Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Karl Vetter FREIE WÄHLER vom 19.05.2016 Übertragung heilkundlicher Maßnahmen auf Notfall sanitäter Nach der Novellierung des Bayerischen Rettungsdienst gesetzes sollen heilkundliche Maßnahmen durch den Ärzt lichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) auf Notfallsanitäter übertragen werden können. Da der ÄLRD aber nicht vor Ort ist, wirft diese Regelung Fragen auf. Ich frage die Staatsregierung: 1. Gibt es für Bayern bereits einen rechtsverbindlichen Ka talog mit Maßnahmen, die vom ÄLRD auf Notfallsanitäter übertragen werden dürfen? 2. Wenn es diesen Katalog bislang noch nicht gibt, beab sichtigt die Staatsregierung sich an den Empfehlungen, die auf Bundesebene unter Mitwirkung des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst e.V., des Bundesver bands der ÄLRD und anderer medizinischen Fachge sellschaften im Rahmen des sog. „Pyramidenprozesses“ erarbeitet wurden, zu orientieren? 3. Wann ist für Bayern mit einem derartigen Maßnahmenka talog zu rechnen? 4. Sieht die Staatsregierung haftungsrechtliche Probleme bei der Übertragung heilkundlicher Maßnahmen durch den ÄLRD auf Notfallsanitäter, obwohl der ÄLRD nicht vor Ort ist? 5. Kann nach Auffassung der Staatsregierung in diesem Zu sammenhang überhaupt von einer „Delegation“ gespro chen werden? 6. Hält die Staatsregierung haftungsrechtliche Probleme für die Notfallsanitäter für möglich, wenn geschädigte Patienten den Klageweg beschreiten und ein fehlerhaf tes Verhalten des Notfallsanitäters bei Ausübung auf ihn übertragener Maßnahmen vorbringen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 17.06.2016 1. Gibt es für Bayern bereits einen rechtsverbindlichen Katalog mit Maßnahmen, die vom ÄLRD auf Notfall sanitäter übertragen werden dürfen? Der zum 1. April 2016 in Kraft getretene Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Bayerisches Rettungsdienstgesetz (BayRDG), in dem geregelt worden ist, dass die Ärztlichen Leiter Rettungs dienst (ÄLRD) für ihren Rettungsdienstbereich Aufgaben auf Notfallsanitäterinnen bzw. Notfallsanitäter delegieren kön nen, bezieht sich ausschließlich auf § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c Notfallsanitätergesetz (NotSanG). Maßnahmen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c NotSanG können nicht delegiert wer den, hier handelt der Notfallsanitäter bei der ausnahmswei sen Durchführung heilkundlicher Maßnahmen im Rahmen eines rechtfertigenden Notstandes mit einer sogenannten Notkompetenz. Diese qualifizierte Hilfeleistungspflicht eines Notfallsanitäters lässt sich aus der allgemeinen Hilfeleis tungspflicht nach § 323 c Strafgesetzbuch (StGB) ableiten. Daher wurde auch von einer entsprechenden Regelung im BayRDG abgesehen. In Bayern wurden von den ÄLRD zunächst ein Maßnah menkatalog, Checklisten sowie eine Medikamentenliste für die nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c NotSanG von den Notfallsanitätern zu erlernenden und zu beherrschenden Maßnahmen erarbeitet. Es wird vorausgesetzt, dass alle Maßnahmen gemäß Empfehlung der ÄLRD Bayern im Rah men der Ausbildung nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c Not SanG erlernt und beherrscht und alle Medikamente gemäß Empfehlung der ÄLRD im Rahmen der Ausbildung nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c NotSanG in Indikation, Anwen dung und Umgang mit möglichen Komplikationen erlernt und beherrscht werden. Mit der durch die Gesetzesänderung aufgenommenen Regelung zur Delegation in das BayRDG wurde zunächst der rechtliche Rahmen dafür geschaffen, das in § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c NotSanG vorgegebene Ausbildungsziel im rettungsdienstlichen Einsatzgeschehen umsetzen zu kön nen. Noch keine Festlegung gibt es, welche Maßnahmen in Zukunft delegiert werden und wie diese Delegation im De tail ausgestaltet wird. Als Nächstes wird nun der grundlegende organisatorische Rahmen ausgefüllt, in dem die neue ÄLRDOrganisation umgesetzt wird. Erst wenn dann die für die Delegation erfor derlichen ÄLRD neu aufgestellt sind, wird es möglich sein, die tatsächliche Umsetzung der Delegation anzugehen. Bis dahin ändert sich für die Notfallsanitäter gegenüber dem bisherigen auch für Rettungsassistenten geltenden System nichts. Insbesondere erfolgt die Delegation nicht schon durch die neue Regelung im BayRDG, sondern muss konkret vom ÄLRD ausgesprochen werden. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.09.2016 17/12075 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12075 2. Wenn es diesen Katalog bislang noch nicht gibt, be absichtigt die Staatsregierung sich an den Empfeh lungen, die auf Bundesebene unter Mitwirkung des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst e.V., des Bundesverbands der ÄLRD und anderer medizini schen Fachgesellschaften im Rahmen des sog. „Pyra midenprozesses“ erarbeitet wurden, zu orientieren? Die ÄLRD in Bayern orientieren sich in der Erstellung al ler Empfehlungen grundsätzlich immer an wissenschaftlich gültiger Literatur. Dies beinhaltet selbstverständlich Emp fehlungen von Fachgesellschaften, aber auch solche des Bundesverbandes der ÄLRD wie auch bereits durch ÄLRD detailliert herausgegebene Vorgaben in anderen Bundes ländern. 