4.3 Welche Möglichkeiten bestehen, die Umsetzungen des Rechts auf Bildung bei Behinderungen und Teilleistungsstörungen im bayerischen Schulsystem überprüfen zu lassen (z. B. gerichtlich)? 5.1 Mit welcher Begründung hat die Staatsregierung bei der Neuregelung der BaySchO (§ 36, Abs. 2, Satz 4) die Möglichkeit geschaffen, eine schulpsychologische Stellungnahme als ausreichenden Nachweis einer vorliegenden Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) bei gleichzeitigem Verzicht auf ein fachärztliches Gutachten zur Feststellung einer LRS festzusetzen? 5.2 Hat ein fachärztliches Gutachten zur Feststellung einer LRS, das auf einer ICD-10 Diagnose beruht, bindende Wirkung für die Schulleitung? 5.3 Welche Handlungsmöglichkeiten hat die Schulleitung bei sich widersprechenden Diagnosen z. B. vom Schulpsychologen und einem Kinder- und Jugendpsychiater? 6.1.In welcher Form gibt es für Erziehungsberechtigte Unterstützung bei Meinungsverschiedenheiten mit der Schulleitung und ggf. mit den diagnostizierenden Psychologen über geeignete Maßnahmen zum Nachteilsausgleich ? 6.2 Welche staatlichen und nichtstaatlichen Stellen können in diesen Fällen beraten und ggf. eingreifen? 7.1 Mit welcher Begründung verzichtet die Staatsregierung darauf, Richtlinien zur Berücksichtigung der Dyskalkulie zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen zu erstellen und die Dyskalkulie der Legasthenie gleichzustellen ? 7.2 In welcher Form (verpflichtend/nicht verpflichtend) sind die Themen Legasthenie und Dyskalkulie in der Lehrerausbildung (Studium/Referendariat) und in der Lehrerfortbildung enthalten (falls die Themen Legasthenie und Dyskalkulie nicht verpflichtend in der Lehreraus- bzw. -fortbildung enthalten sind, wird um Angabe der Gründe gebeten)? 8.1 Wie viele Schülerinnen und Schüler sind an bayerischen Schulen von Legasthenie und Dyskalkulie betroffen (bitte getrennt nach Bezirken auflisten)? 8.2 Welche Maßnahmen zählen zu den Unterstützungsmaßnahmen , die nach Meinung der Staatsregierung in den Fällen von Lese- und Rechtschreibstörung eingesetzt werden sollten, um den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zu erleichtern? 8.3 Inwieweit dürfen die Schulen Maßnahmen, die sich zum Nachteilsausgleich während der Schulzeit als geeignet erwiesen haben, in Abschlussprüfungen verwenden (z. B. größere Kopien, Vorlesen etc.)? 17. Wahlperiode 13.01.2017 17/14336 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kerstin Celina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 17.08.2016 Legasthenie und Dyskalkulie in Bayern Die Staatsregierung hat neue Regelungen zur Lese-Rechtschreib -Störung (LRS) ab dem Schuljahr 2016/17 erlassen. Die gesetzlichen Reglungen finden sich in Art. 52 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen und des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes vom 23. Juni 2016 sowie in §§ 31 bis 34 der Bayerischen Schulordnung (BaySchO) vom 1. Juli 2016. Die bisherige Unterscheidung zwischen Lese- oder Rechtschreibschwäche und Lese-Rechtschreib- Störung entfällt. Demnach ist Voraussetzung für die Anerkennung einer Lesestörung, Rechtschreibstörung oder Lese-Rechtschreib-Störung: a) ein Gutachten von einem Kinder- und Jugendpsychiater oder weiterer anerkannter Stellen, einschließlich einer schulpsychologischen Stellungnahme oder b) ein schulpsychologisches Gutachten. Die Schule kann individuelle Unterstützungsmaßnahmen, Nachteilsausgleich oder Notenschutz gewähren. Die Entscheidung trifft jeweils die Schulleitung. Ich frage die Staatsregierung: 1.1 Wer ist bei der Erstellung der neu geltenden Regelungen beteiligt worden? 