Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kerstin Celina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 19.09.2016 Situation von Pflegeeltern und Pflegekindern in Bayern Die Bundesregierung diskutiert gegenwärtig Pläne zur Stärkung der Rechte von Pflegeeltern und Pflegekindern. Dabei geht es auch um eine Gewährleistung des Kindeswohls durch Kontinuität und Sicherheit für Kinder in Pflegefamilien. Pflegeeltern sollen mehr Entscheidungsbefugnisse für ihre Schützlinge erhalten. Auch die Übertragung der Vormundschaft auf Pflegeeltern soll erleichtert werden. Viele Fachverbände haben ebenfalls einen dringenden Reformbedarf im Familienrecht angemeldet. Die Jugend- und Familienminister der Länder haben sich bereits mit dem Thema befasst . Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „Stärkung der Kinderrechte“ eingerichtet. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Wie viele Kinder wurden in Bayern in den vergangenen fünf Jahren auf Grundlage von § 42 des Sozialgesetzbuches (SGB) Achtes Buch (VIII) durch die Jugendämter in Obhut genommen (bitte in Vollzeit- und Bereitschaftspflege gegliedert angeben)? a) Wie viele Kinder wurden in den vergangenen fünf Jahren in Obhut genommen (bitte unterteilen in die Kategorien (1) auf eigenen Wunsch und (2) aufgrund einer akuten Gefährdung des Kindeswohls)? b) Wie viele Kinder wurden in den vergangenen fünf Jahren gegen den Willen der Personensorge- oder Erziehungsberechtigten in Obhut genommen? 2. In wie vielen Fällen haben aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls Familiengerichte in den vergangenen fünf Jahren in Bayern nach § 1666 und § 1666 a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Eltern teilweise oder vollständig das Sorgerecht entzogen? a) In wie vielen Fällen erfolgte aufgrund einer Entscheidung des Familiengerichts in den vergangenen fünf Jahren eine Rückführung der in Obhut genommenen Kinder in die Herkunftsfamilie? b) In wie vielen Fällen erfolgte aufgrund einer Entscheidung des Familiengerichts in den vergangenen fünf Jahren die dauerhafte Gewährung stationärer Hilfen zur Erziehung? 3. Wie viele Kinder wurden in Bayern in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen der stationären Hilfen zur Erziehung in einem Heim oder in anderen betreuten Wohnformen untergebracht? a) Wie viele Kinder wurden in Bayern in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen der stationären Hilfen zur Erziehung in einer Pflegefamilie untergebracht? b) Wie viele Kinder leben zurzeit in Bayern insgesamt in einer Pflegefamilie? 4. Wie schätzt die Staatsregierung die Gefährdung des Kindeswohls bei vorliegenden psychischen Erkrankungen sowie bei Suchterkrankungen der Erziehungsberechtigten ein? a) Inwieweit besteht rechtlich die Möglichkeit, bei psychisch erkrankten und süchtigen Erziehungsberechtigten eine Inobhutnahme der Kinder zu erwirken? b) Wie viele Kinder sind gegenwärtig in Bayern dauerhaft (länger als ein Jahr) in einer Pflegefamilie untergebracht ? 5. In wie vielen Fällen kam es in den vergangenen fünf Jahren zu einer Rückkehr der Kinder aus einer Pflegefamilie in die Herkunftsfamilie? a) Wie erfolgt bei einer Rückkehr der Kinder in die Herkunftsfamilie eine Überprüfung, ob das Kindeswohl nun tatsächlich gewährleistet ist (bitte die Überprüfungsmaßnahmen und die beteiligten Institutionen angeben )? b) Welche Maßnahmen erachtet die Staatsregierung als geeignet, um Schaden durch etwaige mehrmalige Wechsel von Pflege- zu Herkunftsfamilie von den Kindern abzuwenden? 6. In welcher Form wird der Wille der Kinder bei der Entscheidung über den Verbleib in der Pflegefamilie oder die Rückkehr in die Herkunftsfamilie berücksichtigt? a) Wie können bei der Entscheidung über den dauerhaften Verbleib in der Pflegefamilie die Rechte der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Recht der leiblichen Eltern gestärkt werden? b) Wie kann die Adoption von Pflegekindern durch die sozialen Eltern erleichtert werden? 7. Welchen Reformbedarf sieht die Staatsregierung bei der rechtlichen Anerkennung der sozialen Elternschaft ? a) Wie kann bei einer unwahrscheinlichen Rückkehr in die Herkunftsfamilie ein auf Dauer angelegtes Pflegeverhältnis besser im Familienrecht verankert werden? b) Sollten Pflegekinder und Pflegeeltern ein eigenes Recht zur gerichtlichen Beantragung einer Dauerpflegeanordnung oder Verbleibensanordnung in der sozialen Familie erhalten? 8. Wie können bei einer auf Dauer angelegten Familienpflege die Entscheidungsbefugnisse der Pflegeeltern in Angelegenheiten des täglichen Lebens sowie die Vertretungsrechte der Pflegepersonen gestärkt werden ? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 27.01.2017 17/14523 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14523 a) Welche Vorteile würde die Staatsregierung darin sehen , bei einer lang andauernden Familienpflege die elterliche Sorge auch ohne Zustimmung der leiblichen Eltern durch das Familiengericht auf die Pflegefamilie zu übertragen? b) Wie beurteilt die Staatsregierung die Einführung eigener Beschwerderechte der Pflegeeltern bei gerichtlichen Entscheidungen in Bezug auf das Pflegekind? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 23.11.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Justiz wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Kinder wurden in Bayern in den vergangenen fünf Jahren auf Grundlage von § 42 des Sozialgesetzbuches (SGB) Achtes Buch (VIII) durch die Jugendämter in Obhut genommen (bitte in Vollzeit - und Bereitschaftspflege gegliedert angeben)? a) Wie viele Kinder wurden in den vergangenen fünf Jahren in Obhut genommen (bitte unterteilen in die Kategorien (1) auf eigenen Wunsch und (2) aufgrund einer akuten Gefährdung des Kindeswohls )? b) Wie viele Kinder wurden in den vergangenen fünf Jahren gegen den Willen der Personensorge- oder Erziehungsberechtigten in Obhut genommen? Das Jugendamt ist unter den Voraussetzungen des § 42 SGB VIII berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Kind oder der Jugendliche darum bittet oder eine dringende Gefahr für das Kindeswohl die Inobhutnahme erfordert und die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt – sofern nach dessen Einschätzung eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht bzw. die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden – das Kind oder den Jugendlichen unverzüglich den Personensorge - oder Erziehungsberechtigten zu übergeben oder eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen. Mit der Inobhutnahme ist auch die Befugnis zur vorläufigen Unterbringung bei einer geeigneten Person (z. B. bei Verwandten oder im Rahmen der Bereitschaftspflege ), in einer Einrichtung oder einer sonstigen (geeigneten ) Wohnform verbunden. Hiervon ist die Gewährung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gem. §§ 27, 33 SGB VIII zu unterscheiden, die einen Antrag der Eltern bzw. des Personensorgeberechtigten voraussetzt. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die in den vergangenen fünf Jahren gem. § 42 SGB VIII in Obhut genommen wurden, sowie ob dies auf eigenen Wunsch oder wegen einer Gefährdung geschah, kann der folgenden Tabelle entnommen werden. Ob die Inobhutnahme gegen den Willen der Personensorge- oder Erziehungsberechtigten erfolgt , wird statistisch nicht erfasst. Erläuterung: Der sprunghafte Anstieg in den Jahren ab 2014 ist der massiven Einreise von unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA) zuzurechnen. UMA sind in allen Unterbringungsformen der Ziffern 3 bis 5 enthalten, jedoch nicht gesondert statistisch ausgewiesen. In den Zeilen 6 und 7 wird die Zugangsform, also ob ein Kind oder Jugendlicher auf eigenen Wunsch oder aufgrund einer Gefährdung in Obhut genommen wurde, beschrieben. 2011 2012 2013 2014 2015 1 Inobhutnahmen insgesamt 2.982 3.046 2.841 4.675 15.295 2 davon unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche 197 334 349 1.986 12.685 3 Unterbringung bei einer geeigneten Person 941 860 825 1.041 2.264 4 Unterbringung in einer Einrichtung 1.950 2.089 1.867 2.976 8.764 5 Unterbringung in einer sonstigen betreuten Wohnform 91 97 149 658 4.267 ∑ 15.295 6 Maßnahme auf eigenen Wunsch 625 500 467 583 1.022 7 Maßnahme wegen Gefährdung 2.307 2.505 2.329 4.092 14.273 ∑ 15.295 Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung : Statistische Berichte, Kinder- und Jugendhilfe in Bayern, Ergebnisse zu Teil I: Erzieherische Hilfen, Jahrgänge 2011–2015 2. In wie vielen Fällen haben aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls Familiengerichte in den vergangenen fünf Jahren in Bayern nach § 1666 und § 1666 a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Eltern teilweise oder vollständig das Sorgerecht entzogen? Die Anzahl der Fälle, in denen den Eltern teilweise oder vollständig das Sorgerecht entzogen wurde, kann der folgenden Tabelle entnommen werden. Es werden nachfolgend nur die Zahlen ab dem Jahr 2012 aufgeführt, da in dem statistischen Bericht für das Jahr 2011 nicht zwischen vollständigem oder teilweisem Entzug der elterlichen Sorge differenziert wird (2011 insgesamt: 1.701 Fälle). 