Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 03.08.2016 Umgang mit rechtsextremistisch motivierten Straf- und Gewalttaten III: Versäumnisse in konkreten Einzelfällen In einer aktuellen Studie („Leben in Unsicherheit. Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“) dokumentiert Amnesty International drei Fälle aus Bayern, in denen rassistische Tatmotive von den Ermittlungsbehörden nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurden (https://www.amnesty.de/files/Amnesty-Bericht-Rassistische -Gewalt-in-Deutschland-Juni2016.pdf). Da in einem Fall der Name des Opfers sowie der Name der Stadt, in der die Gewalttat stattfand, geändert wurde, geht die folgende Anfrage nur auf zwei Fälle näher ein. Fall 1: „Am 29. August 2013 wurde A. F., ein somalischer Asylsuchender , von zwei deutschen Männern vor seiner Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Wallersdorf angegriffen. Die beiden Angreifer näherten sich ihm auf einem Motorrad. Der Mann, der hinten saß, warf mit einer Bierflasche nach A. F., stieg dann vom Motorrad und versuchte, ihn zu schlagen. A. F. konnte den Schlägen ausweichen und lief weg. Die Männer verfolgten ihn und griffen ihn tätlich an, sobald sie ihn gefasst hatten. A. F. stürzte zu Boden, begann zu schreien und wurde schließlich von anderen Bewohnerinnen und Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft gerettet, die die Polizei riefen. (…) Die Ermittlerinnen und Ermittler kamen zu der Einsicht, dass der Mann, der A. F. angegriffen hatte, eine eindeutig fremdenfeindliche Einstellung hatte. Dennoch wurde der Angriff nicht als politisch motivierte Straftat eingestuft auch vor Gericht blieb das rassistische Motiv bei der Verurteilung unberücksichtigt.“ Fall 2: „M. D., ein 18-jähriger Asylsuchender aus Mali, traf im Februar 2014 in Deutschland ein. Er lebte zusammen mit anderen Asylsuchenden in einer Wohnung in Mallersdorf, 100 Kilometer nordwestlich von München. Am 20. Dezember 2014 nahm er den Zug von Straubing zurück nach Mallersdorf. Im selben Zug befand sich eine Gruppe von drei Freundinnen und Freunden. Irgendwann stiegen zwei der drei aus. Der im Zug gebliebene Mann rief seinen Bruder und einen Freund an und forderte sie auf, in Mallersdorf zu ihm zu stoßen , um M. D. anzugreifen. Die drei Männer schlugen M. D. schließlich zusammen, bevor er in Mallersdorf aussteigen konnte. Dabei schlugen sie ihm auch mit einem mitgebrachten Notfallhammer auf den Kopf. (…) Die Staatsanwaltschaft nahm kein mögliches rassistisches Motiv in die Anklage auf. Alle drei Verdächtigen wurden des versuchten Totschlags angeklagt. Mehrere Indizien weisen jedoch klar auf ein rassistisches Tatmotiv hin. Insbesondere lag dem Landgericht Regensburg eine wörtliche, schriftliche Aussage vor, aus der, wie N. W., der zweite Rechtsbeistand von M. D., betonte, hervorgeht, dass einer der Täter nach dem Angriff wiederholt in SMS-Nachrichten an einen Bekannten mit rassistischen Beleidigungen auf M. D. angespielt hat. So schrieb er beispielsweise am 6. Februar 2015: ‚Aber bei mir ist ein bißchen Scheißiges passiert, Alter, weißt. Was heißt passiert, schau so ein Scheiß-Nigger, Alter weißt, wurde hier zam...wurde hier gefotzt, Alter weißt. Jetzt tun sie mir voll den versuchten Totschlag vorwerfen.‘“ Vor dem Hintergrund dieser Darstellung im Bericht von Amnesty International frage ich die Staatsregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung zu den beiden geschilderten Fällen, insbesondere bzgl. des Tathergangs, der Ermittlungen und der Konsequenzen des Ermittlungsverfahrens? 2.1 Sind die Schilderungen im Bericht von Amnesty International nach Ansicht der Staatsregierung zutreffend? 2.2 Falls ja, weshalb wurde der Angriff auf A. F. trotz der fremdenfeindlichen Einstellung des Täters nicht als politisch motivierte Straftat eingestuft? 