Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Stamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 06.07.2016 DNA-Spuren ungeklärter Mordfälle Die beiden Mordfälle Charlotte Böhringer, den in den Jahren 2007/2008 vor dem Schwurgericht München I verhandelten sog. Parkhausmord in der ehemaligen Böhringer-Garage, und den in den Jahren 2009/2010 vor dem Schwurgericht des LG Augsburg verhandelten Fall Ursula Herrmann, verbindet ein identisches DNA-Muster am Tatort, dessen männlicher Verursacher bis heute nicht identifiziert wurde, obwohl in den geführten Strafverfahren keine Erklärung für diesen bemerkenswerten Spur-Spur-Treffer gefunden werden konnte. Die identischen DNA-Muster wurden im Fall Ursula Herrmann an einer Schraube aus einer zur Tat benutzten Holzkiste gesichert, im Fall Böhringer an einem in der Spülmaschine in der Küche der Tatwohnung abgestellten Glas wie auch an einem Kommodengriff im Wohnzimmer. Eine mögliche nachträgliche Spur-/Spur-Kontamination ist laut Rechtsmedizin schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs der Sicherung, Verpackung und Auswertung beider Spuren ausdrücklich auszuschließen. Die beiden Spuren in der Tatwohnung Böhringer waren am 24.05.2006 bzw. 02.06.2006 gesichert und vor Ort verpackt, sodann ohne erneute Öffnung zur Rechtsmedizin verbracht und dort in der Zeit vom 08. bis 12.06.2006 ausgewertet worden. Die Schraube aus der Tatkiste Herrmann war hingegen erst am 28.02.2007 zur Rechtsmedizin verbracht und dort schließlich in der Zeit vom 06. bis 09.03.2007 ausgewertet worden. Insbesondere konnte eine Kontamination durch nachträgliches Aufbringen von Spuren, etwa im Zuge der Spurenauswertung durch die Ermittlungsbehörden oder das mit der Analyse in beiden Fällen beauftragte Institut für Rechtsmedizin der Universität München, nicht festgestellt werden. In beiden Fällen beteuern die rechtskräftig Verurteilten bis heute vehement ihre Unschuld. Die Möglichkeit zu weiterer Aufklärung besteht, wie auch die Möglichkeit, dass mit dem unbekannt gebliebenen Spurenverursacher möglicherweise der Täter zweier Kapitalverbrechen nach wie vor in Freiheit sein kann. Nach Auskunft der Verteidigung haben sich die Ermittlungsbehörden im Fall Böhringer darauf beschränkt, das Umfeld der Getöteten lediglich kursorisch und zudem telefonisch auf mögliche Besuche in der Wohnung der Getöteten abzufragen. Das Gericht hatte es zudem in der Hauptverhandlung abgelehnt, sämtliche in den Ermittlungen zum Fall Ursula Herrmann geführte Beschuldigte (mehr als 50 Personen ) mit der ungeklärten Spur abzugleichen. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Warum haben es die Ermittlungsbehörden bis heute unterlassen, das gesamte männliche Umfeld Charlotte Böhringers aufzuklären? b) Warum wurde in diesem Zusammenhang nicht das gesamte männliche Umfeld Charlotte Böhringers mit der am Tatort gesicherten DNA-Spur abgeglichen? 2. a) Sieht es das Staatsministerium der Justiz nunmehr geboten, die Staatsanwaltschaft München I zur Aufnahme entsprechender Ermittlungen im Fall Böhringer anzuweisen? b) Wenn nein, warum nicht? 3. a) Welche Maßnahmen wurden im Fall Ursula Herrmann zur Klärung der Identität des Spurenverursachers getroffen, insbesondere wurden sämtliche in diesem Verfahren als Beschuldigte geführte Personen abgeglichen ? b) Wenn nein, warum nicht? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 04.08.2016 1. a) Warum haben es die Ermittlungsbehörden bis heute unterlassen, das gesamte männliche Umfeld Charlotte Böhringers aufzuklären? b) Warum wurde in diesem Zusammenhang nicht das gesamte männliche Umfeld Charlotte Böhringers mit der am Tatort gesicherten DNA-Spur abgeglichen ? Die in der Anfrage zitierte Darstellung der Verteidigung, dass das männliche Umfeld von Frau Böhringer lediglich kursorisch und zudem telefonisch auf mögliche Besuche in deren Wohnung überprüft worden sei, trifft nach dem zur vorliegenden Schriftlichen Anfrage erholten Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts München I vom 21. Juli 2016 nicht zu. Danach gilt: Nach der Tat vom 15. Mai 2006 wurden im Umfeld von Frau Böhringer sehr umfangreiche Überprüfungen und Vernehmungen durchgeführt. Den identifizierten männlichen Personen aus dem Umfeld von Frau Böhringer wurden jeweils DNA-Proben entnommen. Diese wurden ergebnislos mit den beiden in der Anfrage genannten Spuren aus der Tatortwohnung abgeglichen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 05.10.2016 17/12767 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12767 Insgesamt wurden in dem Verfahren DNA-Proben von 297 Personen abgeglichen, wobei 130 Personen aus dem Umfeld von Frau Böhringer stammten. Bei 139 der überprüften Personen handelte es sich um Polizeibeamte sowie Personen von Rettungsdienst und Staatsanwaltschaft, die in der Tatortwohnung waren. Im Zusammenhang mit dem Fall Ursula Herrmann wurden DNA-Proben von 28 Personen abgeglichen. Ob ein Zusammenhang zwischen den beiden DNA-Spuren , die in der Tatortwohnung an einer Kommode und an einem Glas in der Spülmaschine aufgefunden wurden, mit dem Mord besteht, wurde von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht umfassend geprüft. Letztendlich ergab sich dabei weder in örtlicher noch in zeitlicher Hinsicht ein Bezug zu der Tat. So wurde der Mord im Eingangsbereich der Wohnung im vierten Obergeschoss des Gebäudes verübt, die Kommode und die Spülmaschine befanden sich jedoch im fünften Obergeschoss der Wohnung in Bereichen, in denen es nach Überprüfung keinerlei Hinweise auf eine Anwesenheit des Täters gab. Lediglich das Büro im fünften Obergeschoss war vom Täter durchsucht worden. Hinsichtlich der DNA- Spur an der Kommode konnte auch ein zeitlicher Bezug zur Tat nicht hergestellt werden. Unter Berücksichtigung der letzten feststellbaren Reinigung der Kommode konnte die Spur bereits geraume Zeit vor der Tat gesetzt worden sein. Hinsichtlich des Glases in der Spülmaschine konnte festgestellt werden, dass es mit großer Sicherheit zeitlich vor anderen Gläsern, die identifizierten Personen und deren zeitlich späterem Aufenthalt in der Tatwohnung zugeordnet werden konnten, in die Spülmaschine geräumt worden war. Die beiden DNA-Spuren weisen somit nicht darauf hin, dass es sich bei dem Verursacher um den Täter handelt. Unzutreffend ist nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I weiter, dass eine nachträgliche Spur/Spur- Kontamination zwischen den DNA-Spuren in der Wohnung der Charlotte Böhringer und der an einer Schraube im Verfahren Ursula Herrmann (Entführung von Ursula Herrmann 15. September 1981; Kistenbau vorher) aufgefundenen Spur auszuschließen sei. Die rechtsmedizinischen Sachverständigen haben hierzu lediglich festgestellt, dass eine etwaige nachträgliche Kontamination nicht im Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München erfolgt sein könne. Die an den Gegenständen in der Wohnung gesicherte Fremd-DNA kann jedoch durchaus von Personen, die an den Ermittlungen beteiligt waren, in die Wohnung „vertragen“ worden, also beispielsweise durch Anhaftungen an Ausrüstungsgegenständen für die Tatortarbeit dorthin gelangt sein. Das Landgericht München I hat in seinem Urteil vom 12. August 2008 hierzu Folgendes ausgeführt: „Dass keiner der berechtigten Personen (v. a. Ermittlungsbeamte aus beiden Verfahren) als Spurenverursacher identifiziert werden konnte, führt nicht zu der Annahme, der Spurenverursacher müsse, auf welche Weise auch immer, tatbeteiligt sein. Nicht berücksichtigt wurde nämlich bei diesem Gedankengang der Verteidigung die Möglichkeit der Kontamination der Spurenträger durch berechtigte Personen mit durch diese[n] vertragene ‚Fremd-DNA‘.