2012 2013 2014 2015 Vollständige Übertragung der elterlichen Sorge auf das Jugendamt oder einen Dritten als Vormund oder Pfleger 707 791 1.204 686 Teilweise Übertragung der elterlichen Sorge auf das Jugendamt oder einen Dritten als Vormund oder Pfleger 1.542 1.264 1.400 1.045 Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung : Statistische Berichte, Kinder- und Jugendhilfe in Bayern, Ergebnisse zu Teil I: Erzieherische Hilfen, Jahrgänge 2012–2015 Drucksache 17/14523 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 a) In wie vielen Fällen erfolgte aufgrund einer Entscheidung des Familiengerichts in den vergangenen fünf Jahren eine Rückführung der in Obhut genommenen Kinder in die Herkunftsfamilie? Eine entsprechende statistische Erhebung existiert nicht. Gem. § 42 SGB VIII ist die Inobhutnahme eine Aufgabe des Jugendamtes (siehe auch Antwort zu den Fragen 1, 1 a und 1 b). Entsprechend ist auch grundsätzlich das Jugendamt und nicht das Familiengericht zuständig für die Entscheidung , eine Inobhutnahme zu beenden. Die Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder mit der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach § 42 Abs. 4 SGB VIII. Das Familiengericht ist vom Jugendamt lediglich dann mit der Sache zu befassen, wenn die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme widersprechen und aus Sicht des Jugendamts wegen einer bestehenden Kindeswohlgefährdung eine Übergabe des Kindes an diese nicht in Betracht kommt (§ 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII). Das Familiengericht entscheidet in diesem Fall aber nicht unmittelbar über die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme und deren Fortdauer, sondern es ordnet eigenständige kindesschutzrechtliche Maßnahmen (insbesondere nach §§ 1666, 1666 a BGB) an oder sieht – wenn es die Voraussetzungen nicht (mehr) für gegeben erachtet – von solchen ab. In letzterem Fall hat das Jugendamt die Inobhutnahme durch die unverzügliche Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu beenden . Derartige Fallkonstellationen, in welchen eine familiengerichtliche Entscheidung mittelbar zu einer Beendigung der Inobhutnahme führt, werden statistisch aber ebenfalls nicht erfasst. b) In wie vielen Fällen erfolgte aufgrund einer Entscheidung des Familiengerichts in den vergangenen fünf Jahren die dauerhafte Gewährung stationärer Hilfen zur Erziehung? Eine entsprechende statistische Erhebung existiert nicht. Über die Gewährung stationärer Hilfen entscheidet nicht das Familiengericht, sondern das Jugendamt auf Antrag des Personensorgeberechtigten. Das Familiengericht kann gemäß § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB lediglich anordnen, dass die Eltern öffentliche Hilfen (für den Fall der Bewilligung durch das Jugendamt) in Anspruch zu nehmen haben. 3. Wie viele Kinder wurden in Bayern in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen der stationären Hilfen zur Erziehung in einem Heim oder in anderen betreuten Wohnformen untergebracht? a) Wie viele Kinder wurden in Bayern in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen der stationären Hilfen zur Erziehung in einer Pflegefamilie untergebracht ? Die Anzahl der Fälle, in denen stationäre Hilfen zur Erziehung im Rahmen der Heimerziehung oder einer sonstigen betreuten Wohnform gem. § 34 SGB VIII bzw. Vollzeitpflege gem. § 33 SGB VIII gewährt wurde (begonnene Hilfen), ist der folgenden Übersicht zu entnehmen: Erläuterung: Der sprunghafte Anstieg in den Jahren ab 2014 ist der massiven Einreise von UMA zuzurechnen. 2011 2012 2013 2014 2015 Heimerziehung (§ 34 SGB VIII) 3.178 2.986 3.164 3.725 8.248 Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) 2.003 1.885 1.942 2.030 2.356 Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung : Statistische Berichte, Kinder- und Jugendhilfe in Bayern, Ergebnisse zu Teil I: Erzieherische Hilfen, Jahrgänge 2011–2015 b) Wie viele Kinder leben zurzeit in Bayern insgesamt in einer Pflegefamilie? Zum Stichtag 31.12.2015 waren 8.191 Kinder und Jugendliche im Rahmen der Vollzeitpflege gem. § 33 SGB VIII untergebracht . 4. Wie schätzt die Staatsregierung die Gefährdung des Kindeswohls bei vorliegenden psychischen Erkrankungen sowie bei Suchterkrankungen der Erziehungsberechtigten ein? Ob und inwieweit eine psychische Erkrankung oder Suchterkrankung der sorgeberechtigten Eltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung haben die Jugendämter und gegebenenfalls die Familiengerichte den Sachverhalt von Amts wegen zu überprüfen. Psychische Erkrankungen können in verschiedensten Formen und Ausprägungen auftreten. Nicht jede Form der Erkrankung wirkt sich per se gefährdend auf das Wohl des Kindes aus. Durch eine systemübergreifende, ganzheitliche Unterstützung der erkrankten Eltern, insb. der Erwachsenenpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe, kann in vielen Fällen erreicht werden, dass sie ihrer Erziehungsverantwortung trotz Erkrankung gerecht werden können. Die Staatsregierung setzt hier vor allem auf intersektorale Zusammenarbeit , Vernetzung und präventive Angebote. Hierzu wurden im Rahmen des Bayerischen Gesamtkonzepts zum Kinderschutz (www.kinderschutz.bayern.de) bereits entscheidende Weichenstellungen vorgenommen: Speziell zum Thema „Kinder von Eltern mit einer psychischen Erkrankung“ veranstaltete das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) gemeinsam mit dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege im November 2016 einen Fachtag für Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen und der Kinder- und Jugendhilfe . Ziel ist zum einen die Entstigmatisierung der Bereiche Psychische Erkrankung und Hilfsangebote der Kinder- und Jugendhilfe. Zum anderen soll die intersektorale Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe sowie dem Gesundheitsbereich weiter ausgebaut werden. Durch das vom StMAS aufgelegte KoKi-Förderprogramm (Koordinierende Kinderschutzstellen, www.koki.bayern.de) konnten seit 2009 flächendeckend interdisziplinäre Netzwerkstrukturen im Bereich Früher Hilfen auf- und ausgebaut werden (derzeit über 100 regionale KoKi-Netzwerke im Verantwortungsbereich der bayerischen Jugendämter). Das bayerische KoKi-Konzept diente dem Bund letztlich als Blaupause und wurde vollumfänglich im Bundeskinderschutzgesetz verankert (§ 3 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz – KKG) und mit dessen Inkrafttreten zum 1. Januar 2012 zum bundesweiten Standard. Wesentliche Aufgabe der KoKi-Fachkräfte der Jugendämter ist die systematische Vernetzung der regionalen Angebote Früher Hilfen und die strukturelle Verankerung interdisziplinärer Zusammenarbeit zur Stärkung el- Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14523 terlicher Erziehungskompetenzen auch und insbesondere in familiären Belastungssituationen. Sie informieren über Unterstützungsangebote von Einrichtungen und Diensten sowohl der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Angebote von Erziehungsberatungsstellen) als auch anderer Hilfesysteme (z. B. Leistungsangebote von Fachärztinnen und Fachärzten , Gesundheitsämtern, Schuldnerberatungsstellen, Frühförderstellen, Schwangerschaftsberatungsstellen) und vermitteln auf Wunsch dorthin. Ziel ist es, Überforderungssituationen von Eltern und andere Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung sowie für das Kindeswohl frühzeitig zu erkennen, damit ihnen durch zuverlässige und institutionsübergreifende Unterstützungs- und Hilfeangebote rechtzeitig begegnet werden kann und Schutzfaktoren gestärkt werden. Die Leistungen des KoKi-Netzwerkes sind ein unterstützendes Angebot für Eltern. Eine Inanspruchnahme erfolgt freiwillig. Neben der Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen geht es darum, durch die Förderung elterlicher Beziehungs-, Bindungs- und Erziehungskompetenzen vor allem auch positive Entwicklungschancen für Kinder zu schaffen. Die frühzeitige intersektorale Unterstützung der Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung trägt maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichert deren Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe. Frühe Hilfen leisten dadurch einen elementaren Beitrag zur Schaffung von mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit. Neben diesen Beratungs- und Unterstützungsangeboten steht Familien in Bayern auch ein flächendeckendes Netz von rund 180 Erziehungsberatungsstellen zur Verfügung, die ebenfalls vom StMAS gefördert werden. Die Fachteams der Erziehungsberatungsstellen unterstützen Kinder, Jugendliche und Eltern bei der Klärung und Bewältigung individueller oder familienbezogener Probleme, wie z. B. bei psychischen Erkrankungen. Ferner fördert das StMAS seit 2011 beim Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München eine bayernweite Kinderschutzambulanz. Ärztinnen und Ärzte und Fachkräfte der Jugendämter erhalten dort eine fundierte Beratung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung . Zu den Aufgaben der Kinderschutzambulanz gehört auch die Durchführung interdisziplinärer Qualifizierungsund Fortbildungsveranstaltungen auf der Grundlage des Ärzteleitfadens „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Erkennen und Handeln“ des StMAS. Die Kinderschutzambulanz schließt mit ihrem Angebot eine Lücke zwischen Kinder- und Jugendhilfe und medizinischer Diagnostik und stärkt so den Kinderschutz in Bayern nachhaltig. a) Inwieweit besteht rechtlich die Möglichkeit, bei psychisch erkrankten und süchtigen Erziehungsberechtigten eine Inobhutnahme der Kinder zu erwirken ? Neben der Unterstützung der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder hat das Jugendamt gemäß § 8 a SGB VIII insbesondere auch die Aufgabe, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (staatliches Wächteramt). Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt (die z.B. auf einer psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung der Personensorgeberechtigten bzw. Erziehungsberechtigten beruhen), so hat es gemäß § 8 a Abs. 1 SGB VIII das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Besteht eine dringende Gefahr und kann eine Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind bzw. den Jugendlichen in Obhut zu nehmen (§§ 8 a Abs. 2 Satz 2, 42 SGB VIII). b) Wie viele Kinder sind gegenwärtig in Bayern dauerhaft (länger als ein Jahr) in einer Pflegefamilie untergebracht? Eine entsprechende statistische Erhebung existiert nicht. 