Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Stamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25.04.2016 Disorders of Sex Development – DSD medizinische Eingriffe und Folgen Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie viele medizinische Eingriffe wurden jeweils in den Jahren von 2005 bis 2016 an Bayerns Kliniken aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „Disorder of Sex Development (DSD)“ durchgeführt? Bitte aufgeschlüsselt nach: a) Kliniken b) Alter der Patient(inn)en zum Zeitpunkt des Eingriffs c) Art des Eingriffs 2. Wie oft wurde eine Person mit der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ in Bayern bisher nicht operiert (bitte in absoluten Zahlen und prozentual im Vergleich zu den Personen, die operiert wurden)? a) Wie viele Operationen wurden aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ in den letzten 10 Jahren in Bayern wegen einer gesundheitlichen Notwendigkeit durchgeführt? b) Wie viele „kosmetische“ Operationen wurden aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ in den letzten 10 Jahren in Bayern durchgeführt? 3. In wie vielen Fällen führten „geschlechtszuweisende“ Operationen in Bayern zu Folgebeschwerden? Bitte auf folgende Aspekte eingehen: a) Art der Beschwerden, b) Dauer der Beschwerden 4. In wie vielen Fällen machten „geschlechtszuweisende“ Operationen in Bayern eine Folgebehandlung gesundheitlich notwendig, bspw. die Einnahme von Hormonen ) Bitte auf folgende Aspekte eingehen: a) Art der Behandlung b) Dauer der Behandlung 5. Wer entscheidet, ob das Geschlecht in die binären Geschlechterkategorien „männlich“ und „weiblich“ „zugeordnet“ werden kann/soll, nachdem – laut der Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Stamm betreffend „Intersexualität in Bayern“ auf Drs. 17/8926 – seit der am 01.11.2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) die Geschlechtsangabe im Geburtseintrag „nunmehr zwingend offen bleibt, wenn das Kind – den Angaben der Geburtsanzeige zufolge – weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann“ (bitte auch die Entscheidungsmöglichkeit der Betroffenen, der Eltern des betroffenen Kindes und des medizinischen Personals angeben)? a) Wird durch einen medizinischen Eingriff die Möglichkeit hergestellt, einen Geschlechtseintrag in „männlich “ oder „weiblich“ vorzunehmen? b) Wer entscheidet hier über die Art der Eintragung? c) Innerhalb welchen Zeitraums nach der Geburt muss die Eintragung/Offenlassung des Geschlechts erfolgen ? 6. Wie viele Schwangerschaftsabbrüche gab es in Bayern aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren im Zeitraum von 2005–2016 und nach Schwangerschaftswoche)? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19.08.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, dem Staatsministerium der Justiz und dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet : 1. Wie viele medizinische Eingriffe wurden jeweils in den Jahren von 2005 bis 2016 an Bayerns Kliniken aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „Disorder of Sex Development (DSD)“ durchgeführt ? Bitte aufgeschlüsselt nach: a) Kliniken b) Alter der Patient(inn)en zum Zeitpunkt des Eingriffs c) Art des Eingriffs Von der typischen Erscheinungsform abweichende Ausprägungen des biologischen Geschlechts wurden früher und werden teilweise auch noch heute als medizinisch behandlungsbedürftig angesehen und unter anderem deshalb in die internationale Krankheitsklassifikation (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems [ICD]) aufgenommen. Die gängig unter DSD zusammengefassten Syndrome werden in der deutschen ICD-Variante (ICD-10 GM) wie folgt eingeordnet: • E 25 Adrenogenitales Syndrom • E 29.1 5-alpha-Reduktase-Mangel, • E 34.5 Androgeninsensitivität • Q 56.0 Hermaphroditismus • Q 96 Turner-Syndrom • Q 98 Klinefelter-Syndrom • Q 99 mehrere Formen von Gonadendysgenesie Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 28.10.2016 17/12846 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12846 Diese Kapitelzuteilung betont, dass Hormonstörungen (Mangel oder Überschuss an hormonbildenden Enzymen) und Fehlbildungen gewisser Organe das Ursachenbild dominieren . Demgegenüber fasst der Vorschlag der pädiatrischen Endokrinologen gemäß dem sogenannten Chicago Consensus Statement zwischengeschlechtliche Syndrome gemeinsam mit anderen Fehlbildungen der Geschlechtsorgane unter dem Oberbegriff DSD zusammen und unterteilt sie nach dem chromosomalen Geschlecht: • DSD bei atypischer Variante des chromosomalen Geschlechts , • DSD bei 46, XY Status (männliches chromosomales Geschlecht ), • DSD bei 46, XX Status (weibliches chromosomales Geschlecht ). Diese beiden medizinisch begründeten Klassifizierungskonzepte teilen die DSD-Syndrome verschieden auf und sind Gegenstand einer kontroversen Fachdiskussion. Für Aussagen nach dem Chicago Consensus Statement liegen keine statistischen Daten vor. Die Abrechnungsdaten der Krankenhäuser lassen aber eine Auswertung nach ICD-Diagnosen zu, allerdings nur von 2009 bis 2014. Ältere bzw. neuere Daten liegen (noch) nicht vor. Zudem ist eine Ausweisung nach Krankenhäusern zum Schutz persönlicher Daten der Patienten nicht möglich, da die Fallzahlen so gering sind, dass damit eine Identifizierung von Patienten möglich wäre. Wegen der geringen Fallzahlen ist auch eine durchgängige Zeitreihe wenig aussagekräftig, weswegen die Darstellung zugunsten der Lesbarkeit auf die Jahre 2009 und 2014 beschränkt wurde. Auswertung der Abrechnungsdaten der Krankenhäuser 