2.3 Falls ja, weshalb nahm die Staatsanwaltschaft im Fall von M. D. trotz der Hinweise auf rassistische Beleidigungen kein mögliches rassistisches Motiv in die Anklage auf? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 05.09.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Justiz wie folgt beantwortet: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung zu den beiden geschilderten Fällen, insbesondere bzgl. des Tathergangs, der Ermittlungen und der Konsequenzen des Ermittlungsverfahrens? Fall 1: Gefährliche Körperverletzung im Bereich der Asylbewerberunterkunft in Wallersdorf Nach Angaben des Polizeipräsidiums Niederbayern wurde am 29.08.2013 von der Integrierten Leitstelle (ILS) Landshut an die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Niederbayern mitgeteilt, dass im Bereich der Asylbewerberunterkunft in Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 04.11.2016 17/12903 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12903 Wallersdorf, Landkreis Dingolfing-Landau, eine Person verletzt worden ist. Beim Eintreffen der alarmierten Polizeibeamten am Einsatzort wurde der somalische Staatsangehörige A. F. bereits in einem Krankenwagen ärztlich versorgt. Er hatte deutlich sichtbare Schürfwunden an beiden Knien, an den Unterarmen und an der rechten Hand. Darüber hinaus waren auch drei Schneidezähne der oberen Zahnreihe abgebrochen. Der Geschädigte gab gegenüber den Polizeibeamten an, dass er von zwei jungen Männern angegriffen wurde, welche mit einem Motorroller flüchteten. Die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen nach den Tätern blieben zunächst ohne Erfolg. Eine Befragung der vor Ort anwesenden Asylbewerber verlief negativ, Zeugen des Vorfalls wurden vorerst nicht bekannt. Auf einer Aufzeichnung einer Überwachungskamera war zu erkennen, wie eine Person den Geschädigten verfolgt und versucht hat, diesen zu schlagen. Laut Angaben des Geschädigten verließ er am Tattag die Asylbewerberunterkunft, um in Ruhe telefonieren zu können . Während er im Umfeld der Unterkunft spazieren ging, traf er auf einen mit zwei Personen besetzten Motorroller. Als Mitfahrer erkannte er dabei den Beschuldigten D. H. Er war ihm bekannt, weil dieser schon öfter einen somalischen Mitbewohner, mit dem er früher gemeinsam an einer Arbeitsstelle beschäftigt war, in der Asylbewerberunterkunft besucht hatte. D. H. warf aus ca. 4–5 Meter Entfernung eine Glasflasche auf den Geschädigten, dieser konnte ausweichen und wurde nicht getroffen. D. H. sprang vom Roller und ging aggressiv auf den Geschädigten zu. Dieser wollte der Auseinandersetzung aus dem Weg gehen und lief in Richtung Unterkunft weg. Er wurde jedoch von D. H. eingeholt. Dieser schlug mit den Fäusten zu und traf den Geschädigten mehrmals am Oberkörper. Nachdem auch ein weiterer Fluchtversuch misslang, schlug D. H. weiter auf den Geschädigten ein. Die weitere Person auf dem Roller, der Beschuldigte R. D., war parallel zu der Fluchtrichtung des Geschädigten mitgefahren und stand in unmittelbarer Nähe zum Tatgeschehen . Dabei soll D. H. den Rollerfahrer, R. D., mehrmals in aggressiver Weise aufgefordert haben, mit dem Motorroller auf den Geschädigten zuzufahren. R. D. folgte zunächst nur zögerlich den Anweisungen, fuhr jedoch schließlich auf den Geschädigten zu und streifte ihn, sodass er zu Boden fiel und sich die o. g. Verletzungen zuzog. Aufgrund des Vorfalls wurden andere Bewohner der Asylbewerberunterkunft aufmerksam und begaben sich nach draußen. D. H. und R. D. hatten sich zwischenzeitlich mit dem Roller in unbekannte Richtung entfernt. Der Geschädigte und ein weiterer Zeuge gaben in ihren Vernehmungen an, dass sie keinen