Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Alexandra Hiersemann SPD vom 18.07.2016 Schlafwache bei Krippenkindern Das Schreiben „Schlafwache bei Krippenkindern“ des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration an die Regierungen vom 22.02.2016 nimmt Stellung zur Reichweite der Aufsichtspflichten des Erziehungspersonals bei Krippenkindern. Es stellt u. a. fest, dass Krippenkinder bis zum 2. bzw. 3. Lebensjahr unter ständiger Aufsicht, insbesondere einer durchgängigen Schlafwache, stehen sollen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen würde einen deutlichen finanziellen Mehraufwand für die Kindertageseinrichtungen bedeuten, da sie zusätzliches Personal für die vollumfängliche Kontrolle der schlafenden Kinder einstellen müssten. Ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung der Träger seitens der Staatsregierung hätten die neuen Maßnahmen zur Folge, dass die Träger aus Ermangelung finanzieller Kapazitäten Arbeitsabläufe verändern müssten, was wiederum Einschnitte bei der entwicklungsgerechten Betreuung der Kinder (Aufrechterhaltung ihres natürlichen drei- bis vierstündigen Schlafrhythmus) verursachen würde. Entwicklungsstandfremde Wach-und Schlafphasen widersprächen jedoch Artikel 11 Absatz 1 des Bayerischen Kinderbildungs - und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG), wonach „das pädagogische Personal in Kindertageseinrichtungen […] jedes Kind entsprechend seinen Bedürfnissen individuell fördern“ soll. Deshalb frage ich die Staatsregierung: 1. Bis zu welchem Lebensjahr besteht eine Aufsichtspflicht seitens des Erziehungspersonals in Form einer durchgehenden, persönlich durchgeführten Schlafwache , wenn das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration einerseits schreibt, dass „eine umfassende Aufsicht für Säuglinge und Kleinstkinder bis zum 2. Lebensjahr als unabdingbar erscheint“ (siehe Schreiben vom 22.02.2016), und andererseits empfiehlt, Krippenkinder unter 3 Jahren durchgehend zu beaufsichtigen? 2. a) Unter Wahrung welcher „entsprechender Voraussetzungen “ (siehe Schreiben vom 22.02.2016) kann eine technische Überwachung von Krippenkindern ab dem 2. Lebensjahr ausreichen? b) Wie „eng“ (siehe Schreiben vom 22.02.2016) sollen, bei durchgängiger technischer Überwachung, die zeitlichen Abstände zwischen den Kontrollen durch das jeweilige Personal sein? 3. a) Welche konkreten „Vorbereitungsarbeiten jeglicher Art“ (siehe Schreiben vom 22.02.2016) stellt sich die Staatsregierung für das Erziehungspersonal während der eigentlich primär zu erledigenden Schlafwache vor? b) Ist die Staatsregierung nicht der Meinung, dass die von ihr geforderte durchgängige Schlafwache durch das Erziehungspersonal durch gleichzeitig zu verrichtende „Vorbereitungsarten jeglicher Art“ konterkariert und dem eigentlichen Zweck der durchgängigen und aufmerksamen Schlafwache (z. B. zur Verhinderung eines lautlosen Erstickens) zuwiderläuft? c) Wie genau stellt sich die Staatsregierung einen Arbeitsplatz in einem abgedunkelten Schlafraum für Kleinstkinder vor, der den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) entspricht? 4. a) Wie stellt sich die Staatsregierung konkret die Finanzierung der Mehrausgaben für Personalkosten durch die Kindertageseinrichtungen vor, wenn die Träger darauf verweisen, dass es einer zusätzlichen Erziehungsfachkraft bedürfe, um den derzeit angewandten entwicklungsfördernden drei-bis vierstündigen Schlafrhythmus von Krippenkindern aufrechterhalten zu können ? b) Plant die Staatsregierung die derzeit geltende staatliche Förderung für Kindertageseinrichtungen (gemäß Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG) für diesen Zweck zu erhöhen, und falls nein, warum nicht? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 19.08.2016 1. Bis zu welchem Lebensjahr besteht eine Aufsichtspflicht seitens des Erziehungspersonals in Form einer durchgehenden, persönlich durchgeführten Schlafwache, wenn das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration einerseits schreibt, dass „eine umfassende Aufsicht für Säuglinge und Kleinstkinder bis zum 2. Lebensjahr als unabdingbar erscheint“ (siehe Schreiben vom 22.02.2016), und andererseits empfiehlt, Krippenkinder unter 3 Jahren durchgehend zu beaufsichtigen ? Umfang und Inhalt der Aufsichtspflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Träger der Kindertageseinrichtungen , denen Eltern ihre Kinder anvertrauen, haben die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen unter Berücksichtigung u. a. des Alters der Aufsichtsbedürftigen, den Besonderhei- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 14.10.2016 17/12829 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12829 ten des örtlichen Umfeldes, des Ausmaßes der drohenden Gefahren und der Voraussehbarkeit eines schädigenden Verhaltens zu treffen. Auf