1.2 Aus welchen Gründen sind genau die unter Punkt 1.1 genannten Beteiligten ausgewählt worden? 2.1 Welche Äußerungen und Stellungnahmen von Verbänden an die Staatsregierung gab es im Vorfeld zur geplanten Neuregelung? 2.2 Inwieweit sind Fachverbände und Fachexperten außerhalb des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst an den Neuregelungen zur Lese- und Rechtschreibstörung beteiligt worden? 3.1 Wie ist die zeitliche Planung für die Erstellung des dazugehörigen Handbuchs durch das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) sowie für die Vergabe an die Schulen? 3.2 Wer ist bzw. wird an der Erstellung des Handbuches beteiligt sein? 4.1 Wie definiert die Staatsregierung das Recht auf Bildung ? 4.2 Welche Aufgaben ergeben sich aus Sicht der Staatsregierung aus dem Art. 24 der UN-Behindertenkonvention für die Umsetzung des Rechts auf Bildung in bayerischen Schulen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14336 Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 17.11.2016 1.1 Wer ist bei der Erstellung der neugeltenden Regelungen beteiligt worden? 1.2 Aus welchen Gründen sind genau die unter Punkt 1.1 genannten Beteiligten ausgewählt worden? Anlass für die Neuregelung war das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 29. Juli 2015 (Az. 6 C 35.14). In diesem wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Gewährung von Notenschutz ebenso wie eine diesbezügliche Dokumentation im Zeugnis einer normativen Grundlage bedarf (BVerwG a. a. O., Randziffer – Rz-7). Somit bestand für den bayerischen Gesetzgeber die Notwendigkeit , bis zum Beginn des Schuljahrs 2016/17 eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, wollte man Notenschutz weiterhin gewähren. Die entsprechende Ermächtigungsgrundlage hat der Gesetzgeber daher zum 01.08.2016 geschaffen. Aus Gleichbehandlungsgründen hat er sie auf alle geeigneten Fälle des Notenschutzes erstreckt. Sowohl das Gesetz- als auch das Verordnungsgebungsverfahren wurden aufseiten der Staatsregierung nach den allgemeingültigen Vorgaben der Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung (StRGeschO) vom 02.11.2006, zuletzt durch Änderung vom 28.01.2014 (GVBl S. 58) geändert, durchgeführt. Im Rahmen der Verbändeanhörung wurden die Normentwürfe gem. § 6 Abs. 5 StRGeschO den kommunalen Spitzenverbänden sowie weiteren 136 betroffenen Verbänden , Körperschaften und sonstigen Organisationen zur Stellungnahme zugeleitet. Zusätzlich waren mündliche Erörterungstermine angeboten worden, die im Vorfeld des Anhörungsverfahrens stattgefunden haben. Gegenstand waren insbesondere die Änderungen zum Nachteilsausgleich und Notenschutz. Fristgerecht äußerten sich 33 Verbände schriftlich. Deren Stellungnahmen konnten ausgewertet und in das weitere Gesetz- und Verordnungsgebungsverfahren einbezogen werden. Der Kreis der Beteiligten wurde vonseiten der Staatsregierung damit auf den größtmöglichen Kreis der Verbände, Körperschaften oder sonstige Organisationen ausgedehnt, deren Anhörung gem. § 6 Abs. 5 StRGeschO gesetzlich vorgeschrieben oder sachdienlich ist. 2.1 Welche Äußerungen und Stellungnahmen von Verbänden an die Staatsregierung gab es im Vorfeld zur geplanten Neuregelung? 