“ Das Landgericht München I hat sich in seinem Urteil umfassend mit den beiden ungeklärten DNA-Spuren, die mit einer Spur an einer Schraube aus dem Fall Ursula Herrmann übereinstimmen, auseinandergesetzt und ausführlich begründet, warum diese Spuren im Mordfall Böhringer keine Tatrelevanz haben. U. a. hat es hierzu ausgeführt: „Die festgestellte Spurenlage in der Tatortwohnung hinsichtlich nicht zuordenbarer DNA-Spuren auf einem Glas und an einer Kommode deutet nicht auf den DNA-Verursacher als Täter hin. Trotz Identität der genannten DNA-Spuren mit einer DNA-Spur auf einer Schraube aus der Kiste, in der 1981 das Mädchen Ursula Herrmann tot aufgefunden wurde, besteht kein Zusammenhang mit der Tat zulasten von Ursula Herrmann. Diese DNA-Spuren in der Wohnung des Opfers haben weder unmittelbaren örtlichen noch unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Tat zulasten von Charlotte Böhringer.“ 2. a) Sieht es das Staatsministerium der Justiz nunmehr geboten, die Staatsanwaltschaft München I zur Aufnahme entsprechender Ermittlungen im Fall Böhringer anzuweisen? b) Wenn nein, warum nicht? Vor dem Hintergrund der Antwort zu Frage 1 ist die Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft München I aufsichtlich nicht zu beanstanden. In völlig vertretbarer Weise ist die Staatsanwaltschaft München I zur Ansicht gelangt, dass angesichts der bereits erfolgten umfangreichen Überprüfungen und der – auch durch das Gericht angenommenen – fehlenden Tatrelevanz der ungeklärten DNA-Spuren im Mordfall Böhringer weitere Ermittlungen nicht veranlasst sind. 3. a) Welche Maßnahmen wurden im Fall Ursula Herrmann zur Klärung der Identität des Spurenverursachers getroffen, insbesondere wurden sämtliche in diesem Verfahren als Beschuldigte geführte Personen abgeglichen? b) Wenn nein, warum nicht? Zur Beantwortung der Frage wurde ein Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Augsburg erholt. Aus dessen Bericht vom 26. Juli 2016 ergibt sich Folgendes: Nachdem sich die wissenschaftlichen Möglichkeiten zur Gewinnung und Auswertung humanbiologischer Spuren im Jahr 2005 erheblich verbessert hatten, wurde das Bayerische Landeskriminalamt im Verfahrenskomplex Ursula Herrmann um eine erneute Auswertung sämtlicher Tatortspuren unter DNA-Gesichtspunkten gebeten. Das Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde mit der Erstellung von Gutachten zu den einzelnen humanbiologischen Spuren beauftragt. Im Rahmen von 101 Gutachten untersuchte das Institut für Rechtsmedizin Speichelproben, Abriebe, Haare, Waschungen, Auskratzungen, Papierstückchen und einen Zahn auf DNA und stellte die Ergebnisse dar. Insgesamt wurden 2.292 humanbiologische Spuren an Asservaten untersucht und nach DNA ausgewertet. Es konnten 108 verwertbare Spuren gewonnen werden, darunter eine daktyloskopische Spur, 40 verwertbare DNA-Muster und 67 mitochondriale DNA-Spuren (sogenannte mt-DNA-Spuren ). Um diese Spuren zuordnen zu können, wurden umfangreiche Ermittlungen getätigt. Der Kreis der möglichen Verursacher wurde auf alle im Verfahren jemals aufgetretenen Beschuldigten, alle Hinweisgeber, alle nahen Verwandten des Opfers und alle ermittelbaren Polizeiangehörigen, die mit der Arbeit an Tatmitteln oder der Suche nach dem vermissten Kind befasst waren, erweitert. Dazu wurden