3. Wann ist für Bayern mit einem derartigen Maßnah menkatalog zu rechnen? Es wird auf die Beantwortung von Frage 1 verwiesen. Wir gehen davon aus, dass mit Blick auf die noch erforderliche Konsensfindung der ÄLRD die Delegation nicht vor Anfang/ Mitte des Jahres 2017 starten wird. Dies gilt es zunächst abzuwarten und dann in der Weiterentwicklung die notwen digen Schlüsse zu ziehen. 4. Sieht die Staatsregierung haftungsrechtliche Proble me bei der Übertragung heilkundlicher Maßnahmen durch den ÄLRD auf Notfallsanitäter, obwohl der ÄLRD nicht vor Ort ist? Zuständig für die Delegation sind die Ärztlichen Leiter Ret tungsdienst auf Ebene der Zweckverbände für Rettungs dienst und Feuerwehralarmierung (ZRF). Im Rahmen der Konsensfindung und Erarbeitung eines bayernweit einheit lichen Maßnahmenkatalogs für die Delegation werden auch sog. Standard Operating Procedures (SOP) erarbeitet. Die SOP stellen standardmäßig vorgegebene heilkundliche Maßnahmen dar, beschreiben textlich die Abläufe in der not fallmedizinischen Versorgung und beziehen sich auf wissen schaftliche Leitlinien und Empfehlungen von medizinischen Fachgesellschaften. Die Delegation mithilfe von SOP soll die möglichen Haf tungsrisiken für den delegierenden ÄLRD minimieren. Der delegierende Arzt hat dennoch auch im Rettungsdienst eine Auswahl, Anleitungs und Überwachungspflicht. Je höher sich die Komplikationsdichte der ärztlichen Behandlung dar stellt, umso höher sind die Sorgfaltsanforderungen an die Aufsicht durch den Arzt. Im Gegenzug sinken die Anforde rungen an eine Überwachung mit steigender Qualifikation des nichtärztlichen Personals. Genaue Kriterien, wann und wie oft kontrolliert werden muss, gibt es nicht. Dies muss im Einzelfall, je nach Intensität der Maßnahme, bestimmt werden. Vorstellbar sind durchgängige Kontrollen wie die Protokollbesprechung und Fallvorstellung bei ausgewähl ten Maßnahmen durchgeführter Einsätze oder unterjährige stichpunktartige Leistungskontrollen z. B. durch Wissensab fragen im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen. Kommt der ÄLRD diesen Pflichten nach, so ist die Wahr scheinlichkeit für eine Haftung, obwohl der ÄLRD nicht vor Ort ist, gering. Für das aus Sicht des StMI äußerst geringe Haftungsrisiko würde die Amtshaftung greifen, sodass im Außenverhältnis zum Patienten der ZRF als Anstellungskör perschaft des ÄLRD und der ÄLRD nur im Innenverhältnis für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften. 5. Kann nach Auffassung der Staatsregierung in die sem Zusammenhang überhaupt von einer „Delegati on“ gesprochen werden? Unter Delegation im Bereich des ärztlichen Handelns ver steht man die unter fachlicher Verantwortung des Arztes stehende einmalige oder wiederholte Übertragung unter Arztvorbehalt stehender Tätigkeiten auf nichtärztliches Per sonal. Eine Substitution dagegen liegt vor, wenn eine dau erhafte Übertragung von Tätigkeiten einer Berufsgruppe auf eine andere zur eigenverantwortlichen Durchführung statt findet. Die Delegation ärztlicher Leistungen ist gesetzlich nicht explizit geregelt. Auch fehlt weitgehend einschlägige Rechtsprechung, so dass der Delegationsbegriff für den Rettungsdienst neu de finiert werden muss. Zwar kann man die insb. im Schrifttum entwickelten Grundsätze zur Delegation heranziehen, es ist jedoch nicht zwingend, dass diese insgesamt für den Ret tungsdienst einschlägig sind. Sowohl das Bundesministerium für Gesundheit als auch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pfle ge gehen ebenfalls davon aus, dass der Bundesgesetzge ber mit § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c von einer Delegation und nicht von einer Substitution ausgeht. 6. Hält die Staatsregierung haftungsrechtliche Proble me für die Notfallsanitäter für möglich, wenn geschä digte Patienten den Klageweg beschreiten und ein fehlerhaftes Verhalten des Notfallsanitäters bei Aus übung auf ihn übertragener Maßnahmen vorbringen? Die Frage nach der Haftung des nichtärztlichen Rettungs dienstpersonals ist abhängig vom Einzelfall und kann nicht pauschal beurteilt werden. Die nachfolgenden Ausfüh rungen stellen daher die Rechtslage dar, sind jedoch nicht als abschließend aufzufassen. Nachdem die Notfallsanitäter im Rahmen einer Delega tion und somit auf Weisung eines Arztes tätig werden, ist hinsichtlich der Frage, „ob“ der Notfallsanitäter tätig werden durfte, in der Regel keine Haftung des nichtärztlichen Perso nals gegeben. Allerdings muss der Notfallsanitäter eine Be handlung ablehnen, sofern er sich unsicher fühlt oder aber die Maßnahmen nicht beherrscht und somit nicht ausführen kann. Hinsichtlich der konkreten Durchführung der Maßnahme haftet in der Regel der Notfallsanitäter. Auch eine unterlas sene Nachforderung eines Notarztes kann u. U. zu einer Haftung führen.