5. In wie vielen Fällen kam es in den vergangenen fünf Jahren zu einer Rückkehr der Kinder aus einer Pflegefamilie in die Herkunftsfamilie? Eine entsprechende statistische Erhebung existiert nicht. Eine Sonderauswertung des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung für das Jahr 2014 hat ergeben , dass in 613 Fällen (27,67 %) nach Beendigung der Hilfe gemäß § 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) der Aufenthaltsort des Kindes bzw. Jugendlichen der Haushalt der Eltern, eines Elternteils oder des Personensorgeberechtigten war. a) Wie erfolgt bei einer Rückkehr der Kinder in die Herkunftsfamilie eine Überprüfung, ob das Kindeswohl nun tatsächlich gewährleistet ist (bitte die Überprüfungsmaßnahmen und die beteiligten Institutionen angeben)? Das Jugendamt ist gemäß § 37 Abs. 1 SGB VIII verpflichtet, durch Beratung und Unterstützung die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie so weit zu verbessern, dass eine Rückführung des Kindes oder Jugendlichen möglich ist. Parallel zur Fremdunterbringung ist also eine intensive Elternarbeit erforderlich. Voraussetzung für eine Rückkehr ist eine günstige Prognose darüber, ob die Eltern gewillt und in der Lage sind, ihr Kind wieder selbst zu erziehen. Das Jugendamt muss die Rückkehrmöglichkeit des Kindes bzw. des Jugendlichen zu seiner Familie sorgfältig ausloten und gegebenenfalls die Rückkehr gründlich vorbereiten und begleiten. Als Indikatoren für stabilisierte Verhältnisse in der Herkunftsfamilie können gelten: • Überfordernde oder schädigende Einflüsse auf das Kind bzw. den Jugendlichen sind ausgeschlossen. • Die allgemeinen Lebensbedingungen wie z. B. Wohnung, Arbeit, Finanzen oder Umfeld haben sich dauerhaft gebessert . • Eine für die Fremdunterbringung ausschlaggebende Krankheit ist überwunden bzw. es sind deutliche Fortschritte in der Krankheitseinsicht und -bewältigung vorhanden . • Die familiären Beziehungen haben sich stabilisiert. • Grundlegende elterliche Kompetenzen, v. a. in den Bereichen Versorgung und emotionale Unterstützung, sind ausreichend vorhanden. Elementare Bedürfnisse des Kindes bzw. des Jugendlichen werden erkannt und können befriedigt werden. Die Herkunftsfamilie wird nach der Rückführung so lange wie nötig durch das Jugendamt beraten und begleitet, um eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung zu gewährleisten und eine neuerliche Fremdunterbringung zu vermeiden. Zur Unterstützung der Familie können Maßnahmen wie z. B. sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaft oder Familienberatung beitragen. Drucksache 17/14523 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 b) Welche Maßnahmen erachtet die Staatsregierung als geeignet, um Schaden durch etwaige mehrmalige Wechsel von Pflege- zu Herkunftsfamilie von den Kindern abzuwenden? Ein Schwerpunkt der Tätigkeit des Fachdienstes für Pflegekinderwesen im Jugendamt liegt in der Auswahl und Qualifizierung von Pflegeeltern. Es soll so weit als möglich sichergestellt werden, dass sie den Bedürfnissen der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen gerecht werden können . Je gründlicher die Vorbereitung erfolgt, umso besser gelingen die konkreten Pflegeverhältnisse. Darüber hinaus hat das Jugendamt auch Kontrollpflichten . Es muss fortlaufend überprüfen, ob die Pflegeeltern eine dem Wohl des Kindes förderliche Versorgung und Erziehung gewährleisten (§ 37 Abs. 3 SGB VIII), und sich davon vor Ort überzeugen. Während der Dauer des Pflegeverhältnisses sollen zudem die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie durch Beratung und Unterstützung so weit verbessert werden , dass die Eltern das Kind bzw. den Jugendlichen wieder selbst erziehen können. Das Jugendamt hat darauf hinzuwirken , dass die Pflegepersonen und die Eltern zum Wohl des jungen Menschen zusammenarbeiten. Dies bedeutet insbesondere auch die Wahrnehmung von Besuchskontakten, die dem Kind einen geschützten Umgang mit seiner Herkunftsfamilie ermöglichen und dadurch identitätsbildend wirken. In der Praxis kommen nach Mitteilung des Bayerischen Landesjugendamtes mehrmalige Wechsel von Pflege- zu Herkunftseltern äußerst selten vor, da eine Rückführung ausschließlich dann in Erwägung gezogen werde, wenn das Kind bzw. der Jugendliche aller Wahrscheinlichkeit nach wieder auf Dauer bei seinen Eltern leben kann. 6. In welcher Form wird der Wille der Kinder bei der Entscheidung über den Verbleib in der Pflegefamilie oder die Rückkehr in die Herkunftsfamilie berücksichtigt ? Gemäß § 8 SGB VIII sind Kinder und Jugendliche bei allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe entsprechend ihrem Entwicklungsstand zu beteiligen. Dies gilt auch für die Erstellung