ausländerfeindlichen Hintergrund für diese Angriffe erkennen. Sie waren eher der Meinung, dass ihr somalischer Mitbewohner, der ehemalige Arbeitskollege des Beschuldigten D. H., für diesen Angriff verantwortlich sei und den Beschuldigten zur Tat angestiftet haben könnte. Bei R. D. liegt im Übrigen ebenfalls ein Migrationshintergrund vor. Im Asylbewerberheim gab es seit einiger Zeit Schwierigkeiten zwischen somalischen Asylbewerbern, deren Ursprung vermutlich in Beziehungsproblemen begründet war. D. H. wurde am 13.09.2013 festgenommen, nachdem das Amtsgericht Landshut Haftbefehl wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung erlassen hatte. In diesem Zusammenhang konnte auch der Fahrer des Motorrollers, R. D., ermittelt werden. Nach umfangreichen Ermittlungen konnte festgestellt werden, dass es sich bei den beiden Beschuldigten um die Verantwortlichen für den Angriff auf den Geschädigten handelte . Im Rahmen der Ermittlungen wurde bekannt, dass sich der Beschuldigte D. H. trotz Haus- und Betretungsverbots durch die Regierung von Niederbayern mehrfach in der Asylbewerberunterkunft in Wallersdorf aufgehalten haben soll. Ein Presseaufruf in den regionalen Medien bezüglich des Vorfalls vom 29.08.2013 erbrachte keine weiteren Hinweise zur Tataufklärung. Von der die Ermittlungen führenden Dienststelle wurden an die Staatsanwaltschaft Landshut – gegen D. H. und R. D. wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr, – gegen den D. H. wegen Hausfriedensbruchs, – gegen den somalischen Mitbewohner wegen Bedrohung Anzeigen vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft Landshut erhob mit Anklageschrift vom 25.11.2013 Anklage gegen den heranwachsenden D. H. und den jugendlichen Rollerfahrer R. D. zum Amtsgericht Landshut – Jugendschöffengericht. Gemäß der Anklageschrift lag ihnen zur Last, am 29.08.2013 gegen 21:30 Uhr den Geschädigten in der Nähe der Asylbewerberunterkunft in Wallersdorf gemeinschaftlich angegriffen zu haben. In rechtlicher Hinsicht wertete die Staatsanwaltschaft Landshut hinsichtlich beider Angeklagter den Angriff als gefährliche Körperverletzung in Mittäterschaft gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4, 25 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Das Amtsgericht Landshut – Jugendschöffengericht – sprach die beiden Angeklagten wegen dieses Sachverhalts mit Urteil vom 18.02.2014 der Anklage entsprechend der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung schuldig. D. H. wurde mit Rechtskraftdatum vom 04.06.2014 wegen dieser sowie weiterer angeklagter Taten zu einer Freiheitsstrafe (Einheitsjugendstrafe) von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs wurde gem. § 154 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) durch die Staatsanwaltschaft Landshut eingestellt. R. D. wurde mit Rechtskraftdatum vom 26.02.2014 zu 3 Wochen Jugendarrest verurteilt. Das Verfahren gegen den somalischen Mitbewohner wurde durch die Staatsanwaltschaft Landshut gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Fall 2: Gefährliche Körperverletzung in Niederlindhart Nach Auskunft des Polizeipräsidiums Niederbayern wurde aufgrund eines Notrufs bei der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Niederbayern durch einen Fahrgast am 20.12.2014, der zugleich Angestellter des Regionalverkehrs Ostbayern ist, bekannt, dass in einem Regionalzug ein dunkelhäutiger Fahrgast von unbekannten Männern zusammengeschlagen worden ist. Bei einem kurzen Aufenthalt des Zuges am Haltepunkt Niederlindhart, Landkreis Straubing-Bogen, konnte der Fahrgast beobachten, wie der Geschädigte, M. D., ein damals 18-jähriger Asylbewerber aus Mali, der in der Asylbewerberunterkunft in Mallersdorf-Pfaffenberg wohnte, plötzlich von drei Männern, die zielstrebig