Anfrage hat sich das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) in einem Rechtsgutachten vom 22. Februar 2016 allgemein zur Notwendigkeit einer Schlafwache geäußert, wenn der Träger separiert für Kinder eine Schlafmöglichkeit einrichtet. Das Rechtsgutachten dient der Orientierung und entpflichtet den Träger nicht, eine eigene Einschätzung zu den konkret notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung der Aufsichtspflicht im Einzelfall zu treffen. Das StMAS hat in diesem Rechtsgutachten zwischen Kindern im Alter unter einem Jahr und Kindern ab dem vollendeten ersten Lebensjahr differenziert. Für Kinder unter einem Jahr ist nach Auffassung des StMAS eine umfassende Schlafwache durch geeignetes Personal in einem Schlafraum angezeigt. Für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr dürfte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls der Rückgriff auf technische Hilfsmittel wie Babyphone in aller Regel genügen. 2. a) Unter Wahrung welcher „entsprechender Voraussetzungen “ (siehe Schreiben vom 22.02.2016) kann eine technische Überwachung von Krippenkindern ab dem 2. Lebensjahr ausreichen? Die Frage ist – wie unter 1. dargestellt – nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten. Insbesondere dürfte ein Rückgriff auf technische Hilfsmittel dann genügen, wenn es fachlich vertretbar erscheint, insbesondere weil die jeweiligen Räumlichkeiten und Gegebenheiten vor Ort (z. B. Lärmbelastung ) nicht entgegenstehen. b) Wie „eng“ (siehe Schreiben vom 22.02.2016) sollen , bei durchgängiger technischer Überwachung, die zeitlichen Abstände zwischen den Kontrollen durch das jeweilige Personal sein? Die Frage der Kontrolldichte durch das zuständige Personal ist wiederum eine Frage des Einzelfalles und hat der Träger in Abhängigkeit der jeweiligen Situation zu beantworten. 3. a) Welche konkreten „Vorbereitungsarbeiten jeglicher Art“ (siehe Schreiben vom 22.02.2016) stellt sich die Staatsregierung für das Erziehungspersonal während der eigentlich primär zu erledigenden Schlafwache vor? b) Ist die Staatsregierung nicht der Meinung, dass die von ihr geforderte durchgängige Schlafwache durch das Erziehungspersonal durch gleichzeitig zu verrichtende „Vorbereitungsarten jeglicher Art“ konterkariert und dem eigentlichen Zweck der durchgängigen und aufmerksamen Schlafwache (z. B. zur Verhinderung eines lautlosen Erstickens) zuwiderläuft? c) Wie genau stellt sich die Staatsregierung einen Arbeitsplatz in einem abgedunkelten Schlafraum für Kleinstkinder vor, der den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) entspricht? Die Fragen lassen sich losgelöst vom Einzelfall nicht beantworten . Welche Aufsichtsmaßnahmen konkret geboten sind, muss der Träger der Kindertageseinrichtung bzw. das eingesetzte Personal in Kenntnis der Gesamtumstände beantworten . Diese entscheiden, wie im Falle einer notwendigen persönlichen Schlafwache diese effektiv organisiert wird und welche Vorbereitungsarbeiten nebenbei erledigt werden können. 4. a) Wie stellt sich die Staatsregierung konkret die Finanzierung der Mehrausgaben für Personalkosten durch die Kindertageseinrichtungen vor, wenn die Träger darauf verweisen, dass es einer zusätzlichen Erziehungsfachkraft bedürfe, um den derzeit angewandten entwicklungsfördernden drei- bis vierstündigen Schlafrhythmus von Krippenkindern aufrechterhalten zu können? Das Schreiben des StMAS vom 22.02.2016 dient insbesondere auch dazu, die Träger anzuhalten, die von ihnen ergriffenen Maßnahmen der Aufsichtspflicht zu prüfen. Wenn ein Träger einer Kindertageseinrichtung unter Berücksichtigung der Auffassung des StMAS zu dem Ergebnis gelangt, dass die bisherigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Aufsichtspflicht nicht ausreichen, wird er nach eigenem Ermessen die erforderlichen Schritte ergreifen. Die Finanzierungsverantwortung trägt der Träger. b) Plant die Staatsregierung die derzeit geltende staatliche Förderung für Kindertageseinrichtungen (gemäß Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG) für diesen Zweck zu erhöhen, und falls nein, warum nicht? Die Aufsichtspflicht des Trägers der Kindertageseinrichtung ergibt sich aus dem Betreuungsvertrag. Zusätzliche staatliche Mittel zur Refinanzierung von aufsichtlichen Maßnahmen sind nicht veranlasst. Durch das Rechtsgutachten des StMAS hat sich die jeweilige Aufsichtspflicht nicht verändert. Zur bereits bestehenden Verpflichtung der Träger wurde lediglich eine Rechtsmeinung zur Orientierung geäußert. Insbesondere wurde keine neue Aufgabe zugewiesen. Auch ist das Rechtsgutachten nicht als Plädoyer für die Einrichtung von Schlafräumen und festen Schlafzeiten zu verstehen. Darüber entscheidet der Träger. Den Trägern vor Ort bleibt es auch unbenommen, im Falle einer notwendigen Schlafwache , geeignete ehrenamtliche Helfer oder Praktikanten einzusetzen.