bzw. Fortschreibung des Hilfeplans gem. § 36 SGB VIII und insbesondere für die Entscheidung über den Verbleib in der Pflegefamilie oder die Rückführung in die Herkunftsfamilie. Sofern über die Frage des Verbleibs eines Kindes in der Pflegefamilie im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu entscheiden ist (insbesondere in einem Verfahren betreffend den Erlass oder die Verlängerung einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB), findet der Kindeswille wie folgt Berücksichtigung: Wenn das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat, muss das Familiengericht das Kind gemäß § 159 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) persönlich anhören. Auch für Kinder unter 14 Jahren ist nach § 159 Abs. 2 FamFG eine persönliche Anhörung durch das Gericht vorgeschrieben, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind. Diese Voraussetzungen liegen bei Entscheidungen über den Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie in aller Regel vor. Der Kindeswille findet ferner durch die grundsätzlich vorgeschriebene Bestellung eines Verfahrensbeistands Eingang in das gerichtliche Verfahren. Sofern das Gericht ein familienpsychologisches Gutachten einholt, führt zudem der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen der Begutachtung mindestens ein persönliches Gespräch mit dem Kind bzw. Jugendlichen. Die Erforschung des Kindeswillens stellt aber nicht nur eine verfahrensrechtliche Pflicht des Gerichts dar. Vielmehr ist der Kindeswille auch ein wichtiges materiellrechtliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob die Trennung des Kindes von der Pflegefamilie und die Rückführung in die Herkunftsfamilie zu einer Kindeswohlgefährdung führen würden. Dabei kommt dem festgestellten Kindeswillen eine größere Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung zu, je älter das Kind ist. Allerdings handelt es sich bei dem Kindeswillen nicht um das einzige Entscheidungskriterium. Das Gericht hat im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Faktoren (einschließlich des Kindeswillens) zu entscheiden. a) Wie können bei der Entscheidung über den dauerhaften Verbleib in der Pflegefamilie die Rechte der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Recht der leiblichen Eltern gestärkt werden? Die Hilfe zur Erziehung gem. §§ 27, 33 SGB VIII (Vollzeitpflege ) enthält die gesetzliche Intention einer zeitlich befristeten Hilfe. Wenn trotz Beratung und Unterstützung der Herkunftsfamilie eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen innerhalb eines, im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren, Zeitraums nicht erreichbar ist, so soll gem. § 37 SGB VIII mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden. Es soll im Rahmen der gemeinsamen Fortschreibung des Hilfeplans insbesondere auch geprüft werden, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt, § 36 Abs. 1 SGB VIII. Eine Stärkung des Rechts des Kindes gegenüber dem Recht seiner Eltern ist im Jugendhilfeverfahren nicht erforderlich, da das Kindeswohl bei allen Entscheidungen handlungsleitend ist (vgl. § 1 SGB VIII). Auch für eine gerichtliche Entscheidung über den (vorläufigen ) Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie bildet bereits heute das Kindeswohl die Richtschnur. So bestimmt § 1632 Abs. 4 BGB, dass das Familiengericht den Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie anzuordnen hat, wenn und solange eine Wegnahme des Kindes von den Pflegeeltern dessen Wohl gefährden würde. Bei der Beurteilung dieser Frage ist auch der Kindeswille in hohem Maße zu berücksichtigen. Eine weitere Stärkung des Rechts des Kindes gegenüber dem Recht seiner Eltern, etwa dahingehend, dass der Verbleib bei den Pflegeeltern bereits dann anzuordnen wäre, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht, würde im Hinblick auf das Elterngrundrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Zudem erschiene es nicht sachgerecht, dem Willen des Kindes eine noch stärkere Bedeutung beizumessen, etwa dergestalt, dass der geäußerte Kindeswille ab einem bestimmten Alter des Kindes einen absoluten Vorrang gegenüber allen anderen Entscheidungskriterien hat. Zum einen dürften auch ältere Kinder oftmals nicht in der Lage sein, selbst umfassend und objektiv zu beurteilen, was ihrem Wohl entspricht oder widerspricht. Zum anderen darf die weitreichende und häufig schwierige Entscheidung über den künftigen Aufenthalt nicht allein dem Kind aufgebürdet werden, zumal dieses dadurch in einen (noch stärkeren) Loyalitätskonflikt gestürzt werden könnte. Seite 6 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14523 b) Wie kann die Adoption von Pflegekindern durch die sozialen Eltern erleichtert werden? Bereits nach geltender Rechtslage besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Pflegeeltern das Kind adoptieren. Voraussetzung