in den Zug eingestiegen Drucksache 17/12903 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 sind, gemeinschaftlich niedergeschlagen wurde. Der Fahrgast konnte nur eine vage Täterbeschreibung abgeben. Aufgrund dieser Erstinformationen wurden unverzüglich intensive polizeiliche Erstmaßnahmen eingeleitet, wie z. B. Tatortarbeit, Absuche des Tatortumfeldes nach der Tatwaffe, Fahndungsmaßnahmen und Vernehmungen von Zeugen und des Geschädigten. Bei seiner Vernehmung gab der Geschädigte an, von drei Männern angegriffen und von einem der Täter mit einem sogenannten „Nothammer“, wie er sich auch in Zügen befindet , auf den Kopf geschlagen worden zu sein. Wegen des vorliegenden Sachverhalts ging die Kriminalpolizeiinspektion (KPI) Straubing von einem versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil des Asylbewerbers aus. Aufgrund der Opferauswahl sowie der anfänglichen Täterbeschreibungen war ein fremdenfeindliches Motiv mit in Betracht zu ziehen. Die Kriminalpolizeiinspektion Straubing richtete am 21.12.2014 die Ermittlungsgruppe (EG) „Niederlindhart“ ein, in der auch Kriminalbeamte aus dem Bereich des polizeilichen Staatsschutzes eingesetzt waren. Die Ermittlungen wurden in alle Richtungen geführt. Tathergang: Am 20.12.2014 befand sich der damals 18-jährige M. M., der in Polen geboren wurde, mit seiner Freundin in Straubing am Bahnhof. Dort befand sich eine Gruppe von Personen, die in die Richtung der Freundin gestikulierten. Die Frau vernahm dabei das Wort „Chicka“. Der Frau war diese Situation unangenehm. M. M. bemerkte diese Situation, ging auf die Personengruppe zu und fragte, ob es ein Problem gebe. Anschließend stellten sich M. M. und seine Freundin in den Raucherbereich und warteten auf den Zug. Im Zug setzten sie sich auf einen Viererplatz. M. D., der zu der zuvor genannten Personengruppe gehörte , stieg ebenfalls in diesen Zug ein und ging durch den Waggon. Auf Höhe des Sitzplatzes des M. M. und dessen Freundin ließ der 18-jährige Asylbewerber eine größere Menge Speichel zu Boden tropfen, wodurch sich M. M. provoziert fühlte. Er wollte M. D. zunächst nachsetzen, seine Freundin hielt ihn aber zurück. M. M. wollte sich am Geschädigten, M. D., rächen und versuchte zu diesem Zwecke telefonisch und mit Textnachrichten seinen Bruder, den späteren Hauptbeschuldigten, den damals 23-jährigen J. M., der in Polen geboren ist, sowie weitere Freunde zu erreichen, damit diese sich am Bahnhof in Niederlindhart versammelten, um mit ihm M. D. zu verprügeln. M. M. erreichte zunächst einen Freund, den damals 25-jährigen D. K., der in Russland geboren ist. Dieser erklärte sich bereit, zum Bahnhof zu kommen, um ihn zu unterstützen . Nachdem J. M. ebenfalls informiert war, dass sein Bruder nach seinen Angaben „am Bahnhof Stress mit Schwarzen“ habe, steckte dieser daraufhin noch einen roten Nothammer – wie er zum Einschlagen von Scheiben in Zügen und Bussen bereitgehalten wird – ein und traf kurz vor dem Eintreffen des Zuges in Niederlindhart auf D. K. Im Zug hatte sich M. D. entschlossen, in den Ausstiegsbereich zu gehen, um zu sehen, ob es sich beim nächsten Halt um den Bahnhof Mallersdorf handele. Da M. M. bekannt war, dass der Zug in Niederlindhart stets fünf Minuten Aufenthalt hat, verließ er als Erster den Zug und rannte zu den beiden anderen Beschuldigten, J. M. und D. K., um sich kurz zu besprechen. M. D. machte von seinem Standpunkt aus obszöne Gesten in Richtung der Beschuldigten, die sich davon provoziert fühlten. Daraufhin stürmten alle drei Beschuldigten zum späteren Geschädigten und drängten ihn zurück in den Zug. Sie schlugen ihn mehrfach mit Fäusten – auch gegen den Kopf – und zogen ihm die Kapuze seiner Winterjacke über den Kopf. J. M. schlug hierbei mit dem mitgebrachten