Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Ganserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 13.02.2014 Jagd auf Eichelhäher In Bayern dürfen nur jagdschutzberechtigte Personen Eichelhäher (wie auch Rabenkrähen und Elstern) außerhalb befriedeter Bezirke und außerhalb der Brutzeit (15.03. – 15.07.) zum Schutz der heimischen Tierwelt und zur Abwehr erheblicher Schäden in der Landwirtschaft bejagen. In dem Beitrag von „Unser Land“ im BR vom 22.11.13 wird ein Vertreter des Bayerischen Jagdverbandes mit der Behauptung des BJV konfrontiert, der Eichelhäher sei ein schlimmer Nesträuber und ernähre sich und seine Brut von Eiern und Jungvögeln anderer Singvögel. In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. Wie hat sich die Eichelhäher-Population in den letzten 20 Jahren in Bayern entwickelt? 2. a) Wie viele Eichelhäher wurden in den letzten 5 Jagdjahren in Bayern geschossen? b) Wie viele wurden in den Revieren der Bayerischen Staatsforsten in den letzten 5 Jagdjahren geschossen? c) Wie erklärt sich die Staatsregierung den Unterschied? 3. a) Gibt es Erkenntnisse, wie sich das Nahrungsspektrum der Eichelhäher zusammensetzt? b) Welche heimischen Tiere müssen durch den Eichelhäher -Abschuss geschützt werden? c) Welchen Einfluss hat der Eichelhäher-Abschuss auf die Singvogelbestände im Wald? 4. a) Werden die erlegten Eichelhäher verwertet? b) Hält die Staatsregierung die Eichelhäherbejagung für gerechtfertigt? 5. a) Welche Untersuchungen zum Beitrag der Eichelhäher beim Waldumbau sind der Staatsregierung bekannt? b) Zu welchen konkreten Ergebnissen kamen diese Untersuchungen ? c) Welcher wirtschaftliche Schaden entsteht den bayerischen Waldbesitzern durch den Eichelhäher-Abschuss, indem auf großen Flächen vor allem in Mastjahren der Eichen- und Buchenvorbau durch Häher-Saat unterbunden wird? 6. a) Ist die Staatsregierung bereit, dem Eichelhäher eine ganzjährige Schonzeit wie in anderen Bundesländern zu gewähren? b) Wenn nein, warum nicht? Antwort des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 31.03.2014 Es wird darauf hingewiesen, dass Grundlage der Bejagung des Eichelhähers in Bayern nicht der Jagdschutz ist. Der Eichelhäher ist als Federwild dem Jagdrecht mit einer Jagdzeit unterstellt. Die für die Ausübung des Jagdschutzes bestehenden Beschränkungen des Art. 40 f. des Bayerischen Jagdgesetzes (Schutz des Wildes vor dem Jagdrecht nicht unterliegenden Tierarten nur durch Jagdschutzberechtigte) gelten für jagdbares Wild nicht. Die Bejagung des Eichelhähers ist während der Jagdzeit durch den berechtigten Jäger zulässig. Deutsches und europäisches Artenschutzrecht stehen einer Bejagung nicht entgegen. Der Eichelhäher ist in Anhang II der EU-Vogelschutzrichtlinie aufgeführt und gehört damit zu den Arten, für die die Vogelschutzrichtlinie aufgrund ihrer Populationsgröße, ihrer geografischen Verbreitung und ihrer Vermehrungsfähigkeit eine Bejagung in Deutschland grundsätzlich erlaubt (vgl. Art. 7 der Richtlinie 2009/147/EG). Das Bundesnaturschutzgesetz ist zum Jagdrecht insofern subsidiär – auf die zulässige Jagdausübung auf den Eichelhäher sind die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des Bundesnaturschutzgesetzes nicht anwendbar (§ 37 Abs. 2 Bundesnaturschutzgesetz). Im Bayerischen Naturschutzgesetz gibt es darüber hinaus keine Regelungen zum Artenschutz. 