hierfür ist, dass die Eltern dem zustimmen oder ihre Einwilligung durch das Familiengericht gemäß § 1748 BGB ersetzt wird. Eine solche Ersetzung der Einwilligung ist insbesondere dann möglich, wenn der betreffende Elternteil seine Pflichten gegenüber dem Kind anhaltend gröblich verletzt oder durch sein Verhalten gezeigt hat, dass ihm das Kind gleichgültig ist, und das Unterbleiben der Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde. Die oben dargelegten gesetzlichen Regelungen messen dem Kindeswohl im Adoptionsverfahren entscheidende Bedeutung zu. Das Erfordernis der Einwilligung der Eltern trägt dem durch Art. 6 GG geschützten Elternrecht und dem Umstand Rechnung, dass mit der Adoption die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse unwiderruflich aufgehoben werden. Zwischen dem insoweit grundsätzlich vorrangigen Elternrecht und dem Kindeswohl schafft das Gesetz einen gerechten Interessenausgleich, indem es die Ersetzung der Einwilligung unter den oben genannten Voraussetzungen ermöglicht. 7. Welchen Reformbedarf sieht die Staatsregierung bei der rechtlichen Anerkennung der sozialen Elternschaft ? Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 1984 klargestellt, dass auch die Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist, wenn zwischen dem Kind und seinen Pflegeeltern als Folge eines länger andauernden Pflegeverhältnisses eine gewachsene Bindung entstanden ist (BVerfGE 68, 176). Ebenso hat der Bundesgesetzgeber durch die einfachgesetzlichen Regelungen in § 1630 Abs. 3, § 1632 Abs. 4 und § 1688 BGB zum Ausdruck gebracht, dass er die „soziale Elternschaft“ der Pflegeeltern grundsätzlich anerkennt. Eine Ausweitung dieser Vorschriften zugunsten der sozialen Eltern mag auf den ersten Blick zwar erwägenswert erscheinen. Bei genauerer Betrachtung ist hier allerdings Zurückhaltung geboten. Wie bereits das Bundesverfassungsgericht in der oben zitierten Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, kollidiert die Grundrechtsposition der Pflegeeltern regelmäßig mit dem Grundrecht der leiblichen Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, wobei Letzterem grundsätzlich der Vorrang zukommt. Den Richtpunkt allen (gesetzgeberischen) Handelns bildet letztlich aber stets das Kindeswohl. Diesen Konflikt zwischen den Interessen des Kindes, seinen leiblichen Eltern sowie den Pflegeeltern hat der Gesetzgeber durch die oben genannten Vorschriften, die den Gerichten im Einzelfall eine sach- und kindeswohlgerechte Entscheidung ermöglichen, grundsätzlich angemessen gelöst . Die Staatsregierung sieht deswegen keinen grundlegenden Reformbedarf. a) Wie kann bei einer unwahrscheinlichen Rückkehr in die Herkunftsfamilie ein auf Dauer angelegtes Pflegeverhältnis besser im Familienrecht verankert werden? Es ist nachvollziehbar, dass sich die Pflegeeltern und auch das betroffene Kind bei einer bereits länger andauernden Familienpflege und einer unwahrscheinlichen Rückkehr in die Herkunftsfamilie oftmals mehr Sicherheit im Sinne einer dauerhaften Pflegeanordnung durch das Gericht wünschen würden. Das natürliche Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet es jedoch, dass die leiblichen Eltern – insbesondere für den Fall einer wesentlichen Verbesserung der dortigen Verhältnisse – zu jeder Zeit die Möglichkeit haben müssen, eine gerichtliche Prüfung der Rückführung des Kindes zu beantragen. Solche Anträge könnten vom Gericht nicht allein mit der Begründung zurückgewiesen werden, es laufe derzeit noch eine Dauerpflegeanordnung. Vielmehr müsste in jedem Fall eine erneute Sachprüfung erfolgen. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben würde auch eine längerfristige oder dauerhafte Pflegeanordnung den Beteiligten letztlich nur eine Scheinsicherheit geben. Die Verankerung eines auf Dauer angelegten Pflegeverhältnisses im Familienrecht ist daher kritisch zu sehen und bedürfte jedenfalls einer sehr sorgfältigen Prüfung und Abwägung . b) Sollten Pflegekinder und Pflegeeltern ein eigenes Recht zur gerichtlichen Beantragung einer Dauerpflegeanordnung oder Verbleibensanordnung in der sozialen Familie erhalten? Nachdem eine Dauerpflegeanordnung, wie zu Frage 7 a dargelegt, grundsätzlich kritisch gesehen wird, sollten Pflegekinder und Pflegeeltern auch kein entsprechendes Antragsrecht erhalten. Hinsichtlich der Beantragung einer Verbleibensanordnung ist darauf hinzuweisen, dass der bestehende § 1632 Abs. 4 BGB ausdrücklich ein gerichtliches Tätigwerden „von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson“ vorsieht. Den Pflegeeltern steht somit bereits heute ein entsprechendes Antragsrecht zu. Eines ausdrücklichen Antragsrechts des Kindes bedarf es darüber hinaus nicht. Nachdem das Gericht gegebenenfalls auch von Amts wegen tätig werden muss, hat das Kind schon nach geltender Rechtslage jederzeit die Möglichkeit, die Einleitung eines entsprechenden Amtsverfahrens durch einen eigenen „Antrag“ anzuregen. 