Nothammer mindestens zweimal kräftig auf den von der Kapuze bedeckten Kopf. Nachdem der Geschädigte blutend zu Boden gegangen war, flüchteten die drei Beschuldigten. M. D. erlitt durch die Hammerschläge zwei sternförmige Riss-Quetsch-Wunden am linken Hinterhaupt auf der Schädelhöhe . Zudem zog er sich durch die Gewalttätigkeiten eine Schwellung hinter dem rechten Ohr und eine linksseitige Schulterprellung zu. Er musste sich bis 22.12.2014 in stationäre ärztliche Behandlung begeben. Ermittlungsergebnis Die sehr aufwendigen und umfangreichen Ermittlungshandlungen der KPI Straubing (EG Niederlindhart) führten letztlich zur Ermittlung und Festnahme der drei Täter. Die Ermittlungen wurden zunächst in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Regensburg – Zweigstelle Straubing und infolge wegen eines etwaigen fremdenfeindlichen Motives mit der für Straftaten aus dem Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität zuständigen Staatsanwaltschaft Regensburg geführt. Die Staatsanwaltschaft Regensburg erhob mit Anklageschrift vom 11.05.2015 Anklage gegen die drei Beschuldigten zum Landgericht Regensburg – Jugendkammer. Gemäß der Anklageschrift lag ihnen zur Last, am 20.12.2014 gegen 21:55 Uhr den Geschädigten, M. D., einen 18-jährigen malischen Asylbewerber, im Aussteigebereich eines haltenden Zuges am Bahnhaltepunkt Niederlindhart in Mallersdorf- Pfaffenberg gemeinschaftlich angegriffen zu haben. In rechtlicher Hinsicht wertete die Staatsanwaltschaft Regensburg diese Tat hinsichtlich aller Angeklagter als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Mittäterschaft gemäß §§ 212 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2, 52 StGB. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Tatmotivs ergaben, dass der Tat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine rassistische Gesinnung der Angeklagten zugrunde lag, sondern der Umstand, dass sich diese durch M. D. provoziert gefühlt hatten. Das Landgericht Regensburg – Jugendkammer – sprach die drei Angeklagten J. M., D. K. und M. M. wegen des geschilderten Sachverhalts mit Urteil vom 14.12.2015 der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Eine Überzeugung hinsichtlich des Vorliegens eines Tötungsvorsatzes konnte sich das Gericht bei keinem der Angeklagten bilden. Gegen den Angeklagten J. M. wurde eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren 3 Monaten verhängt, gegen den Angeklagten M. M. eine Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren 9 Monaten (unter Einbeziehung zweier Vorverurteilungen – zusammen 1 Jahr 6 Monate) und gegen den Angeklagten D. K. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten (unter nachträglicher Einbeziehung zweier Einzelstrafen aus Vorverurteilung – zusammen 3 Monate). Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/12903 2.1 Sind die Schilderungen im Bericht von Amnesty International nach Ansicht der Staatsregierung zutreffend ? Bis auf die Angaben „Die Ermittlerinnen und Ermittler kamen zu der Einsicht, dass der Mann, der A. F. angegriffen hatte, eine eindeutig fremdenfeindliche Einstellung hatte…“ (Fall 1) und „Die Staatsanwaltschaft nahm kein mögliches rassistisches Motiv in die Anklage auf“ (Fall 2) decken sich die Angaben zu den Vorfällen von Amnesty International mit dem Geschehensablauf, den die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ergeben haben. 