2.2 Inwieweit sind Fachverbände und Fachexperten außerhalb des Ministeriums an den Neuregelungen zur Lese- und Rechtschreibstörung beteiligt worden? Im Vorfeld zur geplanten Neuregelung gab es vielfältige, auch öffentliche Äußerungen von Verbänden zu der Thematik . So wurde im Jahr 2015 von medizinischen, psychotherapeutischen , psychologischen und pädagogischen Fachgesellschaften eine Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung“ erstellt, die eine Unterscheidung in eine „Lese- und Rechtschreibstörung“ (Legasthenie) bzw. eine „Lese- und Rechtschreibschwäche“ (LRS) nicht mehr trifft, und beide Aspekte unter den Begriff „Lese-Rechtschreib -Störung“ zusammenführt. Stellungnahmen an die Staatsregierung erfolgen erst im Rahmen der Normgebungsverfahren. Sie wurden von Fachverbänden und Fachexperten in dem weiten Umfang wie in der Antwort zu den Fragen 1.1 und 2.1 dargestellt eingeholt. 3.1 Wie ist die zeitliche Planung für die Erstellung des dazugehörigen Handbuchs durch das ISB sowie für die Vergabe an die Schulen? 3.2 Wer ist bzw. wird an der Erstellung des Handbuches beteiligt sein? Eine Arbeitsgruppe im Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) erarbeitet derzeit ein Handbuch in Abstimmung mit dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (StMBW), das möglichst im Februar 2017 erscheinen soll. In der Arbeitsgruppe sind die verschiedenen Schularten (Grundschule, Mittelschule, Realschule, Gymnasium, berufliche Schulen) repräsentiert , (vgl. auch http://www.isb.bayern.de/ueber-das-isb/ unsere-staerken/). Die Mitglieder sind ausgebildete Lehrkräfte , teilweise sind sie auch Mitarbeiter des ISB oder Mitarbeiter der Schulaufsicht, die mit dem Thema Nachteilsausgleich befasst sind (z. B. an der Dienststelle des Ministerialbeauftragten). 4.1 Wie definiert die Staatsregierung das Recht auf Bildung ? Der Freistaat Bayern hat einen verfassungsrechtlichen Erziehungs - und Bildungsauftrag (vgl. 2. Abschnitt der Bayerischen Verfassung), der im Rahmen des differenzierten Schulsystems erfüllt wird. Alle Kinder und Jugendlichen haben in Bayern das Recht auf eine unentgeltliche, angemessene schulische Bildung. Der gleichberechtigte Zugang zu Bildungseinrichtungen und die chancengleiche Gewährleistung von Bildung sind dabei Leitlinien. Die allgemeine Schulpflicht gilt für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gleichermaßen. Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen dienen der vollen Entfaltung der Persönlichkeit sowie dem Erwerb von Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben und für eine aktive Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen. 4.2 Welche Aufgaben ergeben sich aus Sicht der Staatsregierung aus dem Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention für die Umsetzung des Rechts auf Bildung in bayerischen Schulen? Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention ist es, die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen zu fördern und ihre Diskriminierung in der Gesellschaft zu unterbinden . Sie verpflichtet Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen. Dabei ist die Umsetzung der Konvention als gesamtgesellschaftliches, komplexes Vorhaben längerfristig und schrittweise angelegt. Die Umsetzung betrifft auch den Bereich schulischer Bildung. So verpflichtet die UN-Behindertenrechtskonvention zu einem inklusiven schulischen System, das gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern ermöglicht und dafür die notwendige Unterstützung leistet. Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, den Zugang zum Unterricht in Grundschulen und weiterführenden Schulen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, sicherzustellen. Aufgrund eines interfraktionell erarbeiteten und eingebrachten Gesetzentwurfes wurde das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) zum Schuljahr 2011/2012 geändert. Drucksache 17/14336 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Wesentliche Eckpfeiler sind: • Art. 2 Abs. 2 BayEUG: Inklusiver Unterricht ist Aufgabe aller Schulen. • Art. 30 b Abs. 1 BayEUG: Die inklusive Schule ist ein Ziel der Schulentwicklung aller Schulen. • Die Erfüllung der Schulpflicht in der Förderschule oder in der allgemeinen Schule und der grundsätzlich gleichberechtigte Zugang zur allgemeinen Schule nach Art. 41 BayEUG. • Erhalt der bisherigen Formen des gemeinsamen Unterrichts von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf sowie Entwicklung neuer Formen wie die Schulen mit dem Profil Inklusion (vgl. Art. 30 a, insbesondere Abs. 7, Art. 30 b BayEUG). Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist ein fortwährender Prozess, den die Staatsregierung aktiv verfolgt. So wurde z. B. • das Thema Inklusion in der universitären Lehrerbildung und im Vorbereitungsdienst verankert, • die Unterstützung mit inzwischen 600 Stellen zusätzlich für Inklusion ausgebaut und • im Jahr 2016 die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigung durch Nachteilsausgleich und Notenschutz neu geregelt. Als Querschnittsthema sind die Verantwortlichen in den verschiedenen Bereichen (z. B. die Kommunen als Sachaufwandsträger ) bei der Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems gefordert. 4.3 Welche Möglichkeiten bestehen, die Umsetzungen des Rechts auf Bildung bei Behinderungen und Teilleistungsstörungen im bayerischen Schulsystem überprüfen zu lassen (z. B. gerichtlich)? Schülerinnen und Schülern, bei Minderjährigkeit vertreten durch ihre Erziehungsberechtigten, stehen die Möglichkeiten des allgemeinen Rechtsschutzes offen. So können sie z. B. gerichtlich gegen einen Bescheid über den beantragten Nachteilsausgleich vorgehen, soweit sie durch eine ablehnende Entscheidung beschwert sind. 5.1 Mit welcher Begründung hat die Staatsregierung bei der Neuregelung der BayScho (§ 36, Abs. 2, Satz 4) die Möglichkeit geschaffen, eine schulpsychologische Stellungnahme als ausreichenden Nachweis einer vorliegenden Lese-Rechtschreib- Störung (LRS) bei gleichzeitigem Verzicht auf ein fachärztliches Gutachten zur Feststellung einer LRS festzusetzen? Aufgrund der gemäß der o. g. Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung“ nicht mehr bestehenden Unterscheidung in eine „Lese- und Rechtschreibstörung“ (Legasthenie ) bzw. eine „Lese- und Rechtschreibschwäche“ (LRS)“ erfolgte schulischerseits eine entsprechende Zusammenführung dieser beiden Erscheinungsformen in den Begriff der „Lese-Rechtschreib-Störung“. Damit war ebenso eine Vereinheitlichung auf der Ebene der Feststellung erforderlich. Bezüglich eines einheitlichen Verfahrens war zu entscheiden , ob zukünftig zur Feststellung die bisher „strengere “ Regelung der bisherigen „Störung“ (Attestierung durch Kinder- und Jugendpsychiater; anschließend Stellungnahmen des Schulpsychologen) oder die „einfachere “ Regelung der bisherigen „Schwäche“ (Anerkennung durch Schulpsychologen alleine) angewandt werden soll. Mit Blick auf die Interessen der betroffenen Schülerinnen und Schüler und deren Erziehungsberechtigten erfolgte die Entscheidung, dass das einfachere Verfahren – nämlich die Feststellung durch den Schulpsychologen – für beide Fallgruppen fortgeführt wird. Wenn verpflichtend ein kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten festgelegt worden wäre, wäre dies dem Interesse derjenigen Erziehungsberechtigten zuwidergelaufen, die eine Vorstellung ihres Kindes beim Kinder- und Jugendpsychiater gerade nicht wollen (und dies bisher dadurch umgesetzt haben, dass sie sich vom Schulpsychologen „nur“ eine Lese- Rechtschreibschwäche anerkennen ließen). Damit ist aus schulischer Sicht keine Verschlechterung der Diagnostik einer Lese-Rechtschreib-Störung