8. Wie können bei einer auf Dauer angelegten Familienpflege die Entscheidungsbefugnisse der Pflegeeltern in Angelegenheiten des täglichen Lebens sowie die Vertretungsrechte der Pflegepersonen gestärkt werden? Lebt ein Kind für längere Zeit in Familienpflege, so sind die Pflegeeltern bereits nach heutiger Rechtslage kraft Gesetzes befugt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten (§ 1688 Abs. 1 BGB). So können die Pflegeeltern beispielsweise selbstständig einen Reisepass für das Kind beantragen, wenn die Pflegefamilie ins Ausland verreisen will, sie können das Kind zum Musikunterricht oder in Sportvereinen anmelden und an Elternabenden in der Schule teilnehmen. Von der gesetzlichen Regelung erfasst ist insbesondere auch die notwendige gesundheitliche Versorgung des Kindes bei üblichen Kinderkrankheiten und erforderlichen Schutzimpfungen. In Angelegenheiten des täglichen Lebens bedarf es in Anbetracht der bestehenden Rechtslage daher keiner Stärkung der Rechte der Pflegeeltern. Drucksache 17/14523 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 7 a) Welche Vorteile würde die Staatsregierung darin sehen, bei einer lang andauernden Familienpflege die elterliche Sorge auch ohne Zustimmung der leiblichen Eltern durch das Familiengericht auf die Pflegefamilie zu übertragen? Die Übertragung von Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeeltern setzt nach § 1630 Abs. 3 BGB die Zustimmung der leiblichen Eltern voraus. Hieran sollte nach Auffassung der Staatsregierung grundsätzlich festgehalten werden. Wie oben dargelegt, sind die Pflegeeltern in Angelegenheiten des täglichen Lebens grundsätzlich bereits kraft Gesetzes hinreichend handlungsbefugt. Eine über diese Befugnisse hinausgehende (teilweise) Übertragung der elterlichen Sorge auf die Pflegeeltern gegen den Willen der leiblichen Eltern würde einen massiven Eingriff in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG darstellen. Ein solcher Eingriff ist aber nur in sehr engen Grenzen zulässig. Allein der Umstand, dass das Kind nicht mehr bei seinen leiblichen Eltern, sondern in einer Pflegefamilie lebt, würde einen entsprechenden Sorgerechtsentzug verfassungsrechtlich noch nicht rechtfertigen. Allerdings besteht gemäß § 1666 BGB bereits nach geltender Rechtslage die Möglichkeit, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen, wenn anderenfalls das Kindeswohl gefährdet wäre. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn sich ein Kind zwar mit Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern in einer Pflegefamilie befindet, sich die notwendige Kooperation der leiblichen Eltern mit den Pflegeeltern aber derart schwierig gestaltet, dass sich die bestehenden Konflikte gefährdend auf das Kindeswohl auswirken. Kommt es aufgrund von § 1666 BGB zu einem (Teil-)Entzug der elterlichen Sorge, ist es nach bestehender Rechtslage grundsätzlich auch möglich, das Sorgerecht – in diesem Fall auch gegen den Willen der leiblichen Eltern – auf die Pflegeeltern zu übertragen, indem diese zum Vormund oder Ergänzungspfleger für das Kind bestellt werden. b) Wie beurteilt die Staatsregierung die Einführung eigener Beschwerderechte der Pflegeeltern bei gerichtlichen Entscheidungen in Bezug auf das Pflegekind ? Sofern die Pflegeeltern durch eine gerichtliche Entscheidung in ihren eigenen Rechten beeinträchtigt sind, haben sie bereits nach jetziger Rechtslage ein Beschwerderecht. Ein solches ist insbesondere gegeben bei Entscheidungen über eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB oder Entscheidungen, die die (teilweise) Ausübung der elterlichen Sorge durch die Pflegeeltern betreffen (§ 1630 Abs. 3 BGB, § 1688 BGB). Eine Erweiterung der bestehenden Beschwerderechte der Pflegeeltern ist aus Sicht der Staatsregierung nicht veranlasst . Zwar können beispielsweise Entscheidungen über den Umgang des Kindes mit seinen leiblichen Eltern faktische Auswirkungen auf das tägliche Leben in der Pflegefamilie haben. Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen mittelbar auf die Pflegefamilie einwirkenden Umstand, der dem System der Familienpflege immanent ist. Den Pflegeeltern ein Beschwerderecht einzuräumen, soweit sie nicht in eigenen Rechten verletzt sind, ist aufgrund der regelmäßigen Bestellung eines Verfahrensbeistands für das betroffene Kind nicht erforderlich. Da bereits der Verfahrensbeistand des Kindes ein eigenes Beschwerderecht hat, wird sichergestellt, dass die Kindesinteressen im Verfahren hinreichend gewahrt werden. Den Pflegeeltern ein eigenes Beschwerderecht zuzugestehen würde demgegenüber die Gefahr bergen, dass diese vornehmlich versuchen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, beispielsweise um die Eltern des Pflegekindes aus ihrem Leben möglichst herauszuhalten .