bei insgesamt 463 Personen Speichelproben oder anderes Vergleichsmaterial beschafft. Der Leichnam eines verstorbenen ehemaligen Beschuldigten wurde exhumiert. Im Rechtshil- Drucksache 17/12767 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 feweg wurde die Speichelprobe einer in Taiwan inhaftierten Person und einer Person in Rom erholt. Von den 40 gewonnenen verwertbaren DNA-Spuren blieben danach neun Spuren offen, das heißt sie konnten keinem Verursacher zugeordnet werden. Von den mt-DNA- Spuren blieben fünfzehn offen, wovon fünf dieser Spuren mit Wahrscheinlichkeit von Ursula Herrmann stammen. Alle dateigeeigneten Spuren sind bis heute in der DNA-Datei gespeichert und werden fortlaufend weiter abgeglichen. Eines der DNA-Muster, die bislang nicht zugeordnet werden konnten, stammte von der in der Schriftlichen Anfrage benannten Schraube, die an einer zur Ausführung der Tat verwendeten Holzkiste aufgefunden worden war. Nach der Sicherstellung der Kiste im Jahr 1981 wurden die verwendeten Schrauben unter anderem mit einer kriminaltechnischen Substanz „abgeformt“, um etwaige Werkzeugspuren sichtbar zu machen. Dagegen waren DNA-Untersuchungstechniken zum Auffinden humanbiologischer Spuren 1981 noch unbekannt. Es wurden daher keine Vorkehrungen zum Schutz vorhandener DNA oder zum Schutz vor neuen DNA-Antragungen im Rahmen der Ermittlungen getroffen. In den Jahren 1982 bis 1988 wurden Teile der Kiste und andere Originaltatmittel auch für die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY – ungelöst“, weitere Fernsehdokumentationen sowie öffentlich zugängliche Tatmittelausstellungen zur Verfügung gestellt, wobei ein heute nicht mehr feststellbarer Personenkreis mit den Gegenständen in Kontakt gekommen sein kann. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Augsburg gegen den zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilten Täter erläuterte eine Sachverständige des Instituts für Rechtsmedizin , dass aufgrund der Tatumstände mit einer Täter-DNA an der Kiste oder Teilen davon nicht zu rechnen gewesen wäre. Die Sachverständige begründete dies damit, dass die verfahrensgegenständliche Kiste rund drei Wochen in feuchtem Erdreich vergraben gewesen sei, bei der Auffindung regnerisches Wetter geherrscht habe und keine Sicherungsmaßnahmen bei der Bergung vorgenommen worden seien. Unter dem Einfluss von Feuchtigkeit und Bakterien, denen die vergrabene Kiste im Erdreich ausgesetzt gewesen sei, sei vorhandene DNA abgebaut und vernichtet worden. Wäre tatsächlich an der fraglichen Schraube Täter-DNA vorhanden gewesen, hätte sich dieses Material an den gefertigten Abformungen wiederfinden müssen. Dem sei jedoch nicht so gewesen. Letztendlich müsse der Schluss gezogen werden , dass es sich bei der an der Schraube gefundenen DNA nicht um Täter-DNA handele. Wem die DNA-Spur letztlich zuzuordnen ist, konnte durch die umfangreichen Ermittlungen nicht aufgeklärt werden. Der Personenkreis, der im Lauf der Jahre mit der Schraube in Kontakt gekommen ist, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Weitere Ermittlungsansätze zur Abklärung dieser Spur sind nicht vorhanden. Das Landgericht Augsburg hat in der damaligen Hauptverhandlung der Frage nach der Herkunft der DNA-Spur breiten Raum gegeben und kam zu dem im Urteil niedergelegten Schluss, dass trotz der Identität zwischen der DNA-Spur auf der Schraube und den beiden DNA-Spuren im Mordfall Böhringer kein Zusammenhang mit der Tat zum Nachteil der Charlotte Böhringer bestehe. Die am 25. März 2010 erfolgte Verurteilung wegen der Tat zum Nachteil von Ursula Herrmann stützte das Landgericht Augsburg auf eine Vielzahl anderer Indizien.