2.2 Falls ja, weshalb wurde der Angriff auf A. F. trotz der fremdenfeindlichen Einstellung des Täters nicht als politisch motivierte Straftat eingestuft? Im Zuge der Ermittlungen wurden rassistische, fremdenfeindliche bzw. rechtsextremistische Hintergründe und Motive mehrfach geprüft und in Bezug auf die konkrete Tat für nicht gegeben erachtet: So enthält insbesondere der Zwischenbericht der Polizeiinspektion Landau a. d. Isar vom 10.09.2013 folgende Ausführungen: „[…] D. H. zeigt eine deutliche Abneigung gegenüber Ausländern. Bei dem Vorfall vom 29.08.2013 ist jedoch kein ausländerfeindlicher Hintergrund zu erkennen. Es besteht der Verdacht, dass D. H. von einem ehemaligen Arbeitskollegen , ebenfalls somalischer Staatsbürger, angestiftet worden ist.“ Diese Feststellung basiert unter anderem auf den Angaben des geschädigten A. F. in seiner Vernehmung vom 04.09.2013, in welcher dieser selbst angab, seiner Meinung nach liege kein ausländerfeindlicher Hintergrund für den Angriff vor. Er habe im Asylbewerberheim mit einem F. H. in einem Zimmer zusammengewohnt, der seiner Meinung nach „nicht ganz normal“ sei und mit dem es immer Ärger gegeben habe. Mit diesem habe der Angeklagte D. H. in einer Bäckerei zusammengearbeitet. Das könne der Hintergrund für den Angriff sein. Eine möglicherweise grundsätzlich bestehende rassistische Gesinnung muss zum Tatzeitpunkt jedenfalls ein das Handeln mitbestimmender Faktor gewesen sein, um als Tatmotiv und damit als Strafzumessungskriterium gem. § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB gelten zu können. Beim angeklagten Rollerfahrer, R. D., liegt im Übrigen ebenfalls ein Migrationshintergrund vor. Die Motivation der Tat war Gegenstand der Beweisaufnahme durch das Amtsgericht Landshut – Jugendschöffengericht . So wurde insbesondere der ermittelnde Polizeibeamte zu einem möglichen ausländerfeindlichen Hintergrund als Zeuge vernommen. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 04.02.2014 äußerte sich dieser wie folgt: „Zu den Motiven der Angeklagten habe ich nichts in Erfahrung gebracht. Man dachte zuerst an einen ausländerfeindlichen Hintergrund. Man ging auch davon aus, dass die Somalis einen Streit hatten im Zimmer oder ein zufälliges Aufeinandertreffen. Eine Beziehung zum Angeklagten R. D. (Rollerfahrer) konnte man so auch nicht herstellen. Alles ist aber eine Spekulation…“ Soweit bekannt, gelangte das Gericht auf dieser Grundlage nicht zu der erforderlichen Überzeugung, dass die Tat aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder rechtsextremistischen Gründen begangen wurde. Die Niederlegung der schriftlichen Urteilsgründe konnte wegen einer Erkrankung des zuständigen Richters nicht innerhalb der gesetzlichen Absetzungsfrist erfolgen. Der Staatsregierung ist es wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit verwehrt, gerichtliche Verfahren zu überprüfen oder richterliche Entscheidungen abzuändern, aufzuheben oder auch nur zu kommentieren. Dies gilt auch für die richterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich der Tatmotive im konkreten Fall. Die Gerichte sind nach Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes und nach Art. 85 der Verfassung des Freistaates Bayern unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. 2.3 Falls ja, weshalb nahm die Staatsanwaltschaft im Fall von M. D. trotz der Hinweise auf rassistische Beleidigungen kein mögliches rassistisches Motiv in die Anklage auf? Ermittlungen und Anklageschrift setzten sich auch mit der Frage des Vorliegens einer rassistischen Tatmotivation auseinander . Die Anklageschrift führt hierzu im Rahmen des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen aus: „Ob darüber hinaus auch eine rassistische Gesinnung gegenüber Schwarzafrikanern bei den Angeschuldigten mitursächlich war, wird die Hauptverhandlung zu klären haben . Zumindest beim Angeschuldigten J. M. herrscht eine rassistische Gesinnung vor, die in einem späteren Telefonat zum Ausdruck kommt, wo er den Geschädigten als „Scheiß- Nigger“ und „Nigger“ bezeichnet und über Asylbewerber äußert, dass sie alle herkämen, keine Arbeit hätten und so viel Geld kriegen würden. Auch der Angeschuldigte M. M. äußerte gegenüber seinem Freund S. C., dass ihn „Neger“ provoziert hätten.