verbunden . Sowohl Schulpsychologen als auch die Fachärzte für Kinder-und Jugendpsychiatrie bedienen sich zur Feststellung der Lese- bzw. Rechtschreibleistung sowie der Intelligenz derselben oder vergleichbarer Verfahren. In der Regel werden in den kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen diese Tests auch durch Psychologen und nicht durch die Fachärzte selbst durchgeführt. Diese Entscheidung ist auch eine Ausfüllung des Grundsatzes des Art. 26 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – BayVwVfG („Die Behörde bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält“) zugunsten der betroffenen Schülerinnen und Schüler. Letztere stehen im Mittelpunkt der Regelungen. Insgesamt bleibt es den Erziehungsberechtigten damit unbenommen, ein fachärztliches Gutachten einzuholen. Wenn Erziehungsberechtigte • explizit eine außerschulische Diagnostik anstreben oder • Bedenken haben, ob die schulpsychologische Stellungnahme ausreichend ist oder die zu treffenden Feststellungen richtig wiedergibt und bewertet, können sie eine fachärztliche Bescheinigung der Kinderund Jugendpsychiater auch künftig vorlegen. Die Entscheidung , ob sie erforderlich ist, wird jetzt den Betroffenen überlassen und nicht wie bisher von staatlicher Seite festgelegt. Die Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie können somit weiter beteiligt werden, allerdings ohne die Festlegung, die in der bisher geltenden Bekanntmachung zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens vom 16.11.1999 getroffen worden ist. 5.2 Hat ein fachärztliches Gutachten zur Feststellung einer LRS, das auf einer ICD-10 Diagnose beruht, bindende Wirkung für die Schulleitung? 5.3 Welche Handlungsmöglichkeiten hat die Schulleitung bei sich widersprechenden Diagnosen z. B. vom Schulpsychologen und einem Kinder- und Jugendpsychiater ? Nachteilsausgleich und Notenschutz bei einer Lese-Rechtschreib -Störung gewähren die Schulleiterinnen und Schuleiter (§ 35 Abs. 2 Satz 1 der Bayerischen Schulordnung – BaySchO). In die Prüfung der Erforderlichkeit, des Umfangs und der Dauer sowie der Form des Nachteilsausgleichs bzw. des Notenschutzes wird ein fachärztliches Zeugnis – in Verbindung mit der zusätzlich erforderlichen schulpsychologischen Stellungnahme – maßgeblich einbezogen . Eine bindende Wirkung kann dem fachärztlichen Zeugnis nicht zukommen. Dass ein solches fachärztliches Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14336 Zeugnis auf einer Diagnose nach ICD-10 beruht, kann vorausgesetzt werden. Da die Zuständigkeit für die Gewährung von Nachteilsausgleich oder Notenschutz bei Lese-Rechtschreib-Störung bei den Schuleiterinnen und Schulleitern liegt, gilt dies somit auch für die Entscheidung bei sich widersprechenden Gutachten von Schulpsychologen bzw. Fachärzten für Kinder - und Jugendpsychiatrie. Zur Unterstützung der Schuleiterinnen und Schulleiter ist wie bisher insbesondere bei abweichenden Einschätzungen eine Zusammenarbeit und Abstimmung von Schulpsychologen bzw. Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie hilfreich. Ergänzend könnte auch ein Drittgutachten eingefordert werden (Amtsarzt) i. S. d. freien Beweiswürdigung. 6.1 In welcher Form gibt es für Erziehungsberechtigte Unterstützung bei Meinungsverschiedenheiten mit der Schulleitung und ggf. mit den diagnostizierenden Psychologen über geeignete Maßnahmen zum Nachteilsausgleich? 