1. Wie hat sich die Eichelhäher-Population in den letzten 20 Jahren in Bayern entwickelt? Im „Atlas der Brutvögel in Bayern“ wird der Eichelhäher als „sehr häufiger Brutvogel“ eingestuft. Es werden Bestandsschätzungen zwischen 105.000 – 290.000 Tieren angegeben . Bestandsveränderungen in Bayern sind laut Brutvogelatlas für den Zeitraum 1996 bis 2009 nicht ableitbar (Rödl et al. 2012). In „Vögel in Deutschland 2012“ (Herausgeber: Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), Bundesamt für Naturschutz (BfN) und Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW)) wird der Populationstrend des Eichelhähers als „fluktuierend“ angegeben, d. h. dass Schwankungen auftreten, wodurch die Gesamtpopulation nicht als zu- oder abnehmend bewertet werden kann. 2. a) Wie viele Eichelhäher wurden in den letzten 5 Jagdjahren in Bayern geschossen? Jagdjahr (01.04.–31.03.) 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12 2012/13 Anzahl 29.864 24.275 25.972 21.022 21.542 Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.05.2014 17/1429 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/1429 b) Wie viele wurden in den Revieren der Bayerischen Staatsforsten in den letzten 5 Jagdjahren geschossen ? Jagdjahr (01.04.–31.03.) 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12 2012/13 Anzahl 334 409 408 342 303 c) Wie erklärt sich die Staatsregierung den Unterschied ? In den Staatsjagdrevieren der BaySF, verpachtete Staatsjagdreviere und Regiejagd, wurden in den letzten 5 Jagdjahren insgesamt 1.796 Eichelhäher zur Strecke gebracht. Davon entfallen 12 auf die Regiejagd. In der Regiejagd sind Eichelhäher grundsätzlich nicht zum Abschuss freigegeben. Die wenigen Häher, die in den letzten 5 Jagdjahren erlegt wurden, haben Jagdgäste nach vorheriger Absprache mit der Jagdleitung erlegt. Überwiegender Grund waren die Anfertigung von Präparaten oder die Gewinnung von Federn. 3. a) Gibt es Erkenntnisse, wie sich das Nahrungsspektrum der Eichelhäher zusammensetzt? Das Nahrungsspektrum des Eichelhähers gilt als sehr gut untersucht (Glutz von Blotzheim 1993). Die zahlreichen Studien belegen, dass der Eichelhäher ein vielseitiger Allesfresser ist, dessen Nahrungsspektrum im Jahresverlauf starken Schwankungen unterliegen kann. Während in den Herbst- und Wintermonaten der pflanzliche Anteil stark überwiegt, tritt dieser von März bis Oktober zurück. In der Brutzeit spielen Schmetterlingsraupen für Alt- und Jungvögel die Hauptrolle (Cramp & Perrins 1994, Epple 1996, Glutz von Blotzheim & Bauer 1993, Keve 1995, Löhrl 1960). Die pflanzliche Nahrung besteht überwiegend aus Eicheln : bei Mangel an Eicheln aus Haselnüssen, Bucheckern oder anderen Baumsamen. Fehlen diese ebenfalls, wird als Winternahrung auch Mais angenommen (Keve & Sterbetz 1968 in Glutz von Blotzheim & Bauer 1993). Nach Bossema (1979 in Stimm & Böswald 1994) beträgt der Anteil der Eicheln sogar bis zu 96 % des gesamten Nahrungsbedarfs. Auf das gleiche Ergebnis kam Holyoak (1968) auch in England und Wales während der Herbst- und Wintermonate von September bis Februar. Im März/April und Mai/Juni sank dort der Eichelanteil dann auf 47 % bzw. 28 % ab. In der Zusammenschau war der Wirbeltieranteil bei sämtlichen Untersuchungen zu allen Jahreszeiten eher unbedeutend (Glutz von Blotzheim 1993 und Abb. 30 und 31 