Erkenntnisse vor. Zudem wird alle 2 Jahre als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren das MammographieScreening zur Früherken nung von Brustkrebs durchgeführt. ScreeningStandorte in Bayern sind unter http://www.zentralestellebayern.de/ ge listet. c) Wie beurteilt die Staatsregierung die Versorgung mit medizinischen und therapeutischen Leistungen , die sich jeweils spezifisch an Frauen und Männer richten? Die vorliegenden Informationen über geschlechtsspezi fische Medizin, Zugang zu ambulanter und stationärer Ver sorgung und Inanspruchnahme von Leistungen zeigen Un terschiede in der Gesundheitsversorgung zwischen Frauen und Männern auf. Versorgungsdefizite sind aber daraus nicht ableitbar. Notwendig ist mehr wissenschaftliche Evidenz über wirk same geschlechtsspezifische Maßnahmen, welche das KostenNutzenVerhältnis berücksichtigt, den geschlechts spezifischen Bedarf ermittelt sowie die Präferenzen der Pa tientinnen und Patienten berücksichtigt. Es wäre wünschenswert, wenn Leistungserbringer und träger sowie Patientengruppen und Forschungsinstitutio nen gemeinsam Forschung über geschlechtsspezifische Unterschiede initiieren und durchführen könnten, um Wis senslücken zu füllen. Momentan werden mehrere For schungsprojekte über geschlechtsspezifische Unterschiede im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und For schung, der Deutschen Rentenversicherung und der Kran kenkassen durchgeführt, z. B. im Bereich „Individualisierte Medizin“ und im Förderschwerpunkt „Chronische Krankhei ten und Patientenorientierung“. Erkenntnisse aus diesen auf Bundesebene initiierten Forschungsvorhaben liegen dem StMPG aktuell noch nicht vor. 5. An welchen Universitäten und Hochschulen im deutschen Sprachraum sind Lehrstühle oder Studiengänge für genderspezifische Medizin eingerichtet ? Es wird davon ausgegangen, dass mit der Anfrage nur eine Auskunft hinsichtlich des bayerischen Studienangebots ge wünscht ist. An den Medizinischen Fakultäten der Bayeri schen Universitäten existieren W3Professuren (Ordinari ate) für „Geburtshilfe und Frauenheilkunde“. Über weitere genderspezifische Medizinlehrstühle oder Professuren, z. B. für Männerheilkunde, verfügen diese nicht. Auch werden keine genderspezifischen Studiengänge angeboten. Der Studiengang „Humanmedizin“ enthält in allen Abschnitten hinreichend „genderspezifische Inhalte“. Seite 8 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12036 6. Wie beurteilt die Staatsregierung grundsätzlich den Ansatz der geschlechtsspezifischen Medizin (gender medicine)? Die geschlechtsspezifische Medizin als Bezeichnung für Humanmedizin unter einer geschlechtsspezifischen Be trachtungsweise in der Erforschung und Behandlung von Krankheiten ist in der medizinischen Forschung seit den 1990erJahren von großer Bedeutung. Aktuelle Herausfor derungen werden einerseits im Bereich der personalisierten Medizin, andererseits in einer geschlechtsspezifischen me dizinischen Versorgungsforschung gesehen. Diese wird in Zukunft zu noch präziseren Diagnose, Therapie, Präven tions und Rehabilitationsangeboten führen.