6.2 Welche staatlichen und nichtstaatlichen Stellen können in diesen Fällen beraten und ggf. eingreifen ? Im Falle von Meinungsverschiedenheiten können sich Erziehungsberechtigte an die zuständigen Stellen der Schulaufsicht wenden: das Staatliche Schulamt im Bereich der Grund- und Mittelschulen, die Regierung im Bereich der Förderschulen und der Berufsschulen, die Ministerialbeauftragten im Bereich der Realschulen, Gymnasien und Beruflichen Oberschulen. Bei fachlichen Fragen zur schulpsychologischen Stellungnahme sind die Staatlichen Schulberatungsstellen Ansprechpartner. 7.1 Mit welcher Begründung verzichtet die Staatsregierung darauf, Richtlinien zur Berücksichtigung der Dyskalkulie zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen zu erstellen und die Dyskalkulie der Legasthenie gleichzustellen? Bezüglich der Rechenschwäche (Dyskalkulie) ist allgemein festzuhalten, dass anders als bei der Entwicklungsstörung Legasthenie eine vergleichbare Berücksichtigung bei der Leistungsbewertung nicht möglich ist. Betrifft die Legasthenie nur einen Teilbereich des Faches Deutsch und der Fremdsprachen, so wirkt sich die Rechenschwäche auf den wesentlichen Teil bzw. das Fundament des Faches Mathematik aus. Bei einer zur Legasthenie analogen Berücksichtigung der Rechenschwäche wäre – vor allem in den weiterführenden Schulen – die Notengebung in den Fächern Mathematik, Physik, Rechnungswesen u.a. nicht mehr möglich. Damit würden die Grundsätze der gleichen Leistungsfeststellung und der gleichen Leistungsbewertung eklatant verletzt. Auch wenn keine Berücksichtigung einer Rechenschwäche bei der Leistungsbewertung erfolgen kann, so ist dem Staatsministerium daran gelegen, alle Schülerinnen und Schüler – somit selbstverständlich auch diejenigen, die von Rechenschwäche betroffen sind – durch geeignete Fördermaßnahmen in den Schularten in ihrer Schullaufbahn zu begleiten. Für den Bereich der Grundschule wurde dazu im Auftrag des StMBW am Staatsinstitut für Schulqualität Bildungsforschung (ISB) die Handreichung „Kinder mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen – So unterstützen Lehrkräfte in der Grundschule“ erarbeitet und Mitte des Schuljahres 2015/2016 allen teil- und vollzeitbeschäftigten Lehrkräften an Grundschulen zugeleitet. Mit der Handreichung wird die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnenlernen vom ersten Schultag an bis hin zur Jahrgangsstufe 4 durch sehr differenzierte Hinweise zum frühzeitigen Erkennen solcher Schwierigkeiten und durch vielfältige Förderhinweise gezielt unterstützt. Die Fördermaßnahmen werden seitens des StMBW auf der Grundlage der vorliegenden Forschungsergebnisse zur Rechenschwäche kontinuierlich weiterentwickelt. 7.2 In welcher Form (verpflichtend/nicht verpflichtend ) sind die Themen Legasthenie und Dyskalkulie in der Lehrerausbildung (Studium/Referendariat ) und in der Lehrerfortbildung enthalten (falls die Themen Legasthenie und Dyskalkulie nicht verpflichtend in der Lehreraus- bzw. -fortbildung enthalten sind, wird um Angabe der Gründe gebeten )? Um der besonderen Bedeutung der pädagogisch-psychologischen und fachdidaktischen Kompetenzen gerecht zu werden, wurden deren Anteile im Rahmen der Neufassung der Lehramtsprüfungsordnung I (LPO I) deutlich erhöht. Die Thematik Legasthenie und Dyskalkulie wird im Rahmen der Ausbildung in der ersten Phase (Studium) wie folgt berücksichtigt: • In den Erziehungswissenschaften (§ 32 LPO I, Allgemeine Pädagogik, Schulpädagogik, Psychologie) werden „Individuelle Förderung und Beratung“ thematisiert und Fragestellungen aus der „Pädagogisch-psychologischen Diagnostik“ bearbeitet, insbesondere die Themen „Ursachen von Lernproblemen und angemessene Fördermaßnahmen “ sowie „Möglichkeiten, auf Kinder mit besonderem Förderbedarf gezielt einzugehen“. • In der Fachdidaktik (§ 33 LPO I) erfolgt ebenfalls eine