“ In Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung als „niedriger Beweggrund“ ist zwischen einer grundsätzlich bestehenden rassistischen Gesinnung und der Frage zu unterscheiden , ob diese eine Motivation für die konkrete Tat dargestellt hat. Dazu muss die rassistische Gesinnung zum Tatzeitpunkt jedenfalls ein das Handeln mitbestimmender Faktor gewesen sein. Nach der Tat getätigte Äußerungen können diesbezüglich lediglich Indizwirkung entfalten. Das Gericht befasste sich in der Hauptverhandlung intensiv mit der Frage, ob ein fremdenfeindliches oder rassistisches Tatmotiv vorlag. Ebenso wie die Staatsanwaltschaft gelangte es in seinem Urteil zu der Überzeugung, dass ein solches Tatmotiv nicht gegeben war. Zur Vorgeschichte der Tat im Bahnhof Straubing sowie im Zug hat das Gericht folgende Feststellungen getroffen: „[…] Während der Angeklagte M. M. im Außenbereich vor dem Bahnhof in Straubing noch rauchte, betrat die Zeugin M. L. bereits den Bahnhof. Dort befand sich eine Gruppe dunkelhäutiger Personen, die aus ihrer Sicht in ihre Richtung gestikulierten. Sie vernahm auch das Wort „Chicka“. Die Zeugin bezog dies auf sich und die Situation war ihr unangenehm. Als der Angeklagte M. M. zur Zeugin stieß, bemerkte er, dass diese sich unwohl fühlte, ging auf die Gruppe der dunkelhäutigen Personen zu und fragte, ob es ein Problem gebe. […] Der spätere Geschädigte M. D., ein 18-jähriger dunkelhäutiger malischer Asylbewerber, näherte sich sodann von der Spitze des Zuges kommend und ging durch den Wagen, in dem der Angeklagte M. M. mit der Zeugin M. L. und dem Zeugen S. C. saßen. Auf ihrer Höhe angekommen, ließ er eine größere Menge Speichel zu Boden tropfen, wodurch sich der Angeklagte M. M. provoziert fühlte. […]“ Drucksache 17/12903 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Zur Tatmotivation, insbesondere zu einem möglichen rassistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund, erhob das Landgericht Regensburg ausführlich Beweis. Unter anderem erklärte der Angeklagte M. M., er sei nicht rassistisch und habe selbst einige dunkelhäutige Freunde. Die Situation wäre nach seinen Angaben ebenso passiert, hätte es sich bei dem Geschädigten um einen Hellhäutigen gehandelt. Die vernommenen Zeugen berichteten übereinstimmend, beim Angeklagten M. M. keine rassistischen oder fremdenfeindlichen Tendenzen festgestellt zu haben. Ein Polizeibeamter führte aus, es seien bei einer Wohnungsüberprüfung keine Hinweise auf rassistische Einstellungen der Angeklagten aufgefunden worden. Die Urteilsgründe enthalten dazu folgende Ausführungen: „[…], denn zur Überzeugung der Kammer, wollte der Angeklagte J. M. den Geschädigten M. D. ausschließlich für seine vorherigen Provokationen abstrafen und ihm einen Denkzettel erteilen.“ Auch in diesem Einzelfall ist es der Staatsregierung wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit verwehrt, gerichtliche Verfahren zu überprüfen oder richterliche Entscheidungen abzuändern, aufzuheben oder auch nur zu kommentieren. Dies gilt auch für die richterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich der Tatmotive im konkreten Fall. Die Gerichte sind nach Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes und nach Art. 85 der Verfassung des Freistaates Bayern unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen . Das Urteil ist bislang hinsichtlich keines der Angeklagten rechtskräftig. Sowohl die drei Angeklagten als auch der als Nebenkläger dem Verfahren beigetretene Geschädigte haben dagegen Revision eingelegt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist bislang nicht ergangen.