von Cramp & Perrins 1994 in Mäck & Jürgens 1999). Die in einer Studie von Holyoak (1968) ermittelten Anteile von Singvogeleiern und Jungvögeln mit 11 % im März/April und 8 % im Mai/Juni an der Nahrung werden als Maximalwerte angesehen . Generell tritt also der Anteil von Vögeln in der Nahrung des Eichelhähers deutlich gegenüber allem anderen zurück. b) Welche heimischen Tiere müssen durch den Eichelhäher-Abschuss geschützt werden? Singvögel haben nur einen sehr geringen Anteil an der Nahrung des Eichelhähers. Zudem werden überwiegend nur Jungvögel und Eier während der Fortpflanzungszeit erbeutet . Es ist also immer nur ein Teil des Zuwachses der Singvogel -Populationen betroffen. Die meisten Kleinvögel haben mehrere Jahresbruten und oft auch große Gelege um derartige Verluste wieder auszugleichen. Da auch zwischen Normaljahren Singvogelbestände um bis zu 20 % schwanken können, liegen die genannten Verluste durch den Eichelhäher in der Regel im kompensatorischen Bereich. Eichelhäher nutzen als Nahrungsubiquisten diejenige Nahrung, die am rentabelsten zu erbeuten ist. Während der Fortpflanzungszeit werden daher in gewissem Umfang Singvogeleier und Jungvögel von eher häufig und weitverbreiteten Arten erbeutet . c) Welchen Einfluss hat der Eichelhäher-Abschuss auf die Singvogelbestände des Waldes? Bei der Betrachtung von Einflüssen auf die heimischen Singvogelbestände sind sämtliche biotische und abiotische Faktoren einzubeziehen, die das Populationsgeschehen wild lebender Tierarten durch ein multifaktorielles Zusammenspiel steuern. Zu den maßgeblichen Faktoren gehören u. a. die tierartenspezifische Fortpflanzungsstrategie, Steuerung der Raumnutzung, Verhaltensbiologie (u. a. Feindvermeidung bzw. -abwehr), Ausstattung des Lebensraumes mit erforderlichen Requisiten (u. a. Nahrung, Deckung, Fortpflanzung ) und dessen Veränderungen sowie klimatische Bedingungen und Witterungsverhältnisse. Das Vorkommen von Prädatoren in wild lebenden Tiergesellschaften ist einer von mehreren Mortalitätsfaktoren in diesem Wirkungsgefüge , der in Abhängigkeit aller anderen Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen kommen kann. Eine selektive Betrachtung des Einflusses nur von Eichelhäher -Abschüssen auf heimische Singvogelbestände kann aus den vorliegenden Untersuchungen nicht abgeleitet werden . 4. a) Werden die erlegten Eichelhäher verwertet? Mit dem Jagdrecht ist das Recht verbunden, sich erlegte Tiere anzueignen. Die Verwertung der erlegten Eichelhäher obliegt der Eigenverantwortung der Revierinhaber. Hierbei kommt die Verwertung des Wildbrets als Nahrungsmittel sowie Teile des Federkleides bzw. als Präparat in Betracht. b) Hält die Staatsregierung die Eichelhäherbejagung für gerechtfertigt? Der Eichelhäher ist als Federwild dem Jagdrecht unterstellt und während der Jagdzeit ist die Erlegung gerechtfertigt. 