2009 2014 Fälle OP in % Fälle OP in % E 25 Adrenogenitales Syndrom 28 3 17 0 E 29.1 5-alpha-Reduktase -Mangel 1 0 7 2 E 34.5 Androgeninsensitivität 1 1 0 0 Q 56.0 Hermaphroditismus 5 2 2 2 Q 96 Turner-Syndrom 5 4 9 1 Q 98 Klinefelter-Syndrom 5 0 3 0 Q 99 Gonadendysgenesie 14 6 12 3 Summe 59 16 27% 50 8 16% 2. Wie oft wurde eine Person mit der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ in Bayern bisher nicht operiert (bitte in absoluten Zahlen und prozentual im Vergleich zu den Personen, die operiert wurden)? a) Wie viele Operationen wurden aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ in den letzten 10 Jahren in Bayern wegen einer gesundheitlichen Notwendigkeit durchgeführt? b) Wie viele „kosmetische“ Operationen wurden aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ in den letzten 10 Jahren in Bayern durchgeführt ? Zu dieser Frage liegen dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege keine Daten vor. 3. In wie vielen Fällen führten „geschlechtszuweisende “ Operationen in Bayern zu Folgebeschwerden? Bitte auf folgende Aspekte eingehen: a) Art der Beschwerden, b) Dauer der Beschwerden Zu dieser Frage liegen dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege keine Daten vor. 4. In wie vielen Fällen machten „geschlechtszuweisende “ Operationen in Bayern eine Folgebehandlung gesundheitlich notwendig, bspw. die Einnahme von Hormonen) Bitte auf folgende Aspekte eingehen: a) Art der Behandlung b) Dauer der Behandlung Zu dieser Frage liegen dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege keine Daten vor. 5. Wer entscheidet, ob das Geschlecht in die binären Geschlechterkategorien „männlich“ und „weiblich “ „zugeordnet“ werden kann/soll, nachdem – laut der Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Stamm betreffend „Intersexualität in Bayern“ auf Drs. 17/8926 – seit der am 01.11.2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) die Geschlechtsangabe im Geburtseintrag „nunmehr zwingend offen bleibt, wenn das Kind – den Angaben der Geburtsanzeige zufolge – weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann“ (bitte auch die Entscheidungsmöglichkeit der Betroffenen, der Eltern des betroffenen Kindes und des medizinischen Personals angeben)? a) Wird durch einen medizinischen Eingriff die Möglichkeit hergestellt, einen Geschlechtseintrag in „männlich“ oder „weiblich“ vorzunehmen? b) Wer entscheidet hier über die Art der Eintragung? c) Innerhalb welchen Zeitraums nach der Geburt muss die Eintragung/Offenlassung des Geschlechts erfolgen? Die Beurkundung des Personenstands und damit auch der Eintragung der Geschlechtszugehörigkeit einschließlich der Entscheidung über die Frage, ob ein Kind gemäß § 22 Abs. 3 PStG dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, obliegt dem Standesamt. Beurkundungsgrundlagen sind im Wesentlichen entsprechende Anzeigen und Erklärungen gegenüber dem Standesamt sowie ggf. zusätzliche eigene Ermittlungen des Standesamts. Die Beurkundung einer Geburt eines in Deutschland geborenen Kindes setzt zwingend eine Anzeige gegenüber dem zuständigen Standesamt voraus, die binnen einer Woche erfolgen muss. Die Anzeige hat unter anderem auch die Angabe des Geschlechts des Kindes (männlich oder weiblich) zu enthalten, ggf. auch die Angabe, dass eine Geschlechtszuordnung nicht möglich ist. Bei Geburten in Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen, in denen Geburtshilfe geleistet wird, besteht stets eine schriftliche Anzeigepflicht der Träger der Einrichtung neben der mündlichen Anzeigeberechtigung der in allen anderen Fällen (insbes. bei Hausgeburten) anzeigeverpflichteten sorgeberechtigten Elternteile oder ggf. sonst aus eigenem Wissen von der Geburt unterrichteten Personen. Die Anzeigeverpflichtungen Drucksache 17/12846 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 können zwangsweise durchgesetzt werden und sind bußgeldbewehrt . Soweit sich aus der Geburtsanzeige eine eindeutige Geschlechtszuordnung ergibt, wird das Standesamt das entsprechende Geschlecht eintragen. Fehlt in der Geburtsanzeige eine Geschlechtsangabe, wird das Standesamt zur Zuordnung des Geschlechts ergänzende Angaben einholen, insbesondere eine Bescheinigung des Arztes oder der Hebamme (hinsichtlich Beurkundung erforderlicher Angaben, und damit auch der Frage der Geschlechtszuordnung, sind dem Standesamt gegenüber alle Personen auskunftspflichtig, die hierzu Angaben machen können). Kann das Kind danach weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe einzutragen (§ 22 Abs. 3 PStG). Entscheidungsbefugnisse für die betroffenen Kinder oder deren Eltern bestehen insoweit nicht. Wird bei einer Beurkundung ohne Geschlechtsangabe später durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen, dass das Kind nunmehr einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden kann, so wird die Angabe des Geschlechts nachträglich im Rahmen eine Folgebeurkundung ins Geburtenregister eingetragen (§ 27 Abs. 3 Nr. 4 PStG). Es ist insoweit unerheblich, aufgrund welcher Umstände (z. B. natürliche Entwicklung oder medizinischer Eingriff) eine Geschlechtszuordnung vorgenommen werden kann. 6. Wie viele Schwangerschaftsabbrüche gab es in Bayern aufgrund der sogenannten medizinischen Diagnose „DSD“ (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren im Zeitraum von 2005–2016 und nach Schwangerschaftswoche )? Medizinische Diagnosen für einen Schwangerschaftsabbruch werden statistisch nicht erfasst. Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12846