schulartübergreifende Berücksichtigung. Dies drückt sich in den inhaltlichen Prüfungsanforderungen „Kenntnis von Fördermöglichkeiten und ihres Einsatzes bei unterschiedlichen Begabungen, Lernausgangslagen, Leistungsständen und Interessenlagen von Lernenden“ aus (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b LPO I). Ihren Niederschlag findet dies auch in den im Rahmen der Ersten Lehramtsprüfung zu absolvierenden Teilprüfungen: Beispielsweise sind in allen Unterrichtsfächern im Bereich der Fachdidaktik dreistündige, zentral gestellte Klausuren abzulegen; hinzu kommen je nach Ausgestaltung der Studienordnungen an den einzelnen Universitäten diverse Modulprüfungen , die als Zulassungsvoraussetzung zur Ersten Staatsprüfung erfolgreich abgelegt werden müssen. Auch im Bereich der Erziehungswissenschaften kommen zu der nach wie vor vorgeschriebenen vierstündigen zentral gestellten Klausur im Rahmen der Ersten Staatsprüfung auch Modulprüfungen aus allen Teilbereichen, die ebenfalls als Zulassungsvoraussetzung erfolgreich absolviert werden müssen. In diesen Prüfungen werden die Themenbereiche Legasthenie und Dyskalkulie regelmäßig abgedeckt. Dies gewährleistet bereits heute eine umfassende wissenschaftlich fundierte theoretische Grundlage im Bereich der Pädagogik, der Psychologie und der Fachdidaktik. Im Rahmen des zweijährigen Vorbereitungsdienstes erfolgt eine theoretisch fundierte und praxisorientierte Drucksache 17/14336 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Ausbildung. Dabei wird der Aspekt Förderung und Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten theoretisch, aber auch praxisorientiert und ggf. einzelfallbezogen behandelt. Dabei spielen die Aspekte der pädagogischen Diagnose von Lernschwierigkeiten unter besonderer Berücksichtigung von Störungsbildern wie Legasthenie und Dyskalkulie, Fördermöglichkeiten und nicht zuletzt Beratungskompetenz gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern eine wichtige Rolle. Durch die Ausbildung in der Schule im konkreten Unterrichtsalltag ist sichergestellt, dass der Umgang mit Legasthenie und Dyskalkulie nicht nur theoretisch, sondern auch an konkreten Einzelfällen unter Begleitung erfahrener Seminarlehrer erlernt und eingeübt wird und alle zur Verfügung stehenden internen – das sind insbesondere Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen – und externen Unterstützungsmöglichkeiten je nach Bedarf in Anspruch genommen werden können. Die gegenwärtige Struktur und die aktuellen Inhalte des Vorbereitungsdienstes bereiten Lehrkräfte auf den genannten Themenkomplex vor. Sowohl die Erkennung entsprechender Problembilder als auch die Förderung betroffener Schülerinnen und Schüler werden berücksichtigt. Über die Ausbildung hinaus werden auch im Bereich der Lehrerfortbildung Maßnahmen ergriffen, um die Diagnosekompetenz von Lehrkräften aller Schularten qualitativ zu verbessern und auszuweiten: Den verbindlichen Orientierungsrahmen für die inhaltliche Planung der staatlichen Lehrerfortbildung auf allen Ebenen bildet das „Schwerpunktprogramm Lehrerfortbildung“, das vom StMBW gemeinsam mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen und Vertretern der regionalen Lehrerfortbildung alle zwei Jahre erarbeitet wird. Das Schwerpunktprogramm für die Jahre 2015/2016 nennt unter dem Hauptkapitel Unterricht die Unterpunkte „Pädagogisches Diagnostizieren“ und „Umgang mit Heterogenität“, dabei auch „individuelle Förderung unterschiedlicher Begabungen “. Die Fortbildungsanbieter sind gehalten, zu allen Bereichen des Schwerpunktprogramms Veranstaltungen anzubieten, somit auch zur individuellen Lernleistung unter Berücksichtigung von Legasthenie und Dyskalkulie. Regelmäßige Abfragen der Fortbildungsdatenbank „FIBS – Fortbildung in bayerischen Schulen“ zeigen, dass Veranstaltungen zu den Themen Legasthenie und Dyskalkulie einen festen Bestandteil des Angebots aller Ebenen der Lehrerfortbildung darstellen. 