5. a) Welche Untersuchungen zum Beitrag der Eichelhäher im Waldumbau sind der Staatsregierung bekannt ? Der Eichelhäher und sein Beitrag zur Verjüngung von Waldbeständen , insbesondere von Kiefernaltbeständen mit Eiche, wurden bereits von zahlreichen Wissenschaftlern erforscht. Im Folgenden sind einige der Untersuchungen aufgelistet: – BORYS, A. (1998): Versuche zur ökologischen Waldum- wandlung von Kiefernforstgesellschaften durch unterstützte Eichelhähersaat. Dipl. Arb. FH Eberswalde. – BÖLLET, A. (1994): Die Verjüngung eines Kiefernbestandes mit Eiche aus Hähersaat unter verbissreduzierten Bedingungen. Dipl. Arb. FH Weihenstephan, Fachbereich Forstwirtschaft. – FISCHER, E. (1993): Über den Umbau von Kiefernbeständen mit Eiche aus Hähersaat und Pflanzung. Forst und Holz, 48, 18, 525 – 528. – LEDER, B. (1993): Bestandsanalyse eines älteren Kiefernbestandes mit Eichelhähersaat. Schriftreihen der Landesanstalt für Forstwirtschaft in Nordrhein-Westfalen, Bd. 7, S. 89 – 105. Drucksache 17/1429 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 – MOSANDL, R., KLEINERT, A. (1998): Development of oaks (Quercus petraea (Matt.) Liebl.) emerged from birddispersed seeds under old-growth pine (Pinus silvestris L.) stands. For.Ecol.Managem. 106, 35 – 44. – SCHMIDT, M. (2003): Eine betriebswirtschaftliche Analyse verschiedener Behandlungskonzepte für die Baumart Eiche. Dipl. Arb. Studienfakultät für Forstwissenschaft und Ressourcenmanagement, TU München. – STÄHR, F. (2008): Waldwirtschaft mit Hähersaaten? – Zur Übernahmefähigkeit von Eichen-Naturverjüngung unter Kiefer. Eberswalder Forstliche Schriftenreihe, Bd. XXXV, Potsdam und Eberswalde, S. 8 – 16. – STEIGER, H.H. (1989): Lassen sich Hähersaaten in ein Konzept der naturgemäßen Waldbewirtschaftung einbeziehen ? Allgemeine Forstzeitschrift, 9 – 10, 238 – 242. – STIMM, B., BÖSWALD, K. (1994): Die Häher im Visier – Zur Ökologie und waldbaulichen Bedeutung der Samenausbreitung durch Vögel. Forstw. Cbl., 113, 204 – 223. Einen umfassenden Literaturüberblick zur waldbaulichen Bedeutung und Wirtschaftlichkeit der Hähersaat bietet folgende Arbeit: – STIMM, B., KNOKE, T. (2004): Hähersaaten: Ein Literaturüberblick zu waldbaulichen und ökonomischen Aspekten. Forst und Holz, 11, 531 – 534. b) Zu welchen konkreten Ergebnissen kamen diese Untersuchungen? Sowohl in älterer als auch in aktueller Literatur wird der Eichelhäher als ein wichtiger Helfer bei der Waldverjüngung beschrieben. Insbesondere in Nadelholzreinbeständen kann er für eine Beimischung von Eiche und Buche sorgen und damit einen Beitrag zum Waldumbau leisten. Dies gilt v. a. für Kiefernwälder aufgrund ihrer Lichtdurchlässigkeit der Kronen und ihrer Stabilität. Beispiele hierfür sind Teile der Kiefernbestände des Nürnberger Reichswaldes. c) Welcher wirtschaftliche Schaden entsteht den bayerischen Waldbesitzern durch den EichelhäherAbschuss , indem auf großen Flächen vor allem in Mastjahren der Eichen- und Buchenvorbau durch Hähersaat unterbunden wird? Zu einem wirtschaftlichen Schaden der bayerischen Waldbesitzer durch den Abschuss von Eichelhähern liegen der Staatsregierung keine Untersuchungen vor. 6. a) Ist die Staatsregierung bereit, dem Eichelhäher eine ganzjährige Schonzeit wie in anderen Bundes- ländern zu gewähren? b) Wenn nein, warum nicht? Die Bejagung von nicht abschussplanpflichtigen Wildarten obliegt in Eigenverantwortung den Revierinhabern nach den normativen Vorgaben. Es liegen keine Erkenntnisse vor, die die Zulässigkeit der Bejagung nach jagdrechtlichen Gesichtspunkten im Rahmen einer nachhaltigen Bejagung infrage stellen. Auch der Oberste Jagdbeirat, der aus maßgeblichen Interessenvertretern besteht, hat für die Thematik bislang keinen Diskussionsbedarf für erforderlich gehalten. Vor diesem Hintergrund wird derzeit kein Handlungsbedarf gesehen.