8.1 Wie viele Schülerinnen und Schüler sind an bayerischen Schulen von Legasthenie und Dyskalkulie betroffen (bitte getrennt nach Bezirken auflisten)? Bezüglich einer Lese-Rechtschreib-Störung bzw. einer Dyskalkulie besteht keine Verpflichtung der Erziehungsberechtigten , bei Vorliegen der genannten Beeinträchtigungen die Schule zu informieren. Daher werden an den Schulen selbst nur diejenigen Schülerinnen und Schüler erfasst, bei denen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs oder Notenschutzes erfolgen. Die nachstehende Tabelle enthält in Aufgliederung nach Regierungsbezirk die von einer Lese-Rechtschreib-Störung (bisherige Terminologie: Lese-Rechtschreibstörung bzw. Lese-Rechtschreibschwäche) an Realschulen, Realschulen zur sonderpädagogischen Förderung, Abendrealschulen und Gymnasien betroffenen Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2015/2016. Schülerinnen und Schüler mit Lese-Rechtschreib-Störung (bisherige Terminologie: Lese-Rechtschreibstörung bzw. Lese-Rechtschreibschwäche) an Realschulen, Realschulen zur sonderpädagogischen Förderung, Abendrealschulen und Gymnasien nach Regierungsbezirk im Schuljahr 2015/2016 Regierungsbezirk Anzahl der betroffenen Schülerinnen und Schüler Oberbayern 9.329 Niederbayern 1.397 Oberpfalz 1.304 Oberfranken 1.157 Mittelfranken 2.727 Unterfranken 2.503 Schwaben 2.937 insgesamt 21.354 An anderen Schularten werden entsprechende Daten nicht zentral erhoben. Auf eine gesonderte Erhebung dazu an den Schulen wurde verzichtet, um diese nicht mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand zu belasten. Zur Dyskalkulie liegen für keine Schulart Daten vor. 8.2 Welche Maßnahmen zählen zu den Unterstützungsmaßnahmen , die nach Meinung der Staatsregierung in den Fällen von Lese- und Rechtschreibstörung eingesetzt werden sollten, um den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zu erleichtern. Als Maßnahmen der individuellen Unterstützung sind gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BaySchO pädagogische, didaktisch -methodische und schulorganisatorische Maßnahmen sowie die Verwendung technischer Hilfen möglich, die außerhalb von Leistungsfeststellungen eingesetzt werden . Individuelle Unterstützung wird gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BaySchO im Rahmen des pädagogischen und organisatorischen Ermessens durch die Lehrkraft gewährt. Die Erziehungsberechtigten sind dabei angemessen einzubinden . Als mögliche Maßnahmen bei einer Lese-Rechtschreib- Störung können beispielhaft genannt werden: Vergrößern von Texten, individuelle Rückmeldungen, Einsatz technischer Hilfen, Verwenden von Lesehilfen. 8.3 Inwieweit dürfen die Schulen Maßnahmen, die sich zum Nachteilsausgleich während der Schulzeit als geeignet erwiesen haben, in Abschlussprüfungen verwenden)? (z. B. größere Kopien, Vorlesen etc.)? Gewährte Maßnahmen des Nachteilsausgleichs können auch in Abschlussprüfungen eingesetzt werden, soweit für diese Prüfungen nicht bestimmte Rahmenbedingungen festgelegt sind, vgl. Art. 52 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayEUG, § 33 BaySchO. Bezüglich der genannten Aspekte „größere Kopien“ bzw. „Vorlesen“ wird darauf hingewiesen, dass jeweils beachtet werden muss, dass sich die Maßnahme auf den Nachteilsausgleich bezüglich der Lese-Rechtschreib- Störung bezieht.